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Gebrauchsanweisung für die Deutsche Bahn

AutorMark Spörrle
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492975315
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Schienenersatzverkehr, defekte Klimaanlagen, Döner im Großraumwagen und Dauertelefonierer im Flüsterabteil: Wer wie Mark Spörrle nicht aufs Zugfahren verzichten kann, kennt die Tücken der Deutschen Bahn. Er weist den richtigen Weg bei Fahrkartenkauf, umgekehrter Wagenreihung und verwirrenden Durchsagen. Er schildert notorische Platzbesetzer; erzählt, wie Mitfahrende von Fremden zur Schicksalsgemeinschaft werden. Lässt sich auf Abenteuer mit Fernbussen ein, erinnert an Nachtreisezüge und andere aussterbende Spezies. Zeigt, wann eine Bahncard 100 sich wirklich lohnt. Warum WLAN im Zug Glückssache und das Bordbistro immer wieder für Überraschungen gut ist. Weshalb man Freitage meiden sollte - und warum Bahnfahren immer noch die kultivierteste Art der Forbewegung ist.

Mark Spörrle, geboren 1967, ist Redakteur bei der Zeit und schreibt satirisch-humorvolle Bücher über den irrwitzigen Alltag. Zu den erfolgreichsten zählen »Ist der Herd wirklich aus?« und »Aber dieses Jahr schenken wir uns nichts!«. Der Bahnreiseführer »Senk ju vor träwelling«, den er mit Lutz Schumacher verfasste, stand über ein Jahr unter den Top 20 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Mark Spörrle lebt mit seiner Familie in Hamburg.

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Leseprobe

Sehnsuchtsort, Mythos, Abenteuer – die Magie der Züge


Zum ersten Mal fuhr ich mit der Bahn, da muss ich ungefähr sechs gewesen sein. Mitte der 70er-Jahre reisten meine Eltern mit mir von Flensburg zu den Großeltern ins Rheinland. Ich erinnere mich noch genau an das Sechserabteil mit den geteilten roten Sitzen, die sich so gen Abteilmitte ziehen ließen, dass aus immer zwei gegenüberliegenden jeweils eine Liegefläche entstand. Es war heller Tag, aber ich hatte mir sofort die Liege ganz am Fenster eingerichtet. Und wenn ich nicht gerade den metallenen Tischabfalleimer auf- und zuklappte, zur Freude meiner Eltern und einer Frau von nebenan, die mehrfach schimpfend in der Abteiltür erschien, lag ich gemütlich auf dem Bauch, rhythmisch geschaukelt von den Bewegungen des Zuges, leicht sediert vom »Tatam-tatam-tatam-tatam« der Räder, und las. Für mich gab es damals nichts Schöneres, ich fand es herrlich, einfach da liegen und lesen zu können, und: Ich hatte extra für diese Fahrt zwei neue Bücher bekommen!

Außerdem gab es hart gekochte Eier und den ersten Erdbeerquark meines Lebens, von dem ich so viel aß, dass ich sehr dringend auf die Toilette musste. Es war noch ein Exemplar, bei dem sich nach verrichtetem Geschäft per Hebelzug eine Klappe öffnete, durch die man die dahinjagenden Gleise sah. Weshalb mir meine Eltern vehement einschärften, mich beim Sitzen bloß gut festzuhalten, man konnte ja nie wissen. Bei meinem zweiten Toilettengang fiel ihnen dann ein, dass es noch ein Problem gab: die Hygiene. Also bastelten sie eine behelfsmäßige Toilettenbrille aus Papier und schärften mir ein, mich bloß NICHT festzuhalten. Ich verzichtete dann darauf, den Abort noch ein weiteres Mal aufzusuchen.

Und trotzdem, diese erste Bahnreise meines Lebens war für mich etwas ganz Besonderes: Das große Kofferpacken, die Fahrt zum Bahnhof, ausnahmsweise im schwarzen Taxi, die winkenden Großeltern, die drei neuen Bücher, die meine Mutter mir für die Rückfahrt kaufte, weil ich die zwei anderen schon auf der Hinfahrt ausgelesen hatte – all das ist mir bis heute ungemein präsent. Vielleicht hat Bahnfahren deshalb noch heute für mich diesen Reiz, diese Faszination.

