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Häusliche Gewalt - betroffenen Männern* helfen

Ein Leitfaden zum Aufbau von Männer*schutzeinrichtungen

AutorJana Peters
VerlagTWENTYSIX
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783740775599
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
'Männer, die sich von ihren Frauen schlagen lassen? Was sind denn das für Weicheier?' Häusliche Gewalt gegen Männer* ist gesellschaftlich weitgehend tabuisiert. Doch einige Interessierte, selbst Betroffene und engagierte Träger haben den Bedarf an Schutzeinrichtungen für Männer* mit Gewalterfahrungen im häuslichen Kontext erkannt. Sie stehen oft vor der Frage, wie nun weiter. Dieses Buch bietet Antworten an. Der Leitfaden widmet sich zuerst grundsätzlichen Themen wie Ursachen, Mustern und Betroffenheit von Männern*. Daraus und aus den Erfahrungen der Praxis leitet die Autorin praktische Schritte ab, die man(n*) zum Aufbau einer Schutzeinrichtung nutzen kann. Dazu zählen Fragen nach Finanzierung, rechtlichem Rahmen oder bereits bestehenden Kooperationsnetzwerken. Der Inhalt dieses Buches ist als Bachelorarbeit an der Hochschule Zittau/Görlitz entstanden. Sie bündelt viel zu viel praxisrelevantes Erfahrungswissen, als dass sie in den Schubladen der Theorie nach unten rutscht. Der Asterisk * (Gender-Sternchen) steht für Akzeptanz und Berücksichtigung der geschlechtlichen Vielfalt.

Jana Peters wurde 1988 im sächsischen Leisnig geboren. Nach Realschule und zwei Ausbildungen sammelte sie in einem Schulprojekt praktische Erfahrungen in der Jugendarbeit. 2013 begann sie ihr Studium der Sozialen Arbeit an der Hochschule Zittau/ Görlitz. Für eines der Praxissemester wählte sie 2017 die Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen. Dort ist man dabei, ein landesweites Hilfenetzwerk für von häuslicher Gewalt betroffene Männer* aufzubauen. Im Rahmen eines Pilotprojektes Männer*schutz gelang es in Sachsen ab 2017 - bundesweit erstmals staatlich unterstützt - Männer*schutzwohnungen einzurichten. Bei einem begleitenden Netzwerktreffen lernte Jana Peters - ausschlaggebend für dieses Buch - Akteur*innen des Männer*schutzes im deutschsprachigen Raum kennen. Das aus den Befragungen der Beteiligten gewonnene Wissen bündelte sie in ihrer Bachelorarbeit, die sie 2018 verteidigte. Sie wurde mit 'sehr gut' benotet.

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Leseprobe

2. GRUNDSÄTZLICHE ERLÄUTERUNGEN


2.1 Differenzierung von Projekt und Einrichtung


Unter einem Projekt versteht man „ein Vorhaben, das zeitlich befristet ist, sich durch Neuartigkeit und Einmaligkeit auszeichnet sowie eine beachtliche Größe und einen hohen Grad an Komplexität aufweist“ (Bea, Scheurer, Hesselmann 2008, S. 30). Nach Ablauf der Projektdauer wird es entweder abgeschlossen, da das Ziel erreicht wurde oder die Ergebnisse den Abschluss befürworten. Oder es folgen neue Projekte bzw. das Projekt geht in eine zeitlich unbefristete Form über. Ein Projekt kann Teil einer Einrichtung sein.

Eine Einrichtung, lat. Institution, ist „ein Ort, der zu einem bestimmten Zweck errichtet wurde“ (Wortbedeutung.info. I Wörterbuch: Einrichtung (o. ED.)). Einrichtung wird in der vorliegenden Arbeit synonym mit Institution, Organisation und Unternehmen verwendet und meint den koordinierten sowie zweckgebundenen Zusammenschluss von Menschen und Ressourcen, also die Erbringung einer Dienstleistung (vgl. Wortbedeutung.info I Wörterbuch: Organisation (o. ED.)). Der Begriff „Leistungserbringer*in“ ist in Kapitel 7.1 expliziter definiert.

