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Konventionen in Wissenschaftskulturen

Texterschließende Merkmale wissenschaftlicher Publikationen aus den USA, der UdSSR, der DDR und der BRD

AutorRebekka Zech
VerlagMainzer Institut für Buchwissenschaft
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl92 Seiten
ISBN9783945883013
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Täglich werden von Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftlern fremdsprachige Texte rezipiert. Diese unterscheiden sich von Texten aus der eigenen Wissenschaftskultur nicht nur in der Wahl der Sprache. Auch der Umgang mit texterschließenden Merkmalen - wie Überschriften und Registern - variiert signifikant. In der vorliegenden Arbeit untersucht die Buchwissenschaftlerin und Germanistin Rebekka Zech, inwiefern Wissenschaftskulturen in den 1960er Jahren die Ausstattung eines Textes mit texterschließenden Merkmalen beeinflusst haben und worin die unterschiedlichen kulturellen Konventionen begründet liegen.

Rebekka Zech geboren 1988, studierte Buchwissenschaft und Germanistik an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Nach ihrem Bachelorabschluss wechselte sie an die Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und beendete dort ihr Studium mit einem Master in Buchwissenschaft. Auslandsaufenthalte in den USA und Russland, das Interesse an interkulturellen Fragestellungen, sowie ein Workshop zum Thema »Indexing« veranlassten sie, ihre Arbeit über Konventionen in Wissenschaftskulturen zu schreiben. Seit Januar 2015 ist Rebekka Zech in der Herstellungsabteilung eines Wissenschaftsverlages tätig.

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Leseprobe

2 Die Funktionen texterschließender Merkmale


Bevor die Daten der empirischen Analyse vorgestellt und analysiert werden, soll darauf eingegangen werden, welche Funktionen die texterschließenden Merkmale erfüllen und auf welche Art und Weise sie den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess beeinflussen.

2.1Überschriften


Eine Untergruppe der texterschließenden Merkmale sind die Überschriften. Darunter fallen sowohl der Haupttitel als auch die Zwischenüberschriften. Sowohl die deutsche Bezeichnung »Titel«, als auch die Bezeichnung »Überschrift« gehen auf das lateinische Wort »titulus« zurück.[92] Bei Zwischenüberschriften handelt es sich um die Titel eines Teiltextes, daher weisen sie Ähnlichkeiten mit der Gattung der Haupttitel auf. Für ihre Hauptfunktionen gilt: »Der Haupttitel ist Ausdruck der Makroproposition, die Abschnittsüberschriften markieren die Themenentfaltung.«[93] Die beiden Titelarten unterscheiden sich vor allem im Ort ihres Erscheinens: Der Haupttitel ist Teil der Titelei; Zwischentitel finden sich sowohl im Text als auch im Inhaltsverzeichnis.[94] Beide Überschriftenarten sind gelegentlich im Kolumnentitel zu finden.

Wie bereits im Forschungsbericht kurz dargestellt, unterscheidet Gunther Dietz fünf Funktionen des Titels. Basierend darauf sollen im Folgenden Titel in ihren pragmatischen Kontexten genauer betrachtet werden. Bei den ersten vier Funktionen dient der Titel als Text-Stellvertreter, d.h. es wird die Funktion des Titels getrennt vom Haupttext untersucht.[95] Diese Trennung von Titel und Text ist in der wissenschaftlichen Arbeitswelt nicht ungewöhnlich, sie tritt etwa bei der Literatursuche in Bibliothekskatalogen auf. Aber auch »in Fußnoten und Literaturverzeichnissen anderer Fachtexte, in Inhaltsverzeichnissen von Fachzeitschriften, Current Contents oder Referatezeitschriften, in Fachbibliographien und in Neuerscheinungslisten«[96] steht der Titel als Stellvertreter für das jeweilige Werk.

