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Mythos Einzelkind? Gängige Vorurteile und ihre Herkunft

Warum sich Paare trotz vermeintlicher Nachteile für ein Einzelkind entscheiden

AutorValentina Wieser
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl61 Seiten
ISBN9783668195271
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Einsam, liebesunfähig und zugleich verwöhnt. Dies sind einige der Vorurteile, die Einzelkindern anhaften. Bereits der Begriff 'einzeln' suggeriert Vorstellungen von Alleinsein und Isolation. Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive mit dem 'Mythos Einzelkind' und der Frage, warum sich Paare für ein Einzelkind entscheiden, obwohl die vermeintlichen Nachteile dabei zu überwiegen scheinen. Aus dieser Forschungsfrage entstehen mehrere Unterfragen, die beantwortet werden sollen: Was sind Vorurteile und woher stammt diese Voreingenommenheit gegenüber Einzelkindern? Welche Defizite werden Geschwisterlosen unterstellt? Und welche Differenzen zwischen Einzelkindern und Geschwisterkindern zeigen sich wirklich? In dieser Arbeit wird ebenfalls die Hypothese von Gordon Allport überprüft, dass ein 'Vorurteil [...] eine Antipathie [ist], die sich auf eine fehlerhafte und starre Verallgemeinerung gründet. [...] Sie kann sich gegen eine Gruppe als ganze richten oder gegen ein Individuum, weil es Mitglied einer solchen Gruppe ist.' Um die Fragen beantworten und die Hypothese verifizieren zu können, wird die vorliegende Arbeit die Methode der Literaturarbeit anwenden und verschiedene Positionen und Studien mehrerer Forscher und Forscherinnen vergleichen und kritisch und vorurteilsfrei analysieren. Einzelkinder und manchmal auch Einzelkindeltern scheinen in der Opferrolle zu sein, da sie durch das Fehlen von Geschwistern die Erwartungen einer 'normal[en]' Familie nicht erfüllen, und müssen daher boshafte Unterstellungen ertragen. Aus dem Grund, dass sich manche Eltern bewusst für ein einziges Kind entscheiden und bei anderen Eltern die individuelle berufliche oder gesundheitliche Situation eine Rolle spielen, gehen Eltern unterschiedlich mit ihrer persönlichen Familiensituation um und daher kann man nicht von einem 'typischen' Einzelkind sprechen, das von vornherein einsam, verwöhnt, altklug, liebesunfähig, konfliktunfähig, eingebildet, egoistisch, überbehütet und introvertiert ist, sondern man muss berücksichtigen, dass milieuspezifische Faktoren die Entwicklung eines Einzelkindes viel mehr beeinflussen und ein Kind ohne Geschwister somit aus seiner Position sehr wohl auch positive Qualitäten für das spätere Leben mitnehmen kann, da es auch durch Peers ähnliche Erfahrungen machen kann.

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Leseprobe

3. Kinderwunsch und Kinderzahl


 

Hofer et al. (2002, S.74) beschreiben die unterschiedlichen Sichtweisen auf ein Kind früher und heute. Die Bedeutung eines Kindes hat sich verändert. In Agrargesellschaften wurden Kinder nicht nur gezeugt, um einen emotionalen Nutzen daraus zu ziehen, sondern auch, um als Arbeiter am Feld zu dienen und im Falle eines Todes eines Elternteiles den Platz einzunehmen und damit oft verbunden den Hof weiterzuführen. Durch die Tatsache, dass es heutzutage Versicherungen aller Art (Lebensversicherungen, Unfallversicherungen etc.) gibt, wurde diese wirtschaftliche Zweckdienlichkeit eines Kindes reduziert. Jedoch stellt sich die Frage, welche weiteren Gründe es gibt, weshalb Frauen immer öfter kinderlos bleiben bzw. weshalb Familien kleiner werden.

 

3.1 Gründe für Kinderlosigkeit


 

Die Gründe für Kinderlosigkeit können sich sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher Ebene finden. Den steigenden Geburtenrückgang begründen Hofer et al. damit, dass sich immer mehr Frauen bewusst dafür entscheiden, ein Leben ohne Kinder zu führen. Ein Grund keine Kinder zu bekommen, kann unter anderem die ungenügende finanzielle Unterstützung des Staates sein. Wenn Frauen beruflich erfolgreich sind bzw. an einer Universität studieren, kann der Kinderwunsch auch oft bewusst ein paar Jahre nach hinten verschoben und in manchen Fällen sogar ganz aufgegeben werden. (Vgl. Hofer et al. 2002, S.75) Man erkennt eine Tendenz, dass eine Frau durchschnittlich weniger Kinder kriegt, wenn sie beruflich erfolgreich ist. Beispielsweise Frauen, die an der Universität arbeiten, haben am wenigsten Kinder, fast 60% der Forscherinnen zwischen 37 und 42 sind kinderlos. (Vgl. Blöchinger 2008, S.84)

