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Der Glücksansatz

Vom Unglück des Glücksbegriffs und seiner Abwesenheit in Politik und Sozialer Arbeit

AutorJessica von Haeseler
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783640865581
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Alice-Salomon Hochschule Berlin , Sprache: Deutsch, Abstract: 'Viele von uns suchen nach dem Glück wie ein Betrunkener nach seinem Haus. Sie wissen zwar, dass es existiert, können es aber nicht finden.' Ein Büchermarkt voller Gebrauchsanweisungen wartet bunt-schillernd und mit vagen Versprechungen in den Regalen sämtlicher Buchhandlungen. - Von wissenschaftlich über trivial bis hin zu populistischen und belletristischen Werken - es bleiben keine Wünsche offen. Ein Unglück scheint über die Menschheit hereingebrochen zu sein und hilflos ergreifen sie die dargebotenen Binsenweisheiten. Selbst Bücher, die vor solchen Büchern warnen erobern den Markt. In unserer am Konsum orientierten Gesellschaft haben wir es tagtäglich mit Leitbildern zu tun, die uns Glück versprechen; uns suggerieren, wenn wir nur dieses oder jenes (erreicht) hätten, wären wir ausgeglichener, zufriedener, ja einfach glücklicher. Wir scheinen ausnahmslos der Überzeugung zu sein, der Zustand der Glücksseligkeit sei uns bis auf weiteres verloren gegangen. Aber was ist dieses Glück, nach dem wir suchen? Ist Glück käuflich, angeboren, purer Zufall, harte Arbeit oder Einstellungssache? Und was hat Soziale Arbeit eigentlich mit Glück zu tun?

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Leseprobe

2 Eingrenzung des Glücksbegriffes

 

2.1 Etymologie

 

„Alle Menschen wollen glücklich sein.“[4]

 

Eine Expedition ins Etymologische ergibt Folgendes:

 

Das Wort „Glück“ entstammt dem mittelhochdeutschen „gelücke“ und bezeichnet die „Art, wie etwas endet“ bzw. „gut ausgeht“, sprich das günstige Enden einer Begebenheit. Weder die eigene Mitwirkung noch eine besondere Fähigkeit liegen diesem Glücksbegriff zugrunde. Er rangiert somit eher in der Kategorie Schicksal oder Zufall und entspricht in etwa dem Sprichwort „Glück gehabt!“ Auch „mehr Glück als Verstand haben“, passt in diese Kategorie.

 

Als Mittelweg wird Glück zudem oft als flüchtiger Gemütszustand gesehen, der täglichen, ja stündlichen Wandlungen unterworfen sein kann und laut einigen Studien an Besitz oder bestimmte Tätigkeiten geknüpft ist.[5]

 

Eine sehr verbreitete Behauptung, die uns dazu bringt eine Lehre zu beenden, das Abitur abzuschließen und an Scheidepunkten unseres Lebens ‚richtig’ abzubiegen, ist nach wie vor: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Der weit verbreiteten Vorstellung nach hängt die Fähigkeit zum Glücklichsein, unabhängig von äußeren Umständen von individuellen Einstellungen und erworbenen Fertigkeiten ab.

 

Der leistungsgesellschaftliche Kontext, in den dieser Ausspruch heute eingebettet ist, geht meinem Erachten nach in eine unglückliche Richtung. Nehmen wir ihn jedoch aus diesem Kontext heraus, so besagt dieses Sprichwort lediglich, dass eine Jede für ihre Entscheidungen und Taten selbstverantwortlich ist und ihr Leben somit nach eigenen Wünschen und Vorstellungen aktiv gestalten kann, wenn sie die Konsequenzen tragen kann.

