Jugendliche mit besonderem Förderbedarf weisen oft eine Lernbehinderung auf, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist. In der Regel fallen bei Menschen geistige oder körperliche Behinderungen sofort auf. Eine Lernbehinderung, sieht man im Gegensatz dazu den Menschen auf den ersten Blick nicht an. Der Umgang mit Lernbehinderten wird durch die fehlende Offensichtlichkeit nachhaltig erschwert.[8]
Lernbehinderungen sind Anhäufungen von miteinander zusammenhängenden Symptomen, d.h. von Kennzeichen oder charakteristischen Merkmalen für einen bestimmten Zustand oder eines Störungsbildes.[9] Die Übergänge sind fließend und zeigen dabei auf der einen Seite eine Normalbegabung und auf der anderen Seite eine geistige Behinderung auf. Auffälligkeiten im Sozialverhalten der Jugendlichen zeigen sich im pädagogischen Alltag, z. B. durch Überforderung, oder einfach beim Überspielen und Ablenken der vorhandenen Defizite.
Die Lernbehinderung kann dabei sowohl geistige, seelische und körperliche Funktionsebenen betreffen. Dabei handelt es sich um ein recht komplexes Phänomen, das sich je nach Art und Ausprägung oft nur im Zusammenspiel von allen Funktionsebenen beobachten und wahrnehmen lässt.
Es können bei einer Lernbehinderung einzelne bestimmte Symptome von verschiedenen psychischen Störungen auftreten. Somit lässt sich, wenn man nur das Symptom für sich allein betrachtet, schwer erkennen, welche Störung vorliegt. Das Syndrom gibt aber die Ausprägungen verschiedener wichtiger Anzeichen wieder und ermöglicht als Ganzes eine genauere Diagnosestellung.[10]
Lernstörungen zeigen sich durch schlechte Leistungen, trotz intensiven Lernens. Lesen und Rechnen zum Beispiel, werden nicht in ausreichender Qualität in einer angemessenen Zeit erworben. Trotz der vorhandenen Lehrangebote, werden die Lernziele nicht erreicht. Es zeigen sich umfangreiche Störungen beim Lernen.[11]
Abbildung 1: Arten von Lernstörungen (Klassifizierung nach Klauer & Lauth, 1997)[12]
Bei einer Lernbehinderung ist das Lernen auf breiter Front, d.h. in den meisten schulischen und außerschulischen Bereichen beeinträchtigt. Die intellektuellen Fähigkeiten sind bei diesem Personenkreis begrenzt. Lernbehinderung ist aber keine umfassende Behinderung einer allgemeinen Lernfähigkeit, denn eine allgemeine Lernfähigkeit gibt es nicht.[13]
Der Begriff „Lernbehinderung“ ist keine eindeutig definierte Behinderungsform, sondern ein Arbeitsbegriff. Dieser eher funktionale Behinderungsbegriff signalisiert, dass die betroffenen Jugendlichen längerfristig erhebliche Beeinträchtigungen in ihren Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten haben werden. Eine Lernbehinderung wirkt sich beruflich und gesellschaftlich chancenmindernd und benachteiligend aus, weil die lebensrelevanten Kompetenzen, wie Bildung und verschiedene Fertigkeiten nicht ausreichend vorhanden sind.
Lernbehinderung zeigt ein Missverhältnis zwischen den Handlungs- und Lernmöglichkeiten eines konkreten Kindes und den im Bildungssystem festgelegten Lernanforderungen, wie z.B. den Bildungsplänen[14], an.
Es gibt bis heute keine allgemein verbindliche und eindeutige Definition für „Jugendliche mit besonderem Förderbedarf“. Folgt man den Ausführungen der wissenschaftlichen Begleitforschung, so handelt es sich insgesamt um eine Gruppe, die zumindest eine der drei Arten von Benachteiligungen aufweisen.[15]
Soziale Benachteiligung, z.B. soziale Herkunft, schulische Vorbildung, Geschlecht oder Migrationshintergrund
Lernbeeinträchtigungen, die sowohl die kognitiven Lernvoraussetzungen als auch Verhaltensauffälligkeiten betreffen.
