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Individualschutz bei Marktmissbrauch am Kapitalmarkt

AutorKonstantin von Dryander
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783640443925
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis54,99 EUR
Doktorarbeit / Dissertation aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Jura - Zivilrecht / Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Kartellrecht, Wirtschaftsrecht, Universität zu Köln, Sprache: Deutsch, Abstract: Gemäß der europäischen Marktmissbrauchsrichtlinie liegt Marktmissbrauch vor, wenn Anleger direkt oder indirekt geschädigt werden, indem andere Personen vertrauliche Informationen genutzt, verzerrend auf die Bildung des Kurses von Finanzinstrumenten eingewirkt oder falsche oder irreführende Informationen verbreitet haben. Die Verwendung privilegierten Wissens durch Insider und die Manipulation von Börsenkursen durch fehlerhafte Information oder verbotene Handelspraktiken wird vom übrigen Börsenpublikum seit jeher als ungerecht empfunden und hat zu erheblichen Vertrauensverlusten unter der Anlegerschaft geführt. Die vorliegende Arbeit untersucht, inwieweit der vom Gesetzgeber avisierte Anlegerschutz bei missbräuchlichen Eingriffen in den Kapitalmarkt hinsichtlich seines tatsächlichen Schutzes für den einzelnen Kapitalanleger ausgestaltet ist und welche Möglichkeiten des zivilrechtlichen Regresses sich für Geschädigte ergeben können. Soweit ein haftungsrechtlicher Schutz de lege lata nicht gegeben ist, erfolgt die Überlegung, inwieweit die Einräumung eines solchen haftungsrechtlich angebracht und praktisch möglich ist.

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Leseprobe

A. Gegenstand der Untersuchung


 

I. Einführung in die Problematik


 

Die Zahl der Aktionäre in Deutschland ist im ersten Halbjahr des Jahres 2008 um 528 000 gegenüber der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2007 gesunken, so dass zur Mitte des Jahres 2008 rund 3,5 Millionen Deutsche Aktien in ihren Depots hielten.[1] Ein länderübergreifender Blick auf die Statistiken über die Anteile der Aktionäre an der Bevölkerung offenbart, dass die Aktienkultur in Deutschland gegenüber anderen Wirtschaftsnationen erheblichen Nachholbedarf hat. Während in den Vereinigten Staaten rund die Hälfte der Bevölkerung direkt oder indirekt in Aktien investiert ist, der Anteil der Aktionäre in Schweden und Großbritannien 25 Prozent und in der Schweiz etwa 30 Prozent der Bevölkerung beträgt, hinkt Deutschland mit einer Aktienbeteiligung von gerade einmal 6 Prozent deutlich hinterher.[2] Empirische Untersuchungen belegen jedoch, dass Länder mit einem überwiegend kapitalmarktbasierten Finanzsystem und einem dementsprechend hohen Anteil an Aktionären in der Bevölkerung überdurchschnittliche Wachstumsraten sowie eine geringere Altersarmut und niedrigere Arbeitslosenzahlen aufweisen.[3] Zudem stellt die Eigenkapitalaufnahme über den Aktienmarkt für die Unternehmen eine wichtige Finanzierungsform sowie für den Bürger in der Rolle des Kapitalanlegers in zunehmendem Maße ein unverzichtbarer Bestandteil einer vernünftigen Altersvorsorge dar.

 

Ursächlich für diese Zurückhaltung gegenüber Dividendenpapieren in unserem Land vermag neben einer grundsätzlichen Risikoaversion des Durchschnittsdeutschen mangelndes Vertrauen in das System des Kapitalmarktes sein. Obgleich Aktien statistisch bei langfristiger Betrachtung die attraktivste Form der Kapitalanlage darstellen, zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass diese Angst vor dem Aktienmarkt nicht unbegründet ist. Viele Neuaktionäre mussten zur Jahrtausendwende ihr Engagement in Aktien mit zum Teil bitteren Verlusten bezahlen, so dass das Zutrauen in die im März 2003 begonnene Hausse ebenfalls äußerst begrenzt war.[4] Zweifellos stellt jede Investition in Aktien ein Unterfangen dar, dessen wirtschaftliche Folgen sich im Vorfeld nur schwer abschätzen lassen, nicht zuletzt, da die Entwicklung eines Börsenkurses neben der Geschäftsentwicklung des Unternehmens von einer Vielzahl externer Faktoren abhängig ist.

