2 Grundlagen und Rahmenbedingungen des Stromhandels in Deutschland
In diesem Kapitel werden die Grundlagen und Rahmenbedingungen, die für das Verständnis des Stromhandels in Deutschland und für die weitere Bearbeitung dieser Diplomarbeit von Bedeutung sind, vorgestellt. Insbesondere wird dabei auf die Besonderheiten der Handelsware Strom, den Transport von Elektrizität und die wichtigsten energierechtlichen Rahmenbedingungen eingegangen.
2.1 Besonderheiten der Handelsware Strom
Elektrizität ist mit anderen Handelsgütern nicht zu vergleichen, da sie sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnet, die den Handel auf dem Strommarkt maßgeblich beeinflussen. Daher ist eine genaue Betrachtung der Merkmale von Strom zu Beginn dieser Arbeit für den weiteren Verlauf notwendig.[5]
Nichtspeicherbarkeit:
Elektrizität lässt sich praktisch bis zum heutigen Tage nicht unmittelbar in großen Mengen speichern. Daher ist eine Lagerhaltung, wie in anderen Branchen üblich, nicht möglich. So müssen sich das Angebot der Stromerzeuger und deren Erzeugungskapazitäten an der Nachfrage der Konsumenten orientieren, um z.B. keine Stromausfälle zu generieren.[6] Demzufolge wird der Vorsorgungssicherheit im Vergleich zu anderen Branchen ein besonderer Stellenwert eingeräumt.
Leitungsgebundenheit:
Strom benötigt auf dem Weg vom Erzeuger zum Verbraucher ein eigenes Transportsystem. Dieses besteht zu 30 Prozent aus Freileitungen (s. Deckblatt) und zu 70 Prozent aus Kabeln[7], dessen Kapazitäten sowohl für die absolute Spitzenlast als auch für eine Reserve ausgelegt sein müssen. Beim Transport von Strom entsteht Wärme, wodurch Stromverluste hervorgerufen werden. In diesem Zusammenhang hat sich gezeigt, dass bei einer höheren Spannung geringere Verluste zu erwarten sind. Hieraus ergeben sich die unterschiedlichen Netzebenen mit Höchst-, Hoch-, Mittel- und Niederspannung. Folglich wird Elektrizität je nach Transportlänge auf verschiedenen Spannungsebenen befördert. Grundsätzlich wird jedoch bei Strom von einer „lokal-gebundenen“ Energie gesprochen, da der Transport von Strom über größere Entfernungen technische und wirtschaftliche Grenzen hat.[8]
Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage
Die Nachfrage der Stromkonsumenten variiert je nach Tages- und Jahreszeit, Konjunktur und Wetterlage. Da ein Stromkonsument den Verbrauch kurzfristig meist nur wenig verändern oder durch ein Substitut ersetzen kann, weist Elektrizität nur eine geringe Preiselastizität auf. So lässt sich daraus schließen, dass Preissteigerungen nicht unmittelbar zu einem Rückgang der Nachfrage führen.[9] Wiederum bedingt durch die angesprochene Nichtspeicherbarkeit von Strom ergibt sich daraus die Besonderheit, dass die Erzeuger gesetzlich dazu verpflichtet sind, ihr Stromangebot an das Nachfrageprofil der Verbraucher anzupassen. Bei Frequenzschwankungen (zeit- und mengenungleiche Ein- und Ausspeisung von Strom im Netz) kommt es bei Abweichung von einer eng gesetzten Toleranz zu einem Netzzusammenbruch (Stromausfall).[10]
Fehlende Spezifizierbarkeit
Elektrizität wird durch die Umwandlung eines Energieträgers gewonnen. Welcher Energieträger bei der Erzeugung von Elektrizität genutzt wurde, lässt sich beim Verbraucher nicht mehr feststellen. Einmal in das Netz eingespeist, ist das Produkt Strom immer exakt dasselbe, unabhängig davon, ob der Strom aus Kernkraft, Biomasse oder einem anderen Energieträger gewonnen wurde[11]. Strom lässt sich lediglich durch das Spannungsniveau (kV) und die Frequenz (Hz) voneinander unterscheiden.[12]
2.2 Das deutsche Übertragungsnetz für Elektrizität
Das deutsche Übertragungsnetz für Elektrizität befand sich bis zur Liberalisierung in der Hand der Stromversorger, die somit die gesamte Wertschöpfungskette von Erzeugung bis hin zum Vertrieb beherrschten.[13] In diesem monopolistischen System existierten so genannte geschlossene Versorgungsgebiete, die Verbrauchern den Wechsel des Stromlieferanten unmöglich machten, da die Netznutzung an den lokalen Stromerzeuger gebunden war. In Folge der Liberalisierung wurden die geschlossenen Versorgungsgebiete aufgehoben, indem die Wertschöpfungskette entflochten (Unbundling) wurde. Hierbei fand eine Trennung des Netzbetriebs von der Stromlieferung statt, um einen diskriminierungsfreien Netzzugang für alle Nutzer zu schaffen.[14] In den nachstehenden Abschnitten wird daher auf die Struktur des Netzes, den Netzzugang und die Netzentgelte eingegangen.
