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E-Book

Günther hat sein Käsebrot fotografiert. 342 Freunden gefällt das.

Über den sozialen Niedergang durch Smartphones und die Digitalkultur

AutorAndreas Hock
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783959714334
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Es gab einmal eine wunderbare, längst vergangene Zeit, in der wir noch Briefe auf Papier schrieben, unseren Schwarm leibhaftig in der Tanzschule ansprachen und Freunde aus Fleisch und Blut besaßen, mit denen wir uns auch in einer echten Kneipe trafen. Heute überlassen wir unseren gesamten Alltag den Computern, Smartphones, Apps und sozialen Netzwerken. Wir simsen, posten, twittern und tindern - und vergessen dabei, wie das wahre Leben wirklich funktioniert.  Dieses Buch ist ein augenzwinkerndes Plädoyer für die gute, alte analoge Welt, in der zwar alles noch ein bisschen langsamer funktionierte - in der wir uns dafür aber keine Gedanken darüber machen mussten, ob uns nach einem unüberlegten Satz ein Shitstorm droht, wir die Freundschaftsanfrage unseres unsympathischen Chefs annehmen sollen oder was eines Tages mit unserem digitalen Nachlass passiert.  Dieses Buch ist der perfekte Lesestoff für alle, die froh wären, mit einem Handy nur telefonieren zu können, die nicht verstehen, was dieses seltsame Facebook mit einem Buch zu tun hat und die nur den Kopf darüber schütteln, dass man dank des Internets zum Millionär werden kann, nur weil man sich beim Singen in der Badewanne selber filmt.

Andreas Hock schreibt seit 15 Jahren für verschiedene Zeitungen und Magazine. Von 2007 bis 2011 war er bei der AZ Nürnberg einer der jüngsten Chefredakteure Deutschlands. Er ist Autor des Spiegel-Bestsellers Bin ich denn der Einzigste hier, wo Deutsch kann. Andreas Hock arbeitet er als freier Journalist, Ghostwriter und Autor und lebt in Nürnberg.

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Leseprobe

Weil unser soziales Netzwerk früher draußen war


Als ich neun oder zehn war, sah der größte und wichtigste Teil meiner Freizeit und selbstverständlich auch der meiner Freunde noch folgendermaßen aus: Wir schleuderten, sobald wir aus der Schule wieder nach Hause kamen, den Ranzen in die Ecke, schlangen eilig das Mittagessen hinunter, versicherten unseren Müttern, die Hausaufgaben schon in der Freistunde zwischen Mathe und Geschichte erledigt zu haben – und dann sahen wir zu, dass wir rechtzeitig auf den Bolzplatz gelangten. Wenn wir nicht früh genug dort waren, spielten stattdessen eine Menge anderer Jungs auf der Wiese hinter dem Gemeindehaus Fußball. Sie nannten sich wie wir Rummenigge, Kaltz und Briegel, und die Aussichten, dass sie vor der Dämmerung aufhörten, waren denkbar schlecht.

Natürlich gab es nicht nur den Fußball in unserem Leben. Wir beschäftigten uns in den Sommern auch noch mit dem Bau von Staudämmen und Baumhäusern, wir schwammen gemeinsam im Baggersee um die Wette oder absolvierten Fahrradrennen auf selbst angelegten Hindernisparcours. In den Wintern konstruierten wir an den ganz unwirtlichen Tagen notgedrungen Wolkenkratzer aus Pappkartons oder holten die uralte Märklin-Eisenbahn aus dem Keller, deren Landschaften und Gebäude noch mein längst verstorbener Großvater Herbert zusammengeleimt hatte. Ansonsten gingen wir Schlittschuh laufen auf dem zugefrorenen Stadtparkweiher, duellierten uns bei wilden Schneeballschlachten und warteten ungeduldig, bis es endlich wieder wärmer wurde.

Es war, das kann ich aus heutiger Sicht mit voller Überzeugung sagen, eine wunderschöne und aufregende Zeit, in der ich selbstverständlich bereits in einem sozialen Netzwerk Mitglied war: Meines bestand hauptsächlich aus Alex, Basti oder Markus und traf sich mit mir im Freien.

