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E-Book

Lorenzo Da Ponte

Mozarts Librettist und sein Aufbruch in die Neue Welt

AutorRodney Bolt
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl560 Seiten
ISBN9783827074874
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Als Kind hieß er noch Emanuele. Bis sich sein Vater, ein jüdischer Lederarbeiter, im antisemitischen Klima von Ceneda gezwungen sah, die Familie taufen zu lassen und den Sohn nach dem dortigen Bischof zu benennen. Zehn Jahre später erhält der Konvertit selbst die Priesterweihe - und wird nach Bekanntschaft mit einer verarmten Patrizierin doch lieber Lehrer. Das Leben Lorenzo Da Pontes ist geprägt von einer unablässigen Identitätssuche, von freiwilligen und erzwungenen Rollenwechseln. Aus Venezien verbannt, kommt er nach Wien und schafft gemeinsam mit Mozart drei der wichtigsten Werke der Operngeschichte. Eine Intrige am Kaiserhof zwingt ihn zur Flucht nach London, der finanzielle Ruin zum Aufbruch nach Amerika. Mit großem erzählerischen Schwung schildert Rodney Bolt die Lebensstationen einer der schillerndsten Figuren der Musikgeschichte. Dabei spiegelt sein Buch zugleich eine politisch bewegte Zeit und würdigt einen Künstler, der viel zu lange in Mozarts Schatten stand.

Rodney Bolt, geboren in Südafrika, ist Theaterregisseur, Reiseschriftsteller und Sachbuchautor. Seine Reisereportagen erscheinen in Zeitungen und Magazinen wie The Daily Telegraph und Vogue und wurden in Deutschland und in den USA mit Preisen ausgezeichnet. 2004 veröffentlichte er »History Play«, ein fiktionales Spiel mit der Lebensgeschichte von Christopher Marlowe. Die Biographie Lorenzo Da Ponte, die auf der Shortlist des Los Angeles Times Book Prize stand, ist sein erstes Buch auf Deutsch. Rodney Bolt lebt in Amsterdam.

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Leseprobe

Kapitel 1

Vierzehnjährige Jungen stehen mit ihrem Vater nicht selten auf
Kriegsfuß, und der junge Lorenzo Da Ponte hatte Grund zum Groll. Er sollte eine Stiefmutter bekommen, die so jung war, dass sie seine Schwester hätte sein können. Sein Vater hatte die Familie aus ihrem alten Heim im Ghetto entführt, mit den Freunden seiner Kindertage durfte Lorenzo nicht mehr zusammenkommen. Und er hieß noch nicht einmal Lorenzo Da Ponte. Zumindest hatte er bis vor wenigen Minuten noch nicht so geheißen.

Der Name, mit dem er aufgewachsen war und den er soeben für immer verloren hatte, lautete Emanuele Conegliano. Sein Vater, ein jüdischer Lederarbeiter, hatte seiner Familie eine neue Religion aufgezwungen. Kaum waren die buricche von Emanueles Bar-Mizwa-Feier erkaltet, da hatte der Knabe christliche Oblaten auf der Zunge. Sein Vater Geremia hieß von nun an Gaspare; Emanuele würde sich daran gewöhnen müssen, seine Brüder nicht mehr Baruch und Anania, sondern Girolamo und Luigi zu nennen. Wie es der Brauch vorschrieb, nahmen sie alle den Nachnamen des Bischofs an, der sie getauft hatte, und Emanuele übernahm als ältester Sohn auch den Vornamen des Prälaten. Nach einer pompösen Zeremonie in der Kathedrale schritten die vier hinter Monsignor Lorenzo Da Ponte her und hinaus in das gleißende Licht auf der piazza maggiore von Ceneda.

