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Hotel kann jeder

Meine Frau, unser Wohnwagen und ich

AutorAndreas Austilat
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641118563
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Willkommen im Vorzelt zur Hölle
'Meine Frau stammt aus einer Camper-Familie. Ich wusste nicht, was das bedeutet. Mein Gott, ich war verliebt, da hört man nicht immer so genau hin. Die Fotos von diesem zahnsteinfarbenen Ei, das ihr Vater hinter dem Auto herzog und in dem sie die Sommer ihrer Kindheit verbracht hat, hielt ich für farbstichige Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit. Ich hatte ja keine Ahnung, dass dies mal meine Gegenwart werden würde ...'

Andreas Austilat, geboren 1957, ist stellvertretender Leiter des Ressorts Sonntag beim Tagesspiegel. Regelmäßig erscheint dort seine beliebte Kolumne 'Meine Frau, ihr Garten und ich'. Er ist verheiratet, hat Sohn und Tochter und lebt in Berlin - wenn er nicht gerade mit dem Wohnwagen unterwegs ist.

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Leseprobe

1

Wie wir wurden,
wie wir sind

Wusch, war er auch schon vorbei. »Papa, das war ein Ferrari!«, rief der Junge von hinten, »mit mindestens zweihundertfünfzig.« Mindestens. Erstaunlich, was so ein flaches Ding für einen Wind macht. Die Bö hatte den Wohnwagen erfasst, für Sekunden schlingerten wir wie ein Schiff in schwerer See. Meine Hände schwitzten, wahrscheinlich weil ich das Lenkrad derart fest gepackt hielt. Ich guckte in den Rückspiegel, ob noch einer kommt. Sie kommen oft paarweise, jagen sich gegenseitig. Mal angenommen, ich würde kurz rüber auf die Überholspur. Dann hätte der auch Stress, wenn plötzlich eine fahrende Schrankwand vor ihm auftaucht. War natürlich nur ein Gedanke, würde ich nie machen. Nachher knallt mir noch einer hinten in die Sitzgruppe. Ja: Die wahren Kapitäne der Straße fahren gemächliche achtzig, ziehen einen Wohnanhänger hinter sich her und zeichnen sich durch überlegene Friedfertigkeit aus.

»Wenn man eure Bilder so sieht, könnte man meinen, ihr wart entweder auf der Autobahn, oder ihr habt am Swimmingpool gelegen«, riss mich Basti aus meinem Vortrag, mit dem ich versucht hatte, meiner privaten Diashow die Würze zu geben. Sebastian ist mein kleiner Bruder. Das heißt, er ist gar nicht wirklich kleiner, nur deutlich jünger als ich, ein Nachzügler sozusagen.

»Ich dachte, du interessierst dich dafür, wie das so ist mit der Fahrerei«, antwortete ich ein wenig gereizt. Wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, das Programm zu straffen. Auf mindestens zehn Bilder, die unser Gespann aus Auto und Wohnwagen in verschiedenen Perspektiven zeigten – »elf Meter lang«, wie ich mehrmals einwarf, schon um zu unterstreichen, was für ein toller Kerl ich sein musste, so etwas wohlbehalten ans Urlaubsziel zu bringen –, folgte tatsächlich eine längere Sequenz Poolbilder. Ich hatte sie aus pädagogischen Gründen aufgenommen. Weil ich meiner Familie unbedingt demonstrieren wollte, dass diese modernen Campingplätze ganz anders sind, als sie sich das vorstellen. Also hatte ich den Pool in geschickten Einstellungen auf eine Weise in Szene gesetzt, dass er aussah wie in einer Bacardi-Werbung.

Das Problem ist doch, dass kaum jemand weiß, wie das wirklich ist, das Verreisen mit dem Wohnwagen. Schlimmer, auf der Autobahn werden Gespannfahrer gern als Hindernis betrachtet und um jeden Preis überholt. Weil, wer möchte sich schon dahinter einordnen? Und zu Hause mag niemand, der nicht dabei gewesen ist, die Urlaubsbilder sehen. Keine Frage, als Camper bekommt man leicht ein Imageproblem. Und auf Verständnis darf man schon gar nicht hoffen.

