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E-Book

Eine Lebensbeschreibung

Vollständige Ausgabe

AutorJoachim Nettelbeck
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783849632601
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Joachim Christian Nettelbeck war ein durch seine Rolle bei der Verteidigung Kolbergs im Jahre 1807 und seine Autobiographie bekannter deutscher Seefahrer und Volksheld. Dies ist seine Autobiographie.

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Leseprobe

Fünftes Kapitel


 


 

Drei oder vier Wochen darauf begann die erste, von dem russischen General Palmbach geleitete Belagerung meiner Vaterstadt. Nun ist es bekannt, daß schon von alten Zeiten her die Einwohner von Kolberg durch ihren Bürgereid verpflichtet sind, zur Verteidigung der Festung Leib und Leben, Gut und Blut daranzusetzen. Sie blieben also auch bei dieser Gelegenheit als brave Preußen nicht hinter ihrer Schuldigkeit zurück. Meines Vaters Posten insonderheit forderte, daß er in dieser Zeit stets um die Person des Kommandanten sein mußte, und wo er war, da war auch ich, um ihm als ein flinker und rühriger junger Mensch zur Hand zu gehen. Der alte, wackre Heyden sah meinen guten Willen, und das gewann mir sein Wohlgefallen in dem Maße, daß ich beständig in seiner Nähe sein und bleiben mußte. Ich konnte solchergestalt für seinen zweiten Bürgeradjutanten gelten und wurde oftmals auf den Wällen von ihm gebraucht, seine Befehle nach entfernten Posten zu überbringen. In der Tat war dies eine gute Vorschule für mich, um zu lernen, was unter solchen Umständen zum Festungsdienste gehört, und die Lektion ist mir noch im späten Alter trefflich zugute gekommen!

 

Man weiß, daß diese Belagerung, obgleich ernstlich genug gemeint und mit überlegener Kraft begonnen, dennoch durch die Entschlossenheit unsers Anführers und seine geschickten Gegenanstalten fruchtlos blieb, und daß die Russen, nachdem sie eine Menge Pulver unnütz verschossen hatten, nach einigen Wochen wieder abziehen mußten. Sobald aber auch nur der Platz wieder frei geworden, war doch meines Bleibens nicht länger. Ich machte eine Fahrt nach Amsterdam, von der ich hier nichts Besonderes anzuführen habe, und traf hier wieder mit meinem alten, wertgehaltenen Kapitän Joachim Blank zusammen, den ich vor drei Jahren ungern verlassen hatte. Er hatte gerade eine neue Reise nach Surinam vor, wo es denn keines langen Zuredens bei mir bedurfte, um auf seinem Schiffe meine alte Stelle als Steuermann anzunehmen.

 

Es war gegen das Ende Dezembers (1758), als wir mit einer großen Flotte von Kauffahrern und unter Bedeckung von drei holländischen Kriegsschiffen aus dem Texel mit einem tüchtigen Sturm aus Nordosten in See gingen. Allein es gibt so mancherlei Verzug und Beschwerde, sich – zumal bei den langen Winternächten – im Gedränge eines solchen zahlreichen Konvoi zu befinden, daß wir uns die erste beste finstre Nacht zunutze machten, uns heimlich von unserer lästigen Begleitung abzudrücken und unser Heil in uns selbst zu suchen. Der anhaltende günstige Wind ließ uns auch bald einen weiten Vorsprung gewinnen, so daß wir binnen kurzem die östlichen Passatwinde erreichten und die gesamte Fahrt vom Texel bis in den Fluß von Surinam – eine Strecke von 2200 Meilen – in der ungewöhnlich kurzen Zeit von achtundzwanzig Tagen zurücklegten.

 

Meine Beschäftigungen an diesem unserm Bestimmungsorte waren die nämlichen, die ich schon früher angeführt habe. Ich befuhr beide Ströme in der Kolonie, versah die Plantagen mit den bedürftigen Artikeln unsrer Ladung und brachte von dort eine neue Rückfracht an Zucker und Kaffee zusammen. Dies setzte mich nun mit einer Menge von Plantagendirektoren in Verbindung, die großenteils meine näheren oder entfernteren Landsleute waren und mir sämtlich viele Liebe und Güte erwiesen. Ihrer unbegrenzten Gastfreundlichkeit danke ich die vergnügtesten Tage meines Lebens, die unstreitig in diese achtmonatige Dauer meines Aufenthalts in dieser Kolonie fielen.

 

Auf unsrer Heimfahrt nach Amsterdam hatten wir einen der vermögendsten Plantagenbesitzer als Passagier an Bord, den die Sehnsucht nach dem vaterländischen Himmel zurück nach Europa trieb. Er hieß Polack, war ein geborener Wiener und in seiner Jugend als gemeiner Soldat nach Surinam geraten. Glück und Tätigkeit hoben ihn hier allmählich zu einer glänzenden Lage empor. Eine der größten Kaffeeplantagen, genannt »der Maasstrom« und am Kommendewyne gelegen, war sein Eigentum, das er unlängst seinem aus Europa zu sich berufenen Schwestersohne zum Geschenk übergeben hatte. Nie sah ich einen rührendern Anblick, als wie ich ihn von dort in unsrer Schaluppe an Bord abholte. Alle Sklaven der Pflanzung, vierhundert Männer, Weiber und Kinder an der Zahl, hatten sich versammelt, um ihrem alten, gütigen Herrn das Lebewohl zu sagen. Sie fielen rings um ihn nieder, weinten, umfaßten seine Füße und Hände und umklammerten seinen Leib, als wollten und könnten sie ihn nimmer von sich lassen. Dürfte man voraussetzen, daß das Schicksal allen Negersklaven in den Kolonien einen so menschlich denkenden Gebieter zuteilte, so würde das so laut erhobene Geschrei über die himmelschreiende Ungerechtigkeit des mit ihnen betriebenen Handels viel von seinem Nachdruck verlieren.

