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Julius Kurth (1870-1949): Briefe an den Dichter Börries von Münchhausen (1874-1945)

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783746083988
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Der Berliner Pfarrer, Sammler und Universalgelehrte Julius Kurth ist insbesondere durch seine Forschungen zu japanischen Farbholzschnitten, als Connaisseur ägyptischer Kleinkunst und als Dichter und Zeichner hervorgetreten. So hat er ein Schauspiel über den japanischen Holzschnittmeister Sharaku verfasst, das Straußenhaus des Berliner Zoos im altägyptischen Stil dekoriert und Exlibris gezeichnet. Darüber hinaus hat er eine Christus-Trilogie von 20000 Versen geschrieben, eine Oper komponiert und zahlreiche Gedichte verfasst. Das Interesse an Dichtung brachte ihn dem Balladendichter Münchhausen nahe, mit dem ihn bald eine Freundschaft verband. Die Briefe beschäftigen sich daher hauptsächlich mit Dichtung und Kurths laufenden Arbeiten und zeigen seine Begeisterung für Münchhausens Werk; als Einleitung dient Münchhausens Würdigung für Kurth «Ein fabelhafter Mann» ...

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Leseprobe

Ein fabelhafter Mann


Von Börries Frhrn. v. Münchhausen

Ich habe nicht lange nach der Überschrift zu suchen gebraucht – jeder der diesen Mann und sein Werk kennengelernt hat, hat wohl dasselbe gesagt: «Ein fabelhafter Mann!» Und jeder hat verwirrt, ja geängstigt von der ungeheuerlichen Vielseitigkeit dieser Stirne, dieses Herzens, dieser Hand, mit dem Kopfe geschüttelt wie über ein Phänomen, dessen Umfang er nicht zu übersehen vermochte, dessen Leistungen in irgendeiner Sparte die Blickweite jedes Fachmannes überstiegen. Der Mann ist wie ein Land, man kann ihn sowenig in drei Stunden oder drei Tagen oder drei Wochen überblicken, wie man ein Reich in allen seinen Beziehungen – geschichtlichen, erdkundlichen, künstlerischen, geologischen, pflanzen- und tierkundlichen – in drei Wochen völlig ausschöpfen kann.

Die Sache fing damit an, daß ich ein Paket Briefe aus dem Olymp bekam.

Ja, wirklich: Aus dem Olymp. Die Sendung war mit einem Meteoriten in den Garten eines Berliner Vorortes niedergesaust, und der Besitzer hatte mir die kaum beschädigten Blätter übersandt. Goethe schrieb mir – (ein Goetheforscher erklärte Papier, Galltinte, Schrift, Stil, kurz die Echtheit für unbestreitbar!) – also Goethe schrieb an mich: «Ew. Hochwohlgeboren Gedichte habe mit Spannung und Nutzen gelesen und haftete insbesondere an den erquickenden Pagenliedern, gegen welche meine ‘Wirkung in die Ferne’ etwas antiquirt erscheint. Weiteres Glückende wünschend, getreulichst Goethe.» Das Blatt war mit einem bisher unbekannten Scherenschnitt, den Kopf des Absenders zeigend, geschmückt. Das nächste Blatt – jeder Beethovenkenner beschwört die Echtheit aus hundert Einzelzügen – zeigt den Kopf des Heros in einer signierten Originalzeichnung Lysers.5 Der Inhalt: «Schade, schade, ich hätte ein paar komponiren können, aber für die Allgemeinheit der heutigen Lumpen wärens Perlen vor die Säue – Beethoven.» Das dritte Blatt – offenbar ein aus einem Buch herausgerissenes Blatt – trägt die Worte: «Die Mehrsten Scribenten seyndt poltrons [hineinverbessert «und esels»] und Müsten gehengt werden, aber Er kan mehr als die Mehrsten. Schreib Er noch weiter so amüsantes Zeug. Mich hatts magnifiquement Erbaut. Seyn wohlaffectionirter König Fritz.» Die ausgeglittene Gänsefeder des Großen Königs hat eine Reihe mächtiger blaßschwarzer Flecken der Galltinte über das Blatt gesprenkelt. Das nächste Blatt ist von E. T. A. Hoffmann unterschrieben und trägt zwei Zeichnungen: den Kopf des gespenstischen Erdenwallers selber und den Marqueur von Lutter und Wegener, wie er jabotgewölbt, haar-tollig, serviette-schwenkend einen Korb Flaschen an den bekannten Tisch in der Charlottenstraße trägt. Der Inhalt des Briefes ist voller Witz und Grazie, ein Zweifel an der Echtheit kann keinem Kenner Hoffmanns aufsteigen.

Mir stockte der Atem wie Ihnen, schöne Leserin («schön», weil ich Sie nicht sehe!), freundlicher Leser («freundlicher», weil ich Sie nicht höre!). Aber schließlich: Mein Atem kam wieder und meine natürliche Wohlerzogenheit auch. Der Atem entlud sich in einem staunenden «Donnerwetter!», die Wohlerzogenheit in einen Brief nach Hohenschönhausen. Ich schrieb, daß ich mich an den Namen des freundlichen Vermittlers dieser Himmelsgrüße zwar nicht erinnere, daß aber seine Schrift mir bekannt sei – ich vergesse immer den Namen, meist das Gesicht, nie die Schrift eines Menschen. Ob wir nicht schon einmal einen Brief gewechselt hätten?

