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E-Book

Gabriele Münter

Im Bann des Blauen Reiters. Romanbiografie

AutorStefanie Schröder
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783451804823
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Ihre Kunst hat sie unsterblich gemacht, ihre Schicksale waren oft bewegend, schmerzlich, außergewöhnlich. In Zeiten, in denen Frauen nicht selbstbestimmt über ihr Leben entscheiden konnten, gingen sie ihre eigenen Wege, verstießen gegen Konventionen, oft gegen den Willen ihren Familien. Sie liebten intensiv, wurden verletzt und suchten nach ihren eigenen Ausdrucksformen - in der Kunst ebenso wie im Leben. Vier leidenschaftliche Frauen, die großen Mut bewiesen haben. Vier spannende Porträts, um diese Frauen zu ehren.

Stefanie Schröder hat Germanistik und Geschichte studiert. Romanbiografien zu Gabriele Münter und Paula Modersohn-Becker. Zuletzt: 'Ein starkes, verwundetes Herz - Niki de Saint Phalle. Ein Künstlerleben'.

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Leseprobe

3.


Erster Abend in Bonn in der Dechenstraße 5 mit Schwester Emmy, mit Georg Schroeter, Emmys Mann, und mit Bruder Carl. Mary, Carls Frau, war heute daheimgeblieben im Bonner Talweg 16. Ja, wenn man eine berühmte Konzertsängerin heiratet! Mary musste sich erholen vom Gesangsunterricht, den sie den ganzen Nachmittag über erteilt hatte. Emmy hatte die Ankunft ihrer Schwester ohne viel zu fragen hingenommen. Wie üblich. Emmy war es ein Rätsel, was die Kleine am Malen und Zeichnen derart faszinierte, dass sie immer wieder einen neuen Anlauf nahm. Trotzdem schien Gabriele sich nicht besonders wohl zu fühlen. Lief ruhelos durchs Haus, die schmalen Lippen noch schmaler als sonst, scharf zusammengekniffen im runden Gesicht.

Als die Geschwister mit der Mutter noch in Koblenz lebten und die zwanzigjährige Ella im Mai 1897 zum Zeichen- und Malstudium nach Düsseldorf ging, sich in der Pension eines norwegischen Malers einquartierte, war es Carl, ihr älterer Bruder, gewesen, der die Schwester unterstützte, endlich eine Sache intensiv zu betreiben. Emmy hatte man seinerzeit nicht bewegen können, sich als Lehrerin ausbilden zu lassen. Nach der Selekta war sie von der Schule abgegangen.

Carl, der Charly, klopfte seiner Schwester Ella auf die Schulter. Er, Fabrikant und Kaufmann, besaß eine Kieselquarzwäscherei mit Dampfbetrieb und eine Kalksandziegelfabrik in Duisdorf bei Bonn. Seine beiden Schwestern hatte er nach dem Tod der Mutter nach Bonn geholt. Emmy war nun verheiratet mit dem Privatdozenten Dr. habil. Georg Schroeter. Aber was macht unsere Ella? Er hob der Kleinen das Kinn hoch, gab seiner Stimme einen wohlwollend herablassenden Ton: Kein Kandidat in Aussicht, kein Bewerber um Ellas Hand? Emmy spöttelte: Ella liebt nur ihre Malerei. Warum nicht?, hätte Ella jetzt erwidern sollen, doch sie schoss los: »Pah, wenn ich den Passenden nicht finde, ich bin so auch sehr zufrieden und glücklich.« Einen Druckschmerz spürte sie hinter der Schläfe. Hielten die großen Geschwister wieder zusammen? Bildeten eine geschlossene Front, in die Ella plötzlich einbrechen und losschießen konnte.

Wie Großvater Friedrich! Alle wussten, wie wütend der Großvater werden konnte und dass er denjenigen kurzerhand rauswarf, der nicht das vertrat, was er für richtig hielt.

War Gabriele so? Viel zu sehr alleingelassen als jüngstes Kind in dieser erwachsenen Familie, war sie nicht redegewandt, manchmal verunsichert. Darauf allerdings, dass sie immer die Wahrheit sagte, konnten die anderen vertrauen. Ella Münter lügt nicht, hieß es. Nur, dass sie dabei unerbittlich war, machte sie unbequem. Wie soll man die Kleine nur aushalten, stöhnte Emmy, wenn Gabriele auf schonungslose Offenheit drang.

