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Karl der Große als Vater Europas? Auf der Suche nach einem Symbol für die europäische Einheit

Vater Europas?

AutorJana Silvia Lippmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl57 Seiten
ISBN9783638504850
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Romanistik - Französisch - Landeskunde / Kultur, Note: 1,3, Technische Universität Chemnitz (Philosophische Fakultät), 38 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die europäische Integration ist heute ein wichtiges politisches Thema. Bei der Suche nach einer Identifikations- und Gründungsfigur stößt man auf Karl den Großen. In zeitgenössischen Lobgedichten zu Beginn des 9. Jahrhunderts wird der Begriff 'Europa' häufig gebraucht und mit dem karolingischen Reich gleich gesetzt. Sein Herrscher Karl der Große wird mit dem Titel Pater Europae - Vater Europas - geschmückt. Dieses Bild eines fürsorglichen Vaters, der sich um die Belange ganz Europas kümmert, hat sich in der Geschichtsbetrachtung erhalten und bietet sich als Symbol für die europäische Einheit an. Doch kann man den Anfang Europas, den Beginn eines europäischen Gedankens und eines Gemeinschaftsgefühls tatsächlich in ein so fernes Jahrhundert legen? Der Begriff Europa ist alt, seine Bedeutung wandelte sich mehrfach, passte sich den jeweiligen Erfordernissen an. Ebenso hat sich auch das Bild, das sich die Menschen von Karl dem Großen machen und gemacht haben, innerhalb von mehr als tausend Jahren verändert. Der karolingische Kaiser ging in die Literatur ein, regte die Fantasie der Menschen an und wurde zu einem Mythos, der bei Bedarf für die eigenen Ziele verwendet werden konnte. Immer wieder diente Karl der Große als Vorbild und Legitimation für nachfolgende Herrscher. Obwohl das Karlsbild inzwischen soweit verblasst ist, dass sich heute kein Politiker mehr in seinem Alltagsgeschäft auf das Vorbild Karls des Großen beruft, wandelt sich die Einstellung zum Kaiser des christlichen Abendlandes, sobald es um große europäische Veranstaltungen geht. Bei Festreden, zum Beispiel bei der jährlichen Verleihung des Karlspreises, nutzt man Karl den Großen als Identifikationsfigur und preist sein mittelalterliches Europa, das man kurzerhand mit dem heutigen Europa gleichsetzt. Dann erinnert man sich wieder an Karl den Großen, den Vater Europas. Doch was macht einen Vater Europas aus? Welche Leistungen berechtigen zu einem solchen Titel? Oder handelt es sich damals wie heute nur um eine wohl klingende Metapher, um ein übertriebene Herrscherlob, dem der Bezug zur Realität fehlt?

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Leseprobe

2. Das Frankenreich vor Karl dem Großen


 

Im folgenden Abschnitt geht es um Entstehung und Etablierung des Frankenreiches. Zusammenfassend wird die Regierungszeit der Merowinger und der ersten Karolinger dargestellt, um die politische und gesellschaftliche Situation zu präsentieren, die beim Regierungsantritt Karls des Großen bestand. Besondere Berücksichtigung finden dabei die enge Verbindung zwischen Staat und Kurie sowie die kulturellen Gegebenheiten im Franken- reich.

 

2.1 Die historische Entwicklung vom 4. bis zum 8. Jahrhundert


 

Im 4. Jahrhundert ließen sich salische Franken nördlich der Schelde-, Maas- und Rheinmündung als römische Föderaten nieder. Wie alle anderen germa- nischen Stämme, die von den Römern Siedlungsgebiet erhielten und mit der Verteidigung des Reiches betraut wurden, durften sie ihr eigenes Recht be- halten und sich im Rahmen ihrer traditionellen Rechtsordnung selbst ver- walten.[27]

 