 

Sobald wir unter Segel gegangen waren, ersuchte uns Herr Polack, dem Schiffsvolk bekanntzumachen, daß er demjenigen, der ihm zuerst ansagen könne, er sehe europäische Erde – ein Geschenk von fünfzig Dukaten zugedacht habe.

 

Diese Nachricht verbreitete unter allen eine gespannte Aufmerksamkeit, und der Wetteifer, eine so leicht zu verdienende Belohnung vor den übrigen davonzutragen, wuchs mit jedem Tage, der uns unserm heimatlichen Erdteile näher brachte. Selbst als wir in der achten Woche unsrer Fahrt, unsrer Schiffsrechnung nach, dieses Ziel erreicht zu haben glauben durften, blieb dennoch eine Ungewißheit von einem Dutzend Meilen übrig, da, wie bekannt, in jenen Zeiten die genaue Bestimmung der zurückgelegten Längengraden mehr auf einer mutmaßlichen Schätzung als auf astronomischen Berechnungen oder der Sicherheit der Seeuhren beruhte.

 

Jetzt wimmelte es schon seit einigen Tagen auf unsern Masten und Stengen von Menschen, die mit angestrengten Blicken nach Europa ausschauten. Eines Nachmittags, als ich meine Wache beendigt hatte und ehe ich mich in meine Koje verfügte, stieg ich nach oben, um mich nach allen Seiten umzusehen, wie dies denn nicht bloß damals, sondern zu allen Zeiten meine unverbrüchliche Weise war. Mein erster Blick nach dem östlichen Horizont hinaus zeigte mir etwas, das beinah wie eine entfernte Küste am Rande aufblickte. Dennoch stieg mir einiger Zweifel auf, ob nicht eine ähnlich gestaltete Wolke oder eine Nebelbank mich täuschte. Allein je gewisser ich mich von Jugend auf meinem falkenscharfen Gesicht anvertrauen durfte und je länger und sorgfältiger ich mir diese Erscheinung überlegte, desto zuversichtlicher ward binnen kurzem meine Überzeugung, daß ich recht gesehen hatte. Um mich her und hoch über mir saßen Matrosen, denen gleichwohl von meiner Entdeckung noch kein Schatten ahnte.

 

Auch ich schwieg still, begab mich aufs Verdeck hinunter und flüsterte unserm Obersteuermann ins Ohr: »Gelt Freund, ich sehe die englische Küste! Ich steige jetzt wieder nach oben, und wenn ich dann den Arm gerade nach dem Lande hin ausstrecke, so macht danach hier unten mit dem Kompaß die Peilung.« – Unbefangen nahm ich meinen alten Sitz im Mastkorbe wieder ein, überzeugte mich dann zuvor, ob unten mein Gehilfe mit seinem Instrumente fertig stand, und deutete nun bestimmt nach der erblickten Küste hin. Kaum nahmen meine Nachbarn umher diese Bewegung wahr, so schrien sie auch allesamt wie aus einer Kehle: »Land! Land! Land!« – aber zu spät! Ich hatte ihnen bereits vorgefischt!

 

Als ich mich wieder unten zeigte, forderte mich unser Kapitän auf, zu Herrn Polack in die Kajüte zu gehen und ihm zum Anblick von Europa zu gratulieren. Mein Ehrgefühl aber wollte es nicht zulassen, mir irgend den Schein zu geben, als habe ich mich unter die Bewerber zu seiner ausgesetzten Prämie gedrängt. Nicht so aber dieser Ehrenmann, der mich selbst zu sich hinab nötigte, mir das bestimmte Päckchen Gold in die Hand drückte und mich bat, es zu irgendeinem Andenken an ihn und diese Reise zu verwenden. Bald darauf langten wir auch glücklich im Texel an, und hier beim Abschiede wiederholte er seine Freigebigkeit noch durch ein Geschenk, wovon der Obersteuermann zwanzig, ich zehn und die sämtliche Schiffsequipage zwanzig Dukaten empfing. Am 1. Dezember (1759) erreichten wir Amsterdam, und unsre Fahrt hatte diesmal ein rundes Jahr weniger einige Tage gewährt. Von unsrer Bemannung, die vierundvierzig Köpfe betrug, hatten wir neun Menschen durch den Tod verloren.

 

Untätigkeit und träge Muße waren mir unleidlich. Ich engagierte mich daher sofort wieder als Untersteuermann auf das Schiff de goede Verwachting unter Kapitän Siewert, welches schon im Texel lag, nach St. Eustaz bestimmt war und kurz vor Anfang des Jahres 1760 die Anker lichtete. Die späte Jahreszeit ließ uns eine schwere, stürmische Fahrt in der Nordsee und im Kanal erwarten. Auch traf diese Befürchtung nur zu pünktlich ein; denn wir büßten nicht nur mehrere Segel, sondern auch Stengen und Rahen ein, und fünf Matrosen samt dem Schiffszimmermann hatten das Unglück, ohne Rettung über Bord gespült zu werden. So kamen wir in einem äußerst beschädigten Zustande in St. Eustaz an, bewirkten jedoch binnen vier Wochen unsere Ausbesserung und Rückladung und mochten kaum die Hälfte unsers Weges nach Holland zurückgelegt haben, als wir von einem englischen Kriegsschiffe genommen wurden. Die gesamte...

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