Über das Bahngefühl und Sex im Kopf. Eine Beziehungsanalyse


Es gibt natürlich Leute, die suchen für so etwas eine tiefenpsychologische Erklärung. Und meinen, das leichte Schaukeln des Zuges werde deshalb als so angenehm empfunden, weil es unser inneres Ich an die frühkindliche Erfahrung des Schaukelns im Kinderwagen erinnere. Zumal das gedämpfte, monotone »Tatam-tatam-tatam-tatam« der Art ähnle, wie Kinder Geräusche im Mutterbauch wahrnähmen … Sicher, darüber lässt sich streiten, außerdem sind die Schienen mittlerweile auf den meisten Strecken zusammengeschweißt, sodass das mit dem »Tatam-tatam-tatam-tatam« auch vorbei ist.

Aber so weit müssen wir auch gar nicht gehen, wollen wir das Bahngefühl und dessen Faszination erkunden: Autofahren mag, bei einem entsprechendem Auto, spannend sein, Fliegen schnell, aber Bahnfahren ist ein bequemer und zugleich keineswegs unproduktiver Zustand, denn schließlich kommt man dabei voran, und das, ohne dafür selbst etwas zu tun: Bahnfahren ist mobiler Müßiggang. Mit weit besserer Umweltbilanz, als wäre man im Flugzeug oder im Auto unterwegs. (Zu den Fernbussen, die auch die Bahn losschickt, um sich lieber selbst Konkurrenz zu machen, bevor andere es tun, kommen wir später.)

Auch wenn man einfach nur nüchtern rechnet, spricht viel für die Bahn: Okay, manchmal ist es billiger, nach Köln, Frankfurt oder Düsseldorf zu fliegen. Aber da hetzt man erst zum Check-in oder zur Gepäckabgabe, lässt dann bei der Sicherheitskontrolle fast die Hosen runter und muss, kaum dass man glücklich im Flugzeug sitzt, den Laptop vor die Brust gequetscht hat und vorsichtig versucht, die Ellenbogen so weit auszufahren, dass man einigermaßen die Tastatur bedienen kann, wieder einpacken, denn es wird ein süßer oder salziger Snack serviert. Die Zeit im Zug dagegen, ist man einmal eingestiegen und hat seinen Platz gefunden – was natürlich voraussetzt, dass Zug und Platz existieren –, lässt sich viel effizienter zum Arbeiten nutzen. Im Auto sollte man als Fahrer sowieso die Finger vom Laptop lassen. Abgesehen davon haut es mit der Pendlerpauschale finanziell ohnehin nur dann einigermaßen hin, wenn man öffentlich fährt. Und, last not least: Man entsteigt der Bahn (vorausgesetzt, es geht nicht allzu viel schief) nach fünf Stunden Fahrt in deutlich besserer Verfassung als dem Auto oder Flugzeug.

Sie haben natürlich völlig recht, wenn Sie sagen: All das ist zwar vernünftig – aber den Zauber des Zugfahrens erklärt es nicht. Dass es nämlich so viele leidenschaftliche Bahnfahrer gibt, die diesem Verkehrsmittel jahrelang die Treue halten, gemeinsam mit ihrem 16.45-Uhr-ICE durch dick und dünn gehen, kaputte Klimaanlagen, wasser- oder gar bistrolose Bistrowagen klaglos hinnehmen – in »leidenschaftlich« steckt eben auch »Leiden« – oder auch laut klagend und schimpfend. Aber: es immer wieder tun. Es gibt Menschen, die alle Loktypen seit 1952 schon an der Silhouette erkennen, die in ihrem Hobbyraum ganze Gleiswelten aufgebaut haben (doch: ein paar Hobbykeller gibt es noch!) und abends Fachwerk-Plastikbahnhöfe zusammenleimen oder kichernd kleine Loks samt Wagen tagelang auf freier Strecke stehen lassen. Aber das ist kein Vergleich zur Hingabe der Bahnkunden: Die vertrauen nämlich sich selbst einem Transportunternehmen an, das so groß ist, so unübersichtlich, so komplex, so renovierungsbedürftig, dass Pannen und Fehler einfach passieren müssen.

Noch mal kurz zum Auto: Wie Sie sicher wissen, sehen viele Autofahrer ihr Gefährt immer noch als eine Art rollendes Wohnzimmer, als eine Verlängerung ihres eigenen Selbst (»So eine Sauerei: Ich bin abgeschleppt worden! Ich!«). Für sie ist der PKW weit mehr als ein Gegenstand, er ist eine Art Partner für gute und schlechte Zeiten, und selbst in Letzteren fällt es ihnen schwer, sich von ihrem Vehikel zu trennen: Man trennt sich schließlich auch ungern von einem lieben Menschen, nur weil der allmählich ein Wrack ist, oder?

