Sie sind hier
E-Book

Facharztprüfung Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

1500 kommentierte Prüfungsfragen

VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl446 Seiten
ISBN9783132403321
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis113,99 EUR
Mit Sicherheit zum Erfolg Erarbeiten Sie sich den kompletten Prüfungsstoff. Über 1500 Fragen aus allen Themenbereichen der Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie. Alle Fragen mit präzisen Antworten und ausführlichen Erläuterungen. Stressfreie und effektive Vorbereitung - Testen der Prüfungstauglichkeit durch die Simulation zu Hause - systematisches Lernen und praxisnahe Erfolgskontrolle - Selbsttest ermöglicht eine realistische Einschätzung des Leistungsstandes - hilfreiche Lerntipps zur Optimierung des eigenen Lernstils - Tipps zur Einreichung der Unterlagen und zur Antragstellung Neu in der 4. Auflage - erweitert um das Fachgebiet Psychosomatik - inhaltlich neu strukturiert - neues Kapitel zu Schlafstörungen Jederzeit zugreifen: Die Fragen und Antworten des Buches stehen Ihnen ohne weitere Kosten digital im Trainingscenter in der Wissensplattform eRef und auch offline in der eRef-App zur Verfügung (Zugangscode im Buch).

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

2 Evidenzbasierte Psychiatrie und Psychotherapie


Michael Berner, Levente Kriston(1)

2.1 Hintergrund


Seit gut 20 Jahren wird die Medizin von dem Ruf nach einer evidenzbasierten Medizin geprägt, der Forderung nach verstärkter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse (Evidenz) neben der Erfahrung und der Intuition als Grundlage für klinische Entscheidungen ▶ [7]. Angesichts der Tatsache, dass pro Jahr rund 6  Millionen medizinische Arbeiten in 20 000 medizinischen Zeitschriften veröffentlicht werden ▶ [19], ein Assistenzarzt jedoch maximal 30 – 60  Minuten Lesezeit pro Woche für Fachliteratur aufbringen kann ▶ [25], scheint diese Forderung allerdings nicht leicht zu verwirklichen.

Neben der Informationsflut stellt auch die Interpretation wissenschaftlicher Arbeiten ein zusätzliches Problem dar. So erschweren häufig überbewertete statistische Effekte, unkritische Verallgemeinerungen, Fehlen von vergleichender Diskussion, ungenügende Berichterstattung von möglichen Interessenkonflikten (Einfluss von Sponsoren) und mangelhaft oder unklar berichtete methodische und statistische Verfahren eine kritische Urteilsbildung über die Ergebnisse klinischer Studien. Häufig begegnet man zum Beispiel Studien, die Surrogatmarker als Zielkriterien verwenden ( ▶ [5], ▶ [23]). Surrogatmarker sind Studienendpunkte, die ein (meist positives) Ergebnis hinsichtlich einer Intervention liefern, aber keine Aussage über den tatsächlichen Nutzen zulassen, weil sie kein relevantes Zielkriterium (wie beispielsweise Mortalität, Morbidität oder Lebensqualität) darstellen. Somit können Surrogatmarker zur Fehlinterpretation verleiten. Das bekannteste Beispiel hierfür sind die Antiarrhythmika, die jahrzehntelang aufgrund ihrer rhythmisierenden Wirkung (Surrogatmarker) verabreicht wurden, bis sich in einer groß angelegten Studie herausstellte, dass einige dieser Substanzen tatsächlich die Lebenserwartung der Patienten (relevantes Zielkriterium) verringern ▶ [6]. 1991).

In der Psychiatrie erkannte Eugen Bleuler bereits 1921 in seinem Buch „Das autistisch-undisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwindung“, dass sich die Therapie zu sehr auf dem Boden der Wünsche und Einbildungen statt auf Wirklichkeit und strenger logischer Schlussfolgerung gründet ▶ [2]. Tatsächlich belegen Studien, dass ungefähr ein Drittel der psychiatrischen Behandlungsentscheidungen nicht auf empirischer Evidenz basieren ( ▶ [9], ▶ [28]).

Der Ansatz der evidenzbasierten Medizin bietet den Ärzten ein Konzept, das die Kombination der besten wissenschaftlichen Evidenz mit der klinischen Erfahrung ermöglicht ▶ [26].

Die Wurzeln der Methoden der evidenzbasierten Medizin reichen mehrere hundert Jahre zurück. 1753 führte der britische Schiffsarzt James Lind die erste (veröffentlichte) kontrollierte Studie durch, um die richtige Behandlung für Skorbut zu finden ▶ [20]. Das Verfahren der randomisierten Zuordnung zu den Studienbedingungen sowie das der Geheimhaltung/Verblindung dieser Zuordnung wurden erstmals vor über 50 Jahren in einer Studie zur Wirksamkeit von Streptomycin in Tuberkulose umgesetzt ▶ [22].