 

Damit nähern wir uns den Gutachten der Glücksforschung, nach dem Glück hauptsächlich von der Selbstbejahung in einer gegebenen Situation abhängt.[6] Hiermit ist zweifelsohne ein langfristiges Glücksempfinden gemeint, welches oft unseren regelmäßigen Verrichtungen, unseren Beziehungen, unserer Gesundheit und nicht zuletzt unserer wirtschaftlichen Situation Rechnung trägt und zum ‚Glücklichsein’ führen soll. Diese Glücksfähigkeit unter Berücksichtigung der Menschenrechte und der Codes of Ethics der Sozialen Arbeit sollen dieser Lektüre zugrunde liegen.

 

2.2 Glück und Unglück, zwei Pole, oder nicht?

 

„Was das Glück anbelangt, so dient es fast nur einem nützlichen Zweck: das Unglück möglich zu machen.“[7]

 

Bei der Auseinandersetzung mit dem Glücksbegriff wird niemand umhin kommen, das, was Glück ist näher einzugrenzen. Dabei bin ich über das Unglück gestolpert. Wir wüssten nicht was Glück ist, wenn wir nicht das Unglück kennen würden. Oftmals wird Unglück infolge als das Gegenteil von Glück gedeutet, als würde das Vorhandensein von Unglück das Glück ausschließen.

 

Paul Watzlawick schrieb in seinem Bestseller „Anleitung zum Unglücklichsein“: „Glück und Glücklichkeit sind schwer, wenn überhaupt, positiv zu definieren. Dies aber hat noch keinen Tugendbold daran gehindert, der Glücklichkeit negative Bedeutung zuzuschreiben. So lautet das inoffizielle Motto des Puritanismus bekanntlich ‹Du darfst tun was Du willst, so lange es Dir keinen Spaß macht.› Ein wenig, aber nicht grundsätzlich anders stellt es einer der Teilnehmer an der Glücksdebatte dar. ‹Ich glaube es ist unerlaubt von Glück zu reden, unter den gegenwärtigen Weltzuständen.› (...) Zugegeben es fällt einem schwer sich auch nur einem Glas frischen Wassers zu erfreuen, wenn zur selben Zeit Menschen in der Dritten Welt am verdursten sind.“[8]

 

Es wird vermutlich immer Menschen geben, die sich nicht trauen glücklich zu sein, um nicht den Unmut ihrer Mitmenschen auf sich zu lenken oder interessant zu bleiben. Der erhobene Zeigefinger kann überall lauern. Aber ist nun Unglück das Gegenteil von Glück? Die Sprache an sich würde diese Frage unwiderlegbar bejahen, denn der Duden verrät uns im Kapitel über die Präfigierung von Nomen, dass „das Präfix un eine Verneinung, eine negative Bewertung oder – bei Mengenangaben – eine Verstärkung ausdrückt“[9]. Auch findet man in der Belletristik unzählige Beispiele dafür, dass deutsche Autorinnen es ebenso halten.

 

Obwohl diese Begriffe, die der gewachsenen Sprache entstammen, in der Regel als Gegensätze empfunden werden – was ja schon die Grammatik unverkennbar zum Ausdruck bringt – verneinen einige Glücksforscherinnen aus den Rängen der Schulmedizin diese Frage jedoch mit der Begründung, dass positive und negative Gefühle unterschiedliche Hirnregionen aktivieren und somit im Körper verschiedene chemische Vorgänge ablaufen lassen. Entsprechend können sie auch gleichzeitig empfunden werden. Es wäre ja geradezu typisch für die Natur des Menschen Widersprüche in sich zu vereinen, dennoch wollen wieder andere Forscherinnen herausgefunden haben, dass unsere Gefühlswelt eindimensional ist, sprich positive Gefühle die negativen verdrängen und umgekehrt.[10] Denn wenn ich mich viel mit dem eigenen Unglück beschäftige, bleibt mir nur wenig Zeit mich um mein Glück zu kümmern.

