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E-Book

Irrwege der modernen Dressur

Die Suche nach einer 'klassischen' Alternative

AutorPhilippe Karl
VerlagCadmos Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783840460548
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Philippe Karl, einer der mutigsten Kritiker einer Dressurwelt, für die ein Pferd 'Material' ist und deren Ausbildungsmethoden einzig darauf abzielen, ein Pferd möglichst schnell in mit hohen Preisgeldern dotierten Prüfungen an den Start zu bringen, legt mit diesem Buch den Finger in die Wunde. Auf der Grundlage der psychischen, anatomischen und physiologischen Voraussetzungen des Pferdes analysiert der Autor die Grundsätze der modernen Dressur, wie sie in den Richtlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) festgeschrieben sind. Mit Gegenüberstellungen von Auffassungen der größten Meister der Reitliteratur von La Gueriniere bis Baucher gelingt es ihm, Dogmen und Irrwege aufzudecken und einen Lösungsweg aufzuzeigen, der hinausführt aus der Sackgasse, in der sich die auf Turnieren gezeigte Dressur heute befindet. Anschauliche Zeichnungen - von Philippe Karl selbst erstellt - und zahlreiche Fotos ergänzen das umfangreiche Werk.

Philippe Karl, gelernter Züchter und vielseitiger Reiter, ist in allen Sparten der Reiterei aktiv. Dreizehn Jahre lang war er im Cadre Noir, der französischen Elitereitschule in Saumur, als Bereiter tätig. Als begeisterter Reitlehrer unterrichtet Karl, der in Südfrankreich lebt, Schüler auf Lehrgängen vor allem in Deutschland, Italien und der Schweiz. Seine bisherigen Buchveröffentlichungen 'Hohe Schule an der Doppellonge' und 'Reitkunst' sind in mehrere Sprachen übersetzt worden und haben internationale Bedeutung erlangt.

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Leseprobe

Die Meister des Einrollens:
Das extrem tiefe und enge Einstellen des Pferdes mit der Nasenlinie weit hinter der Senkrechten ist heutzutage modern – diese Fotos wurden auf den Abreiteplätzen internationaler Turniere aufgenommen. Fotos: Toffi

 

• Nackenband

Die oberen Bänder werden extrem und für übermäßig lange Zeit gedehnt; es kommt zu Faserrissen, Schädigungen an den Ursprungs- und Ansatzpunkten der Bänder sowie Entzündungen. Der Hals ist in seiner Mitte wie gebrochen und verliert seine Spannkraft.

 

• Ohrspeicheldrüsen

Sie werden extrem zusammengedrückt, ohne dass sie sich durch ein behutsames, allmähliches Vorgehen an diese Verformung hätten anpassen können. Häufig führt dies zu sehr schmerzhaften Entzündungen und Verhärtungen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.

 

• Augen und Ohren

Wie Dominique Ollivier in seinem Werk „La vérité sur l’équilibre“ (Editions Belin, deutsch: „Die Wahrheit über das Gleichgewicht“) ausführt, nutzt das Pferd – genau wie der Mensch – drei Bezugssysteme, um seine Haltung und Bewegungen den Gleichgewichtsanforderungen anzupassen: den Boden, die Umgebung und die Schwerkraft.

Den Boden nimmt das Pferd taktil über die Hufe wahr. Dabei koordiniert es seine Bewegungen derart, dass sein Gewicht senkrecht oberhalb der Stützpunkte bleibt.

Die Umgebung, die das Pferd über das Auge erfasst, hilft ihm, alle Geschehnisse über große Entfernungen hinweg bewerten und entsprechend schnell reagieren zu können. Allerdings weiß man, dass der Teil des Sehfeldes, in dem das Pferd mit beiden Augen sieht (binokulares Sehfeld), nur einen äußerst geringen Winkel abdeckt und lediglich dann bis in die Ferne reicht, wenn es den Kopf in der so genannten Wachsamkeitshaltung bei offenem Genick hoch trägt.