Während Italien in dieser Zeit in einem politischen Konflikt zerrieben wurde, da das Byzantinische Reich seinen Einfluss auf dieses Gebiet geltend zu machen versuchte[28], war Nordgallien von Byzanz weit genug entfernt und bereits im 5. Jahrhundert für das Imperium verzichtbar.[29] So konnten in Nord- gallien mehrere fränkische Königreiche aufgebaut werden, in denen sich trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der romanischen Bevölkerung[30] die Herr- schaftsverhältnisse allmählich änderten. Unter den rivalisierenden Adels- familien waren es schließlich die Merowinger, die ab dem 5. Jahrhundert vor allem unter der Führung von Chlodwig ihren Machtbereich stark ausdehnten und die anderen herrschenden Adelsgeschlechter eliminierten.[31]

 

Mit seiner eindrucksvoll inszenierten Taufe durch den Bischof Remigius von Reims begründete Chlodwig ein historisches Bündnis zwischen der Kirche und der Monarchie. Der Merowinger wurde allerdings nie ein Christ im mora- lischen Sinne, zeigte weder Nächstenliebe noch Friedfertigkeit. „Vielmehr war sein Übertritt zum Christentum in erster Linie das Ergebnis kühlen politischen Kalküls.”[32]

 

Die Merowingerherrschaft dauerte fast dreihundert Jahre, doch die letzten Herrscher waren schwache Könige, die meist im Kindesalter den Thron bestiegen. An ihrer Stelle übernahmen die Hausmeier, die den König gegen- über dem Adel vertreten sollten, die Regierungsgeschäfte. Pippin der Mittlere, Urgroßvater Karls des Großen, war der Erste von ihnen, dessen Macht über das gesamte Reich nicht angezweifelt wurde, obwohl es noch immer merowingische Könige gab.[33]

 

Pippins unehelicher Sohn Karl Martell musste sich die Stellung seines Vaters zwar erst hart erkämpfen[34], genoss dann als Hausmeier jedoch das Prestige eines unbestrittenen Herrschers. Nach dem Tod des Merowingerkönigs Theuderich IV. konnte er sogar auf eine Neuwahl verzichten und den Thron unbesetzt lassen.[35]

 

Karl Martells Söhne Karlmann und Pippin übernahmen „die Hausmeierwürde nicht mehr als ein Amt, sondern schon als absolute Herrschaft”[36], doch wenige Jahre später verzichtete Karlmann überraschend auf die Herrschaft und zog sich in ein Kloster zurück. Pippin wurde zum alleinigen Hausmeier, bevor ihm mit päpstlicher Unterstützung der Erwerb der Königskrone gelang.[37]

 

Damit stellte Pippin die von Gott gewollte Weltordnung wieder her, denn nun hatte wieder derjenige, der sich König nannte, die Macht im Frankenreich. Doch ihm fehlte die mit der mythischen Herkunft verknüpfte Geblüts- heiligkeit[38], mit der die merowingische Königssippe ihre Herrschaft begründet hatte. Stattdessen verliehen ihm Weihe und Salbung das nötige Charisma und sorgten für die sakrale Erhöhung seiner Herrschaft.[39]

 

Anders als einige Jahre zuvor sein Vater Karl Martell[40] war Pippin dazu bereit, auf das Hilfegesuch des Papstes, der sich von den Langobarden bedroht fühlte, zu reagieren. Zweimal zog der neue Frankenkönig erfolgreich nach Italien, um dem Papst in der so genannten Pippinischen Schenkung die von den Lango- barden besetzten Gebiete zu übergeben. Doch obwohl Pippin die Möglichkeit dazu hatte, warf er die Langobarden nicht nieder. Stattdessen begnügte er sich mit einer losen Oberhoheit, um das Gleichgewicht zwischen den Langobarden und der Kurie zu erhalten. Ein zu mächtiger Kirchenstaat lag nicht in Pippins Interesse.[41]

 

2.2 Die Rolle des Christentums und des Papstes


 

Den Grundstein für die starke Verbindung zwischen fränkischem Königtum und römischem Papsttum legte der Merowinger Chlodwig. Mit seiner Taufe passte er sich der zahlenmäßig weit überlegenen romanisierten und christianisierten Bevölkerung an und stellte in seinem Reich eine Glaubens- einheit her. Durch die Religion konnte eine gemeinsame Identität geschaffen werden, so dass sich eine Gesellschaft entwickelte, „die sich auf das Erbe römischer wie auch barbarischer Traditionen stützte”[42].

