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Israel, mein Freund

Stimmen der Versöhnung aus der islamischen Welt

AutorCarmen Matussek
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783775173490
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Bücher wie Hitlers 'Mein Kampf' sind in vielen islamischen Ländern seit Jahrzehnten Bestseller. Entsprechend häufig sind dort Vorurteile gegen Juden anzutreffen. Aber es gibt auch Muslime, die diese antisemitische Prägung hinterfragt haben - und nun Israel verteidigen, manchmal unter Einsatz ihres Lebens. Einige davon hat Carmen Matussek persönlich kennengelernt. Was sie erzählen, gibt einen erschütternden Einblick in die Israelfeindlichkeit in der islamischen Welt - aber weckt auch die Hoffnung, dass Versöhnung und Frieden möglich sind.

Carmen Matussek Jg. 1983, ist Islamwissenschaftlerin und Historikerin (M.A.) und hat sich intensiv mit dem Thema Antisemitismus in der islamischen Welt beschäftigt. Ihre Erkenntnisse hat sie auch veröffentlicht. Sie spricht fließend Persisch und sammelte in Israel und verschiedenen arabischen Ländern persönliche Erfahrungen. Sie lebt und arbeitet als freie Journalistin und Lektorin in Tübingen.

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Leseprobe

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Mina Abdelmalek –
Ein junger Ägypter informiert die arabische Welt über den Holocaust


Von Tel Aviv nach Kairo


Bevor Mina seine Geschichte erzählt, möchte ich kurz das Land vorstellen, aus dem er kommt: Ägypten. Ich war nur einmal dort und auch das nicht sehr lange, aber dafür umso intensiver. Auf der Forschungsreise für meine Magisterarbeit flog ich 2008 von Tel Aviv nach Kairo.

Diese Reise war mit einigen Komplikationen verbunden. Als ich am Abend des 25. Mai 2008 endlich in Kairo landete, trug ich neben meinem Koffer und meiner Laptoptasche einen übergroßen Pappkarton vor mir her. Darin hatten die israelischen Flughafenangestellten mein Shampoo verpackt. Sicher ist sicher.

Aus Israel nach Ägypten auszufliegen, mit einem Koffer voller antisemitischer Literatur auf Arabisch, war nicht so einfach gewesen. Zum Glück hatte Robert Wistrich in weiser Voraussicht seine Sekretärin angewiesen, den Großteil der Kopien per Post an meine deutsche Adresse zu schicken. Das Material, das ich so mühevoll für meine Magisterarbeit zusammengesucht hatte, hätte es vielleicht nicht über die Grenze geschafft. Die israelischen Beziehungen zu den arabischen Nachbarn waren immer angespannt, und Israel muss besonders aufpassen, wer und was die Grenze überquert. Wäre mein Shampoo auf irgendeine Weise für Ägypten gefährlich gewesen, hätte Ägypten Israel dafür verantwortlich machen können.

Nachdem die Beamten den Grund meiner Reise erfragt, mein verdächtiges Gepäck entdeckt und meine Arabischkenntnisse geprüft hatten, durchsuchten und verhörten sie mich bis in die hinterletzten Winkel. Meine Uhr hatte ich ablegen müssen. Deswegen konnte ich nur ahnen, wie die Minuten bis zum Abflug verstrichen. Ich war froh, dass ich am Ende noch mitfliegen durfte.

Ich hatte den Test besser bestanden als mein Shampoo. Das hatte ich nämlich aus zwei verschiedenen Shampoos zusammengemixt. Irgendeines dieser piepsenden Geräte hat sofort gemerkt, dass da etwas nicht stimmt.

