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E-Book

Feminismus. 100 Seiten

Reclam 100 Seiten

AutorBarbara Streidl
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2019
ReiheReclam 100 Seiten 
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783159615059
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Feminismus ist so aktuell wie seit langem nicht mehr - doch was genau ist das eigentlich? Wie sieht eine Feministin aus? Können auch Männer Feministen sein? Und was ist mit Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen? Die Journalistin Barbara Streidl stellt die wichtigsten Personen, Strömungen und Begriffe vor, erzählt von den Errungenschaften der Frauenbewegung und erklärt, warum wir den Feminismus noch heute brauchen - und zwar nicht nur in Europa, sondern auch in Indien oder Nigeria.

Barbara Streidl, geb. 1972, ist Journalistin. Sie arbeitete u. a. für den Bayerischen Rundfunk und ist Co-Autorin des Buches 'Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht', das bei Erscheinen 2008 eine Debatte lostrat. Bei Reclam erschien zuletzt 'Langeweile. 100 Seiten'.

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Leseprobe

Die Befreiung der Frau: von Louise Otto-Peters bis zum Zweiten Weltkrieg


Vom Beginn der Frauenbewegung in Deutschland durch Louise Otto-Peters’ Deutschen Frauenverein bis zu Artikel 3 im Grundgesetz

Feminismus kann nicht nur fassbar gemacht werden, indem man sich unterschiedliche Strömungen der Bewegung anschaut – also eintaucht in verschiedene Feminismen –, sondern auch über die Chronologie der Frauenbewegung. In unterschiedlichen Ländern haben sich zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Akteurinnen und Protagonisten in mehreren Wellen für Frauenrechte eingesetzt – was aber keineswegs ein abgeschlossener Vorgang war: Wie jede aktivistische Bewegung ›lebt‹ auch die Frauenbewegung im Hier und Jetzt fort. Sie wächst durch die Taten und Ideen derer, die sich für sie engagieren.

In Deutschland werden drei große Wellen der Frauenbewegung genannt, die mit historischen Ereignissen verbunden sind. Die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) 1865 in Leipzig durch Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt gilt für viele als der Beginn der ersten Welle. Der Verein forderte ein Recht auf Bildung für Frauen sowie deren Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Eine Hinweistafel markiert heute das Haus in der Ritterstraße 12 in Leipzig, wo der ADF am 15. Oktober 1865 auf der ersten deutschen Frauenkonferenz gegründet wurde. Männer durften sich nur mit einem beratenden Stimmrecht einbringen – das bescherte dem ADF den Ruf einer männerfeindlichen Vereinigung. Was nicht stimmte: Als Louise Otto-Peters 1866 Das Recht der Frauen auf Erwerb veröffentlichte, schrieb sie keineswegs, Männer sollten künftig zu Hause bleiben und ohne Zugang zu eigenem Geld die Stube fegen. Stattdessen versprach sie:

Die Ehen werden zahlreicher und glücklicher werden, wenn die Frauen zur ökonomischen Selbständigkeit gelangen.

Der mit 34 Mitgliedern gegründete Frauenverein wuchs rasch: 1877 wurden bereits 12 000 gezählt. Als 1878 zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. verübt wurden, beschuldigte Reichskanzler Otto von Bismarck die Sozialistische Arbeiterpartei. Das »Sozialistengesetz« wurde verabschiedet, damit sozialistische Parteien, Organisationen und Publikationen verboten werden konnten. Was »den Sozialismus« zerstören sollte, schadete allerdings auch der Frauenbewegung: Nach der Umwandlung in eine Genossenschaft lebte der ADF erst 1890 nach Bismarcks Entlassung und der damit hinfälligen Verlängerung des Gesetzes wieder auf.

Immer mehr Vereine entstanden, bürgerliche wie proletarische. Ein Dachverband, der Bund Deutscher Frauenvereine (BDF), wurde für die gemäßigte, bürgerliche Frauenbewegung gegründet. 1900 erlebten die Frauen jedoch einen Rückschlag, denn mit einer weitreichenden Reform wurde das Familienrecht neu beschlossen. Wie Annett Gröschner in ihrem Buch Berolinas zornige Töchter schreibt, wurden die Gesetzgeber dabei von »Angstphantasien über entfesselte ›Frauenspersonen‹« angetrieben:

Der Mann behielt das letzte Wort in Fragen der Familie, er entschied über Vermögen und Berufstätigkeit seiner Frau und hatte allein die elterliche Gewalt über seine Kinder. Die meisten dieser Gesetze galten in der Bundesrepublik bis 1958, einige auch bis 1977, in der DDR wurden sie schon kurz nach Staatsgründung abgeschafft. Einzig die unverheirateten Frauen bekamen […] mehr Rechte: Ihr Vater war nun nicht mehr lebenslang ihr Vormund, sondern nur bis zur Vollendung des 26. Lebensjahrs. (Gröschner, Berolinas zornige Töchter, S. 23.)

Klammer auf:

Schon zur Zeit der ersten Frauenbewegung gab es sehr viel Uneinigkeit: Proletarische Aktivistinnen wie Clara Zetkin verlangten etwa öffentliche Angebote zur Kinderbetreuung – dass Mütter die Sorgearbeit mit den Kindsvätern teilen, stand damals nicht zur Debatte, zumal Mütter und Väter quasi Schulter an Schulter in den Fabriken arbeiteten. Die strukturelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen war keine Forderung der bürgerlichen Frauenbewegung, der es vor allem um Bildung und Zugang zu öffentlichen Ämtern ging. Die in München lebende Anita Augspurg wiederum, Vertreterin der radikalen Frauenbewegung, forderte in einem offenen Brief an alle Deutschen einen Boykott des bürgerlichen Lebens, indem nur noch in freien Ehen ohne Trauschein gelebt werden sollte. Daneben wollten die Radikalen die ersatzlose Streichung von § 218: Seit Beginn der Frauenbewegung ist die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen für viele Aktivistinnen eine Herzensangelegenheit – nach wie vor wird über § 218 in Öffentlichkeit und Politik kontrovers diskutiert (siehe auf Seite 63 ff.).