Ceneda, »eine kleine, doch nicht unbedeutende Stadt des venezianischen Staates«, lag eingezwängt zwischen den Dolomiten und den klaren, eisigen Wassern des Meschio. Die Berge begannen abrupt, sie hoben schon den westlichen Rand der Stadt hoch, als sei er die Ecke eines Teppichs. Schnee hielt die Berggipfel bis weit ins Frühjahr hinein bedeckt, und im Winter froren die Trinkwasserquellen zu. Der Sommer aber brachte Gluthitze. Geckos huschten zwischen den Steinen der Gartenmauern umher, Sonnenlicht glitzerte auf dem weißen Kies, der die Straßen bedeckte. Seidenraupen, die sich während des Frühjahrs vollgefressen hatten, hüllten sich in Kokons, die auf die emsigen Finger der Stadtbewohner warteten. Das ganze Jahr hindurch drehten sich längs des Flusses geräuschvoll die Wasserräder, mit denen Spinnereien und Papiermühlen betrieben wurden. Weiter stromabwärts bearbeiteten Gerber stinkende Häute, und Abkömmlinge der Familie Marsoni schmiedeten ihre berühmten Schwertklingen. Dahinter, aber nie weiter als wenige Gehminuten von den Straßen und Plätzen Cenedas entfernt, lagen Weinberge, fruchtbare Äcker und Wälder. Emanuele Conegliano konnte sich im Freien austoben oder mit seinen Freunden auf den Straßen herumtollen. Selbst im Ghetto, im westlichen Teil der Stadt, weckten ihn an schönen Tagen Taubengurren und Waldvogelgezirp, das Krähen der Hähne und das asthmatische Iah der Esel auf den Feldern.

Im Ghetto von Ceneda wohnten etwa fünfzig Juden, die zu einem großen Teil von einem gewissen Israel da Conegliano abstammten, den der damalige Bischof Marcantonio Mocenigo eingeladen hatte, sich in der Stadt niederzulassen und ein Pfandleihgeschäft zu eröffnen (eine Tätigkeit, die als Wucher für Christen gesetzlich verboten war). Die Coneglianos, ursprünglich aschkenasische Juden, die sich in der gleichnamigen Stadt angesiedelt hatten, betätigten sich in der gesamten Region als Geldverleiher. Viele von ihnen waren reich, und im 17. Jahrhundert hatte die Familie der Stadt Venedig einige ihrer hervorragendsten Ärzte geschenkt, aber Emanueles Vater Geremia, der 1719 in Ceneda geboren war, entstammte einem verkümmerten Zweig des Clans. Er war ein Lederarbeiter von bescheidenem Einkommen, der Gürtel und Zaumzeug herstellte. Geremia heiratete Rachele Pincherle, eine Frau, die ebenfalls aus Ceneda stammte und, obwohl auch die Pincherles in dieser Gegend eine prominente Familie waren, anscheinend nur wenig Geld in die Ehe brachte. In Görz in der Nähe von Triest hatten die habsburgischen Herrscher der Familie den Titel Hofjuden verliehen und ihr besondere Privilegien eingeräumt.

Emanuele wurde am 10. März 1749 geboren. Ihm folgten zwei Brüder, 1752 Baruch und 1754 Anania. Rachele starb, als Emanuele fünf Jahre alt war, vermutlich bei der Geburt von Anania. »Ahi che la morte avea / tolta la madre a’ miei primi vagiti« (»Ach, der Tod hatte / die Mutter mir fortgenommen bei meinen ersten Schreien«), schrieb ihr Erstgeborener, als er sich Jahrzehnte später an den Trennungsschmerz, an das Gefühl der Verlassenheit erinnerte. Nach Racheles Tod schenkte Geremia seinen Söhnen wenig Beachtung, über ihre Schulbildung machte er sich sicher keine großen Gedanken. Bis zum Alter von zehn Jahren konnte Emanuele kaum lesen und schreiben. Er war jedoch ein lebhafter, aufgeweckter Junge von unersättlicher Neugier, der immer eine schlagfertige Antwort parat hatte und mit glänzenden Augen erfasste, was die Leute sagten, bevor sie noch ausgesprochen hatten. Schließlich kam sein Vater auf den Gedanken, ihm Unterricht und das hieß zur damaligen Zeit Lateinstunden geben zu lassen. Er traf eine Abmachung mit dem Sohn eines ortsansässigen Bauern, einem Autodidakten, der dem Zehnjährigen ein paar Grundbegriffe der Sprache einbläuen sollte. Diesen Auftrag nahm der Hauslehrer wörtlich und bearbeitete mit seinen schwieligen Knöcheln die Stirn des Jungen, »wie Steropes oder Brontes den Amboss« schlugen. Tag für Tag kämpfte der kleine Emanuele mit den Tränen und der Lernerfolg war gleich null. Geremia, der darüber beunruhigt war, dass seine Investition in den Unterricht nur so karge Früchte trug, stieg eines Tages die Treppe hinauf und stellte sich leise an die Tür, um die beiden zu beobachten. Was er zu sehen bekam, war einer von Steropes’ Wutausbrüchen. Es dauerte nicht lange, da hatte Geremia den Lehrer an den Haaren gepackt, ihn zur Tür gezerrt und die Treppe hinuntergeworfen; Tintenfass, Federn und das einzige Exemplar von Alvaros Grammatik flogen hinterher. Von Latein war nicht mehr die Rede.