Die Antwort war verblüffender noch als die erste Leistung. Der Unbekannte schrieb: «Ich habe Sie einmal um Ihr Autogramm gebeten, und Sie haben es mir geschickt, statt mir zu antworten «Was zum Henker Geschätztester ....» usw. Und diese meine Worte waren in meiner Handschrift geschrieben, nein, diese meine vorgeblichen Worte waren mitten zwischen der winzigen spitzen Schrift des Briefschreibers von mir selber geschrieben! Ich war bereit zu beeidigen, daß niemand außer mir selber diese langen, ausgedachten Sätze geschrieben habe, meine Stil, meine (leider!) lateinische Schrift in allen Einzelheiten, meine Schriftwendungen, meine unbekümmerte Art, mit fremden Leuten eilig und herzlich und oberflächlich Gedanken und Gefühle auszutauschen.

Aber es blieb nicht beim geschriebenen Wort, nicht bei Schattenriß und flüchtiger Briefzeichnung! Zu meinem fünfzigsten Geburtstag schrieb mir Dürer einen Brief mit einer ganz meisterhaften Handzeichnung zu meinem Gedicht «Der dunkle Falter» – (schwarze Tusche mit Weiß gehöht) – eine Frauengestalt in Trauerkleidung vor einer Kirchhofspforte. Die obere Hälfte des Blattes füllte in natürlicher Größe ein mit der Lupe gemalter Totenkopffalter, ganz in der Art, wie der Nürnberger Meister seinen Hasen, sein Veilchensträußchen in äußerster Naturtreue hinstrichelte. Und um das Gespenstische des Eindrucks zu erhöhen: Alexander v. Humboldt legte einen seiner glatten Briefbogen dem Büttenblatt des Malers bei und bezeugte ... «daß das Modell des Dürerschen ‹Dunkelen Falters› nicht die in Europa gewöhnliche Acherontia Atropos, sondern die in Ostindien lebende Acherontia Satanas ist.» Lukas Cranach hatte mir einen Ritter zu meinem «Herzen im Harnisch» in meisterhafter Ausführung geschickt, Walter v. d. Vogelweide ein Pergamentblatt, das nur aus der Manesseschen Liederhandschrift in Heidelberg gestohlen sein kann, denn die Miniatur, das aufgelegte Gold, jede Einzelheit ist brüllend echt! Bischof Megingand von Eichstädt aus der Ballade «Der fluchende Bischof» spricht seine Glückwünsche ebenfalls auf einem Pergamentblatt des 12. Jahrhunderts aus, das geschmückt ist mit herrlicher Initiale in Gold, Rot und Blau, der Lügenmünchhausen Hieronymus schreibt in eigener Handschrift auf ein Blatt, das sein schönes hochmütiges Rokokogesicht trägt – Wunder über Wunder auf miniaturengeschmückten Blättern!

Nach der echten Schrift die echte Malerei, nach dem echten Bild als letztes das echte Gedicht: Hier, wo ich ein wenig Fachmann zu sein glaube, fing mein Staunen erst recht an, auf den Himalaja zu klettern – diese Verse waren keine mühsamen Dilettanten-Reime, sondern die Verse eines Dichters! Eine der schwierigsten Formen des Verses ist bekanntlich das Akrostichon, dessen Anfangsbuchstaben einen Namen ergeben. Friedrich Rückert, der diese Form ja von jeder liebte, schickte ein Gedicht:

Mahomets Paradies

Vor besetztem Speisentische,

Moschusduftend das Getränk,

Über mir des Aethers Frische,

Neben mir der junge Schenk.

Chidhein gleich an Jugendkräften

Heb ich froh den Becher hoch,

Huldge seinen Taumelssäften, –

Aber eines fehlt mir noch!

Und da hört ich Deiner Lieder

Sphärenrauschen über ihm,

Erzgeklirr! – Da schaun hernieder

Neidisch selbst die Cherubim!

Alles, wie die Schrift unwiderleglich beweist, aus Rückerts eigener Feder, wie jeder Vers belegt, aus seinem Kopf entflossen. – Aber nun erst Herrn Walters Lied:

Ze ware, her münchhusen, ir seid ein saelic man

der mailic mit fro saelde ein isern spil began.

din lantze eingeleget. den guldin sporn in rosses weich.

ir dez turneien phleget heia min valk!

Und so weiter, strophenlang in vortrefflichem Mittelhochdeutsch. Oder in den Rokoko-Alexandrinern des Lügenmünchhausen:

In jener Götterzeit, als ich den Hirsch geschossen,

Aus dessen Prachtgeweyh ein Kirschbaum war entsprossen ....

Aber es lag auch ein Schattenriß bei, der meinen alten Vater darstellte und in seiner Handschrift Glück wünschte, es lag ein Bleistiftbildnis meiner lieben seligen Mutter bei, dessen rührende Begleitverse lauteten:

Sie preisen laut, sie raunen leis, die toten und lebenden Seelen –

In deiner Gratulanten Kreis da darf mein Bild nicht fehlen,

Mögst du das sonnengoldige Heut in trautem Kreise genießen!

Postscriptum (ich weiß, daß es dich freut:) Frau Aja läßt dich grüßen!

Vielleicht am – darf ich sagen – grauenhaftesten war mir ein Blatt, das in unsäglich mühevoller Lupenzeichnung eine Libelle abbildete, der mein Junge als Kind einmal einen verlorenen Flügel durch einen aus unserer Sammlung ersetzt hatte. (Die Operation, vielleicht die erste an einem Insekt, gelang, das Tier flog, aus der Haftstellung erlöst, hoch in die Lüfte.) Darunter war der kleine Vorgang in reizenden Versen geschildert, und diese in einer kleinen, liebenswürdigen Huldigung ausklingenden Verse waren in meiner eigenen Kinderschrift wiedergegeben. Niemals hatte der Schreiber sie gesehen, sie war, wie alles ganz Verblüffende in dieser wunderbaren Welt, erahnt.

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