Was sind überhaupt soziale Medien? Marx und Engels definieren den Begriff »sozial« als eine Kooperation verschiedener Individuen, unabhängig unter welchen Bedingungen (vgl. Marx & Engels 1846: 50), während van Dijck exakt diese Beschreibung mit dem Wort »Partizipation« noch enger fasst (vgl. van Dijck 2013: 11). In Bezug auf soziale Medien sagt er, dass sie deshalb als sozial bezeichnet werden können, weil die Nutzer im Mittelpunkt stehen und sie gemeinschaftliche Aktivitäten ermöglichen (vgl. ebd.). Jenkins (2009: o. S.) fügt als ein weiteres Hauptmerkmal der sozialen Medien hinzu: „customers play an active role in ‘spreading’ content“. Die inhaltliche und distributorische Einbindung der Nutzer in soziale Medien zeichnet demnach Social Media aus und unterscheidet sie grundlegend von den linearen und meist einseitig kommunizierenden Massenmedien. Den funktionellen Dualismus der sozialen Medien bringt Lüders treffend auf den Punkt: „Media forms such as email or weblogs are used for both mass communications and interpersonal communication“ (Lüders 2007: 182).
Vergleicht man die meistgenutzten Webseiten im Jahr 2000 mit denen von 2013, fällt eine gravierende Verschiebung der Nutzungsgewohnheiten im Internet auf: Während 2000 hauptsächlich verschiedene Suchmaschinen wie Yahoo, AOL, Altavista oder die Auktionsplattform ebay stark frequentiert sind, sind es 13 Jahre später neben Google vor allem soziale Medien und Kommunikationsplattformen wie Facebook, YouTube, Twitter, LinkedIn oder der Online-Versandhändler Amazon (vgl. Fuchs 2014: 6). Dem Wandel der Internetnutzung liegt ein (technischer) Wandel des Internets selbst zugrunde. In diesem Zusammenhang wird die Entwicklung vom sogenannten »Web 1.0« zum »Web 2.0« angeführt. Der Ausdruck »Web 2.0« wurde 2005 von Tim O’Reilly, Gründer des Verlags O’Reilly Media, geprägt (vgl. ebd.: 32). Im Web 2.0 sieht er den Sprung vom Internet als einbahnstraßenähnliches Informationsmedium hin zur Plattform, die die Partizipation der Nutzer ermöglicht und benötigt (vgl. O’Reilly 2005: o. S.) und nicht mehr ausschließlich im Internetbrowser stattfindet, sondern auch in Internetanwendungen „that harness network effects to get better the more people use them“ (O’Reilly 2006: o. S.). Als prägnantes Beispiel dafür gilt das soziale Netzwerk Facebook, dessen Mehrwert und Anziehungskraft in der Vielzahl seiner Nutzer liegt. Frei nach dem Motto: »Weil auf Facebook viele Personen sind, die ich kenne und mit denen ich kommunizieren möchte, werde auch ich Teil des Netzwerks«. Ein Netzwerk kann als soziales Netzwerk betitelt werden, wenn es folgende Merkmale aufweist:
„SNSs [Social Newtorking Sites] are web-based platforms that integrate different media, information and communication technologies that allow at least the generation of profiles that display information describing the users, the display of connections (connection list), the establishment of connections between users displayed on their connection lists, and communication between users“ (Fuchs 2014: 154).
Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter – die Gegenstand des nächsten Kapitels sind – spielen in der heutigen Mediengesellschaft eine große Rolle. Die Selbstdarstellung durch Textmitteilungen, Bilder und Videos im Internet ist wesentlicher Bestandteil der gegenwärtigen Jugendkultur (vgl. Richard 2009: 559). 72 Prozent der 16- bis 18-Jährigen in Deutschland teilen Inhalte im Internet, 52 Prozent teilen selbst gemachte Fotos und 31 Prozent Links zu Videos – damit sind diese beiden Inhalte die am meisten Geteilten in dieser Altersklasse (vgl. BITKOM 2014: 18). Wird die Altersspanne etwas weiter gefasst und betrachtet, welche Plattformen genutzt werden, so sind 56 Prozent der 10- bis 18-Jährigen auf Facebook aktiv, 18 Prozent auf Instagram und 8 Prozent auf Twitter (vgl. ebd.: 28).
Im Blick auf die kommerzielle Medienindustrie erfüllen soziale Medien zwei wesentliche Funktionen: Zum einen dienen die sozialen Plattformen als Kanäle zur Distribution von Inhalten und zum anderen als Kanäle zur Kommunikation und Interaktion mit den Nutzern (vgl. Schanke Sundet 2007: 87), zum Beispiel zu Werbe- oder Marktforschungszwecken oder als Ideen- und Feedbackpool für die Medienproduktion selbst.
Neben YouTube sind insbesondere Facebook und Twitter heutzutage zwei etablierte Internetgrößen unter den sozialen Netzwerken und fest in die Videodistribution und Unterhaltungsbranche eingebunden. Nach der Gründung im Jahr 2004 hat Facebook ein rasantes Wachstum hingelegt. Im August 2015 hat die Plattform erstmals die Grenze von einer Milliarde täglich aktiver Nutzer überschritten (vgl. Facebook 2015b: o. S.). Damit ist Facebook nach Nutzerzahlen das weltweit größte soziale Netzwerk. Der in den vorangegangenen Kapiteln bereits erwähnte Trend zur mobilen Mediennutzung und Kommunikation bestätigt sich auch bei Facebook: 844 Millionen der täglichen Nutzer haben im Juni 2015 über mobile Endgeräte auf den Service zugegriffen, was zu diesem Zeitpunkt etwa 87 Prozent der Nutzer entsprach (vgl. Facebook 2015a: o. S.).