 

Beck-Gernsheim (2006, S.115) verweist auf die Antibabypille, die es Frauen ermöglicht, ihre Kinderlosigkeit solange weiterzuführen, wie sie es möchten. Gleichzeitig hinterfragt sie dieses Warten auf den richtigen Moment für eine Schwangerschaft. Frauen warten auf den bestmöglichen Zeitpunkt, um das erste Kind zu bekommen. Darunter fallen Kriterien wie Beziehung, das Einkommen und die Wohnsituation. Für einige Frauen scheint allerdings nie der richtige Augenblick zu kommen. Außerdem erwähnt Beck-Gernsheim (1988, S.160-164), dass der Entschluss für ein Kind auch deshalb so schwer ist, weil die Entscheidung von heute aufgrund von Beziehungen, Karrierechancen und der Wohnsituation vielleicht morgen schon keine Gültigkeit mehr hat. Sie bezeichnet Einzelkinder daher als „Kopfgeburten“, weil der Entschluss für ein Kind nicht plötzlich entsteht, sondern erst nach umfangreicher Recherche von Ratgeberliteratur und genauem Überdenken der persönlichen Situation. Hofer et al. (2002, S.75f.) beziehen sich auf die Ansicht von Kaufmann, nämlich dass dieses weibliche Streben nach mehr Autonomie nicht als Ablehnung einer Familiengründung betrachtet werden kann, sondern als Tatsache, dass der Sinn des Lebens nicht nur mehr darin besteht, den Fortbestand der Familie zu sichern, sondern auch einen Teil des persönlichen Glücks außerhalb der Familie zu finden. Als dritten Grund weshalb einige Paare kinderlos bleiben, erwähnen Hofer et al. die „Infertilität“, also das Unvermögen, ein Kind zu zeugen.

 

3.2 Gründe für ein Kind


 

„Moderne Kinder [werden] nicht mehr für etwas anerkannt […], sondern als etwas.“ (Dornes 2012, S.295)

 

Eltern in unserer Gesellschaft müssen nicht mehr unbedingt einen ökonomischen Nutzen im Kind sehen, sondern der emotionale überwiegt. Außerdem korreliert der emotionale Nutzen eines Kindes nicht mit der Kinderzahl. Ein Einzelkind kann eine Familie also genauso erfüllen, wie mehrere Kinder es tun würden. Viele Paare stellen sich zwar eine Zukunft mit mehreren Kindern vor, aber aus verschiedenen Gründen belassen es einige bei einem Einzelkind. (Vgl. Hofer et al. 2002, S.76) Die Berufstätigkeit der Frauen ist ein Grund, weshalb viele Mütter kein zweites Kind möchten, weil ein weiteres Kind für eine emanzipierte Frau im Berufsleben bedeuten würde, dass sie noch länger nicht auf die Karriereleiter wiederaufsteigen kann. (Vgl. Kasten 2007, S.18ff.)

 

Die Feststellung, dass man „nur“ Mutter ist, gehört nach Blöchinger zu den Gründen für ein Kind. Einige Mütter halten zudem den Druck nicht aus. Schlafmangel, zu geringe Wertschätzung als Mutter und verlorene Flexibilität können zusätzlich den Wunsch, es bei einem Kind zu belassen, verstärken. Daneben gibt es auch biologische Ursachen, die ein zweites Kind verhindern, zum Beispiel die „sekundäre Unfruchtbarkeit“ die nach einem ersten Baby kein zweites mehr ermöglicht. Auch für die Beziehung des Paares kann diese Unfruchtbarkeit als große Zerreißprobe angesehen werden. Zu wissen, dass man sich damit abfinden muss, nur ein Kind zu haben, ist vor allem für jene Eltern belastend, die Vorurteile über Einzelkinder haben. Andere Paare hingegen könnten biologisch gesehen ein weiteres Kind bekommen, die finanzielle Lage lässt es jedoch nicht zu. (Vgl. Blöchinger 2008, S.86f.)

 

Zöllner behauptet, dass das Einzelkind die „Folge wirtschaftlicher und kalkulierender Überlegungen“ (Zöllner 1994, S.22) ist. McGrath (1989, S.38f.) nennt neben dem oft hohen Alter der Mütter beim ersten Kind noch drei weitere Gründe, warum es oft bei einem Einzelkind bleibt. Manche Kinder bleiben wegen eines Todesfalles eines Elternteils Einzelkind, andere weil sich die Eltern scheiden lassen. Daher wachsen auch viele Einzelkinder nur bei einem Elternteil auf. Zuletzt entsteht ein Einzelkind auch deswegen, weil Eltern bewusst nur ein Kind haben möchten, um flexibel zu bleiben und dem Kind einen hohen Lebensstandard zu bieten.