In den 1980er-Jahren begann man mit der Erstellung von Datenbanken, die Studien zusammenfassten, die dieselben Themen untersuchten. Seit der Gründung der Cochrane Collaboration (1993) und der Inbetriebnahme der Cochrane Database of Systematic Reviews (1995) steht heute eine sehr umfangreiche öffentlich zugängliche Datenbank zu psychologischen und medizinischen Interventionen dem Interessenten zur Verfügung ▶ [16]. Mit der Registrierungspflicht randomisierter kontrollierter Studien ab 2005 erreichte die Entwicklung der evidenzbasierten Medizin einen weiteren Durchbruch ▶ [4].

2.2 Die fünf Schritte der evidenzbasierten Medizin


Für das praktische Vorgehen im Sinne einer evidenzbasierten Medizin wird ein fünfstufiger Handlungsalgorithmus vorgeschlagen, der an einem klinischen Beispiel illustriert wird ▶ [26].

Fallbeispiel

Ein Patient mit Alkoholabhängigkeit, der vor 2 Tagen aus einer qualifizierten Entzugsbehandlung entlassen wurde, meldet sich im Rahmen der nachstationären Termine telefonisch bei der Assistenzärztin der psychiatrischen Fachklinik. Sein Hausarzt habe die durch sie empfohlene Medikation mit Acamprosat (Campral) in Zweifel gezogen und gesagt, seiner Erfahrung nach habe das noch nie einem Patienten geholfen, trocken zu bleiben. Er habe ihm geraten, das teure und wahrscheinlich nutzlose Medikament nicht weiter einzunehmen.

2.2.1 Problemdefinition


Der aus der Praxis entstandene Informationsbedarf wird in eine klar formulierte klinische Frage umgewandelt, die im Idealfall die folgenden Komponenten enthalten sollte:

  • genaue Definition des Patientenproblems (z. B. Erkrankung, Störung)

  • genaue Definition der vorzunehmenden Intervention (am häufigsten Therapie, oft aber präventive Maßnahme oder diagnostischer Test)

  • zum Vergleich herangezogene Alternativen (z. B. andere Behandlungsmöglichkeiten)

  • genaue Definition des jeweils als relevant angesehenen Ergebnisses (z. B. Behandlungserfolg)

Fallbeispiel (Fortsetzung)

Als erster Schritt werden die Kernelemente der Frage genau definiert. Die Assistenzärztin notiert sich die Alkoholabhängigkeit als die behandlungsbedürftige Erkrankung, die Verabreichung von Acamprosat als die vorzunehmende Intervention und die Rückfallrate als relevantes Ergebnis. Die Assistenzärztin vereinbart einen Termin mit ihrem Patienten am nächsten Tag und befragt ihren zuständigen Oberarzt zum Thema. Er antwortet, dass man das nicht so vereinfacht sehen könnte, wahrscheinlich verwende der Hausarzt das Medikament nicht richtig, aber die Ärztin solle doch ruhig mal „im Internet“ recherchieren, was man dem Hausarzt mitteilen könne. Die EBM-erfahrene Ärztin beschließt, eine Literatursuche durchzuführen.

2.2.2 Literaturrecherche


Die beste Evidenz wird ausfindig gemacht, um die klar definierte klinische Frage zu beantworten (im Idealfall systematische Übersichtsarbeiten oder randomisierte kontrollierte Studien; ▶ Tab. 2.1).

Gute Lehrbücher bilden die Wissensbasis für die medizinische Tätigkeit, sie werden jedoch nur im Abstand von einigen Jahren überarbeitet, deswegen sollte die Literaturrecherche auch auf aktuelle Fachliteratur ausgeweitet werden. PubMed, eine sehr umfangreiche kostenlos recherchierbare Datenbank, wird von der amerikanischen National Library of Medicine zur Verfügung gestellt (http://www.pubmed.gov/). Die Cochrane Collaboration (http://www.cochrane.org/) bietet, ebenfalls kostenlos recherchierbar, zwei wichtige Datenbanken an:

  • Die Cochrane Database of Systematic Reviews (CDSR) beinhaltet systematische Übersichtsarbeiten.

  • Das Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL) stellt die umfangreichste Sammlung kontrollierter klinischer Studien dar.

Fallbeispiel (Fortsetzung)

Zuerst sucht die Assistenzärztin in der PubMed-Datenbank, doch als sie sieht, dass über 300 Treffer für das Stichwort „acamprosate“ angezeigt werden, beschließt sie, ihre Suche auf systematische Übersichtsarbeiten einzuschränken. In der Cochrane-Library wird sie schnell fündig und entdeckt eine Metaanalyse der Cochrane Collaboration ▶ [24].

