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Persistenz und Verschwinden. Persistence and Disappearance

Pädagogische Organisationen im historischen Kontext. Educational Organizations in their historical Contexts

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl251 Seiten
ISBN9783531911250
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Welche Geschichten erzählen uns pädagogische Organisationen, wenn sie auf ihre Innovations- und Anpassungspraxen hin befragt werden? Der Band untersucht das Phänomen der Persistenz, d.h. des Überlebens einer Einrichtung unter sich wandelnden Kontextbedingungen, als organisationales Lernen. Dabei geht es um das Verständnis einzelner realer Einrichtungen, methodologisch also um Fallstudien u.a. an Addams' Hull House, Franckes Anstalten, Montessoris Kinderhaus, Homer Lanes Little Commonwealth, Decrolys Schule.


Dr. Michael Göhlich ist Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik I an der Philosophischen Fakultät I der Universität Erlangen-Nürnberg.
PD Dr. Caroline Hopf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pädagogik I der Universität Erlangen-Nürnberg.
Dr. Daniel Tröhler ist Professor of Educational Sciences an der University of Luxembourg.

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Leseprobe
Loose coupling als konstitutives Element der Organisation von Schule: Das Fallbeispiel Haldenstein-Marschlins in der Schweiz des 18. Jahrhunderts (S. 69-70)

Anne Bosche

Die Synergien der Interaktion von historischer Forschung und pädagogischer Theoriebildung werden wenig genutzt. Die Möglichkeiten der Verwendung historischer Forschungserkenntnisse für die Theoriebildung sowie des Nutzens theoretischen Wissens zur methodischen Herangehensweise an Quellen werden kaum verwendet, weil der Glaube vorherrscht, theoretisches Wissen interpretiere historische Quellen vor (vgl. Tröhler 2006, 65ff.). Ferner besagen Vorurteile, dass früher alles anders gewesen und mit historischen Forschungsgegenständen kein Mehrwert für aktuelle theoretische Fragestellungen zu erbringen sei. Der vorliegende Artikel wird im Spannungsfeld zwischen historischer Forschung und Theoriebildung positioniert. Der Versuch beide Aspekte zu verbinden, wird umgesetzt, indem historische Quellen anhand einer modernen theoretischen Perspektive untersucht werden. Dabei wird zweierlei deutlich: Erstens werden durch aktuelle theoretische Erkenntnisse in der Geschichte neue Zusammenhänge sichtbar und zweitens wird offensichtlich, dass historische Forschung für die Theoriebildung unabdingbar ist, da nur durch einen historischen Zugang verständlich wird, wie sich zeitgenössische Forschungsgegenstände konstituieren.

Im vorliegenden Fall ist der Forschungsgegenstand eine pädagogische Organisation, eine Schule im 18. Jahrhundert, die mittels einer modernen organisationstheoretischen Perspektive untersucht wird. Daher wird zunächst der theoretische Hintergrund, aus dem die Fragestellung abgeleitet wird, dargelegt (1). Um die Fragestellung zu beantworten, wird danach die Organisation der Schule untersucht (2 und 3). Abschließend wird die Analyse theoretisch ausgewertet (4).

1 Loose coupling und die historische Validität

1976 veröffentlichte Karl Weick den Aufsatz Educational organizations as loosely coupled systems, welcher sich für die moderne Organisationsforschung als theoretischer Meilenstein erweisen sollte. Mit Rekurs auf Robert Glassmans Text von 1973 Persistence and loose coupling in living systems (Glassman 1973, 83ff.) beschreibt Weick Organisationen als Systeme, deren verschiedene formale Zuständigkeitsbereiche untereinander nur lose gekoppelt sind. Diese lose Kopplung bezieht sich auf den Unterschied zwischen der Planung und der Realisation eines Prozesses oder einer Tätigkeit in einer Organisation – in Weicks Fall in einer Schule (vgl. Weick 1976, 1ff.). Denkbar ist hier, dass intendierte Änderungen der Schulleitung im Schulalltag von den ausführenden Lehrpersonen nicht exakt umgesetzt werden. Der Grund dafür liegt in dem unterschiedlichen Arbeitsalltag von Leitungspersonen und Lehrern. Wenn also Schulleitungen Vorgaben an Lehrer mit der Erwartung delegieren, diese würden eins zu eins umgesetzt, wird übersehen, dass Lehrer, eingebunden in deren eigenen Arbeitsalltag, diese Vorgaben in ihre Tätigkeiten übersetzen müssen. Die unterschiedlichen Arbeitsalltage wiederum liegen in den formalen Zuständigkeiten begründet, die angelehnt an Max Webers Beschreibungen zum bürokratischen Verwaltungsstab je nach Position und Abteilung andere Aufgaben und Tätigkeiten für Mitarbeitende vorsehen (vgl. Weber 1921, 124ff.).

