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Der historische Zeitbegriff bei Grundschulkindern

AutorJana Kubatzky
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl101 Seiten
ISBN9783656837152
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Didaktik - Sachunterricht, Heimatkunde, Note: 1,5, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Sprache: Deutsch, Abstract: Kinder in der Vorschule und Schuleingangsstufe besitzen häufig noch kein ausgebildetes Temporalbewusstsein. Die Fähigkeit, sich in der Zeit zu orientieren, ist eine von mehreren Dimensionen, die wichtige Voraussetzungen sind, um ein Geschichtsbewusstsein entwickeln zu können. Ein solches Bewusstsein und die dazugehörigen Analyse-, Sachurteils- und Werturteilskompetenzen werden für einen guten und gelungenen Geschichtsunterricht benötigt und durch diesen systematisch gefördert. Es ist ein langer Weg vom Lesen der Uhr bis zum Bilden eines historischen Zeitbegriffs. Diese Arbeit beschäftigt sich mit diesem Weg und damit, wie man Kinder dabei unterstützen kann, ihn erfolgreich zu meistern.

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Leseprobe

4. Geschichte in der Grundschule! (?)


 

4.1 Historische Entwicklung und Bedeutung


 

Im Primarbereich war das historische Lernen nicht immer ein Inhalt des Unterrichts. Grundsätzlich kann ebenfalls festgestellt werden, dass Geschichte nie ein eigenständiges Fach gewesen ist. Immer war es Teil von Heimatkunde, Sachkunde oder aktuell dem Sachunterricht. Der Beginn des Sachunterrichts in seiner Form wird „vor allem mit Comenius verbunden“.[58] In dessen Werk „Orbis sensualium pictus“ aus dem Jahre 1653 war erstmals die „Anschauung“ als Unterrichtsprinzip zu finden. Jedoch war dessen Werk, wie auch andere dieser Zeit, eher theologische Anschauung der göttlichen Schöpfung. Der Realienunterricht sollte dazu dienen, Sachverstand und -wissen für Gottes Wille zu erwerben. Hier ging es mehr um sinnliches Erfassen der Umwelt als um Geschichte. Während der Aufklärung entwickelte sich dann ein moderner Realienunterricht, abseits theologischer Ansätze, in den Erkenntnisse der Zeit aufgenommen und anschaulich gelehrt wurden. Jedoch erst mit der Übernahme der Pädagogik von Pestalozzi wurde der „Sachunterricht“ im Deutschland des 19. Jahrhunderts für breitere Schichten der Bevölkerung zugänglich gemacht. Und ab dem Jahr 1919, mit der Einführung der Grundschule, wurde dieser als „Heimatkunde“ flächendeckend unterrichtet.[59] Allerdings spielte historisches Lernen bis in diese Zeit noch eine eher unwichtige Rolle. Zwar waren neben der Naturkunde auch geschichtliche Inhalte zu finden, allerdings dominierte eindeutig der geografische Aspekt als Bezug zur näheren, räumlichen Umwelt des Menschen.[60]

 

Anfang des 20. Jahrhunderts sollte der Realienunterricht fach-propädeutisch angelegt sein.

 

Er diente zur „[…] anschaulichen „Kunde“ von der Heimat, in methodisch festgelegter Systematik (DorfWelt), (und war, d. V.) als anschaulicher und handelnder Erwerb heimatlicher Raumerfahrungen […]“  konzipiert.[61] Die Heimatkunde zur Zeit der Weimarer Republik „kann […] als eine Hochzeit des Sachunterrichts für Kinder im Grundschulalter bezeichnet werden“.[62] Während in den ersten beiden Schuljahren weiter der „heimatkundliche Anschauungsunterricht“ als oberflächliche Vermittlung der näheren Umwelt der Kinder festgelegt war, gestaltete sich der Unterricht in der dritten und vierten Klasse stärker fachbezogen. Der propädeutische Unterricht sollte auf die sich nach der Grundschule anschließenden Fächer Erdkunde, Geschichte und Naturkunde vorbereiten.[63] Wieder hatte der geografische Anteil im „Sachunterricht“ eine wichtige Stellung inne, da sich in den 1920er-Jahren der Bezug zur Heimat verstärkt darin wiederfand. Die Natur der Heimat, mit ihren Landschaften und Erscheinungen, sowie der Pflanzen- und Tierwelt, wurde für ein Kind als psychisch nah und damit didaktisch sehr gut zugänglich beschrieben.[64] Im Bereich des geschichtlichen Lernens diente der Unterricht zu dem „[…] Zweck, den geschichtlichen Sinn der Schüler zu wecken und zu pflegen“.[65] Es wurde hauptsächlich mit heimatlichen Märchen und Sagen gearbeitet, um den „richtigen“ Geschichtsunterricht in den höheren Klassenstufen vorzubereiten.

 

In der Zeit nach 1933 änderte sich nicht sehr viel daran; Märchen und vor allem Heldensagen wurden in der NS-Zeit jedoch gezielt benutzt, um die Schüler zu ideologisieren. Sie sollten „deutschem Heldentum“ begegnen, in personifizierter und symbolischer Form. Beispiele für geschichtliche Inhalte innerhalb des Heimatkundeunterrichts finden sich in einem „Erziehungs- und Arbeitsplan für die deutsche Volksschule“[66] von 1940.