 

Nach Klaus J. Hopt, der sich intensiv mit der Thematik Anlegerschutz beschäftigt hat, lassen sich die Risiken, denen sich der Anleger im Rahmen seiner Investitionen am Kapitalmarkt ausgesetzt sieht, vereinfacht in Substanz-, Informations-, Abwicklungs-, Verwaltungs-, und Konditionenrisiko einteilen.[5] Im angelsächsischen Raum unterscheidet man nach dem bad faith risk, dem Risiko, das aus Betrug, Irreführung oder der gezielten Vorenthaltung wesentlicher Informationen resultiert, dem prudential risk, das auf dem Unternehmenszusammenbruch durch unfähiges Management oder auf Kapitalmangel basiert, sowie dem complexity oder unsuitability risk, das die Anleger bei Vornahme einer ihnen nicht verständlichen oder für ihre Belange ungeeigneten Anlage eingehen.[6] Das wirtschaftliche Risiko des Kapitalanlegers (performance risk), mit seiner Anlage nicht die erhoffte Rendite zu erzielen, ist der Kapitalanlage immanent und kann nicht mittels gesetzgeberischer Regulierung verringert werden, nicht zuletzt, da der Kapitalmarkt keine Rendite ohne die Inkaufnahme von Risiken abwirft. Würde der Staat versuchen, auf dieser Ebene legislatorisch einzugreifen und damit das Kapitalrisiko auf die Unternehmen verlagern, ginge dies zulasten der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und würde sich damit auch negativ auf die hiesige Volkswirtschaft auswirken.

 

Das größte Risiko, dem der Investor am Finanzmarkt ausgesetzt ist, stellt zweifellos das Informationsrisiko dar, also die Gefahr, dass ihm bei seiner Investition in ein Unternehmen wichtige Informationen, die für die Bewertung seiner Anlage maßgeblich sind, nicht oder nicht in dem benötigten Maße zur Verfügung stehen, so dass ihm eine risikooptimale Einschätzung seiner Anlage nicht möglich ist. Anders als bei realen Gütern können Beurteilung und Bewertung eines Wertpapieres nicht auf Grundlage des Produktes selbst erfolgen, sondern hängen entscheidend von aktuellen und zukunftsbezogenen Informationen über den Emittenten der gehandelten Wertpapiere ab. Die daraus resultierende Gefahr für den Anleger aufgrund seiner intellektuellen Unterlegenheit am Kapitalmarkt in die Irre geführt zu werden und auf dieser Basis eine falsche Anlageentscheidung zu treffen, kann mit Hilfe von Rechtspflichten für die Emittenten von Wertpapieren am Kapitalmarkt reduziert werden, ohne damit der Aktie ihren Charakter als Risikopapier zu nehmen. Neben dem Informationsrisiko besteht die kaum minder große Gefahr der Übervorteilung des einzelnen Anlegers, wenn andere Marktteilnehmer missbräuchlich in das Marktgeschehen eingreifen, indem sie z.B. privilegiertes Wissen verwenden oder ihre Macht, Einfluss auf Kurse nehmen zu können, in unerlaubter Weise gebrauchen.

