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Perspektiven für psychisch erkrankte junge Erwachsene

Aus Sicht der Sozialen Arbeit im Wohnheim

AutorAnna Luisa Piva
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl85 Seiten
ISBN9783640285600
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Fachhochschule Dortmund, 60 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Da psychische Erkrankungen in Deutschland in der Tendenz häufiger auftreten und auch Kinder und Jugendliche vermehrt von ihnen betroffen sind, steigt der Bedarf für Hilfen, insbesondere im Bereich der Wohnformen. Laut der Bundestherapeutenkammer besagen die Daten des BKK Gesundheitsreports 2005, dass psychische Erkrankungen seit den 90er Jahren in Deutschland um 28 Prozent gestiegen sind , ebenso existiert eine deutliche Zunahme der Störungen im Kindes- und Jugendalter. Bei jungen Erwachsenen ist der Anstieg überproportional, besonders betroffen sind Frauen in der Altersgruppe der 15- bis 29-jährigen und Männer im Alter von 15 bis 34 Jahren. Neben dem aktuellen Anstieg des Bedarfs, führte schon die Herabsetzung der Volljährigkeit 1975 vermehrt zu der Suche nach geeigneten Wohnformen, da mit 18 Jahren entlassene, junge Erwachsene, aus Heimen und Wohngemeinschaften ihren Platz weder in der Jugendhilfe, noch in Einrichtungen mit psychisch erkrankten jeden Alters fanden. Das Seppl-Kuschka-Haus, ein Wohnheim, das sich auf junge Volljährige spezialisiert hat, bestätigt nicht nur die Tendenz, dass immer häufiger junge Erwachsene im Bereich Wohnen Hilfen benötigen, in der Konzeption wird ebenfalls auf die besonders schweren Erkrankungen eingegangen, die diese Klientengruppe auszeichnet. Häufig seien die jungen Erwachsenen an schizophrenen und schizoaffektiven Psychosen, die mit Persönlichkeitsstörungen einhergehen, erkrankt. Zum Teil bestehe zusätzlich noch eine Suchtproblematik. Psychische Erkrankungen können das Leben der Betroffenen in sämtlichen Lebensbereichen stark beinträchtigen. So geht beispielsweise häufig ein Verlust des sozialen Umfeldes, der Familie und des Arbeitsplatzes mit der Erkrankung einher. Sozialtherapeutische Wohnheime versuchen rehabilitativ eine (Wieder-) Eingliederung in die Gesellschaft zu erzielen. Spezielle Konzepte für die Klientengruppe, psychisch erkrankte junge Erwachsene, gibt es kaum. Der Bedarf aber, sich mit ihnen auseinander zu setzen, steigt. In dieser Diplomarbeit sollen die Rahmenbedingungen für ein Wohnheim, mit der speziellen Klientengruppe, herausgearbeitet werden, so dass diesen Perspektiven für ihr weiteres Leben geboten werden können.

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Leseprobe

2 Die psychischen Erkrankungen


2.1 Begriffsdefinition psychischer Störungen


 

Im Gegensatz zu körperlichen Befunden sind psychische Erkrankungen weit weniger eindeutig zu definieren, da sie sich auf das Fühlen und Denken eines Menschen beziehen.[56] Wer ist also dieser psychisch Kranke und wo ist die Grenze des sozialen Verständnisses zwischen normal und verrückt?

 

Für eine Definition des Begriffes Krankheit gibt es verschiedene Ansätze, außerdem sollte der Begriff Gesundheit berücksichtigt und erhellt werden. Medizinisch betrachtet geht eine Krankheit mit gewissen Symptomen und Ursachen einher. In diesem Zusammenhang beschreibt die gesetzliche Krankenversicherung Krankheit als einen Zustand geistiger oder körperlicher Regelwidrigkeit mit der Folge einer Behandlungsbedürftig- oder Arbeitslosigkeit. Eine geistige oder körperliche Regelwidrigkeit ist dann vorhanden, wenn sie eine Abweichung von der durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägten Norm darstellt. Laut Sunder[57] formuliert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Präambel zu ihrer Satzung, Gesundheit als Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Das Frei-Sein von Gebrechen oder Krankheit ist hier nicht verankert.[58]