2.2.1 Struktur des deutschen Stromnetzes
Das deutsche Stromnetz besteht aus ungefähr 1,65 Millionen Kilometer Leitungen und 566.200 Transformatoren.[15] Der Transport findet, wie bereits im vorherigen Kapitel 2.1 „Besonderheiten der Handelware Strom“ angesprochen, auf vier Spannungsebenen (s. Abb. 1) statt. Diese sind durch Umspannwerke miteinander verbunden. Die Spannungsebenen lassen sich wie folgt voneinander abgrenzen: Die Höchstspannungsebene (380/200 kV) wird zum europaweiten Stromtransport genutzt. An diese angeschlossen sind Kraftwerke mit Leistungen von über 300 MW sowie auch Großabnehmer der energieintensiven Industrie.
Abb. 1: Darstellung der verschiedenen Spannungsebenen[16]
Die Hochspannungsebene (110 kV) wird für den regionalen Transport (10 bis 100 km Länge) von Strom genutzt. Direkten Anschluss an das Hochspannungsnetz finden gewöhnlich Kraftwerke und Großabnehmer ab einer Leistung von 20 MW bis ca. 300 MW. Auf die Mittelspannungsebene (20/10 kV) wird für den Transport von Strom auf einigen wenigen Kilometern zurückgegriffen. Hier sind Abnehmer und Einspeiser mit einer Leistung von 50 kW bis einigen MW direkt angeschlossen. Der Niederspannungsbereich stellt die unterste Ebene dar, an der die mehrheitliche Zahl von Abnehmern angebunden ist. Es handelt sich hierbei um alle Stromkonsumenten und Stromerzeugungsanlagen mit einem Bedarf bzw. einer Erzeugungskapazität von weniger als 100.000 kWh bzw. einer maximalen Leistung von 200 kW. Die durchschnittliche Transportlänge beträgt wenige 100 Meter.[17]
2.2.2 Netzzugang
Wie einleitend beschrieben sind die Möglichkeiten zur Diskriminierung durch Behinderung oder Verweigerung des Netzzugangs in Deutschland deutlich vermindert worden. Als maßgeblich verantwortlich für diese Entwicklung sind die Abschaffung des Monopolschutzes sowie die Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) im Jahr 2005 zu betrachten.[18] Letzteres schreibt vor, dass Netzbetrieb und Lieferung entweder eigentumsrechtlich oder organisatorisch, zumindest aber buchhalterisch getrennt sein müssen, um Verflechtungen der Ziele von Lieferanten- und Netzbetreiberfunktion zu vermeiden. Eine optimale Trennung der Funktionen findet allerdings nur durch die eigentumsrechtliche Trennung statt. Andernfalls wird zusätzlich eine unabhängige Kontrollinstanz bedingt.[19] Des Weiteren wurde im §17 EnWG die allgemeine Anschlusspflicht der Betreiber von Energieversorgungsnetzen geregelt. Durch diese Verankerung im Gesetz soll ein diskriminierungsfreier Netzzugang ermöglicht werden.
Die Basis der Stromlieferung vom Lieferanten an den Abnehmer stellt der Netzzugang dar, da - wie im vorherigen Kapitel 2.1 „Besonderheiten der Handelsware Strom“ erläutert - die Lieferung von Strom leitungsgebunden ist und nicht durch ein anderes Transportmittel ersetzt werden kann. Folglich wird daher unter dem Begriff „Netzzugang“ die Möglichkeit verstanden, Strom in das Netz einzuspeisen bzw. diesen zu entnehmen. Die einzige Voraussetzung hierfür ist allerdings ein technischer Anschluss an das Stromnetz, der den Ansprüchen des Transmission Codes[20] der Union for the Coordination of Transmission of Electricity genügen muss. Diese gelten jedoch nicht als besonders hoch und bieten daher wenig Diskriminierungspotential.[21] Einzig von der Anschlusspflicht und somit auch dem Netzzugang ausgenommen sind nach §18 Abs. 1 EnWG Betreiber des Energieversorgungsnetzes, wenn ein Anschluss oder die Anschlussnutzung aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar sein sollte. Somit bleibt für die Netzbetreiber, wenn auch sehr eingeschränkt, ein gewisses Restpotential zur selektiven Diskriminierung von Netznutzern.
2.2.3 Netznutzungsentgelte
Die Nutzung des Stromnetzes ist kostenpflichtig und der Netzbetreiber hat nach dem Energiewirtschaftsgesetz einen Anspruch auf ein angemessenes Netznutzungsentgelt, das der Stromkonsument zu tragen hat. So bezieht sich §21 Abs. 2 EnWG auf das angemessene Entgelt und die Verzinsung: „Die Entgelte werden auf der Grundlage der Kosten einer Betriebsführung, die denen eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen müssen, unter Berücksichtigung von Anreizen für eine effiziente Leistungserbringung und einer angemessenen, wettbewerbsfähigen und risikoangepassten Verzinsung des...