Sie sind hier
E-Book

Die diskrete Arbeit der Transformation

Soziologische Fallstudien zum Leben psychisch kranker Menschen in Fremdfamilien

AutorChristine Schönberger
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783456943374
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR

Psychiatrische Familienpflege - Alternative zur Heimunterbringung?

Immer mehr Menschen werden in unserer Gesellschaft in Heimen untergebracht. Den Gegentrend bildet der Versuch, psychisch kranke und behinderte Menschen in einem familienähnlichen Umfeld zu unterstützen. Derzeit erlebt die psychiatrische Familienpflege, die ihren Höhepunkt im späten 19. Jahrhundert hatte, eine Renaissance. Was motiviert Familien heute, einen psychisch kranken oder behinderten Menschen in ihre Mitte aufzunehmen und mit ihm den Alltag zu teilen? Was trägt zum Gelingen des Zusammenlebens bei?

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Studie, die bei Gastfamilien in einer ländlichen Region Ostdeutschlands das komplexe Motivbündel und seine Verankerung in den individuellen Familiengeschichten nachzeichnet. Zwischen den Biografien der Bewohner und der Gastfamilien scheinen oft unerwartete Ähnlichkeiten auf. Die Lebensläufe sind auch Spiegel der von vielen Brüchen gekennzeichneten Gesellschaftsgeschichte der ehemaligen DDR.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Kapitelübersicht
  1. Inhalt
  2. Zusammenfassung
  3. Einleitung
  4. 1. Entwicklung der psychiatrischen Familienpflege in Deutschland
  5. 2. Fragestellungen und ihre disziplinäre Verortung
  6. 3. Leitgedanken der Familienpflege: Normalität, Integration und Partizipation
  7. 4. Individuelle und kollektive Biografie
  8. 5. Die Verschränkung von gesellschaftlicher Makround Mikroebene
  9. 6. Generationen – eine Begriffsbestimmung
  10. 7. Familiale Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt
  11. 8. Die empirische Untersuchung
Leseprobe

1. Entwicklung der psychiatrischen Familienpflege in Deutschland (S. 25-26)

Bis heute konnte sich im Arbeitsfeld der Familienpflege keine einheitliche Terminologie durchsetzen. Einige Familienpflegeeinrichtungen verzichten mit gutem Grund auf den Zusatz «psychiatrisch», sie sprechen lieber vombetreuten oder begleiteten Leben in Gastfamilien. Das Dilemma zwischen sperriger Präzision (z. B. «JungeMenschen in Gastfamilien» JuMeGa in Ravensburg) und eingängiger Prägnanz begleitet die Familienpflege seit ihrer Wiederbelebung in den 1980er-Jahren. Ob von «zweiter Familie», «Pflegefamilie», «Aufnahmefamilie » oder «Gastfamilie», von Bewohner oder «Gastbewohner» gesprochen wird, hat semantisch und praktisch jedoch sehr unterschiedliche Implikationen. Dabei kommt der Zusatz «Gast» der Realität im Alltag zwar sehr nahe, aber auch er umfasst nicht alle Facetten. Bewohner sind weit mehr und längere Zeit als normale Gäste auf Zuwendung, Solidarität und Fürsorge angewiesen, und die Familien sind bereit, sie lange Zeit und einseitig zu geben. Die zeitliche Befristung des Zusammenlebens findet sich in der Bezeichnung «Gast»16 ebenso wieder wie die mit diesem Status verbundene besondere Aufmerksamkeit. Im Folgenden werden die Begriffe «Gastfamilie» und «(Gast)Bewohner», «psychiatrische Familienpflege» und «Familienpflege» synonymverwendet. Psychiatrische Familienpflege ist eine beschützte Wohn- und Lebensform für psychisch und mehrfach behinderte Menschen, deren Begleitung und Versorgung nichtverwandte Familien gegen Entgelt und gestützt von einem Fachteam leisten. Sie ist das einzige psychiatrische Versorgungsangebot, bei dem die Klienten eine Wahlmöglichkeit der Betreuungspersonen haben. Das Matching von Familien und Bewohnern ist dementsprechend ein komplexer und jeweils hochindividueller Vorgang.

Die psychiatrische Familienpflege nahm ihren Ausgangspunkt in dem belgischen Ort Geel,17 dessen Legende ins 6. Jahrhundert zurückreicht. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war Geel einWallfahrtsort für Geisteskranke, schon 1789 sollen dort mehr als 500 Irre aller Art in Familien gelebt haben. Offiziell gilt das Jahr 1300 als Beginn der dortigen Familienpflege. Mitte des 19. Jahrhunderts ging die Versorgung von der bis dahin kirchlichen in die kommunale Zuständigkeit über. Bis heute hat sich das Zusammenleben18 von psychisch Kranken mit Pflegefamilien erhalten, derzeit sind dies rund 550 Patienten.

Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Zusammenfassung12
Einleitung18
1. Entwicklung der psychiatrischen Familienpflege in Deutschland26
1.1 Zielgruppen und Praxisfelder31
1.2 Forschungsstand33
2. Fragestellungen und ihre disziplinäre Verortung40
3. Leitgedanken der Familienpflege: Normalität, Integration und Partizipation44
3.1 Der Anspruch auf Rehabilitation48
3.2 Familienpflege und Milieutherapie50
3.3 Alltagsgestaltung und Familienkultur als milieutherapeutische Faktoren52
3.4 Voraussetzungen, Motive und Strukturmuster der Gastfamilien55
3.5 Sozialbeziehungen in Gastfamilien und Verwandtschaftsfamilien58
3.6 Homologer Sozialraum und Milieukorrespondenz61
4. Individuelle und kollektive Biografie64
4.1 Generationenprägende Großereignisse im Leben der Gastfamilien65
4.2 Sozialstruktur des Landkreises Dahme-Spreewald74
5. Die Verschränkung von gesellschaftlicher Makround Mikroebene76
5.1 Generationenzusammenhang und Lebenslauf in der Familie78
5.2 Leitbegriffe der Lebenslaufforschung: Übergang, Verlauf und Sequenz84
5.3 Lebenslauf in der Postmoderne87
5.4 Biografisierung des Lebenslaufs: Aufgabe und Krisenbewältigung92
6. Generationen – eine Begriffsbestimmung98
6.1 Generationslagerung als biografisches Prägemoment101
6.2 Generationenbeziehungen in Familien106
7. Familiale Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt110
7.1 Exkurs: Familie in der DDR115
7.2 Familie als Ort von Wandel und Kontinuität118
7.3 Familien als Erzählgemeinschaft und Ort sozialökologischer Alltagspraxis121
7.4 Familie als Lebenswelt und Ort der Lebensführung126
7.5 Exkurs: Der Bewohner als «Der Gast, der bleibt»?135
8. Die empirische Untersuchung138
8.1 Methodischer Ansatz141
8.2 Auswertung und Interpretation142
8.3 Stellenwert der Fallstudien145
9. Fallstudien148
9.1 Fallstudie Spitz: «Weil es ja alles nu mal ein Existenzkampf ist»148
9.2 Fallstudie Köhler: «Ich würde gerne jemand haben wolln, der auch schon zusammengehört, also sprich ’ne Lebensgemeinschaft»178
9.3 Fallstudie Grothe: «Abkapseln, das hat keinen Zweck»205
9.4 Fallstudie Dachs: «Da leb ich hier wie ein Fürst»233
9.5 Charakeristika und Strukturmerkmale der Gastfamilien264
10. Vergleichende Zusammenschau und Versuch einer Typologie270
10.1 Generationslagerung und prägende Großereignisse270
10.2 Milieuzugehörigkeit und Wandlungspotenzial nach der Wende274
10.3 Die Wende: Rückbesinnung auf generationenüberdauernde Familiendispositive276
10.4 Autonomie und Autarkie in der familialen Subsistenzwirtschaft279
10.5 Homologe Sozialräume und Erzählgemeinschaften280
10.6 Familienkultur und alltägliche Lebensführung283
10.7 Die Zuweisung und Nutzung von räumlichen Sphären287
10.8 Latente Sinnstrukturen bei der Aufnahme eines Gastbewohners289
10.9 Das Verhältnis von Bewohnern und Gastfamilien: Vier Typen von Familienpflegearrangements292
11. Diskussion und Ausblick296
Literaturverzeichnis306

Weitere E-Books zum Thema: Medizin und Gesellschaft - Gesundheitsversorgung - Pflege

Sinn und Unsinn in der Medizin

Grundlagen des Heilpraktikers Format: PDF

Dieses Buch des bekannten Heilpraktikers Carst G. Dahn hat Generationen von Heilpraktikerschülern auf ihrem Weg begleitet. es stelt die Grundlagen naturheilkundlichen Denkens dar. Dabei rechnet der…

Das Bild der Psychiatrie in unseren Köpfen

E-Book Das Bild der Psychiatrie in unseren Köpfen
Eine soziologische Analyse im Spannungsfeld von Professionellen, Angehörigen, Betroffenen und Laien Format: PDF