 

Die von der WHO herausgegebene ICD ist ein Diagnoseschlüssel, der Krankheiten international klassifiziert. Die aktuelle Revision ist die ICD-10, also die zehnte Fassung. Das amerikanische Vergleichswerk im Bezug auf psychische Störungen ist der DSM[59], herausgegeben von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung. Im Gegensatz zu der ICD-10 ist dieses ein nationales Klassifikationssystem. In Deutschland wurde am 1. Januar 2000 die ICD-10 für die gesamte medizinische Versorgung eingeführt und ist seitdem die Abrechnungsgrundlage von Gesundheitsleistungen im ambulanten wie im stationären Bereich. Das Kapitel V der ICD-10 stellt unter den Notationen F0-F9 psychische sowie Verhaltensstörungen vor. Der Begriff „Störung“ ersetzt den der Krankheit. Im Vergleich zu dem Gesamtverzeichnis stellt sich für die Psychiatrie eine Besonderheit heraus, die für keinen anderen Bereich der ICD-10 gilt: Allen Diagnosen ist eine Definition, ein erklärender Text, zugeordnet. Dies verdeutlicht den hoch einzuschätzenden Schwierigkeitsgrad der psychiatrischen Diagnostik.

 

Ausgangspunkt für eine Bestimmung des Pathologischen ist die Annahme, dass es Normen des Psychischen gibt und eine Normalität des Verhaltens sowie des Erlebens. Normen sind definiert als allgemein akzeptierte Regeln. Abweichungen von Normen sind Delinquenz oder Verstöße gegen Gebräuche und Sitten. Abweichungen von der Normalität werden als Störungen der Funktion, des Erlebens, der Intelligenz, des Bewusstseins oder des Verhaltens verstanden. Die Erfassung einer Normalität des Erlebens begründet sich auf objektive Kriterien, die statistische Norm und die Idealnorm, die durch subjektive Anteile gelöst wird.[60] Ebenso unterliegt die Normalität dem sozialen Wandel,[61] was bedeutet, dass sie mit Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen variiert. Die Individualität liegt immer in der Reichweite der Normalität. Werden Erkenntnisse über die Realität, über die ein gesellschaftlicher Konsens besteht, oder realitätsbezogenes Handeln, beeinträchtigt oder aufgehoben, gilt dies als Störung, Abweichung oder nicht normal. Im Bezug auf psychische Störungen gilt die Normalitätsannahme, dass die Sinnesreize den Menschen über die Außenwelt informieren. Im Falle von Halluzinationen etwa ist dies nicht gegeben. Werden psychische Störungen beurteilt, ist zu bedenken, dass die Basis der Erkenntnis, also die Norm, an der sie gemessen werden, sich nicht aus bestimmten Phänomenen ergibt, sondern eine subjektive Wertung darstellt. Verhalten, das als nicht normal gilt, darf als dieses nicht zugeschrieben werden „durch die Gesellschaft oder den Psychiater als ‚Agent[en]’ der Gesellschaft“[62]. Es sollte von dem Betroffenen selbst als Abweichung erlebt und formuliert werden.[63] Schwierig sind in diesem Zusammenhang die so genannten Zwangseinweisungen durch das PsychKG[64]. Die Psychiatrischen Krankengesetze der jeweiligen Bundesländer waren ursprünglich gedacht als Ausführungsgesetzte zu Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 104 Absatz 2 des Grundgesetzes:

 

Art. 2 Abs. 2 GG „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Personen ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“[65] 

 

Art. 104 Abs. 2 GG: „Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheits-entziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in einem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.“[66] 

 

Heute regeln die PsychKGs allerdings nicht nur die Unterbringung psychisch kranker Menschen, sondern auch mögliche Hilfen, Krisenintervention und Schutzmaßnahmen. Die richterliche Anordnung, wie sie in Artikel 104 des Grundgesetzes beschrieben wird, ist unbedingt nötig, da in psychiatrischen Krankenhäusern die zwangsweise Unterbringung eine Freiheitsentziehung darstellt. Als Voraussetzung einer Unterbringung muss eine erhebliche behandlungsbedürftige psychische Störung oder Behinderung vorliegen, die mit selbst- oder fremdgefährdendem Verhalten einhergeht. Die Unterbringung als Freiheitsentziehung muss in einem angemessenen Verhältnis zu der Art und dem Grad der Gefährdung stehen, die von dem Kranken ausgeht.[67] Die Beurteilung des angemessenen Verhältnisses liegt bei dem zuständigen Richter, sie ist also subjektiv und meist geprägt durch die Meinung des psychiatrischen Arztes.     