Mir wäre es zu diesem Zeitpunkt gar nicht so unrecht gewesen, wenn ich in Israel hätte bleiben müssen. Es war mein erster Aufenthalt dort gewesen, und ich verspürte eine Art »Heimweh« seit dem Moment, als ich in Jerusalem in das Sherut-Taxi gestiegen war, das mich zum Flughafen in Tel Aviv bringen sollte. Ich hatte keine Ahnung, was mich in Ägypten erwarten würde. Meine Zeit in Israel hatte ich gut planen können. Ich wusste vorher schon ungefähr, wann ich mich wo mit wem treffen würde. Für meine Zeit in Kairo gab es keine Pläne. Vorab hatte ich keine Kontakte knüpfen können und kannte niemanden.

Als angehende Antisemitismusforscherin hatte ich in Israel offene Türen eingerannt. In Ägypten würde ich eher aufpassen müssen, nicht für einen Mossad-Spion gehalten zu werden, also eine Agentin des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Mein Professor hatte mir sogar verboten, in Kairo offene Forschung zu betreiben, zum Beispiel Fragebögen ausfüllen zu lassen und systematisch die Buchläden nach antisemitischer Literatur zu durchsuchen. Das sei nicht ratsam.

Wie sollte ich also fast vier Wochen in dieser riesigen Stadt sinnvoll nutzen? Schließlich war ich nicht zum Urlaubmachen dort und außerdem allein unterwegs. Ich hätte wirklich nichts dagegengehabt, wenn ich mit meinem Shampoo den Flieger verpasst hätte.

Aber da stand ich nun nachts in Kairo und beschloss, irgendwie das Beste aus der Situation zu machen. Ich konnte mich auf Arabisch unterhalten, zwar nicht sehr gut, aber ausreichend. Ich würde Ägypter kennenlernen, Undercover-Interviews führen und erfahren, was die Leute auf der Straße über Israel und die Juden dachten. Die vielen Erfahrungen, die ich bei persönlichen Begegnungen sammelte, waren für meine wissenschaftliche Arbeit nicht verwertbar, aber für mich selbst umso eindrücklicher.

Ich war damals in einem christlichen Hotel untergebracht und besuchte verschiedene christliche Gemeinden. Dort fand ich schnell Freunde, mit denen ich meine freie Zeit verbringen konnte. Eines Abends war ich bei einem frisch verheirateten Ehepaar zum Abendessen eingeladen. Sie waren verantwortlich für den Kindergottesdienst in ihrer Gemeinde und hatten mich gleich adoptiert. Ich sollte mich bei ihnen wie zu Hause fühlen.

Die Leute dort tragen für gewöhnlich im Haus andere Kleidung als auf der Straße. Jeans und Hemd oder Bluse sind zu unbequem für einen gemütlichen Abend. Ich hatte mich extra schick gemacht, und ich tat ihnen wohl leid in meinem Aufzug. So bekam ich ein rosa-gelb-gestreiftes Nachthemd mit einem Quietsche-Entchen-Aufdruck ausgeliehen und später geschenkt. Ich habe es heute noch.

Wir saßen also mit unseren Wohlfühlklamotten beim Essen und unterhielten uns in fließendem Englisch. Der Mann hatte in England Medizin studiert. Sie fragten mich nach dem Ziel meiner Reise und ich erzählte ihnen von den Protokollen der Weisen von Zion und meiner Magisterarbeit. Interessiert legte der junge Arzt sein Besteck zur Seite und fragte mich: »Wenn du dich mit diesen Sachen auskennst – sag mal: Der Holocaust – ist da was dran?«

Mit ähnlichen Fragen war ich immer wieder konfrontiert. Ich stieß auf erschreckende Unkenntnis, aber fand besonders unter den Christen auch echtes Interesse und offene Ohren. Ich erinnere mich an einen anderen gestandenen jungen Mann, dem die Tränen in die Augen stiegen, als ich ihm seine Fragen zum Holocaust beantwortete. »Das habe ich nicht gewusst«, flüsterte er.

Ich kenne die Namen dieser Leute und habe teils noch Kontakt zu ihnen. Aber sie wollen nicht namentlich genannt werden. Sie haben Angst. Die falschen Leute könnten erfahren, dass das Schicksal der Juden sie berührt hat.