Das war an meinem Geburtstag nicht anders. Ich hatte mir lauter Dinge gewünscht, die ich für mein neues Camperleben brauchen konnte. Echtes Geschirr zum Beispiel ist im Wohnwagen unpraktisch. Jedes einzelne Stück muss sorgsam verpackt werden, alles zusammen ist wahnsinnig schwer. Eigentlich dürfte man gar nichts anderes mehr einladen, diese Anhänger sind nämlich erstaunlich schnell überladen, was erstens verboten ist und zweitens die Fahrerei nicht leichter macht. Ich wollte also Gläser aus Acryl und Teller aus Melamin.

»Wofür denn das?«, hatte Basti gefragt.

»Das ist besonders leichtes Geschirr«, versuchte ich ihm zu erklären, »und kaum kaputtzukriegen.«

Was machte Basti? Er brachte mir einen Satz Pappteller mit, weil die auch leicht seien, »und wenn einer kaputt ist, schmeißt du ihn weg.« Meine Güte, Melamin, das ist ein Spezialkunststoff, solche Teller sehen fast aus wie aus Porzellan, wiegen dabei nur einen Bruchteil und sind quasi unzerbrechlich. »Melamin klingt eklig«, sagte Basti zu seiner Verteidigung, »wie eine schlimme Hautkrankheit. Nimm die Pappteller. Und als Geschenk hab’ ich dir ein Buch mitgebracht.« Es handelte sich um John Steinbecks »Reise mit Charley«. Zumindest damit hatte Basti bewiesen, dass er mitdenkt. In dem Buch bereist Steinbeck seine amerikanische Heimat mit dem Wohnmobil. Ist zwar nicht dasselbe wie ein Wohnwagen, aber immerhin. Ich sagte ihm das. »Ich weiß«, antwortete er und befingerte einen Zelthammer, den mir mein Schwiegervater geschenkt hatte. »Was ist das denn?«

»Das ist ein Zelthammer, lass ihn liegen, bevor du was kaputt machst.«

Basti blinzelte durch seine Designerbrille. »Wofür braucht man den? Ich dachte, du bist mit dem Wohnwagen unterwegs?«

»Fürs Vorzelt. Damit kommst du in jeden Boden, selbst wenn er gefroren ist. Falls du dein Vorzelt mal im Winter aufbauen willst.«

Mein Bruder schüttelte sich. »Wer sollte so etwas tun?«, bemerkte er, während er den Zelthammer weglegte. Er klang jetzt gar nicht mehr amüsiert, sondern eher ein wenig besorgt.

Basti wohnt in Prenzlauer Berg, obwohl er sich schon fragt, ob das noch cool genug ist, und arbeitet irgendetwas in der Kreativbranche. »Campst du eigentlich bei jedem Wetter?« Bastis Lächeln wurde eine Spur breiter. Wahrscheinlich stellte er sich vor, wie ich im Freien saß, Pudelmütze auf dem Kopf, Decke über den Knien. Hinter mir der Caravan, über sieben Meter lang, zwei Meter dreißig breit. Vor mir eine Dose Bier. Weil, Camper sitzen nach landläufiger Meinung doch immer draußen und trinken Bier, im Sommer in Shorts, im Winter in der Trainingshose.

Dabei hätte es auch anders kommen können. Wenn Goethe zum Beispiel ein bisschen mehr riskiert hätte. Der alte Dichter, das heißt seinerzeit war er noch ein junger Dichter, ist auch Camper gewesen und sogar mit dem Wohnwagen verreist, 1792 nach Valmy. Weiß nur kaum jemand. Goethe selbst hat seinem Eckermann vorgemacht, er habe dort die Nacht in einem Zelt auf dem Boden verbracht. In Wirklichkeit soll er sich zur Schlafenszeit in einen mit Pferden bespannten Wohnwagen zurückgezogen haben, ausgestattet mit Diwan, Schreibtisch und Waschschüssel aus Porzellan. Warum Goethe das nicht zugegeben hat? Weil er wohl um seinen Ruf fürchtete, wenn sich die Zeitgenossen ihn in Trainingshose auf einem Klappstuhl vorstellen. Hätte der Meister mehr Bekennermut gehabt, der Wohnwagen wäre womöglich fester Bestandteil der deutschen Klassik geworden. Heute stünde er in der Mitte der Gesellschaft, wie in Holland, und ich wäre jetzt nicht in Erklärungsnot geraten.