Wieder war Emanuele sich selbst überlassen gescheit, aber innerlich vor Scham darüber brennend, dass er so wenig wusste. Andere Jungen lachten und verspotteten ihn als lo spiritoso ignorante (»geistreichen Ignoranten«). Beim Herumstöbern in der Dachkammer, in der sein Vater Papiere aufbewahrte, die er nicht mehr brauchte, entdeckte Emanuele dann eines Tages die Überbleibsel der familieneigenen Bibliothek. Eines nach dem anderen nahm er die alten Bücher in die Hand und wischte den Staub von ihnen ab: Buovo d’Antona, ein französischer roman de geste; Geschichten von Tomaso Costo in einer Sammlung aus dem 16. Jahrhundert; Guerin Meschino, ein Ritterroman; Cassandra und Bertoldo, mittelalterliche Geschichten, außerdem Gedichtbände eine ausreichende Beschäftigung auf Monate hinaus. Emanuele war hingerissen. Er verschlang die Bücher, las sie Tag für Tag alle der Reihe nach, aber diejenigen, zu denen er wieder zurückkehrte, die einzigen, die er zweimal las, waren die vereinzelten Bände des italienischen Dichters Metastasio, des Hofdichters des Kaisers von Österreich, dessen Dramen nach Stoffen der klassischen Mythologie als der absolute Höhepunkt italienischer Opernlibretti galten. Selbst der zeitgenössische englische Kritiker Thomas Wilkes, der im Allgemeinen nicht für dieses Genre schwärmte, pries Metastasio als Dichter, der Italien »ebenso viel Ehre mache wie Corneille Frankreich oder nahezu wie Shakespeare England«, da er sich in seinen anmutigen, frei dahinströmenden Versen »weder vom Reim noch vom gleichbleibenden Metrum versklaven« lasse. In der Seele des jungen Emanuele rief die Dichtung Metastasios »dieselbe Empfindung hervor, wie die Musik sie auslöst«.

Während sich Emanuele zurückzog und las, fasste Geremia Cone­gliano einen Entschluss, der dem Leben des Jungen eine andere Richtung geben sollte. Die Juden in Ceneda hatten ähnliche Einschränkungen zu erdulden wie diejenigen, die in anderen Teilen der venezianischen Republik lebten. In der Öffentlichkeit mussten sie eine rote Kopfbedeckung tragen: Hüte für Männer, Kopftücher für Frauen. Sie durften nicht für Christen arbeiten und ihnen standen nur gewisse Berufe offen. Einige religiöse Riten unterlagen Einschränkungen, und wenn sie sich auch am Tag überall in der Stadt aufhalten durften, wurden sie doch nachts in ein Ghetto eingeschlossen.

Das ursprüngliche Ghetto war 1516 in Venedig eingerichtet worden. Es leitete seinen Namen von der alten öffentlichen Gießerei her (im venezianischen Dialekt geto), die früher auf der Insel gelegen hatte, auf der die Juden wohnen mussten. Während der darauffolgenden zwei Jahrhunderte zogen andere italienische Städte, durch antisemitische päpstliche Bullen ermutigt, nach und schlossen ihre jüdischen Bewohner ein. In früheren Jahren waren Erinnerungen an eine freiere Existenz immer noch deutlich gewesen, aber im Laufe der Zeit wurde das Leben in den Ghettos bedrängter, ärmlicher und trübseliger. In einem Bericht an die Zentralregierung von Venedig aus dem Jahre 1752 zeichnete der Bürgermeister von Rovigo (einer etwa 100 Kilometer südlich von Ceneda gelegenen Stadt) ein Bild der Zustände, wie sie auch für andere Ghettos in Italien charakteristisch waren:

Die Zahl der Ladeninhaber unter den Angehörigen dieses Volkes beläuft sich auf vierzehn. Es gibt nur zwei Gemischtwarenläden, beide schlecht ausgestattet. Alle anderen handeln nur noch mit elenden Lumpen, mit Ausnahme zweier, welche Lebensmittel verkaufen, die aber von geringer oder gar...

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