Die erste Funktion des Titels ist die Benennungsfunktion. Der Titel benennt und identifiziert somit den Text, zu dem er gehört. Durch den Titel ist der Text von anderen Texten unterscheidbar, die derselbe Autor oder auch andere Autoren verfasst haben.[97]

Zweitens charakterisieren Fachtitel den Text. Der Titel fungiert in der Regel als Referenz auf den Untersuchungsgegenstand, zusätzlich kann er auf Textsorte, Methodik, Disziplin und Forschungsfeld oder auf andere wissenschaftliche Texte verweisen.[98] Gerade bei wissenschaftlichen Texten ist »eine möglichst präzise Charakterisierung des Inhalts«[99] notwendig. Daher kommen dort öfter als bei literarischen Werken formale Werkbezeichnungen wie etwa »Einführung«, »Handbuch« oder »Lexikon« vor. Dennoch sind der Länge des Titels Grenzen gesetzt. Daher gilt: »Titel enthalten [in geisteswissenschaftlichen Zeitschriften] gerade soviel – manchmal eher weniger – Information, wie ein Kollege bei der Durchsicht der Fachzeitschrift benötigt, um den Stellenwert des Textes einschätzen zu können.«[100]

Dass der Titel eine extrem komprimierte Aussage des Textes darstellt, wird als Verdichtungsfunktion bezeichnet.[101] Dies ist besonders bei wissenschaftlichen Texten der Fall, für die nach der Untersuchung von Peter Hellwig vor allem »beschreibende Titel, die entweder das Thema oder illoku­tionäre Charakterisierungen des Textes angeben«,[102] verwendet werden. In Bezug auf die Beziehung zwischen dem Titel und dem Text besteht dabei beim Leser eine Kongruenzerwartung. Der Leser geht wie selbstverständlich davon aus, dass Titel und Textinhalt übereinstimmen.[103]

Viertens ist die Appellfunktion zu nennen. Da Fachtitel oft getrennt vom Text wahrgenommen werden, werben sie in besonderem Maße um die Aufmerksamkeit des Lesers. Dies geschieht durch bestimmte rhetorische Verfahren wie etwa Alliterationen oder Wortspiele sowie den Verweis auf ihre Intertextualität oder durch Mehrdeutigkeit, Unterdeterminiertheit, Widersprüchlichkeit oder Metaphorik. Besonders oft finden sich diese rhetorischen Mittel in geisteswissenschaftlichen Titeln. Ein Nachteil des effektiven Appells mit Hilfe von metaphorischer Titelgebung, Ironie und Anspielungen ist, dass sie die automatische Erfassung in Datenbanken erschweren.[104] Die Titelvergabe ist jedoch von zentraler Bedeutung für die Wahrnehmung eines Werkes. Olaf Blaschke verweist auf Studien aus Yale und Chicago,[105] die gezeigt haben, dass der Titel oft eine wichtigere Stellung einnimmt, als der Autorenname:

Neben dem Namen des Autors ist der Buchtitel eines der Schlüsselkriterien für den Kauf und die Wahrnehmung eines Buches. Untersuchungen in Yale und Chicago haben 1970 gezeigt, dass sich die Nutzer von Katalogen sehr genau an Titel erinnern, aber selten an Autorennamen. […] Ein Titel kann über Erfolg und Vergessen eines Werkes entscheiden – beinahe unabhängig von der Güte des Inhalts.[106]

Blaschke, der britische und deutsche Verleger der Geschichtswissensschaft im 20. Jahrhundert miteinander vergleicht, weist darauf hin, dass sich gerade in Titeln länderspezifische Konventionen zeigen: »Titel sind ein Weg, um einem Buch und einem Autor negative oder positive Aufmerksamkeit zu verleihen. […] Amerikanische und britische Verleger vergaben gerne spektakuläre Titel. Die Titelkultur war und ist unterschiedlich.«[107]

Die fünfte Funktion bezieht sich auf den Einfluss, den das Lesen des Titels auf die Wahrnehmung des Textes hat. Man nimmt an, dass der Titel und auch die Zwischenüberschriften die Rezeption des Textes steuern und es erleichtern, einen Text zu verstehen und sich dessen Inhalt zu merken. Genauere Studien, »welche Art der Titel- bzw. Überschriftenformulierung sich unter den jeweils gegebenen Kommunikationsbedingungen (Adressaten, Publikationsform, Textsorte) als besonders günstig für die Rezeption des nachstehenden (Teil-)Textes«[108] erweisen, fehlen jedoch bislang, da sie nur schwer durchzuführen sind.

