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Musikalischer Einsatz der Stimme in der Musiktherapie bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen

AutorIndra Gutane-Siener
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl139 Seiten
ISBN9783640544585
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Pädagogik - Kunstpädagogik, Note: 1, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Institut für Musik- und Bewegungserziehung sowie Musiktherapie), Sprache: Deutsch, Abstract: Sprachentwicklungsstörungen zählen zu den häufigsten Entwicklungsstörungen im Kindesalter. Vor diesem Hintergrund setzt sich diese Arbeit mit Methoden und Wirkungsbereichen der Musiktherapie bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen auseinander. Das Ziel ist herauszufinden, ob und wie Musiktherapie die Sprachentwicklung fördert und welche Rolle dabei der musikalische Einsatz der Stimme spielt. Diese Übersichtsarbeit wird durch Literatur im deutschen Sprachraum eingegrenzt. Durch einen Fragebogen wird die wissenschaftlich-theoretische Auseinandersetzung mit den Erfahrungswerten tätiger Musiktherapeuten abgeglichen und ergänzt. Die Ergebnisse der Literaturanalyse und des Fragebogens bestätigen, dass Musiktherapie einen positiven Einfluss auf die Sprachentwicklung hat und der musikalische Einsatz der Stimme in der Musiktherapie bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen einen wichtigen Stellenwert einnimmt.

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Leseprobe

2. Pathologie - Sprachentwicklungsstörungen


 

Wenn ein Kind eingeschränkte musikalische Fähigkeiten hat und z.B. als „Brummer“ abgestempelt wird, kann das verschiedene Ursachen haben. In unserer Kultur werden Störungen der musikalischen Entwicklung als normal betrachtet: Es erzeugt keinen Leidensdruck und wird deshalb weder diagnostiziert noch einschlägig therapiert. Anders sieht die Situation aus, wenn die Sprachentwicklung ausfällt oder gestört ist - hier tritt Erklärungs- und Handlungsbedarf auf.[122]

 

 Es gibt viele verschiedene Theorien und Ansichtsweisen von Logopäden, ab wann eine Sprachentwicklung als gestört gilt. Auch der Fachbegriffgebrauch ist nicht einheitlich, teilweise sogar widersprüchlich. Um eine möglichst objektive und aktuelle Krankheitsbeschreibung zu liefern, werde ich mich in diesem Kapitel vorwiegend nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften[123] (AWMF) richten, die 2008 aktualisiert wurde.

 

2.1 Begriffsklärung – Definitionen


 

Sprachgesund ist ein Kind, wenn es bis zum 4. Geburtstag gelernt hat, sich in seiner Muttersprache in korrekten, grammatisch geordneten Strukturen, in gut verstehbarer, altersgemäßer Aussprache aller Laute und in altersentsprechendem Wortschatz auszudrücken und situationsangemessen zu kommunizieren. Verschiedene anlagebedingte Gegebenheiten, das Geschlecht, sowie Einflüsse des individuellen Lebensumfeldes bedingen eine hohe Variabilität der normalen Sprachentwicklung.“[124]

 

Um Entwicklungsdefizite beurteilen zu können, sind in der folgenden Tabelle Grenzwerte angegeben. Das sind Entwicklungsziele, die 90% bis 95% aller normal entwickelten Kinder in einem bestimmten Alter erreicht haben sollten.[125]

 

Tab. 4: Grenzsteine der normalen Sprachentwicklung.

 

 

„Eine Sprachentwicklungsstörung (SES) liegt bei signifikanten zeitlichen und inhaltlichen Abweichungen von der normalen Sprachentwicklung im Kindesalter vor. Sprachproduktion und/oder Sprachverständnis weichen auf einer, mehreren oder allen formal-linguistischen Ebenen (phonetisch-phonologisch, lexikalisch-semantisch, morphologisch-syntaktisch, pragmatisch) von der Altersnorm nach unten ab.“[126]

 

 Es wird zwischen spezifischen (primären) Sprachentwicklungsstörungen und Sprachentwicklungsstörungen im Zusammenhang mit Komorbiditäten[127] (unspezifische SES, sekundäre SES) unterschieden.

 

 Spezifische Sprachentwicklungsstörungen (SSES), auch umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache genannt, werden folgendermaßen in der ICD-10[128] definiert: Bei umschriebenen Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache (F80.-)

 

„(…) handelt (es) sich um Störungen, bei denen die normalen Muster des Spracherwerbs von frühen Entwicklungsstadien an beeinträchtigt sind. Die Störungen können nicht direkt neurologischen Störungen oder Veränderungen des Sprachablaufs, sensorischen Beeinträchtigungen, Intelligenzminderung oder Umweltfaktoren zugeordnet werden. Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache ziehen oft sekundäre Folgen nach sich, wie Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben, Störungen im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehung, im emotionalen und Verhaltensbereich.“[129]

 

Die SSES werden in Expressive (Sprachproduktion - F80.1) und Rezeptive (Sprachverständnis - F80.2.) Sprachstörung eingeteilt. Diese Einteilung ist jedoch umstritten, da sich oftmals bei expressiv gestörten Kindern unter differenzierter Diagnostik zumindest leichte Einschränkungen im Sprachverständnis finden lassen. Und rein rezeptive Störungen bei regelrechter Sprachproduktion kommen praktisch nicht vor.[130]

 