Georg lenkte Gabriele ab. Was hatte die kleine Schwägerin in München erlebt? War nicht das Prinzregententheater gerade eröffnet worden? Ella liebte doch Theater und Opern, und München wollte Richard-Wagner-Stadt werden. Richtig, und im April feierten die »Elf Scharfrichter«, das war ein satirisches Kabarett, einjähriges Bestehen. Scharfrichternamen gaben sich die elf Begründer, ließen ihr Kabarett als Verein eintragen, umgingen so die Zensur, und man brauchte keinen Eintritt zu bezahlen, nur eine Gebühr für Garderobe, raffiniert, was! Gabriele fuhr fort, die Plakate mit den Holzschnitten wären ihr sofort aufgefallen. Robert Hüsgen, Bildhauer und Mitglied im Kabarett, hatte sie angefertigt. Und weil er auch unterrichtete, hätte sie sofort einen Holzschnittkurs bei ihm belegt.

Es war gut, dass eine Kunststudentin aus Düsseldorf Gabriele München schmackhaft gemacht hatte. So war sie im Mai 1901 in München in die Pension Bellevue in die Theresienstraße 30 gezogen. Aber so einfach, wie sich manch einer das vorstellte, war es nicht für eine Frau, etwas lernen zu wollen. Welch ein Glück, dass im Jahr 1882 mutige und finanzkräftige Frauen eine private Damenakademie gegründet hatten, den »Künstlerinnenverein«, wo sich Frauen in Kunst oder Kunstgewerbe ausbilden lassen konnten. Die Lehrer wählte man selbst, malte im Freien oder in Ateliers.

Gabriele musste den Geschwistern ausführlich berichten. Da saß man dann in den Sälen der Malateliers. Jeder Saal mit Fensterwand zur Nordseite, mit eisernem Ofen und Podium für das Modell. Grau die Wände, grau der Fußboden, grau das Licht bei Regenwetter. Mit schwarzer Kohle auf grauem Packpapier zeichnen. Man hockt hinter der Staffelei, man steht auf, streckt den rechten Arm waagerecht aus, hält den Kohlestift senkrecht, um mit dem Daumen die Proportionen des Modells nachzumessen, immer in Tuchfühlung mit emsig strichelnden Malschülerinnen. Wochenlang an derselben lebensgroßen Zeichnung! Millimetergenau! Fleißarbeit! Tatsächlich? Millimetergenau? Fleißarbeit? Emmy wiederholte Ellas letzte Worte, sie genüsslich betonend, lachte ein bisschen ironisch. Wie schön für die kleine Ella, dass sie dort hocken durfte. Nein, solchen Stumpfsinn konnte sie nicht verstehen. Und nicht mal Aktzeichnen! Ja, leider. Das war den Herren in der Herrenakademie vorbehalten.

Wer wirklich Talent hatte, musste bedauern, kein Mann zu sein. Das hatte auch Hedwig Dohm geschrieben in ihren Artikeln zur Frauenfrage. Gabriele konnte ein Zitat der Schriftstellerin wiedergeben, ein Gesetz aus dem alten Ägypten:

Erster Artikel. Die Frau ist berechtigt, zu gehen und zu kommen, wohin sie will. Zweiter Artikel. Ohne Schuhwerk darf sie aber nicht ausgehen. Dritter Artikel. Jedwedem Schuhmacher wird verboten, Schuhwerk an eine Frau zu verkaufen. Hedwig Dohm hatte das Gesetz auf heute angewandt und dann so formuliert: Erster Artikel. Frauen dürfen studieren, was sie wollen und so viel sie wollen. Zweiter Artikel. Die Universitätspedelle aber sind angehalten, sie von den Türen der Universitäten und Akademien fortzujagen. Dritter Artikel. Auf eine ihren Kenntnissen entsprechende Anstellung im Staate haben sie keinen Anspruch. Sie dürfen sich aber in ihren Mußestunden durch Nähen, Frisieren und so weiter die Mittel zu ihrer Existenz verschaffen.