Im Gegensatz zum gut erforschten Haupttitel sind Zwischentitel in der Forschung bisher wenig beachtet worden. Aus linguistischer Sicht sind die Überschriften wissenschaftlicher Publikationen den kommunikativ-pragmatischen Gliederungssignalen zuzuordnen.[109] Diese sind an der Textoberfläche erkennbar und dienen dazu, »die jeweiligen Verbindungen zwischen Textproduzent(en) bzw. -rezipient(en) und der Makrostruktur anzuzeigen.«[110] Durch den Einsatz typographischer Mittel kann die Wichtigkeit einzelner Sachverhalte hervorgehoben und kondensiertes Wissen weitergegeben werden. Zwischenüberschriften können ein Thema vorgeben und den nachfolgenden Inhalt zusammenfassen. Dadurch bieten sie dem Leser eine Orientierungshilfe, helfen ihm, die Konzentration zu halten, und motivieren zum Weiterlesen.[111] Zwischentitel können in verschiedenen Graden anwesend sein: sie können völlig fehlen, nur durch Abschnittsnummern vertreten sein oder durch thematisch gewählte Überschriften markiert werden.[112]

Ein Vergleich zwischen Haupttiteln und Zwischenüberschriften zeigt, dass einige der Funktionen, die der Haupttitel eines Buches in sich trägt, auch auf die Zwischenüberschriften zutreffen. Genau wie der Haupttitel hat eine Zwischenüberschrift eine Verdichtungsfunktion. Sie soll angeben, wovon das nächste Kapitel oder Unterkapitel handelt und dessen Inhalt komprimiert wiedergeben. Auch Spuren der Appell- oder Werbefunktion sind in den Zwischentiteln zu finden. Sie sollen das Interesse zum (Weiter-)Lesen wecken. Darüber hinaus werden die Zwischenüberschriften, die ja auch im Inhaltsverzeichnis zu finden sind, möglicherweise in die Entscheidung, ob ein Buch gelesen oder erworben wird, mit einbezogen. Besondere Auswirkungen haben Zwischenüberschriften jedoch auf die Steuerung der Rezeption des nachfolgenden Textes. Norbert Groeben schreibt in dem Band Leser­psychologie: Textverständnis – Textverständlichkeit zusammenfassend für die Forschung zum Einfluss von Überschriften auf die Textverständlichkeit:

Überschriften sind eine sehr weitverbreitete, eingeführte Technik der Textgestaltung und – vermutlich gerade deswegen – relativ unzureichend erforscht. […] Dennoch scheint es berechtigt, von einem lernerleichternden Effekt dieser Textgestaltung auszugehen, der vermutlich bei langen Texten (evtl. in Verbindung mit einem vorgeschalteten Inhaltsverzeichnis) erst richtig zum Tragen kommt.[113]

Leser nutzen Überschriften zur Texterschließung und setzen den Text­inhalt in Bezug zur vorgegebenen Überschrift. Erfahrene Leser suchen nach »Merkmale[n] der kognitiven Gliederung und Ordnung von Texten«[114] um den Erkenntnisgewinn beim Lesen zu steigern.[115] Diese Lesestrategie wird im Englischen als structure strategy bezeichnet und ist für das Erfassen des Textinhalts von großer Bedeutung.[116]

Zwischentitel geisteswissenschaftlicher Monographien sind in der Regel aussagekräftiger als die in Aufsätzen verwendeten, da »Zwischentitel von Buchpublikationen dem Leser in Form des Inhaltsverzeichnisses eine komprimierte Vorabinformation bieten«[117] und bei...

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