Tab. 2.1 Evidenzhierarchie ▶ [1].

Stufe

Evidenztyp

Evidenzqualität

Ia

wenigstens eine systematische Übersichtsarbeit oder Metaanalyse auf der Basis methodisch hochwertiger randomisierter kontrollierter Studien

hoch

Ib

wenigstens eine ausreichend große, methodisch hochwertige randomisierte kontrollierte Studie

IIa

wenigstens eine hochwertige kontrollierte Studie ohne Randomisierung (z. B. Kohortenstudien mit Kontrollgruppe)

mittel

IIb

wenigstens eine hochwertige Studie eines anderen Typs quasiexperimenteller Studien (z. B. Fall-Kontroll...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Sonstiges Gesundheit - Medizin

Kopfschmerzen

E-Book Kopfschmerzen
Format: PDF

Kopfschmerzen zählen zu den häufigsten Erkrankungen. Oft beginnen sie bereits im Kindesalter und beeinträchtigen das Alltags- und Arbeitsleben erheblich. Das Chronifizierungsrisiko ist…

Kopfschmerzen

E-Book Kopfschmerzen
Format: PDF

Kopfschmerzen zählen zu den häufigsten Erkrankungen. Oft beginnen sie bereits im Kindesalter und beeinträchtigen das Alltags- und Arbeitsleben erheblich. Das Chronifizierungsrisiko ist…

Hören

E-Book Hören
Format: PDF

Das Buch bietet eine interdisziplinäre Darstellung über das Hören. Es informiert über die Geschichte der Hörforschung und vermittelt aktuelle Erkenntnisse zur Physiologie…

Hören

E-Book Hören
Format: PDF

Das Buch bietet eine interdisziplinäre Darstellung über das Hören. Es informiert über die Geschichte der Hörforschung und vermittelt aktuelle Erkenntnisse zur Physiologie…

Grenzbereiche der Perinatologie

E-Book Grenzbereiche der Perinatologie
Mit Beiträgen zur Praxis der Beatmung Neugeborener Format: PDF

Das Perinatalzentrum im Klinikum München Großhadern hat im März 2005 einen Kongress mit dem Ziel veranstaltet, neuere oder bislang weniger wahrgenommene Informationen aus der Perinatologie…

Stottern bei Kindern und Jugendlichen

E-Book Stottern bei Kindern und Jugendlichen
Bausteine einer mehrdimensionalen Therapie Format: PDF

Sie suchen fundiertes und umfassendes Rüstzeug für eine zeitgemäße Therapie stotternder Kinder und Jugendlicher? Das Buch vermittelt Ihnen dafür das theoretische und praktische Know-how in Form…

Stottern bei Kindern und Jugendlichen

E-Book Stottern bei Kindern und Jugendlichen
Bausteine einer mehrdimensionalen Therapie Format: PDF

Sie suchen fundiertes und umfassendes Rüstzeug für eine zeitgemäße Therapie stotternder Kinder und Jugendlicher? Das Buch vermittelt Ihnen dafür das theoretische und praktische Know-how in Form…

Weitere Zeitschriften

Menschen. Inklusiv leben

Menschen. Inklusiv leben

MENSCHEN. das magazin informiert über Themen, die das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft bestimmen -und dies konsequent aus Perspektive der Betroffenen. Die Menschen, um die es geht, ...

Ärzte Zeitung

Ärzte Zeitung

Zielgruppe:  Niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten. Charakteristik:  Die Ärzte Zeitung liefert 3 x pro Woche bundesweit an niedergelassene Mediziner ...

Card Forum International

Card Forum International

Card Forum International, Magazine for Card Technologies and Applications, is a leading source for information in the field of card-based payment systems, related technologies, and required reading ...

dental:spiegel

dental:spiegel

dental:spiegel - Das Magazin für das erfolgreiche Praxisteam. Der dental:spiegel gehört zu den Top 5 der reichweitenstärksten Fachzeitschriften für Zahnärzte in Deutschland (laut LA-DENT 2011 ...

Die Versicherungspraxis

Die Versicherungspraxis

Behandlung versicherungsrelevanter Themen. Erfahren Sie mehr über den DVS. Der DVS Deutscher Versicherungs-Schutzverband e.V, Bonn, ist der Interessenvertreter der versicherungsnehmenden Wirtschaft. ...

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS bringt alles über die DEL, die DEL2, die Oberliga sowie die Regionalligen und Informationen über die NHL. Dazu ausführliche Statistiken, Hintergrundberichte, Personalities ...

elektrobörse handel

elektrobörse handel

elektrobörse handel gibt einen facettenreichen Überblick über den Elektrogerätemarkt: Produktneuheiten und -trends, Branchennachrichten, Interviews, Messeberichte uvm.. In den monatlichen ...