Ist das Pferd im Hals eingerollt, kann es auf beiden Seiten nur noch sehr begrenzt mit je einem Auge sehen. Der binokulare Bereich ist dann derart eingeschränkt, dass das Pferd kaum noch erkennt, wo es die Hufe hinsetzt. Es ist gezwungen, mehr oder weniger blind vor sich hin zu laufen. Derart von ihrer Umgebung abgeschnittene Pferde verlieren oft jeglichen Ausdruck und wirken wie autistisch.

Die Schwerkraft als das dritte Bezugssystem für den Erhalt des Gleichgewichts wird über das Innenohr erfasst. Hier befinden sich die drei so genannten Bogengänge, die senkrecht zueinander angeordnet sind und es dem Pferd erlauben, sich im dreidimensionalen Raum zu orientieren. Darüber hinaus befinden sich in diesen Bogengängen Sensoren, die die Beschleunigung in senkrechte, waagerechte und seitliche Richtung registrieren.

All diese taktilen, visuellen und schwerkraftbezogenen Informationen werden vom Gehirn verarbeitet. In extremen Situationen stabilisiert das Pferd seinen Kopf deshalb – wie andere Lebewesen auch – in einer Haltung, in der dieses „Navigationssystem“ optimal funktioniert: Dies ist der Grund, warum Trab- und Galopprennpferde ebenso wie Springpferde ihren Kopf so halten, dass die Stirn-Nasen-Linie einen Winkel von 20 bis 30 Grad zur Senkrechten bildet.

In „La vérité sur l’équilibre“ kommt Dominique Ollivier diesbezüglich zu folgendem Schluss: Entfernt man den Kopf des Pferdes deutlich und dauerhaft von seiner natürlichen Referenzposition und entzieht dem Tier dabei außerdem die visuellen Bezugspunkte, so verursacht man mit großer Wahrscheinlichkeit Gleichgewichtsbeschwerden. Auch wenn beim Pferd bisher dazu noch keine Studien durchgeführt wurden, sind sie beim Menschen und zahlreichen anderen Tierarten wohl bekannt und experimentell bestätigt.

 

Beim Einrollen werden die oberen Bänder sehr stark und lange gedehnt und dadurch geschädigt. Die Ohrspeicheldrüsen werden extrem zusammengedrückt.

 

Das Pferd kann nur in einem sehr begrenzten, hier gelb gekennzeichneten Bereich mit beiden Augen sehen. Dieses Feld reicht nur dann bis in die Ferne, wenn das Pferd den Kopf bei offenem Genick hoch trägt. In eingerollter Haltung kann es kaum noch erkennen, wo es die Hufe hinsetzt.

 

 

Das „Navigationssystem“ im Innenohr ist für den Erhalt des Gleichgewichts zuständig. Es funktioniert nur dann optimal, wenn die Stirn-Nasen-Linie des Pferdes einen Winkel von 20 bis 30 Grad zur Senkrechten bildet.
(Nach „La vérité sur l'équilibre“ von Dominique Ollivier, Editions Belin)

 

Beim eingerollten Pferd sind die Arm-Kopf-Muskeln auf beiden Seiten des Halses verkürzt und angespannt. Eine Blockade der Schulterbewegung und rückständige Vorderbeine sind die Folge. Zudem ist eine seitliche Biegung des Halses in dieser Haltung nicht möglich.

 

In dieser Kopfhaltung kann das Gleichgewichtssystem des Innenohres nicht mehr ungehindert arbeiten.
Foto: Toffi

 

In Situationen, die das Pferd extrem fordern, hält es den Kopf so, dass das „Navigationssystem” im Innenohr optimal arbeiten kann: Daraus ergibt sich die charakteristische Kopfhaltung mit offenem Genick zum Beispiel beim Trabrennpferd …

 

… und beim Galopprennpferd.
Fotos: Laurioux

 

• Arm-Kopf-Muskel

Dieser Muskel (M. brachiocephalicus) verbindet auf beiden Seiten den Kopf mit dem Oberarm. Geht das Pferd eingerollt, so sind diese Muskeln verkürzt und bis aufs Äußerste angespannt, was die Bewegung der bereits überlasteten Schultern zusätzlich blockiert.