 

Bei anderen Paaren ist es so, dass die Umstände für ein zweites Kind zwar gegeben wären, aber dass es bei der Geburt des ersten Kindes bereits einige Komplikationen gab, sodass „die Mutter davon traumatisiert ist und auf weitere Kinder verzichtet“ (Blöchinger 2008, S.90), oder die Ärzte von einem zweiten Baby abraten. (Vgl. Blöchinger 2008, S.90) Ein weiterer Grund für ein Kind ist auch das Argument der Kinderbetreuung. Ein Kind kann man laut Zöllner relativ einfach bei Verwandten für einige Zeit unterbringen, bei mehreren Kindern ist das fast nicht mehr zu schaffen. Kurz nach der Geburt erfahren Eltern, wie es ist, Eltern zu sein und wie viel Aufwand ein Kind benötigt. In dieser Zeit ist der Gedanke an ein zweites Kind meist unvorstellbar. Wenn sich dann alles eingependelt hat, stellen sich viele Eltern die Frage, ob sie den gleichen Stress mit einem zweiten Kind noch einmal durchmachen wollen. (Vgl. Zöllner 1994, S.22f.) Als Einzelkind aufzuwachsen sei mittlerweile also kein Phänomen mehr, sondern fast der „Regelfall“. (Vgl. Kasten 2007, S.21) Bereits der Ausdruck „having ‚children‘“ geht davon aus, dass man nur mehrere Kinder haben kann, daher sollte man es eigentlich „ [having] ‚child‘“ nennen. (Vgl. McGrath 1989, S.41)

 

3.3 Einzelkindeltern als unvollkommene Eltern


 

"Your first?"

"Yup."

"Another one coming soon?"

"Nope--it might be just this one."

"You'll have more. You'll see."

"At the moment, I'm not planning on it."

"You wouldn't do that to your child. You'll see." (Sandler 2010)

 

Prinzipiell lassen sich nach der Psychologin und Wissenschaftsjournalistin Brigitte Blöchinger zwei Arten von Eltern unterscheiden: „Eltern, die sich bewusst und selbstbestimmt für ein Kind entscheiden, und Eltern, die durch ‚höhere Gewalt‘ daran gehindert werden, weitere Kinder zu haben.“ (Blöchinger 2008, S.83) Erstere haben sich bewusst entschieden und verspüren daher auch kein schlechtes Gewissen, die konventionelle Norm von zwei Kindern nicht erfüllt zu haben. Die beste Umgebung für ein Einzelkind ist gegeben, wenn Vater und Mutter bewusst eine Einkindfamilie sein möchten. (Vgl. Blöchinger 2008, S.83) Ein Einzelkind ist selten „ein beliebiges Kind, sondern genau das geplante und gewünschte.“ (Zöllner 1994, S.23)

 

Einzelkindeltern sind häufig einem sozialen Druck ausgesetzt. Unabhängig davon, aus welchen Gründen Paare nur ein Kind haben, erleben viele, dass in den Köpfen der Bevölkerung die kulturelle und gesellschaftliche Norm, mindestens zwei Kinder zu haben, immer noch aufrecht ist. (Vgl. Kasten 2007, S.20f.)

Schärer (1994, S.83) fügt hinzu, dass das alte „Bibelwort ‚…mehret euch!“ (Schärer 1994, S.83) mit Ablehnung gegenüber Eltern ohne Kind oder Einzelkindelkindern verbunden war, weil sie ihren Anteil zum „Gruppenwachstum“ nicht geleistet haben. Kasten (2007, S.21) ergänzt, dass wenn jemand diesen Richtlinien, mindestens zwei Kinder zu haben, nicht folgt, er zwar nicht bestraft wird, jedoch „Befremden, Verwunderung, Besorgnis oder auch […] Unverständnis, Missbilligung und Geringschätzung“ (Kasten 2007, S.21) spürt. Wie im oben genannten Dialog werden Einzelkindeltern häufig darauf angesprochen, warum sie nicht noch ein weiteres Kind bekommen. Weil sich manche Eltern eines Einzelkindes unwohl dabei fühlen, ihre Situation immer wieder rechtzufertigen, kann es dazu führen, dass sie anderen Eltern mit mehreren Kindern aus dem Weg gehen. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb die Eltern von Geschwisterlosen manchmal als „sozial weniger kompetent, mehr auf sich selbst fokussiert,...

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