 

Dabei kann es doch in der Tat passieren, dass ich schlimm krank werde und glücklicherweise im Krankenhaus liege, während das Flugzeug abstürzt, das mich ansonsten in den Urlaub gebracht hätte. -  Das wäre dann Glück im Unglück. Oder ich blicke nach Jahren auf eine Etappe in meinem Leben zurück, die ich als sehr einschneidend empfand und befinde, dass mich dieses Erlebnis positiv geprägt hat.

 

Glück und Unglück – soviel ist klar – liegen zumindest nahe beieinander. Schlussendlich werden wir diese Frage hier demnach nicht klären.

 

In dieser Arbeit sollen nun Glück und Unglück entsprechend unseres Sprachgebrauchs als gegenteilig verstanden werden.

 

2.3 Geschichte des Glücksbegriffes

 

„Die Geschichte lehrt die Menschen, daß die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“[11]

 

Schon in der Antike finden wir zahlreiche der Gegenwart ähnliche, und doch zum Teil äußerst gegensätzliche Vorstellungen von dem, was Glück eigentlich bedeutet. Im alten Griechenland etwa im Begriff der Eudaimonie („guter Dämon“) als das höchste Lebensziel.

 

Das Glück wird auf unterschiedlichste Weisen angestrebt – durch menschliche Leistung, religiöses, gemeinschaftliches Verhalten oder die Maximierung innerer Güter. Allen antiken Glücksvorstellungen ist gemein, dass es sich nicht um flüchtige Momente der Freude handelt, sondern immer um etwas Beständiges und Nachhaltiges – einen dauerhaften Lebenserfolg. Zudem wird das Glücksbestreben als die Grundmotivation menschlichen Handelns verstanden und nicht als etwas das einer Person nach Gutdünken vom Schicksal zuteil wird.

 

Schon Sokrates begründete die Idee, dass ‚jeder seines Glückes Schmied’ sei, denn Eudaimonie ist ihm zufolge kein Privileg der Gutbetuchten, sondern etwas, was eine jede durch vernünftiges und tugendhaftes Handeln erreiche – durch die Ausbildung von Vernunft, die zur vollen Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit führt. Äußere Lebensgüter bedeuteten ihm wenig. Er lief über den Markt und stellte frohlockend fest: „Wie vieles gibt es doch, dessen ich nicht bedarf!“[12]

 

Aristoteles befand, die Eudaimonie sei an eine Tätigkeit gebunden, andernfalls könnte sie ja auch im Schlaf oder in der Art des Pflanzenlebens erlangt werden.[13]

 

Mit dem Hellenismus ließ dann die Askese zum Zwecke der Erreichung von Eudaimonie nicht länger auf sich warten. Als Alexander der Große Diogenes von Sinope nach seinen Wünschen fragte, soll dieser gesagt haben „Geh mir aus der Sonne.“[14]

 

Die Anhängerinnen Pyrrhons schließlich gingen so weit, dass sie – wie es auch heute bei vielen Menschen der Fall ist – sogar gänzlich auf Erkenntnis verzichteten. Sie nannten es Ataraxie („Unerregtheit“) und sahen den Weg zur Eudaimonie darin, „meinungslos“ zu bleiben, sich also jeglichen Urteils zu enthalten.

 

Die Epikureerinnen setzten auf gezielt maßvolle Bedürfnisbefriedigung und Unlustvermeidung, auf das Glück eines dauerhaften, maximalen Lustgewinns und auf einen hohen Stellenwert von Freundschaft. Der Tod selbst ging sie nichts an, denn dieser sei schließlich nur der Verlust der Wahrnehmung.[15]

 

Die Stoikerinnen schließlich wussten, dass „beständiger Seelenfrieden auf solche Freiheit folgt, sobald wir uns dessen entledigt haben, was uns lockt oder schreckt“[16].

 

Das Streben nach Eudaimonie war stets ein nach innen gerichteter Prozess der Reflexion des eigenen Handelns und Denkens. Die Autorität der Kirche hingegen etablierte in den folgenden Jahrtausenden eine außen stehende Kontroll- wie Schicksalsinstanz...

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