 

Der in der Psychiatrie gängige Krankheitsbegriff bezieht sich auf Störungen im Ablauf der Lebensvorgänge, gekoppelt an eine verminderte Leistungsfähigkeit und häufig auch Veränderungen des Körpers.[68] Deshalb lösen psychisch Erkrankte bei ihrem Gegenüber oft Betroffenheit, Angst, Abwehr und Befremden aus.[69]

 

Es sind verschiedene Blickwinkel auf eine psychische Erkrankung denkbar. Der grundsätzliche Unterschied liegt darin, ob der Fokus auf den Menschen als soziales Wesen mit abweichendem Verhalten[70] oder auf die individuelle Geschichte und die damit verbundenen ätiologischen Bedingungen[71] der Krankheit gerichtet ist. Der soziale und der interaktionelle Aspekt bei dem Menschen als soziales Wesen bedeutet, dass der Erkrankte sein Verhalten gegenüber seiner Umwelt verändert und die Umwelt auf den Erkrankten verändert reagiert. Der Erkrankte und die Umwelt modulieren sich gegenseitig. Dieser Kontext ist für die Klassifikation von Störungen und deren Ausprägung dementsprechend von entscheidender Bedeutung.[72]

 

Auf die Entstehung von psychischen Störungen kann die Umwelt einen starken Einfluss haben. So ist die psychische Entwicklung an somatische Voraussetzungen gebunden, wie etwa an die Hirnreifung. Die körperliche Entwicklung wird durch endogene Faktoren gesteuert, ist allerdings ebenso wie die psychische Entwicklung an exogene Einflüsse gekoppelt. Klima, Ernährung und Krankheiten können also auch hier die Entwicklung beeinflussen. Voraussetzung für die spätere psychische Entwicklung ist, dass die Zahl der Nervenzellen bei der Geburt weitestgehend festgelegt ist. Die Existenz einer ausgebildeten Psyche zum Zeitpunkt der Geburt ist umstritten. Die Umwelt eines Kindes kann nachweislich hemmende oder fördernde Impulse auf die Entwicklung des Kindes haben, zum Beispiel auf die Größe der Zellen, die Dicke der Hirnrinde und den Grad der Durchblutung im Gehirn. Die endogene Disposition wird also auch hier nur durch exogene Faktoren realisierbar. Erbgenetische Faktoren sind sehr schwer nachzuweisen[73]. Dennoch, so der Präsident des 7. Weltkongresses für Biologische Psychiatrie[74] Hans-Jürgen Möller, könne davon ausgegangen werden, dass ein Bündel sich gegenseitig beeinflussender Gene psychische Erkrankungen wahrscheinlicher auftreten lassen.[75] Vor allem aber Erfahrungen in der frühen Kindheit beeinflussen die Persönlichkeits- und Charakterstruktur. Das Milieu, also vor allem das familiäre und soziale Umfeld, wirkt sich günstig oder ungünstig auf die morphologische Hirnstruktur aus. So spricht auch Freud in seinem Werk „Drei Abhandlungen der Sexualtheorie“[76] von der wechselnden Bedeutung konstitutioneller milieureaktiver Faktoren für die Genese von Neurosen.[77] Es ist kaum möglich eine pauschale Ursachenforschung zu betreiben, sich die psychischen Störungen sich sehr unterschiedlich darstellen, wie es in der nachfolgenden Vorstellung der Krankheitsbilder deutlich wird.

 

2.2 Die unterschiedlichen Krankheitsbilder der Bewohner sozialtherapeutischer Wohnheime – Vorstellung der psychischen Störungen 


 

Die ICD-10 klassifiziert die psychischen Störungen unter den Notationen F0-F9. Der Buchstabe F steht für das fünfte...

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