Marktbenachteiligungen, die sich aus der Struktur des Berufsbildungs- und Beschäftigungssystems ergeben und auf Verdrängungsprozesse im Wettbewerb und knappe Ausbildungsplätze verweisen[16]
Die Entwicklung einer Lernbehinderung wird von Einflussfaktoren begünstigt, die in drei Gruppen eingeteilt werden:
Bei der Gruppe der körperlichen Faktoren werden alle Einflüsse, wie körperliche Störungen, Anlagen oder Vererbung, die einen negativen Einfluss auf das Lernen haben, zusammengefasst.
Soziale Faktoren sind alle Einflüsse des sozialen Umfeldes und des Elternhauses, die das Lernen erschweren.
Die psychisch-emotionalen Faktoren zeigen sich z.B. in den Anpassungsversuchen des lernbehinderten Jugendlichen. Die Bewältigung, bezüglich der körperlichen und sozialen Einflüsse, wird bei diesen Faktoren zusammengefasst.
Diese o.g. Einflussfaktoren interagieren miteinander und können sich im schlimmsten Fall noch verstärken.[17]
Abbildung 2: Einflüsse auf die Entwicklung einer Lernbehinderung.
Genetik: Defekte im genetischen Erbgut, können das Gehirn auf verschiedene Arten schädigen, welches sich dann auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirkt.
Vererbung: Untersuchungen in den 1980er Jahren haben festgestellt, dass kognitive Schwäche vererbbar ist. So liegt z.B. die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind ungefähr den Intelligenzquotienten seiner Eltern erbt, bei 80 %. Selbstverständlich können normale Eltern aufgrund anderer Faktoren, ein leistungsschwaches Kind haben.[18] Die Chance, dass schwache Eltern ein normal begabtes Kind bekommen, ist jedoch gering.[19]
Komplikationen in der Schwangerschaft und bei der Geburt: Dies ist die häufigste Ursache für kognitive Schädigungen und damit auch für eine Minderbegabung. Zu den schwangerschaftsbedingten Belastungen gehören alle Vorkommnisse, welche die reguläre Sauerstoff- Nährstoffversorgung des Kindes gefährden, wie z. B. bei einer Frühgeburt. Stoffwechselstörungen und Organerkrankungen der Mutter, sowie der Missbrauch von Alkohol, Nikotin oder Drogen während der Schwangerschaft, erhöhen das o.g. Risiko.[20]
Unfälle mit Kopfverletzungen oder der Sauerstoffunterversorgung: In der Kindheit führen Unfälle, vor allem Unfälle mit Schädel-Hirn–Trauma, z. B. bei Sturz, oder mit Atemausfällen, wie z. B. beim Ertrinken, zu schweren kognitiven Beeinträchtigungen.[21]
Angst: Diese Menschen sind im Sozialkontakt schüchtern und trauen sich dadurch grundsätzlich weniger zu. Die Neigung zur Angst ist eine angeborene Persönlichkeitseigenschaft.
Stress: Entwicklungsunangemessene Anforderungen der Eltern, Lehrer und Ausbilder, führen zur ständiger Überforderung. Diese Menschen stellen ihr Explorationsverhalten für alle, außer für die geforderten Leistungsbereiche, oft ein. Daraus können sich frühzeitig bei den Betroffenen Versagensängste und in der Folge, häufiger psychische Störungen entwickeln, als bei nicht gestressten Jugendlichen.
Psychische Erkrankungen: Diese Erkrankungen im Jugendalter vermindern die Leistungsfähigkeit bei normaler Begabung um zwei Schulstufen.[22]
Werte, Normen und Einstellungen: Motivation spielt für die Lernleistung eine enorm wichtige Rolle. Werte, Normen und Einstellungen bestimmen maßgebend mit, ob und wofür sich ein Mensch interessiert.[23]
Erste Eindrücke davon, wie das Leben funktioniert, werden den Kindern über die Vorbilder der Erwachsenen...