In der Tat, erklärte etwa die Berliner Soziologin Christa Bös der »WELT«, sei eine Beziehung zum Auto einer zwischenmenschlichen Liebesbeziehung erstaunlich ähnlich. Drei Komponenten prägen eine solche Beziehung: Leidenschaft, Intimität und der Wunsch, sich dauerhaft zu binden. Hirnforscher haben herausgefunden, wenn Menschen mit attraktiven Autos zu tun haben – und das natürlich nicht etwa in der Form, dass sie von ihnen überfahren werden –, wird jenes Areal im Vorderhirn aktiviert, das man als »Belohnungszentrum« kennt: der Nucleus accumbens, der dann seinerseits Erregungspotenziale an andere Teile des Gehirns sendet, die bei uns im Kopf wiederum Zufriedenheit und Freude auslösen. Angeregt werden kann das Belohnungssystem aber natürlich auch durch anderes: das Lächeln eines geliebten Menschen, ein leckeres Eis, ein erfüllendes Buch, Sex, Kokain, Sport und, davon können wir ausgehen, durch das Reisen mit der Bahn. Bahnfahren ist also wie Sex?

»Der Mensch kann alles lieben«, zitiert die »WELT« den Tübinger Neurobiologen und Hirnforscher Niels Birbaumer. Den Partner. Das Auto. Warum also nicht das Dahingleiten im Zug. Diesen Zustand, der sich bestens eignet, um sich schwerelos und mit wachsender Vorfreude dem Urlaubsort zu nähern, ja, um idealerweise den Urlaub schon unterwegs beginnen oder, umgekehrt, noch ausklingen zu lassen, mit einem Buch, mit Musik aus dem Kopfhörer, einem Kartenspiel mit der Familie. Der aber auch ideal ist für Kopfarbeiter, auch jene, bei denen Arbeit und Freizeit ohnehin längst zu einer Daseinsform verschmolzen sind, die man mithilfe von ein paar technischen Geräten, Strom und WLAN überall leben kann, in der Bahn sogar eigentlich am besten, denn dort kommt man gleichzeitig noch voran (mehr zum WLAN später).

Gut, Bahnfahren ist also ein bisschen wie Sex. Aber vor allem etwas wie Meditation, Flow, Trance. Etwas, an das man sich gewöhnen kann.

Vor ein paar Jahren reiste ich für das Goethe-Institut mit dem italienischen Autor Beppe Severgnini in einer guten Woche von Berlin nach Palermo. Per Bahn. »Va bene?!« hieß unsere Reise, unser Auftrag: den Vorurteilen der Deutschen gegenüber den Italienern und denen der Italiener gegenüber den Deutschen wechselseitig auf die Spur zu kommen. Wir stoppten in Städten, um ganz konkreten Klischees nachzugehen, wir schliefen nachts ein paar Stunden in Hotels, aber den größten Teil dieser Zeit verbrachten wir im Zug. Verfassten unseren täglichen Reiseblog, der online veröffentlicht und in diverse Sprachen übersetzt wurde, dachten uns Video-Sketche für den mitreisenden Kameramann aus und erreichten unsere Umsteigezüge diverse Male nur noch in gestrecktem Galopp. Pünktlich zu unserer Reise war der isländische Vulkan Eyjafjallajökull ausgebrochen, die Vulkanaschewolken hatten reihenweise Flughäfen lahmgelegt, und alle Züge waren noch voller als sonst. Aber ab dem dritten, vierten Tag bemerkte ich zu meiner großen Verblüffung abends im Hotel regelmäßig etwas wie – Enttäuschung.

Was mir fehlte, war die Bahn. Oder vielmehr: die vierte Dimension. Das Abtauchen-Können. Dieser Zustand des Fast-Entrücktseins in eine Zwischenwelt. Die Eindrücke, die Inspirationen, die einen anfliegen, wenn man einfach nur aus dem Fenster sieht (und wo anders macht man das heute noch?). Eigentlich also das Gefühl, das ich seit meiner Kindheit immer im Zug habe.

Wie es kam, dass wir...


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