Für Frauen gab es keine staatliche Akademie für Kunst, wohl eine Akademie für Musik, an der sie sich zur Konzert- und Opernsängerin ausbilden lassen konnten. Schwägerin Mary Münter-Quint war ein gutes Beispiel. Als Tochter des Tenors Hans Quint von der deutschen und italienischen Oper in New York hatte sie Gesang in Karlsruhe studiert und sofort ein Engagement an der Oper in Köln bekommen. Nach der Verheiratung mit Carl Münter trat sie in Bonn als Konzertsängerin auf, gab Gesangsunterricht.

Immerhin, Gabriele hatte Glück gehabt, das tun zu dürfen, wozu sie die größte Lust hatte, durfte die Damenmalakademie besuchen. Ihr Blick fiel auf das Familienfoto über dem Vertiko. Auf diesem Bild war sie vier Jahre alt, vorne sitzend zwischen den Eltern, die Geschwister stehend dahinter. Als sie 1877 geboren wurde, war ihr Vater 51 Jahre alt, ihre Mutter 42, Bruder August war 12, Charly 11 und Emmy 7. Die Eltern hatten sich in Amerika im Staat Tennessee kennengelernt. Sie kehrten nach Deutschland zurück, der Vater ließ sich als Hofzahnarzt in Berlin nieder. Hier wurden seine vier Kinder geboren. Gabriele schloss für einen Moment die Augen. Jetzt lebten nur noch sie drei, Gabriele, Charly und Emmy.

Vor vier Jahren war sie mit Emmy in Amerika gewesen, eine lange Geschichte! Gabrieles Reise nach Amerika war ein Abenteuer. Angefangen beim Einschiffen der beiden Schwestern in Rotterdam am 27. September 1898. Erste Sicht auf Manhattan im Nebeldunst des 9. Oktober. Die vielen langen Bahnfahrten von New York durch die Staaten. Ankunft und Abfahrt, Umarmungen, letztes Winken auf den Bahnhöfen: in St. Louis am Mississippi, in Moorfield in Arkansas und aus dem Planwagen heraus in Plainview in Texas. Das erste Vierteljahr in St. Louis im Haus des Onkels, eines Bankiers, die Stadt am Mississippi erleben, Spaziergänge am Quai, Ausflüge mit dem Raddampfer, mit dem Dampfschiff, eine Zweitagesfahrt zu den Niagara-Fällen. Ob Emmy noch daran dachte, wie sie in St. Louis mit ihren Verehrern ausging, während Ella daheim blieb, ein Klavier mietete und sich die Zeit mit Klavierspiel und Komponieren vertrieb? Danach das Landleben in Arkansas bei den Verwandten, die Walzmühlen betrieben zur Holzverarbeitung. Was hatte sie damals notiert: »Wir waren da oben in der Einsamkeit. Man ritt durch den Frühlingswald und die Maisfelder (und wahrscheinlich auch Cottonfelder). Ein Baum mit großen weißen Blüten hieß ›Dog wood‹.« Aber den größten Eindruck machte auf sie der äußerste Westen Texas’, nahe der Grenze zu New Mexico. Hier in Plainview lebte Onkel Donohoo, der Viehhändler mit seiner Familie. Sie lebten unter Viehzüchtern und Cowboys. Ob Charly noch wusste, was Gabriele ihm von da aus schrieb: »Keine Eisenbahn, keine Straße; man reitet Stunden über Land, um einen Sack Mehl zu holen.«? In Texas feierten sie den Beginn des neuen Jahrhunderts. Auf all diesen Stationen hatte sie ihren Skizzenblock dabei, und dann sah man sie, die Unterlippe vorgeschoben, in die Gesichter der Verwandten vertieft. War kein Block zur Hand, zeichnete sie auf Geschäftspapier, z. B. Onkel Joe Donohoo, der mit Brille und Schirmmütze konzentriert auf eine Abrechnung schaut. Aber wie umständlich, typisch old Germany. Und man schenkte der Nichte zum 22. Geburtstag eine Kodak-Kamera. Nun fotografierte Gabriele so meisterhaft, wie sie mit schnellen Skizzen porträtierte.

Jede Menge Fotos, einsame Holzhäuser fern in der Prärie, Pferdetrecks mit zehn Pferden, Pflüger mit Holzpflug, Eisenbahnzüge mit rauchspeienden Dampfloks, Raddampfer und Schiffe auf dem Mississippi, Fotos von amerikanischen Menschen bei ihrer Arbeit, bei ihren Vergnügungen, viele Zeichnungen und Porträts...

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