2.2 Definition von häuslicher Gewalt, ihre Folgen und Dynamiken


Gewalt ist „jede ausgeführte oder angedrohte Handlung (einschließlich der Duldung oder Unterlassung), die mit der Absicht oder mit der in Kauf genommenen Absicht ausgeführt wird, eine andere Person seelisch oder körperlich zu schädigen“ (Runder Tisch gegen Gewalt 1997). Häusliche Gewalt bezeichnet „alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer, (sozialer) oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts (...) vorkommen“ (Council of Europe 2011, S. 5). Es handelt sich um Gewalthandlungen in einer Partnerschaft, die aktuell besteht, die sich in Auflösung befindet oder die beendet ist. Gewaltausführende können ebenso der Ursprungsfamilie entstammen, Spezialfälle sind u. a. Zwangsheiraten. Aber auch andere Beziehungskonstellationen, wie Gewalt zwischen Geschwistern, von Eltern gegen ihre Kinder oder umgekehrt, werden unter häuslicher Gewalt verstanden (vgl. Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 1, 2017, S. 3). Betroffene wie Ausführende von häuslicher Gewalt stammen aus allen sozialen Schichten, sexuellen Orientierungen und allen Altersgruppen. Sie gehören unterschiedlichsten Konfessionen und Ethnien an.

Hauptmerkmale häuslicher Gewalt sind

  • die emotionale Bindung zwischen Geschädigten und Ausübenden,
  • die oftmals eigene Wohnung, in der die Gewalt passiert,
  • die Verletzung der körperlichen und/oder psychischen Integrität durch angedrohte oder ausgeübte Gewalt,
  • der längere Zeitraum, in dem die Gewalt stattfindet, wobei sich oft die Intensität steigert
  • das vorhandene Machtgefälle zwischen Geschädigten und Ausführenden, welches in gewaltvollen Beziehungen zu Dominanz, Kontrollverhalten und dadurch zu Gewalt führt (vgl. Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 1, 2017, S. 2)

(Landesarbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser Schleswig-Holstein 2014)

„Opfer häuslicher Gewalt empfinden ihre Situation oftmals als ausweglos:

  • Wo sie Geborgenheit erwarten, erleben sie Gewalt, denn der Täter ist oder war ein geliebter Mensch.
  • Bedrohung, Isolation und Kontrolle durch den gewalttätigen Partner verunsichern und erschüttern das Selbstwertgefühl.
  • Häufig sind Kinder betroffen; deshalb geht mit allen Folgeentscheidungen häufig die Sorge einher, den Kindern "einen Elternteil wegzunehmen", falls man sich zur Trennung entschließt.
  • Oftmals bestehen finanzielle Abhängigkeiten zwischen Opfer und Täter, was den Schritt zur Trennung erschwert“ (Weisser Ring e.V. 2010).

2.2.1 Folgen häuslicher Gewalt


Häusliche Gewalt ist strafbar. Sie stellt eine schwerwiegende Menschenrechts- und Grundrechtsverletzung mit gravierenden Folgen für die physische und psychische Unversehrtheit der Gewalterfahrenden dar. Gesundheitliche Schäden wie blaue Flecken, (Gesichts-) Verletzungen und Prellungen, Übelkeit, Erbrechen, Unterleibschmerzen und Genitalverletzungen, Verstauchungen und Brüche oder bei Frauen* Schwangerschaftsbeschwerden und Fehlgeburten, können durch körperliche Gewalt auftreten. Es können auch dauerhafte körperliche Schäden und chronische Schmerzen bleiben. Mögliche seelische und psychosomatische Folgen sind Ängste bis hin zu Panikattacken, ein geringes Selbstwertgefühl, Scham- und Schuldgefühle, Niedergeschlagenheit bis zu Depressionen und Suizidalität, Schlafstörungen, Albträume, Suchtmittelmissbrauch, Essstörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten sowie Probleme bei der Arbeit bzw. Ausbildung oder sexuelle Probleme (vgl. Gloor und Meier 2010, S. 31 f.). Dabei gilt „je stärker das Ausmass (sic!) an erlittener Gewalt, desto grösser (sic!) die Beschwerden“ (ebd., S. 32). Soziale und finanzielle Folgen können Stigmatisierung durch das soziale Umfeld, sozialer Rückzug bis hin zu Isolation, finanzielle Schwierigkeiten durch eine Trennung, ggf. Wohnungslosigkeit sein. Außerdem können aus einer Scheidung aufenthaltsrechtliche Folgen für Menschen mit Migrationshintergrund resultieren (vgl. Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 1, 2017, S.6).