Holocaustleugnung in der islamischen Welt


Die Fakten über den Holocaust werden in nahezu der gesamten islamischen Welt bewusst verschwiegen oder geleugnet. Eine Ausnahme bilden die Türkei und Albanien. Beide Staaten haben Beobachterstatus in der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA, bis 2013 »Task Force für Internationale Kooperation bei Holocaust-Bildung, -Gedenken und -Forschung«). Unter den Mitgliedern der Organisation gibt es aber bislang keine Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung.

In der Türkei wird seit 2011 jährlich öffentlich der Holocaustgedenktag begangen. Türkische Politiker besuchen KZ-Gedenkstätten und Antisemitismuskonferenzen und sitzen in verschiedenen Ausschüssen zu diesem Thema. Es bestehen Kooperationen mit dem United States Holocaust Memorial Museum, Yad Vashem, dem Anne Frank Haus und dem Aladdin Project in Paris. Sie organisieren Schulungen für Lehrpersonal und Gedenkstättenbesuche für Schüler und Akademiker.29

Gleichwohl ist Antisemitismus in der türkischen Bevölkerung sowie in Literatur, Fernsehen und Zeitungen weit verbreitet. Verschiedene antisemitische Fernsehproduktionen wie Tal der Wölfe und Ayrilik haben in der Vergangenheit Aufsehen erregt. Auch die iranische Produktion Zahras blaue Augen, in der Juden palästinensischen Kindern Organe für den eigenen Bedarf entnehmen, ist in der Türkei übersetzt und ausgestrahlt worden.30

Die Journalistin Cigdem Toprak beschrieb die aktuelle Lage in der Türkei so: »Vor 500 Jahren fanden die Vorfahren der heutigen türkischen Juden im Osmanischen Reich Schutz vor dem europäischen Antisemitismus und haben zum multikulturellen Leben des Landes positiv beigetragen. Heute sind sie als türkische Staatsbürger antisemitischen Hassparolen in den türkischen Medien schutzlos ausgeliefert.

Die türkische Regierung schaut tatenlos zu, wie ihre eigenen jüdischen Staatsbürger von Popstars, regierungsnahen Journalisten und Twitter-Usern für den Israelisch-Palästinensischen Konflikt, für kritischen Journalismus und sogar den PKK-Terror angefeindet werden. In Zeiten der Pressezensur, der schwächelnden Unabhängigkeit der Justiz und einem bewaffneten Konflikt in der Türkei existiert momentan keine Kraft, dem Antisemitismus effektiv entgegenzusteuern.«31

Albanien hat zur Zeit des Nationalsozialismus Juden aufgenommen und geschützt und war am Ende des Zweiten Weltkrieges das einzige Land Europas, in dem es nach dem Krieg mehr Juden gab als zuvor. Die albanische Regierung und Bevölkerung hatten sich geweigert, ihre jüdischen Einwohner auszuliefern. Stattdessen hatten sie jüdischen Flüchtlingen falsche Papiere besorgt und sie vor der Wehrmacht versteckt. Nach dem Krieg lag es an der kommunistischen Herrschaft in Albanien, nicht am Islam, dass Juden ihre Religion nicht frei ausüben konnten und viele das Land verließen. Die wenigen bis heute im Land verbliebenen Juden haben keine eigene Infrastruktur wie Schulen, Synagogen oder Friedhöfe.

Die Türkei und Albanien sind auch die einzigen islamischen Länder, in denen der Holocaust explizit in Schulbüchern behandelt wird. Das ergab eine UNESCO-Studie, die Anfang 2015 erschien.32

Für die überwältigende Mehrheit der Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung gilt, dass der Holocaust entweder nicht thematisiert oder offen geleugnet wird. Am bekanntesten ist dafür der Iran, besonders unter seinem ehemaligen Präsidenten Ahmadinedschad. Seit 2006 hat es dort wiederholt offizielle Holocaust-Karikaturen-Wettbewerbe gegeben. In Saudi-Arabien und im Libanon ist das Tagebuch der Anne Frank verboten, weil es angeblich...

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