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E-Book

Die Meinung der anderen

Wie sie unser Denken und Handeln bestimmt - und wie wir sie beeinflussen

AutorTali Sharot
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783641181116
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Meinung, Macht und Manipulation
Ein Unternehmer überzeugt Investoren, Milliarden in ein windiges Biotechnologie-Startup zu stecken. Einem Arzt gelingt es nicht, seinen Patienten zu einer wichtigen Impfung zu bewegen. Was entscheidet also, ob uns das Denken anderer beeinflusst? Und wie beeinflussen wir die anderen? Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Tali Sharot findet anhand eigener Forschungsergebnisse verblüffende Antworten auf diese Fragen und analysiert die Hirnmechanismen, die hinter unseren Ansichten stecken. Sie zeigt, wie wir andere Menschen prägen können - und von ihnen geprägt werden.

Wir nehmen ständig Einfluss auf andere Menschen: im Klassenzimmer, in der Teamsitzung oder in den Sozialen Medien. Und wir werden beeinflusst - meist unbewusst und mehr als uns lieb ist. Anhand eigener psychologischer, neurowissenschaftlicher und verhaltensökonomischer Forschungen belegt Tali Sharot, dass wir dieses Wechselspiel kaum durchschauen: Allzu oft sind wir steinzeitlichen Instinkten und Reflexen unterworfen - und daher zum Scheitern verdammt, wenn wir andere zu etwas bewegen wollen. Doch Sharot zeigt auch, wie wir andere Menschen positiv beeinflussen können und wie uns das Verständnis des Gehirns dabei hilft: Ein ebenso spannender wie unterhaltsamer neuer Blick auf die Grundlagen unseres Verhaltens.

Tali Sharot wurde an der New York University in Psychologie und Neurowissenschaft promoviert und ist Professorin am Institut für experimentelle Psychologie der University of London. Sie ist Leiterin des dortigen Affective Brain Lab, das untersucht, wie Affekte und Emotionen unsere Wahrnehmungen und unser Verhalten beeinflussen. Ihre weiteren Forschungsschwerpunkte sind Gedächtnis, Optimismus und Entscheidungsfindung. 2012 erschien »Das optimistische Gehirn: Warum wir nicht anders können, als positiv zu denken«.

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Leseprobe

KAPITEL 1
Können Beweise an Überzeugungen rütteln?
Über die Macht der Bestätigung und die Ohnmacht von Zahlen

Thelma und Jeremiah sind glücklich verheiratet. Bei den meisten Themen sind sie ein Herz und eine Seele: Sie sind sich einig, wie sie ihre Kinder erziehen und was sie mit ihrem Geld anstellen wollen. Sie teilen dieselben politischen und religiösen Überzeugungen, haben denselben Humor und dieselben kulturellen Vorlieben, ja sogar denselben Beruf – beide sind Anwälte. Das ist keine Überraschung: Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass der beste Garant für eine langlebige Ehe weder Leidenschaft noch Freundschaft sind, sondern Ähnlichkeiten. Entgegen jener landläufigen Redensart ziehen sich Gegensätze nämlich keineswegs an – beziehungsweise hören irgendwann auf, es zu tun.1

Bei einem Thema aber sind Thelma und Jeremiah uneins. Auch das verwundert nicht. Die meisten Paare, so einig sie sich im Großen und Ganzen auch sein mögen, haben über Jahre hinweg irgendein strittiges Thema. Vielleicht die Frage, ob sie Kinder wollen, und wenn ja, wie viele, wie das Verhältnis von Arbeit und Freizeit auszusehen hat, ob man sich als Haustier eine Echse oder lieber ein Meerschweinchen zulegen soll.

Bei Thelma und Jeremiah geht es um die Frage, wo sie sich als Familie niederlassen wollen. Thelma ist in Frankreich geboren und aufgewachsen, Jeremiah in den USA. Beide halten jeweils ihr Land für den besten Ort, um Kinder großzuziehen.