Das Komische ist: Wenn ich das aufschreibe, hört es sich beinahe so an, als hätte ich als kleiner Bub in einer von der Außenwelt abgeschnittenen Einöde gelebt oder sei beim Spielen über die letzten Schuttberge des Zweiten Weltkriegs geklettert, aber dem war freilich nicht so. Ich bin Mitte der Siebzigerjahre in einer Großstadt geboren und aufgewachsen – und musste insofern glücklicherweise auch keinerlei existenzielle Entbehrungen erleiden: Es stand immer ausreichend zu essen auf dem Tisch, meine Kleidung stammte nicht vom Roten Kreuz, sondern aus dem Kaufhaus, und in den Italien-Urlaub fuhren wir auch. In unserem Haushalt gab es zwei Telefone, zwei Fernseher, einen VHS-Videorekorder und sogar einen Mikrowellenherd. Auch die modernen Medien spielten in meiner Familie durchaus eine Rolle. So saßen wir samstagabends gemeinsam vor dem Fernseher und guckten Sendungen wie Einer wird gewinnen, Auf los geht’s los oder Wetten, dass …?. Das Praktische daran wiederum war, dass man dadurch automatisch ausreichenden Gesprächsstoff für den gesamten Schulmontag und mindestens die kleine Pause am Dienstag besaß. Und es war verdammt noch mal total spektakulär, wenn Joachim Fuchsberger im Pyjama moderierte, ein Mann eine Wärmflasche aufblies oder Cher in Strapsen auftrat.

Fuchsberger und seine Kollegen Hans-Joachim Kulenkampff, Frank Elstner, Rudi Carrell oder Thomas Gottschalk, die nicht nur meine Generation so nachhaltig unterhielten, könnten sich heute mit einer Flugabwehrkanone in die Erdumlaufbahn schießen lassen, es würde auf dem Schulhof nicht einmal den spießigsten Klassenstreber aus der ersten Reihe interessieren – angesichts des Angebots an sich in groteskem Tempo abwechselnden Abnormitäten und Irrwitzigkeiten, die vor allem das Internet nach zwei, drei Klicks für jedermann parat hält. Nur: Internet gab es eben noch keines, als ich klein war. Technisch gesehen könnte man also sagen, dass ich zu einer der letzten Generationen gehöre, deren Kindheit eher analog ablief. Was für ein Glück das tatsächlich war, konnte ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht wissen.

Obwohl auch auf mich zugegebenermaßen bald eine vollkommen neuartige Erfindung einen zunehmenden Reiz ausübte: Wenn ich mit meinen Eltern an einem unserer sonntäglichen Familienausflüge in einer Gaststätte mit einem besonders innovationsfreudigen Wirt einkehrte und mein Vater einen großzügigen Tag erwischte, drückte er mir nach dem Mittagessen ein oder zwei Mark in die Hand. Das Geld steckte ich umgehend in einen dieser futuristischen Arcade-Apparate, die seit einiger Zeit meistens irgendwo in der Nähe der Toiletten herumstanden.

Eines der Spiele, die damals praktisch die halbe Welt eroberten, hieß »Pong« und bestand aus einem schwarzen Bildschirm, der durch eine gestrichelte Linie in der Mitte geteilt war. Auf der linken und der rechten Seite befand sich je ein etwa drei Zentimeter langer Balken, den man nach oben und unten bewegen konnte und der in der Fachsprache »Schläger« genannt wurde. Damit musste der Spieler ein einzelnes Pixel, das aussah wie ein Würfel, aber einen Ball darstellen sollte, abwehren und so auf die Seite des Gegners befördern. Für mich und meine Altersgenossen war diese Maschine mit den Ausmaßen einer Kühl-/Gefrierkombination nicht weniger als ein technisches Wunder. Uns beschlich eine leise Ahnung, dass diese riesigen Dinger unser Freizeitverhalten für immer verändern würden.

Kaum standen die Teile flächendeckend herum und wurden um harmlose Spielereien wie »Pac-Man«, »Donkey Kong« oder »Scramble« erweitert, kündigte sich nämlich schon die nächste bahnbrechende Entwicklung an: die Konsole für zu Hause. Auf der konnte man ebenfalls »Pong« spielen, aber auch »Super-Pong« oder gar »Quadrapong« und natürlich einiges mehr. Bald eroberten »Atari 2600«, »Coleco Gemini« oder MBs »Vectrex« erst unsere Wunschzettel und dann unsere Kinderzimmer. Und spätestens nachdem wir sie das erste Mal an den heimischen Fernseher angeschlossen hatten, war jedem klar, dass endgültig eine neue Ära begonnen hatte. Dass es innerhalb weniger Jahre möglich war, eine sogar noch ausgefeiltere Technik von einem mannshohen Konstrukt in ein gerade mal schuhschachtelgroßes Gerät zu übertragen, schien aus damaliger Sicht zwar kaum nachvollziehbar, war aber unglaublich faszinierend.