Karl Weicks Text beschreibt eine der grundlegenden theoretischen Positionen des loose coupling-Prinzips und verweist damit auf die Unterscheidung von Programm und Praxis. In erster Linie hat der Neoinstitutionalismus seit den 1970er Jahren das loose coupling-Prinzip weiter entwickelt (vgl. Senge 2005, 19ff.). Er verändert dabei dessen Bedeutung, indem er die Brücke zur Welt außerhalb von Organisationen schlägt und Organisationen somit nicht mehr als abgeschlossene Systeme fasst, wie es bei Weick der Fall war, sondern gerade ihre gesellschaftliche Einbettung betont (vgl. Meyer/Rowan 1991, 41ff.). Mit der These, dass institutionelle, d.h. gesellschaftlich vorherrschende Denkmuster und Vorstellungen Organisationen beeinflussen, wird einerseits die Begründung des loose coupling auf gesellschaftliche Erwartungen verlagert und andererseits loose coupling auf ein Verständnis eingeschränkt, das nur noch zwischen dem Programm und dessen Realisation differenziert.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Persistenz pädagogischer Organisationen. Eine Einführung.9
Persistence of educational organizations. An introduction.12
I. Krise und Innovation15
Surmounting Crises by Openness. The History of Reggio Emilia Preschools as Process of Organizational Learning16
Zwischen lokaler Tradition und Umbruch in die Moderne. Faktoren der Krise einer Fürsorgeerziehungsanstalt um 193027
“No Women please”: Co-education and Expansion, Crisis and Change at King Alfred’s College Winchester in the Mid- Twentieth Century38
Kulturelle Praxen der Krisenbewältigung. Untersuchung organisationaler Lernmuster mittels der Methode des Vergangenheitsworkshops51
II. Programm und Praxis. Zum Verhältnis von öffentlicher Legitimation und innerer Aktivität von Organisationen62
Loose coupling als konstitutives Element der Organisation von Schule: Das Fallbeispiel Haldenstein-Marschlins in der Schweiz des 18. Jahrhunderts63
Organisation von Schule: Das Fallbeispiel Haldenstein- Marschlins in der Schweiz des 18. Jahrhunderts63
Konzipieren und Organisieren von Bildung: Die kurze Geschichte der Moralisch- politischen und Historischen Gesellschaft in Zürich ( 1762- 1764)76
Von der pietistischen Schulstadt zu einer Bildungsanstalt der Aufklärung. Krise und Wandel der Franckeschen Stiftungen um 180092
„Bis dass sie wissen, dass sie nichts wissen“. Gründung und Persistenz des Evangelischen Lehrerseminars Zürich111
Die Nürnberger Volkshochschule in der Weimarer Republik122
III. Leadership. Zur Praxis der Leitung von Organisationen131
Settling: Performance Pedagogy at Hull-House132
Persistenz einer Nischenschule. Hundert Jahre Decroly- Schule in Brüssel, Belgien148
Organisation und Innovation: Zur Schulverfassungsfrage im Philanthropismus163
Macht und Verantwortung im Kinderladen – Organisationsgeschichte als Lernprozess178
IV. „Best Practice“. Das Verhältnis von Vorbild- und Nachfolge- Organisationen187
Kopie, Adaption oder Label? Die Pestalozzische Musterschule in Frankfurt und ihr Burgdorfer Vorbild188
Montessori Modelling. The Case of Rome201
Das erste staatliche Lehrerweiterbildungsinstitut im Kanton Zürich 1806- 1808: Eine erfolgreiche Kurzgeschichte211
The genesis and disappearance of Homer Lane’s Little Commonwealth: A Weberian analysis220
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren237

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