2006 wurde der Mikroblogging-Dienst Twitter gegründet. Mikroblogs sind eine spezielle Form der im Internet populären Blogs und erlauben den Austausch kurzer Nachrichten mit anderen Nutzern, die dem Profil des Senders folgen (»Follower«) (vgl. Kaplan & Haenlein 2011: 106). Maximal 140 Zeichen können Nachrichten bei Twitter enthalten – sogenannte »Tweets« – und Grafiken, Animationen, Ortsdaten und Umfragemodule zum Inhalt der Kurzmittteilungen haben. Aktuell zählt Twitter 316 Millionen aktive Nutzer, von denen 80 Prozent über mobile Endgeräte auf die Plattform zugreifen und täglich etwa 500 Millionen Tweets versenden (vgl. Twitter 2015b: o. S.). Auf ihrer Webseite Twitter for Television (vgl. Twitter 2015a) wendet sich das kalifornische Unternehmen ausdrücklich an Fernsehsender und professionelle Medienproduzenten und zeigt die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen den Parteien auf. Anhand von Beispielen stellt Twitter dar, wie der Mikroblogging-Dienst in die Distributions- und Interaktionsstrategien der Sender einbezogen werden kann. Etablierte wie neue Inhaltsproduzenten nutzen die sozialen Netzwerke zum einen zur Verbreitung ihrer Inhalte, die sie online auf internen und externen Videoplattformen bereitstellen und dorthin verlinken, und zum anderen, um Zuschauer aktiv in ihre Inhalte einzubinden. Programmhinweise und Zuschauerbeteiligung – zwei Faktoren, die Relevanz für ihre Inhalte erzeugen. Der digitale Dialog der Zuschauer über Videoinhalte, der zeitgleich oder anschließend an deren Konsum somit erstmals als bedeutendes mediales Phänomen stattfinden kann, wird unter vielen verschiedenen Bezeichnungen wie Cross Media, Social Viewing oder Second Screen untersucht. „Social television viewing is emerging a noteworthy phenomenon – the act of social networking while watching television“ (Guo & Chan Olmsted 2015: 240). Dieser Thematik widmen sich die beiden folgenden Kapitel.
Das Aufkommen zahlreicher neuer Kommunikations- und Medienangebote, das bisher vorrangig von technologischer Seite aus betrachtet wurde, führt zu neuen Konsum- und Interaktionsgewohnheiten der Nutzer. Im Rahmen von Cross Media wird diese Situation in der Medienwissenschaft dabei sowohl von einer nach außen gerichteten Perspektive (die der Konsumenten und ihrer Nutzung verschiedener Medien) als auch von einer nach innen gerichteten Perspektive bedacht, die die Organisation der Medien selbst und ihren Umgang damit in Augenschein nimmt (vgl. Petersen 2007: 58).
Cross Media bedeutet aus dem Blickwinkel der Konsumenten den nahtlosen Wechsel und die Vermischung von traditionellen Massenmedien wie dem Fernsehen mit interpersonellen Medien wie sozialen Netzwerken (vgl. Haridakis & Hanson 2009: 318). Ein Film wird beispielsweise auf dem TV-Gerät begonnen, in der Mediathek weitergeschaut, auf YouTube Highlights oder Zusatzmaterial aufgerufen und parallel dazu auf Twitter oder Facebook kommentiert. Die Aufmerksamkeit gilt nicht mehr ausschließlich einem Medium und Kanal, sondern die Zuschauer betreiben ein durch Multitasking charakterisiertes Konsumverhalten. Sie werden im wahrsten Sinne zu Medienmigranten, und es stellt sich die Frage nach den Motivationen, die zu diesem Verhalten führen.
Videoplattformen wie YouTube sowie externe und sendereigene Mediatheken teilen die Eigenschaft mit dem Fernsehen, Systeme zum Konsum von Videoinhalten zu sein. Daher ist zu untersuchen, ob Nutzer Videoplattformen aus ähnlichen Gründen nutzen, wie vorangegangene Studien in puncto Nutzung und Wechsel klassischer Fernsehprogramme erforscht haben (vgl. Haridakis & Hanson 2009: 321). Hierfür bedient sich die Wissenschaft des Uses & Gratifications-Ansatzes, der voraussetzt, dass die Rezipienten sich zum gegebenen Zeitpunkt zielgerichtet für oder gegen ein spezielles Medium entscheiden. Ziel der Mediennutzung können dabei spezielle kognitive oder affektive Bedürfnisse sein, wie etwa Informationsbeschaffung, parasoziale Interaktion oder der Wunsch nach Unterhaltung (vgl. Lin 2002: 4). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass bereits die Grundannahme dieser Forschungsmethode, dass Konsumenten sich bewusst und souverän für oder gegen die spezifische Mediennutzung entscheiden, in...