Thelma und Jeremiah stehen damit nicht allein. In Umfragen nennen die meisten Menschen auf die Frage, welches für sie der ideale Ort sei, um zu leben, arbeiten, Kinder großzuziehen und sich zur Ruhe zu setzen, ihr Heimatland. Nur dreizehn Prozent der Erwachsenen weltweit sind dazu bereit, ihr Land auf Dauer zu verlassen. Das Gras, so scheint es, ist genau dort am grünsten, wo sie selbst sind. Wenn Menschen umsiedeln müssen, neigen sie dazu, nach nebenan zu ziehen: die Franzosen nach Großbritannien, die Österreicher in die Schweiz.2

Unglücklicherweise lässt sich ein Problem wie das von Thelma und Jeremiah nicht dadurch lösen, dass man dem anderen auf halber Strecke entgegenkommt. So wie ein halbes Kind keine Lösung für Paare ist, die sich nicht einigen können, ob sie ihrer Zweisamkeit Zuwachs bescheren wollen, können Thelma und Jeremiah ihre Zelte nicht auf halber Strecke zwischen Europa und Nordamerika im Atlantik aufschlagen. Die einzige Lösung für die beiden besteht daher darin, den anderen davon zu überzeugen, dass der eigene Standpunkt der richtige ist.

Man sollte annehmen, dass gerade sie für diese Aufgabe prädestiniert sind. Wie bereits erwähnt, sind beide Anwälte. Ihre tägliche Arbeit besteht darin, Geschworene oder den Richter dazu zu bringen, sich auf ihre Seite zu schlagen. Folglich gehen beide ihre Eheprobleme auf dieselbe Weise an wie einen juristischen Streitfall. Sie liefern der anderen Seite Fakten und Zahlen, die ihre Position stärken und die Gegenseite abschmettern sollten. Jeremiah legt Thelma Daten vor, denen zufolge die Lebenskosten in den Vereinigten Staaten geringer sind als in Frankreich, während Thelma Jeremiah mit Zahlen füttert, denen zufolge Anwälte in Frankreich besser verdienen. Jeremiah mailt Thelma einen Artikel, in dem es heißt, dass das amerikanische Bildungssystem besser sei, wohingegen Thelma einen anderen auftreibt, der klar belegt, dass Kinder in Frankreich glücklicher sind. Beide erachten die »Beweise« des jeweils anderen als nicht sehr belastbar und lassen sich nicht umstimmen. Mit den Jahren verfestigt sich ihre jeweilige Überzeugung immer mehr.

So wie Thelma und Jeremiah würden viel von uns handeln. Wir spüren einen inneren Drang, in einem Streitfall oder einer Diskussion Munition zu liefern, die klar macht, warum wir recht haben und die andere Seite nicht. Wir präsentieren wortgewandt unsere logischen Argumente und untermauern sie mit Fakten, die für uns höchst überzeugend klingen. Aber denken Sie an das letzte Mal, als Sie mit Ihrem Partner gestritten oder an einem Abendessen teilgenommen haben, das sich zu einer politischen Late-Night-Debatte ausgewachsen hat. Haben Sie es geschafft, die Überzeugungen der anderen ins Wanken zu bringen? Haben die anderen sich Ihre gut durchdachten Argumente und sorgsam überprüften Zahlen zu Herzen genommen? Wenn Ihre Erinnerung Sie nicht täuscht, sind Sie vermutlich zu der Erkenntnis gelangt, dass Fakten und Logik leider Gottes nicht die wirksamsten Mittel sind, wenn es darum geht, an Meinungen zu rütteln. Im Streitfall liegen unsere Instinkte daneben.

Die Ohnmacht von Zahlen

Ihr Gehirn ist wie das der meisten anderen Menschen darauf programmiert, an Informationen Vergnügen zu finden. Das macht unser gegenwärtiges digitales Zeitalter zu einem permanenten Freudenfest für Ihren Geist. Das Zeitalter des Ackerbaus hat unsere Ernährung revolutioniert und das industrielle Zeitalter unsere Lebensqualität dramatisch verbessert, aber keine andere Epoche hat unseren Kopf mit so viel Stimulation versorgt wie das Informationszeitalter. Es scheint, als habe es das menschliche Gehirn letztlich fertiggebracht, sich seinen eigenen Vergnügungspark zu schaffen, vollgestopft mit Fahrgeschäften, maßgeschneidert für ... sich selbst.