Kinder sind in Gewaltbeziehungen immer mitbetroffen. Auch in Fällen, in denen Kinder nicht selbst Geschädigte sind, sondern „nur“ Zeugen von häuslicher Gewalt werden, stellt das Miterleben von Gewalthandlungen eine existentielle, emotionale und psychische Überforderungssituation mit weitreichenden Folgen dar. „Viele haben Angst, sind entsetzt und fühlen sich schuldig“ (Sauermost 2010, S. 87). Einige versuchen, den betroffenen Elternteil zu schützen oder zu trösten, benachrichtigen die Polizei oder Nachbarn und bringen jüngere Geschwister in Sicherheit.

Häufige Folgen von miterlebter Gewalt bei Kindern sind Angst, Erstarren bis Verstummen und Hilflosigkeit, Sorge um den betroffenen Elternteil und Anhänglichkeit an diesen, ständige Alarmbereitschaft in (auch geringeren) Bedrohungssituationen, Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, Albträume, Einnässen oder Einkoten, Gefühlskälte oder anderweitige heftige, ungewohnte Emotionsausdrücke (vgl. ebd., S. 89). Der Kontakt mit anderen Kindern kann sich schwieriger gestalten und „geprägt (...) von stereotypen Geschlechtsrollenbildern und einem aggressiven Verhaltensstil“ (ebd.) sein. Kinder, die häusliche Gewalt selbst erfuhren oder miterlebten, werden häufig im Erwachsenenalter selbst gewalttätig oder Betroffene von Gewalt durch den/die Partner*in (vgl. Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 3, 2012, S. 5).

Die Liste der aufgeführten Folgen ist unvollständig und ließe sich noch erheblich verlängern.

2.2.2 Gewaltmuster und -dynamik


In der Literatur werden drei Muster häuslicher Gewalt unterschieden. Die situative Partnergewalt meint ein spontanes Konfliktverhalten, „wenn Paare auf eine konkrete Konfliktsituation vor allem physisch, aber auch verbal übergriffig reagieren“ (Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 1, 2017, S. 5), um dort entstandenen Ärger expressiv gewaltvoll abzubauen. Dieses Gewaltmuster wird von Männern* wie von Frauen* zu gleichen Teilen angewandt. Es kommt meist zu keiner Steigerung der Gewalt über einen längeren Zeitraum (vgl. Schmid 2010, S. 38).

Der intime Terrorismus bezeichnet ein Muster systematischen Dominanz- und Kontrollverhaltens (vgl. ebd., S. 37), welches unterschiedliche kontrollierende, entwürdigende und machtmissbrauchende Verhaltensweisen beinhaltet. Unterschiede zum ersten Gewaltmuster sind die asymmetrische Machtverteilung zwischen dem/der Geschädigten und dem/der Gewaltausführenden sowie die Regelmäßigkeit und Schwere der Gewalt, die sich oftmals über einen längeren Zeitraum steigert (vgl. Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 1, 2017, S. 5). Intimer Terrorismus wird mehrheitlich von Männern* ausgeübt.

Der gewaltförmige Widerstand tritt nach langjähriger Gewalt und Misshandlung gegen den/die Ausübende*n auf. Grund dafür können Gedanken der Rache oder Befreiung aus der Gewaltbeziehung sein. Die Gewalthandlungen haben häufig sehr schwere Folgen bis hin zur Tötung. Meist sind es Frauen*, die gewaltförmigen Widerstand anwenden (vgl. Schmid 2010, S. 38).

Oft entwickelt sich häusliche Gewalt durch eine wesentliche Veränderung...

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