Dabei sah es für einen kurzen Moment so aus, als sei das Genre der Videospiele nur eine kurze Episode des aufkommenden Digitalzeitalters. Man schrieb das Jahr 1983, als sich Seltsames ereignete: Noch kurz zuvor hatte die durch stete Weiterentwicklung in Sachen Speicher und Grafik ziemlich euphorisierte Branche einen neuen Umsatzrekord aufgestellt und sagenhafte drei Milliarden Dollar erlöst. Doch beinahe von einem Tag auf den anderen ging so gut wie gar nichts mehr: Die Einnahmen sanken innerhalb eines einzigen Jahres um unglaubliche 97 Prozent auf gerade noch 100 Millionen US-Dollar.

Dutzende Unternehmen gingen im Sog dieses berüchtigten »Video Game Crash« pleite. Die betroffenen Firmen hatten schlichtweg übersehen, dass mittlerweile ebenfalls immer mehr bezahlbare Heimcomputer auf den Markt drängten. Die waren zwar nicht unbedingt zum Vergnügen gedacht, aber die Spiele, die es dafür gab, waren deutlich günstiger. Vor allem aber ließen sie sich im Gegensatz zu den für alle Konsolen notwendigen Steckmodulen problemlos kopieren.

Womöglich wäre die gesamte weitere Entwicklung auf dem Spielemarkt anders verlaufen, hätte nicht der Hersteller Commodore blitzartig auf den Niedergang der Konkurrenz reagiert und seine Marketingstrategie radikal geändert. Anstatt nämlich – wie eigentlich angedacht – das gerade zur Serienreife gebrachte Modell »Commodore 64« als praktische Lern- und Rechenhilfe zu bewerben, stellte man nun die Vorzüge des Pioniers aller »Personal Computer« als Spielgerät heraus und verkaufte ihn folgerichtig in Spielzeugläden und entsprechenden Kaufhaus-Abteilungen. Binnen weniger Jahre löste dank dieser Vorarbeit des Commodore 64 der PC die Konsole als Spaßmaschine ab.

Auch für mich, der sich bis dahin nahezu täglich in der Natur aufgehalten hatte, begann damit abermals eine neue Zeitrechnung: Mit zwölf bekam ich von meinen Eltern tatsächlich jenen C64, dessen Vorläufer noch gigantische Rechenmaschinen waren, für die in den Bürogebäuden eigene Etagen vorgesehen waren und von denen kein normaler Angestellter wirklich wusste, was sie eigentlich genau zu leisten vermochten. Die Anfänge dieser Erfindung lagen erstaunlicherweise bereits in den frühen Fünfzigerjahren, aber erst ab Mitte der Siebziger rückten die PCs mehr und mehr ins Bewusstsein der Menschen.

Auch die Firma, für die mein Vater arbeitete, setzte immer mehr dieser geheimnisvollen Geräte ein, sie sollten wohl die Buchhaltung entlasten und eine Menge Abrechnungen übernehmen. Aber so oft, wie mein Papa darüber schimpfte, konnte das ganze Zeug noch nicht ausgereift sein.

Jedenfalls kam besagter C64 schon 1982 auf den Markt, kostete seinerzeit aber noch aberwitzige 1200 Mark – was zu dieser Zeit in etwa dem Gegenwert einer fabrikneuen Vespa entsprach. Trotzdem wurde er schnell zum Bestseller, und als irgendwann der Preis in für meine Eltern einigermaßen akzeptable Regionen irgendwo unterhalb der 500-DM-Schwelle sank, war er ohne Zweifel das tollste Geburtstagsgeschenk, das ich bis dahin erhalten hatte. Dabei konnte ich bei Lichte besehen mit dem beigen Brotkasten kaum etwas anfangen – und zwar nicht etwa weil er im Vergleich zu den heutigen Potenzialen eines jeden handelsüblichen Billig-PCs allenfalls den Speicherplatz eines Bierdeckels besaß, sondern weil ich keinerlei Talent für etwaige Programmierkenntnisse in mir trug, die man für eine sinnvolle Nutzung des Apparats, der sich bis zu seiner Ausmusterung 17...

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