Die Fortschritte in den Neurowissenschaften, die Selbstreflexion der Sozialpsychiatrie, aber auch die Erfahrungen der Bewegung der Psychiatriebetroffenen, lassen es notwendig erscheinen, erneut ein…

Das Bild der Psychiatrie in unseren Köpfen

E-Book Das Bild der Psychiatrie in unseren Köpfen
Eine soziologische Analyse im Spannungsfeld von Professionellen, Angehörigen, Betroffenen und Laien Format: PDF

Die Fortschritte in den Neurowissenschaften, die Selbstreflexion der Sozialpsychiatrie, aber auch die Erfahrungen der Bewegung der Psychiatriebetroffenen, lassen es notwendig erscheinen, erneut ein…

Das Bild der Psychiatrie in unseren Köpfen

E-Book Das Bild der Psychiatrie in unseren Köpfen
Eine soziologische Analyse im Spannungsfeld von Professionellen, Angehörigen, Betroffenen und Laien Format: PDF

Die Fortschritte in den Neurowissenschaften, die Selbstreflexion der Sozialpsychiatrie, aber auch die Erfahrungen der Bewegung der Psychiatriebetroffenen, lassen es notwendig erscheinen, erneut ein…

Sozialmedizin in der Sozialarbeit

E-Book Sozialmedizin in der Sozialarbeit
Forschung für die Praxis Format: PDF

Die Sozialmedizin innerhalb der Sozialarbeit beschäftigt sich in Forschung und Praxis insbesondere mit Fragen von Gesundheit und Krankheit sowie der Gesundheits- versorgung sozial benachteiligter…

Sozialmedizin in der Sozialarbeit

E-Book Sozialmedizin in der Sozialarbeit
Forschung für die Praxis Format: PDF

Die Sozialmedizin innerhalb der Sozialarbeit beschäftigt sich in Forschung und Praxis insbesondere mit Fragen von Gesundheit und Krankheit sowie der Gesundheits- versorgung sozial benachteiligter…

Medikamentenabhängigkeit

E-Book Medikamentenabhängigkeit
Format: PDF

Medikamentenabhängigkeit ist die Suchterkrankung nach der Alkoholabhängigkeit. Der Band liefert erstmals eine grundlegende Beschreibung unterschiedlicher Formen der Medikamentenabhä…

Medikamentenabhängigkeit

E-Book Medikamentenabhängigkeit
Format: PDF

Medikamentenabhängigkeit ist die Suchterkrankung nach der Alkoholabhängigkeit. Der Band liefert erstmals eine grundlegende Beschreibung unterschiedlicher Formen der Medikamentenabhä…

Weitere Zeitschriften

Menschen. Inklusiv leben

Menschen. Inklusiv leben

MENSCHEN. das magazin informiert über Themen, die das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft bestimmen -und dies konsequent aus Perspektive der Betroffenen. Die Menschen, um die es geht, ...

Arzneimittel Zeitung

Arzneimittel Zeitung

Die Arneimittel Zeitung ist die Zeitung für Entscheider und Mitarbeiter in der Pharmabranche. Sie informiert branchenspezifisch über Gesundheits- und Arzneimittelpolitik, über Unternehmen und ...

arznei-telegramm

arznei-telegramm

Das arznei-telegramm® informiert bereits im 53. Jahrgang Ärzte, Apotheker und andere Heilberufe über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln. Das arznei-telegramm®  ist neutral und ...

Berufsstart Bewerbung

Berufsstart Bewerbung

»Berufsstart Bewerbung« erscheint jährlich zum Wintersemester im November mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

BONSAI ART

BONSAI ART

Auflagenstärkste deutschsprachige Bonsai-Zeitschrift, basierend auf den renommiertesten Bonsai-Zeitschriften Japans mit vielen Beiträgen europäischer Gestalter. Wertvolle Informationen für ...

Demeter-Gartenrundbrief

Demeter-Gartenrundbrief

Einzige Gartenzeitung mit Anleitungen und Erfahrungsberichten zum biologisch-dynamischen Anbau im Hausgarten (Demeter-Anbau). Mit regelmäßigem Arbeitskalender, Aussaat-/Pflanzzeiten, Neuigkeiten ...

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler ist das monatliche Wirtschafts- und Mitgliedermagazin des Bundes der Steuerzahler und erreicht mit fast 230.000 Abonnenten einen weitesten Leserkreis von 1 ...

EineWelt

EineWelt

Lebendige Reportagen, spannende Interviews, interessante Meldungen, informative Hintergrundberichte. Lesen Sie in der Zeitschrift „EineWelt“, was Menschen in Mission und Kirche bewegt Man kann ...