Betrachten Sie einmal die Zahlen: Weltweit gibt es drei Milliarden Internetnutzer, täglich produzieren wir schätzungsweise 2,5 Millionen Gigabytes an Daten, starten vier Milliarden Suchanfragen bei Google und schauen zehn Milliarden YouTube-Videos. In der kurzen Zeit, die Sie gebraucht haben, um den letzten Satz zu lesen, wurden rund um den Erdball 530243 Google-Anfragen eingegeben und 1184390 YouTube-Videos aufgerufen.3

Man könnte annehmen, die digitale Revolution habe ideale Voraussetzungen dafür geschaffen, Einfluss auf die Überzeugungen anderer Menschen zu nehmen. Wenn Menschen ein Faible für Informationen haben – welch bessere Möglichkeit kann es geben, ihr Denken und Handeln zu beeinflussen, als ihnen Daten vorzusetzen? Mit endlosen Datenmengen in Reichweite unserer Fingerkuppen und leistungsstarken Computern zu unserer ständigen Verfügung können wir uns nach Belieben kundig machen, um unser Wissen zu erweitern, und die frisch gewonnenen Zahlen und Erkenntnisse mit anderen teilen. Dies liegt auf der Hand, oder?

Das heißt, so lange, bis Sie versuchen, Ihre sorgfältig zusammengetragenen Daten und sorgsam durchdachten Schlussfolgerungen demjenigen vorzusetzen, den Sie zu beeinflussen trachten. In dem Augenblick geht Ihnen sehr schnell auf, dass Daten oftmals ganz und gar nicht der Königsweg sind, wenn es darum geht, Ihren Standpunkt rüberzubringen und eine Einstellung zu verändern.

Diese Erkenntnis war für die Wissenschaftlerin in mir ein herber Schlag. Als Kognitionsforscherin arbeite ich an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Neurowissenschaften. Wie die meisten Wissenschaftler habe ich für Daten eine Menge übrig. Manche Leute sammeln kostbare Steine, andere Erstausgaben von Büchern, wieder andere Briefmarken, Schuhe, Oldtimer oder Porzellanpuppen. Meine Rechner enthalten Hunderte Ordner mit mehreren Tausend Dateien, jede davon besteht aus Zahlen und nochmals Zahlen. Jede Zahl steht für eine Beobachtung: die Reaktion eines Menschen auf ein Entscheidungsproblem oder seine Reaktion auf einen anderen Menschen. Andere Daten sagen etwas über die Aktivität im Gehirn eines Menschen oder über Dichte und Anzahl seiner Nervenfasern. Nun sind Zahlen für sich genommen nutzlos. Dass ich Daten so mag, liegt daran, dass sich all die vielen Zahlenreihen zu etwas Wunderbarem verwandeln lassen: zu aussagekräftigen Grafiken, die uns hier und da eine aufregende neue Erkenntnis darüber vermitteln, was Sie und mich, Homo sapiens, so ticken lässt, wie wir es tun.

Sie können sich demnach meine Bestürzung vorstellen, als mir klar wurde, dass all diese Zahlen aus den vielen Experimenten und Beobachtungen darauf hindeuteten, dass Menschen in Wirklichkeit weder durch Tatsachen noch durch Zahlen oder Daten zu motivieren sind. Menschen sind nun weder dumm noch von lächerlicher Sturheit. Vielmehr ist die Verfügbarkeit großer Datenmengen, analytischer Werkzeuge und leistungsstarker Computer eine Erscheinung der letzten Jahrzehnte, während die Gehirne, die wir zu beeinflussen versuchen, das Produkt von Jahrmillionen sind. Obwohl wir also Daten ungemein schätzen, ist die Währung, in der unser Gehirn besagte Daten bewertet und auf deren Grundlage es Entscheidungen trifft, eine ganz andere als die Währung, von der viele von uns gerne hätten, dass unser Gehirn sie verwendet. Problematisch an diesem Ansatz, der primär auf Information und Logik setzt, ist der Umstand, dass er genau das ignoriert, was Sie und mich menschlich macht: unsere Beweggründe, unsere Ängste, unsere Hoffnungen und Wünsche. Wie wir sehen werden, stellt dies eine große Hürde dar: Es bedeutet, dass Daten nur sehr beschränkt in der Lage sind, die Meinung der anderen zu verändern. Fest verwurzelte Ansichten können Veränderungen gegenüber extrem resistent sein – selbst wenn wissenschaftliche Beweise die besagten Überzeugungen widerlegen.

Die Macht der Bestätigung

Die drei Wissenschaftler Charles Lord, Lee Ross und Mark Lepper rekrutierten 48 amerikanische Studenten, von denen sich die eine Hälfte vehement für die Todesstrafe aussprach, während die andere ebenso vehement dagegen war. Sie legten den Probanden zwei wissenschaftliche Untersuchungen vor: die eine lieferte Belege für die präventive Wirkung der Todesstrafe, die andere Daten, die ihr diesbezüglich Unwirksamkeit bescheinigten....

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