 

Die Verwirklichung derartiger atypischer Risiken, die über das übliche Risiko einer renditeorientierten Kapitalanlage hinausgehen, hat sich im Verlauf des Bärenmarktes in den Jahren 2001 - 2003 gezeigt, in dem es zu einer erheblichen Vernichtung von Anlagekapital an den deutschen Börsen gekommen ist. Im Vorfeld dieses Kurseinbruchs hatten die zu Beginn bestehenden Gewinnaussichten weitreichende Anlegerkreise angezogen, so dass zeitweise ein regelrechter Aktienboom unter Privatanlegern zu verzeichnen war. Die große Nachfrage nach Aktien, insbesondere von Unternehmen, die dem Bereich der so genannten New Economy entsprangen, verführte einige Vorstände, die häufig zugleich auch Hauptaktionäre des von Ihnen geleiteten Unternehmens waren, dazu, das Bild ihrer Gesellschaft, sei es vor dem Gang an die Börse mittels „geschönter“ Angaben zur Erzielung eines möglichst hohen Emmissions-

 

erlöses oder nach dem Börsengang, um den Preis ihrer Aktien zu erhöhen, in der Öffentlichkeit positiver darzustellen, als es der tatsächlichen Lage entsprach. Sobald diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit der Öffentlichkeit bekannt wurde, verloren die Aktien dieser Unternehmen innerhalb kürzester Zeit erheblich an Wert. Während die Verantwortlichen vielfach die überhöhten Börsennotierungen zu profitablen Insidergeschäften nutzten, blieb dem Anleger die tatsächliche wirtschaftliche Lage seiner Gesellschaft aufgrund der zumeist asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer am Aktienmarkt vielfach lange Zeit verborgen, teilweise sogar bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft.

 

Zwischen März 2000 und März 2002 ist im Verlauf dieser Ereignisse einhergehend mit einer deutlichen Abkühlung der Weltwirtschaft der Marktwert allein der Aktien am mittlerweile aufgelösten Neuen Markt der Frankfurter Wertpapierbörse um annähernd 200 Milliarden Euro geschrumpft, was einem Wertverlust von etwa 90% entspricht.[7] Beobachtet werden konnte die gesamte Bandbreite an möglichen Anlegerschädigungen, angefangen bei unzulänglichen Zulassungsprospekten und intransparenten Zuteilungsverfahren, Bruch von Marktschutzvereinbarungen (so genannte lockups), zu spät oder gar nicht veröffentlichten Geschäften von Führungspersonen (so genannte Directors Dealings), Insidergeschäften, Marktmanipulationen, falschen oder unterlassenen Ad-hoc-Mitteilungen, Verstößen gegen Rechnungslegungsstandards bis hin zu Bilanzfälschungen und fehlerhaften Prüfertestaten.

 

Folge dieser Ereignisse war ein massiver Rückzug der Kleinanleger vom Börsengeschehen, von denen ein großer Teil bis heute trotz der Hausse in den letzten Jahren nicht zurückgekehrt ist. Als zu groß erweisen sich weiterhin die Vertrauensverluste in die Integrität der Unternehmensführungen und der Regulatoren des Marktes. Der Versuch einiger Anleger, bestimmte Beteiligte für die erlittenen Verluste juristisch zur Verantwortung zu ziehen, schlug mangels ausreichender Haftungsgrundlage bzw. praktischer Beweisschwierigkeiten in der Regel fehl. Bis heute lassen sich die Gerichtsentscheidungen, in denen Aktienanlegern ein Anspruch auf Schadensersatz zugesprochen worden ist, an einer Hand abzählen.[8]

 

Der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklungen an den Kapitalmärkten nach der Jahrtausendwende reagiert und in den letzten Jahren erhebliche Änderungen, insbesondere in Bezug auf die Publizitätspflichten der Emittenten von Wertpapieren, mit dem Anspruch den Anlegerschutz auf dem Kapitalmarkt zu verbessern, getroffen. Er hatte in diesem Zusammenhang auch erkannt, dass Vertrauen in die Integrität und Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes Voraussetzung für eine kostengünstige Kapitalaufnahme der deutschen Unternehmen und ein bedeutsamer Faktor für die Standortqualität unseres Landes ist. Darüber hinaus geht ein großer Teil (ca. 80 %) der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung auf europäische Harmonisierungsakte zurück. Die einheitlichen Standards sollen insoweit einen race to the bottom verhindern, als die Unternehmen davon abgehalten werden, sich zur Emission ihrer Aktien an diejenige Börse zu begeben, die der geringsten...

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