Klammer zu.

Vier Romane, vier Novellenbände, drei mitherausgegebene Bände, vier Lustspiele, sechs Bände mit feministisch-politischen Essays, eine Abhandlung und über 80 Artikel, Rezensionen und Novellen plus zahlreiche Aphorismen: Hedwig Dohm (18311919) war in über 50 Jahren Schaffenszeit immens produktiv. Zum Glück haben sich Nikola Müller und Isabel Rohner darangemacht, Dohms Gesamtwerk in mehreren Bänden zu publizieren.

Im ersten Band, Ausgewählte Texte, sticht besonders die Erzählung »Werde, die du bist« (erschienen 1894) hervor: Es geht um eine ältere Frau, Agnes Schmidt, die nach dem Tod ihres Mannes plötzlich auf sich selbst gestellt ist. »Ich hab ein Leben gelebt, wo ich gar nicht dabei war«, schreibt Schmidt in ihr Tagebuch: Wenn sie nun nicht mehr Ehefrau, Tochter oder Mutter ist – ihre Töchter sind erwachsen und »brauchen« sie nicht mehr – was ist sie dann? Hedwig Dohm nahm in ihrem Text quasi Simone de Beauvoirs (siehe Seite 7) Satz »Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu« vorweg. Das »Werden« der Frauen ist hier ein immer wiederkehrendes Thema: In vielen Texten schrieb Dohm, »die Herren« würden vor allem wollen, dass Frauen auf Zuruf das würden, was die Umstehenden gerade benötigten. Doch wie werden Frauen zu dem, was sie selbst sind? Agnes Schmidt geht in »Werde, die du bist« am Versuch, sie selbst zu werden, zugrunde, da es für ihr neues Ich keinen Platz gibt.

Die Uneinigkeit der Protagonistinnen der ersten deutschen Frauenbewegung zeigte sich auch in der Öffentlichkeit. 1899 kritisierte Hedwig Dohm in der Berliner Zeitschrift Die Zukunft eine neue Richtung, hauptsächlich repräsentiert durch die Schriftstellerinnen Lou Andreas-Salomé, Ellen Key und Laura Marholm.

In der Verherrlichung des Mannes geht Frau Lou so weit, dass sie erklärt: »Nur der Mann ist in voller Schärfe der tragische Typus des Menschengeschöpfes.«

Hedwig Dohm war weder mit Salomé noch mit den beiden anderen Kolleginnen einer Meinung: »Laura Marholm hält das Weib ›seelisch und physiologisch für eine Kapsel über einer Leere, die erst der Mann kommen muss zu füllen‹.«

Und weiter:

Ellen Key betont, dass ihre »Betrachtungen (über Frauen) indirekt ein Beweis sind für die Überlegenheit des männlichen Intellektes, […] denn ohne die Anregung, die sie durch männliches Denken erhalten, hätte sie sie nicht anstellen können.« (Dohm, Reaktion in der Frauenbewegung, S. 136.)

Dohm fühlte sich als Frau keineswegs unterlegen, sie forderte das Frauenwahlrecht und verlangte Gleichberechtigung: Ihr Satz »Menschenrechte haben kein Geschlecht« steht auf der Gedenktafel, die das Haus in der Friedrichstraße 235 in Berlin als ihren langjährigen Wohnort kennzeichnet. Von ihrer Tochter Hedwig Pringsheim-Dohm (die Mutter von Katia Mann) wurde sie als »die Vorkämpferin des Frauenrechts, ach: und nichts weniger als eine Kampfnatur!« beschrieben. Isabel Rohner, Dohm-Biografin, kenne ich von einer Veranstaltung. Sie skizziert mir auf Nachfrage den Dohmschen Feminismus:

»Feminismus im Sinne von Hedwig Dohm ist die Überzeugung, dass Frauen und Männer dieselben Chancen und Möglichkeiten haben müssen. Dohm forderte die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Männern und Frauen, und ihre Begründung ist so einfach wie bahnbrechend: Weil beide in erster Linie Menschen sind, dürfen Frauen nicht rechtlos sein und in Abhängigkeit leben müssen. Sie müssen denselben Zugang zu Bildung und Berufsausübung haben, sie müssen die Möglichkeit haben, ihr eigenes Geld zu verdienen und selbst zu entscheiden, wie sie leben wollen.« (Isabel Rohner)

Unter dem Motto »Heraus mit dem Frauenwahlrecht!« demonstrierten 1911 bürgerliche wie proletarische Frauen gemeinsam für Gleichberechtigung. Clara Zetkin, eng befreundet mit Rosa Luxemburg und dem Kommunisten Wladimir Iljitsch Lenin, war Wortführerin des revolutionären linken Flügels der SPD und später Politikerin der KPD. Sie lebte in Stuttgart und war eine der Initiatorinnen des ersten Internationalen Frauentags – dieser Tag wird bis heute am 8. März alljährlich begangen.

Im Mai 1911 schrieb Hedwig Dohm, der »Kampf der Frau um ihre Ebenbürtigkeit« sei noch im Gange. Sollten die »sanften Waffen« versagen, dann »setzt sie sich den...

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