»Is’ wegen der Kinder«, sagte ich und zeigte dem Onkel Bilder von seinem Neffen, wie er gerade eine Kartoffel ins Lagerfeuer hielt. Was man nicht sah, war, wie ich die verkokelte Knolle später wegwarf. »Kinder lieben Camping. Weil sie nichts mehr hassen als Hotelzimmer, wo ihnen das Zimmermädchen immer die Legosteine wegfeudelt.« Genauso ist es doch. Und die schicke Finca im Hinterland? Die hassen sie ebenfalls. Weil es ihnen nämlich furchtbar egal ist, ob abends die Sonne hinter Olivenhainen verglüht oder hinter einem kastenförmigen Doppelachser mit Fliegengittern vor jedem Ausstellfenster. Den Unterschied sehen sie gar nicht. Stattdessen fragen sie nur: »Was soll ich’n hier machen?« Und spätestens dann würde doch jeder die Finca hassen. Und bereit sein für den Campingplatz. Da gibt es keine Zimmermädchen, da gibt es nicht einmal Zimmer. Mit ein bisschen Glück gibt es Olivenbäume oder wenigstens mannshohe Büsche. Sollte man drauf achten, weil es nämlich sonst aussieht, als ob man seinen Urlaub auf einem Parkplatz verbringt. Nicht dass den Kindern das auffallen würde. Die sind sowieso den ganzen Tag weg. Genau das ist nämlich der große Vorteil von Campingplätzen: Wenigstens im Sommer gibt es dort Kinder in rauen Mengen. Und vom ersten Tag an haben sie keine Zeit mehr für ihre Eltern.

»Warum gehst du nicht in eins dieser Clubdörfer, da gibt es auch Kinder, und du hast ein anständiges Dach über dem Kopf.« Basti hatte natürlich keine Ahnung, was ein Urlaub in einem Clubdorf in der Hauptsaison kostete. Er hat nämlich keine Kinder, außerdem ist er Single.

»Die Queen«, sagte ich, »wusstest du, dass die Queen von England schon an Bord eines Wohnmobils gesehen wurde?« Was Besseres fiel mir gerade nicht ein, ich dachte nur, ich müsste ein bisschen mehr Luxus in die Geschichte bringen. Und es stimmt tatsächlich, ich hatte es in der Zeitung gelesen: Queen Elizabeth II. war mit ihrem Prinzgemahl an Bord eines Wohnmobils der Marke Bailey of Bristol gesehen worden. Der Artikel trug die Überschrift »The Queen goes Glamping.« »Man nennt das Glamping«, sagte ich also, »eine Mischung aus Glamour und Camping.« Die Queen selbst soll nach ihrer Spritztour, sie blieb für zweihundert Meter an Bord, übrigens gesagt haben, der Wagen fühle sich an wie ein richtiges Zuhause. Was da alles drin ist, sogar ein Herd und eine Heizung. Und der Prinzgemahl machte einen Verbesserungsvorschlag: Er hätte die Betten lieber längs statt quer eingebaut – wahrscheinlich, weil das im Buckingham Palast auch so ist. Oder auf der königlichen Jacht. Geordert hat Elizabeth später leider nicht. Darüber soll der Chef von Bailey ein bisschen enttäuscht gewesen sein.

Ich verstehe die Queen. Erstens ist ein Wohnmobil ziemlich teuer, das ist praktisch gar nicht reinzuurlauben. Und zweitens hat es auch Nachteile. Die Leute denken immer, mit diesen Wohnmobilen sei man irre mobil. Dann stehen sie irgendwo und merken, dass sie keine Brötchen haben. Oder das Bier ist alle. Also, packen sie alles wieder ein und fahren mit ihrem Riesenteil auf den Supermarktparkplatz. Ich dagegen kann am Ziel einfach abkoppeln, das Ding irgendwo hinstellen und habe immer noch das Auto. Toll ist das mit dem Wohnwagen. Doch davon wusste Basti zu diesem Zeitpunkt nichts. Vor allem wusste er nicht, dass er Jahre später mit uns einmal Urlaub in Frankreich machen würde, nein, nicht im, aber zumindest neben unserem Wohnwagen, wo er ein eigenes Zelt aufschlagen...

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