 

Mit dem Übertritt zum Christentum konnte Chlodwig aber „nicht nur die einfache Bevölkerung hinter sich stellen, sondern auch den Klerus als aktiven und erfahrenen Bundesgenossen für sich gewinnen”[43]. Die römisch-katho- lische Kirche war von großer gesellschaftlicher Bedeutung, denn sie verfügte über Macht, Einfluss und ein gut organisiertes Verwaltungssystem. Seit dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches hatten die Bischöfe die Aufgaben des Staates erfüllt. Sie waren die Einzigen, die lesen und schreiben konnten und im römischen Recht und in römischer Verwaltungstechnik geschult waren. Die Franken waren von der Mitarbeit dieser Geistlichen ab- hängig, denn für die königliche Zentralgewalt war das Reich zu groß.[44]

 

Das enge Verhältnis zwischen Staat und Kurie wurde beim Dynastiewechsel im Frankenreich erneut gestärkt. Pippin reformierte die im Verfall begriffene Kirche, so dass sich eine einheitliche fränkische Kirche mit einer starken und hierarchisch gestuften Organisation herausbildete, die der Führung des Königs unterstand. Sie diente gleichermaßen der Grundlage des religiösen Lebens im Frankenreich als auch als Machtinstrument.[45]

 

2.3 Das kulturelle Leben


 

Mit dem Eindringen der germanischen Stämme setzte auf dem Gebiet des Weströmischen Reiches ein rascher Niedergang des kulturellen Lebens ein. Zwar übernahmen die Eroberer aus der antiken Kultur, was für sie von praktischem Nutzen war, wie das Wissen aus Recht, Medizin, Architektur und Vermessungskunst, doch alles andere geriet in Vergessenheit. Literarische Traditionen blieben nur in einigen Klöstern erhalten.[46]

 

Es kam zu einem Verfall des Bildungswesens, der Wissenschaften und der Kunst, so dass es am Ende des 7. Jahrhunderts keine gebildete Gesellschafts- schicht mehr gab. Am Königshof existierte noch einige Zeit lang ein Elementarunterricht, doch die meisten Adligen konnten nicht einmal ihren Namen schreiben. Und auch unter den Angehörigen des Klerus gab es viele Analphabeten.[47]

 

Zwischen 650 und 750 erreichte das kulturelle Leben im Merowingerreich seinen Tiefpunkt. Die Werke der wenigen Chronisten waren von schlechter Qualität. Dennoch kam es zu keiner völligen Kulturlosigkeit.[48]

 

Karl Martell war noch zu sehr mit den äußeren Gefahren beschäftigt, um sich um die Förderung der Kultur zu kümmern. Bei seinen Nachfolgern stellte sich die Lage des Frankenreiches bereits stabiler dar. Nach einer Zeit der litera- rischen Armut nahmen Wissenschaft und Kreativität unter Pippin wieder einen größeren Raum ein.[49]

 

Klöster bildeten die letzten kulturellen Zentren, in denen heilige und profane Literatur gesammelt und gelesen wurde. Die Geistlichen waren als Einzige in der Lage, das sprachliche und kulturelle Erbe zu bewahren, wenn auch „von fast unglaublicher Primitivität”[50].

 

Pippin verband Kultur und Klerus durch Gesetze noch stärker miteinander. Bischöfe, Priester und Mönche mussten sich die Grundlagen der geistlichen Wissenschaft sowie Grammatikkenntnisse aneignen, um die biblischen Texte richtig verstehen, Gebete korrekt sprechen und ihr erworbenes Wissen weiter- geben zu können. Für das Seelenheil der Gläubigen war ein gut ausgebildeter Kleriker von großer Bedeutung.[51]

 

Auch die königliche Kanzlei, die von Geistlichen geführt wurde, profitierte von diesen Maßnahmen. Nach der Reformierung der Orthographie enthielten die Urkunden weniger Fehler.[52]

 

2.4 Recht und Gesetz


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