 Die Häufigkeit von spezifischen Sprachentwicklungsstörungen im Kindesalter wird für den amerikanischen Sprachraum nach den ICD-Kriterien mit 5% - 8% angegeben. Für den deutschen Sprachraum, für den uneinheitliche Angaben existieren, werden ähnliche Prävalenzraten erwartet. Jungen sind mehr davon betroffen als Mädchen. Etwa 40% - 80% der Kinder, die im Vorschulalter mit einer SSES diagnostiziert wurden, haben auch vier bis fünf Jahre später noch SSES-Symptome. 40% - 75% der Kinder mit SSES haben später Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb. In Langzeitstudien wurde nachgewiesen, dass die Symptome sich bis in das Adoleszenz- und Erwachsenenalter auswirken und der Schul- und berufliche Werdegang dabei negativ beeinflusst werden. Restdefekte bei behandelten und unbehandelten SSES wurden bis zu 28 Jahre nach der Erstdiagnose nachgewiesen.[131]

 

 Die zweite große Gruppe stellt die Sprachentwicklungsstörungen im Zusammenhang mit einer weiteren oder mehreren Entwicklungsstörungen oder Erkrankungen dar, die die SES (mit) verursacht haben könnten. Dann wird die SES nach ICD-10 mit der Grunderkrankung oder -störung kodiert. Folgende Auflistung nennt Entwicklungsstörungen und Grunderkrankungen, die bei Sprachentwicklungsstörungen im Zusammenhang mit Komorbiditäten von Bedeutung sind (Unspezifische Sprachentwicklungsstörungen):[132]

 

Sprachentwicklungsstörung bei Intelligenzminderung (F70-F79)

 

Sprachentwicklungsstörung bei Hörstörung (H90-H91; F80.20)

 

Sprachentwicklungsstörung bei anderen Sinnesbehinderungen und bei Mehrfachbehinderungen

 

Sprachentwicklungsstörungen bei tief greifenden Entwicklungsstörungen, z. B. Autismus (F84.-F84.1)

 

Sprachentwicklungsstörungen bei Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in der Kindheit und Jugend, z. B. bei (s)elektivem Mutismus (F94.0)

 

Sprachentwicklungsstörungen in Vergesellschaftung mit Syndromen

 

 Sprachentwicklungsstörungen bei Störungen der motorischen Funktionen(F82.-)

 

Für SES bei sprachentwicklungsrelevanten Komorbiditäten sind die Häufigkeitsraten nicht genau bekannt. Der Anteil von Kindern mit als sprachentwicklungsrelevante Komorbidität zählenden Erkrankungen oder Störungen an der Gesamtbevölkerung wird auf ca. 3% geschätzt.[133]

 

 Von Sprachentwicklungsstörungen müssen Sprachentwicklungs-verzögerungen (SEV) abgegrenzt werden, bei denen es sich lediglich um gemäßigte zeitliche Abweichungen um mindestens sechs Monate von der Altersnorm der Sprachentwicklung handelt. Der Begriff Sprachentwicklungsverzögerung wird nur bis zum 3. Geburtstag gebraucht. In der Fachliteratur wird der Begriff Sprachentwicklungsverzögerung aber auch bei älteren Kindern verwendet und mit Sprachentwicklungsstörung gleichgesetzt. In vielen medizinischen Institutionen dient der Terminus SEV als Bezeichnung aller Sprachentwicklungsauffälligkeiten, bei denen keine primäre Verursachung diagnostiziert werden kann. Die Bezeichnung SEV mag von Eltern eher akzeptiert werden als SES, da hier eine optimistische Prognose geliefert wird.[134]

 

 Zu den wirklich sprachentwicklungsverzögerten Kindern gehören die so genannten Late Talkers: Das sind Kinder ohne erkennbare Primärbeeinträchtigungen, die bis zum Ende des 2. Lebensjahrs weniger als 50 Wörter oder keine Wortkombinationen produzieren. Für die Häufigkeit bei deutschsprachigen Kindern im Alter von zwei Jahren reichen die Angaben von 13% - 20%, die Jungen sind wieder mehr betroffen als Mädchen. Ein Teil dieser Kinder - Late Bloomer genannt - holen ihren Rückstand zwischen dem 2. und 3. Geburtstag auf. Der Anteil der Kinder, die den Rückstand bis zum 36. Lebensmonat nicht vollständig aufholen, reicht von 50% - 65%.[135]

 

 Zu den weiteren Auffälligkeiten des Sprech- und Spracherwerbs zählen Auffälligkeiten des Spracherwerbs im mehrsprachigen Kontext, Redeunflüssigkeiten im Spracherwerb wie auch Aussprachestörungen. Darauf wird nicht näher eingegangen, da das für die Diplomarbeit nicht relevant ist.

 

2.2 Ätiologie


 

Welche Ursachen haben Sprachentwicklungsstörungen? Bei den Unspezifischen Sprachentwicklungsstörungen ist es klar, dass sich die Primärerkrankung oder -störung negativ auf die Sprachentwicklung auswirken kann. Was verursacht spezifische Sprachentwicklungsstörungen, wo keine Primärerkrankungen vorliegen? Im Folgenden einige Erklärungen zu den möglichen Ursachen:[136]

 

1) Genetische Faktoren werden als Hauptursache angenommen.

2) Umweltfaktoren:

 

Die familiäre Anregung hat auf den Umfang des Vokabulars weitgehend Einfluss.

 

Sensitivität und Depression der Mutter, sowie die Frage, ob die Mutter verheiratet war, stellen mögliche Einflussfaktoren dar, während die mütterliche Bildung kontrovers bewertet wird.

 

3) Weitere Annahmen:

 

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