Das Pferd neigt dann dazu, über seine Vorderbeine nach vorn zu kippen und wird rückständig – mit all den bereits beschriebenen negativen Auswirkungen. Hinzu kommt, dass das Einrollen mit einer beidseitigen Verkürzung der Arm-Kopf-Muskeln einhergeht – die mit der seitlichen Biegung des Halses unvereinbar ist. Das Einrollen macht deshalb seitliche Lockerungsübungen unmöglich.

Ebenso verhindert es, dass die von Kopf und Hals gebildete Balancierstange an den für den Bewegungsablauf notwendigen Schwingungen der Wirbelsäule teilnimmt.

 

Ein eingerolltes Pferd kann den Hals nicht korrekt seitlich biegen, da die Arm-Kopf-Muskeln beidseitig verkürzt sind.
Foto: Toffi

 

• Lange Rückenmuskeln

Die langen Rückenmuskeln (M. longissimus dorsi) verbinden das Becken mit den Wirbeln am Halsansatz. Sie können nur dann gedehnt werden, wenn sich der Hals in der Waagerechten streckt.

Das Einrollen entsteht jedoch aus einer übermäßigen Beugung des vorderen Halsteils (was mit einer Dehnung des Riemenmuskels [M. splenius] und des M. complexus einhergeht) und einer Blockierung des Halsansatzes, die die langen Rückenmuskeln unbeeinflusst lässt.

Hat man jemals ein Pferd gesehen, das sich beim Freispringen über dem Hindernis einrollt, um sich mehr zu runden und besser „über den Rücken“ zu springen? Im Gegenteil: Es streckt sich, die Nase nach vorn gereckt!

 

• Kontakt zwischen Reiterhand und Pferdemaul

Der Reiter ist zufrieden; er glaubt, das Pferd sei „entspannt“ und „im Gleichgewicht“, da es nicht auf der Hand liegt. Tatsächlich aber geht es stark auf der Vorhand und fühlt sich sehr unwohl; es stützt sich jedoch nicht mehr auf dem Gebiss ab, weil es hinter den Zügel gekommen ist. Gleichgewicht und Kontakt zur Reiterhand sind somit entkoppelt.

Das Pferd lernt, indem es sich verkriecht, den Zügel nicht mehr anzuspannen. Dieses Verkriechen hinter die Hand birgt die Gefahr, dass das Pferd schließlich auch hinter den Schenkel kommt und sich verhält beziehungsweise widersetzlich wird.

Adieu, Gleichgewicht! Adieu, Aktivität!

 

Es bleibt festzuhalten: Das Einrollen ist eine widernatürliche Haltung, die durch rückwärts gerichtete Handeinwirkung und diverse Zwangsmittel erreicht wird. Es zeugt von einer vulgären Auffassung des An-die-Hand-Stellens, die aus einer schwerwiegenden Unkenntnis der Anatomie und Physiologie des Pferdes entspringt. Dass manche Größen des internationalen Dressursports das Einrollen zu rechtfertigen suchen und unter der Bezeichnung „Rollkur“ Werbung dafür machen, ändert daran nichts. Das Einrollen ist ein autoritäres und grobes Dominanzmittel, mit dem das Pferd eines Großteils seiner Fähigkeiten beraubt wird und das aus dem stolzen Begleiter des Menschen einen in Ketten liegenden Sklaven macht.

Auf Bewegungsablauf und Gleichgewicht des Pferdes hat das Einrollen fatale Auswirkungen: Da die Schultern überlastet und in ihrer Bewegung eingeschränkt sind, übereilt das Pferd im Schritt die Bewegung der Vorderbeine. Anstatt sich zu streck­en und seine Rolle als Balancierstange zu erfüllen, ist der Hals blockiert und zusammengezogen und kann deshalb die Rückenmuskeln nicht dehnen. Dadurch bedingt erstarren nach und nach die natürlichen Schwingungen der Wirbelsäule, die den Motor des gesamten Bewegungsablaufs...

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