 

Für ein viertes Schuljahr wurde darin folgender Teil einer Planung erstellt:

 

„2. Arbeitsgebiet: „Wie es früher in unserer Heimat war

 

Heimatkundlich: Was uns Ausgrabungen aus heimatlicher Flur von unseren Vorfahren erzählen: Kleidung, Lebensweise und Religion der Bronze- und Eisenleute. […] Der Siling als germanische Kultstätte. […]. Sommersonnenwende (Entstehung der Tages- und Jahreszeiten). Sonnenrad und Hakenkreuz als Heilszeichen unserer Vorfahren. […].“[67]

 

Weitere Themen aus dem siebten Arbeitsgebiet waren: „[…] Der Zusammenbruch 1918. […] Wie Adolf Hitler sich sein Volk eroberte: Lebensbild unseres Führers“ oder „[…] Das Grab des Sturmführers Horst Wessel.“[68] Das Schulfach Heimatkunde hatte zu dieser Zeit die Hauptaufgabe, den Schülern die nationalsozialistische Weltanschauung zu vermitteln. Zu den geschichtlichen, erd- und naturkundlichen Bereichen kam ein vierter hinzu: die Volkskunde, die Themen wie beispielsweise das Germanentum und Rasseeigenschaften enthielt.[69] Hier war also der Geschichtsunterricht zwischen den Zeilen zu finden, immer mit der Intention der nationalsozialistischen Ideologisierung.

 

In den 1950er- und 1960er-Jahren dominierte quantitativ weiterhin die Geografie. Und die wenigen Geschichtsthemen selbst blieben meist ohne eigenen Fachansatz nah auf die jeweiligen erdkundlichen Gegenstände bezogen;  Inhalte und Methoden des historischen Lernens waren wieder auf dem Stand von vor 1933. Und nur vereinzelt, wie beispielsweise vom Geschichtsdidaktiker und Schulbuchautor Hans Ebeling, wurden die ersten beiden Schuljahre überhaupt in didaktische Konzeptionen von Geschichtsunterricht aufgenommen.[70] Die fruchtbarste Zeit des geschichtsdidaktischen Nachdenkens begann Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre, als auch der geschichtliche Teil der Heimatkunde unter den zu der Zeit bestehenden Ideologieverdacht geriet.

 

Gleichzeitig jedoch wurde der Sinn des historischen Lernens aufgrund der stark in die Grundschule drängenden politischen Bildung in Frage gestellt. So behielt der Geschichtsunterricht im Unterrichtsalltag auch weiterhin eine untergeordnete Rolle. Der eh schon sehr geringe Anteil der historischen Themen wurde zwischen 1967 und 1975 sogar rückläufig, trotz Bemühungen der Geschichtsdidaktiker.[71]

 

Seit ca. 1980 orientierten sich Grundschulpädagogik und Didaktik des Sachunterrichts als Reaktion auf die Kritik am stark wissenschaftsorientierten Unterricht der 70er-Jahre wieder verstärkt am Kind und ließen für fachdidaktische Verbesserungen ebenfalls kaum Zeit und Raum.[72]

 

Historisches Lernen hatte also, seit Gründung der Grundschule, dort nie eine wirklich wichtige Bedeutung inne. Natur und Heimat standen fast durchweg als geografische Themen im Vordergrund. Erst seit Ende der 90er-Jahre geht die Entwicklung der Geschichtsdidaktik mit den Werken von zum Beispiel Dietmar von Reeken, Klaus Bergmann, Waltraud Schreiber oder auch Rita Rohrbach wieder neue Wege. In deren gut durchdachten Konzepten werden auch Tipps für die praktische Umsetzung im Unterrichtsalltag gegeben. Inwieweit diese in der Unterrichtspraxis der Grundschule Erfolg haben, ist mangels empirischer Befunde bis heute noch nicht eindeutig feststellbar. Es scheint auch immer noch recht wenig Interesse seitens der Lehrer zu bestehen, Geschichte gerade in den ersten beiden Schulklassen zu unterrichten, obwohl die aktuellen Curricula der Bundesländer dem Lehrer recht viel Platz und freie Einteilung lassen, um auch das historische Lernen mit verschiedensten Themen in den Sachunterricht einbauen zu können.[73]

 

4.2  Historisches Lernen und Geschichtsbewusstsein


 

Was ist eigentlich historisches Lernen?

 

Bei der Beantwortung dieser Frage ist die wichtigste Feststellung, dass sich historisches Lernen nicht nur in der Schule vollzieht. Genauer gesagt geschieht historisches Lernen bei jeder Begegnung mit Geschichte, auch ohne dass es explizit ausgedrückt wird.[74]

 

4.2.1 Außerhalb der Schule


 

Im Alltag begegnen wir ständig Vergangenem: In Museen, bei Stadtführungen oder auf Mittelaltermärkten ist einem dies vielleicht noch bewusst. Aber auch Straßennamen, Grabsteine, Briefmarken und verfallende Gebäude „erzählen“ von der Vergangenheit. „Die Medien sind (ebenfalls, d. V.) voll mit historischen Bezügen […]“[75]: Zeitungsartikel über ein wieder aufgerolltes Gerichtsverfahren und eine Oldie-Hitparade im Radio sind nur zwei Beispiele. Aber auch in Kinder- und Jugendbüchern, Romanen und Comics finden sich oft Bezüge zur Geschichte. Als wichtigstes Medium in diesem Zusammenhang ist natürlich das Fernsehen mit seinen unzähligen Dokumentationen, Wissensshows und historischen Verfilmungen zu nennen.

 

Das bedeutet also, dass alltägliches historisches Lernen ganz automatisch nebenbei passiert. Und dabei wird eine ganze Menge aufgenommen und eingeprägt, wenn auch nur fragmentarisch, das heißt „[…] Wissensbestände einfachster Art, Wissenssplitter, […]Daten, Fakten, Namen“.[76] Dies wiederum kann...

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