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polar 17: Schuld und Schulden

Im Minus

VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783593425191
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Die Finanzkrise, verstanden als Schuldenkrise, hat eine Diskussion über Moral in der Wirtschaft entfacht, entlang der Frage: Wer ist verantwortlich für die Schulden und wer muss sie tragen? Schulden sind weit mehr als bloße finanzielle Verbindlichkeiten. Sie definieren grundlegende Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft und in der internationalen Politik: auf der einen Seite die Gläubiger, auf der anderen die Schuldner. Wer nicht zahlen kann, steht auch sozial tief in der Kreide. Überschuldung fesselt Verbraucher, Gemeinden und Länder. So wird ganzen Nationen angesichts ihrer Staatsschulden eine falsche Lebensweise als Kollektivschuld vorgehalten und das Sparen verordnet. Was lässt sich aus der moralischen Verquickung von Schulden mit Schuld lernen? Das neue Heft von »polar« beleuchtet dieses Verhältnis und damit Verantwortung und Verfehlung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik.

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Leseprobe
Liebe Leserin, Lieber Leser,

die explodierenden Staatsschulden sind im politischen Diskurs schon lange ein Thema. Lagen die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden 1950 in Deutschland noch bei schlappen 9 Milliarden Euro, so standen sie 2013 bei über 2 Billionen Euro. Die öffentlichen Haushalte haben entsprechend hohe Zinslasten zu tragen und sind in ihrer Handlungsfähigkeit massiv eingeschränkt.

Zu einem breiten gesellschaftlichen Thema wurden Schulden jedoch erst mit der Finanzkrise seit 2007, in der in mehreren Druckwellen deutlich wurde, wie Finanzmärkte und Finanzordnungen ganze Staaten an den Abgrund führen können. Parallel zu der fiskalischen und ökonomischen Krisengeschichte der letzten Jahre gibt es aber auch eine mentale Krisengeschichte, in der nach den moralischen und psychologischen Implikationen gefragt wird: Wer hat Schuld an den Schulden? Liegt in Schulden überhaupt eine Schuld? Es ist dieser Zusammenhang, der uns interessiert, und den wir zum Anlass nahmen, ein ganzes Heft dazu zu machen.

Offenbar gibt es in Deutschland eine besondere Angst vor dem Schuldenmachen - und das nicht nur im Schwäbischen. Was in anderen Sprachen deutlich unterschieden wird (etwa guilt und debt), liegt im deutschsprachigen Raum nah beieinander. Wer nicht zahlen kann, steht auch sozial tief in der Schuld. Wo also fängt die Schuldenmoral an? Wo hört sie auf?

Im Eröffnungstext würdigt Mark Schieritz die Bedeutung von Schulden für die moderne Wirtschaft als kreativen Schöpfungsakt. Er widerspricht der gängigen These, dass Schulden für die europäische Krise verantwortlich seien (S. 9). Robert Misik nimmt es in seinem Text gleich mit dem nächsten Missverständnis auf und plädiert für eine höhere Inflation (S. 15). Gerhard Schick beschreibt Schulden im Kern als Versprechen in die Zukunft. Wie im wahren Leben gibt es unterschiedliche Versprechen: es gibt die ernstgemeinten und die mit gekreuzten Fingern auf dem Rücken. Auf dem Markt der Versprechen wurden zu viele Wetten auf die Zukunft mit gekreuzten Fingern gemacht - nun müssen wir die faulen Kredite loswerden (S. 21).

Im Rahmen der Finanzkrise mit ihren krachenden Kursen und überhitzten Märkten geht Simon Derpmann dem mysteriösen Verschwinden von Geld auf den Grund (S. 29). Wenn zu viel Geld auf einmal verschwindet, kommt gewöhnlich der Insolvenzverwalter und holt den Taschenrechner raus. Wie moralisch jedoch auch im Insolvenzrecht die Schulden beurteilt werden, beleuchtet Bertram Lomfeld und plädiert für ihre grundsätzliche Entmoralisierung (S. 37). Dieser Aufforderung folgen Hedgefonds schon lange, die Schulden aufkaufen und mit ihnen Geschäfte machen. Ein respektables Geschäftsmodell, und zwar für beide Seiten, findet Christian Kopf (S. 41).

Frieder Vogelmann kann dem Kredit weniger Positives abgewinnen und beschreibt den Geldkredit als das entscheidende Instrument, das nachbarschaftliches Geben und Nehmen in quantifizierbare Schuld verwandelt (S. 49). Die seltsame Doppelfunktion als rechtschaffender Sparer einerseits und höriger Verbraucher andererseits, der durch hedonistischen Konsum die Wirtschaft ankurbeln und dem Staat Gutes tun soll, beschreibt Alessandro Somma (S. 55). Was es realpolitisch bedeutet, wenn der Staat sich dieser Doppelfunktion verweigert, in dem er seine Ausgaben durch eine Schuldenbremse vorab beschränkt, wird in vier Beiträgen unter der Rubrik 'Ist es links?' kontrovers diskutiert (S. 60).

Franz Kafka warnte uns, es gäbe nichts Unsinnigeres als die ernsthafte Verhandlung von Schuldfragen. Trotzdem bricht Joseph Vogl in seinem Interview eine Lanze für die Schulden: Ohne Schuldverhältnisse gäbe es keine tragischen und komischen Helden (S. 73). Stefan Gosepath fragt sich im Anschluss, was wir eigentlich kommenden Generationen schulden (S. 81). Daniel Markovits berichtet, dass sich in den USA die emanzipatorischen Anfänge des Leistungsgedankens in ihr Gegenteil verkehrt haben, in dem sich immer mehr Reichtum in immer weniger Händen konzentriert (S. 89).

Woody Allens tragische Helden, die schuldlos schuldig werden, führen Arnd Pollmann zu dem Rätsel, ob Leben heißt, sich unweigerlich schuldig zu machen (S. 101). Noch komplizierter wird die moralische und rechtliche Frage nach Schuld und Verantwortung, wenn wir immer mehr Entscheidungen in unserem Leben der künstlichen Intelligenz überlassen (S. 107). Ob uns das Theater bei diesen Fragen weiterhelfen kann, ist angesichts der von Bernd Stegemann diagnostizierten Selbstlähmung fraglich (S. 119). Ulf Schmidt liefert mit seinem Theaterstück jedoch sogleich einen Gegenbeweis (S. 165).

Christina von Braun beschreibt angesichts der theologischen Vermengung von Schuld und Schulden den engen Zusammenhang von Ökonomie und Religion. Das kratzt an der üblichen Unterscheidung, dass die Religion in den Bereich des Transzendenten gehöre, Geld hingegen rational und weltimmanent sei (S. 145). Eigene Perspektiven auf den Zusammenhang von 'Schuld und Schulden' finden sich in den künstlerischen Positionen von Nis-Momme Stockmann sowie von Yevgenia Belorusets, Michaela Meise, Dan Perjovchi und Andreas Siekmann.

Du hast alles schon gewusst und trotzdem keine Schuld! (Turbostaat)

Für die Redaktion

Peter Siller, Bertram Lomfeld

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Editorial2
Inhalt5
Michaela Meise – Portraits, 20147
Mark Schieritz – Verschuldet Euch!10
Robert Misik – Inflation16
Gerhard Schick – Umschuldung oder Umverteilung22
Nis-Momme Stockmann – Die kosmische Oktave I27
Simon Derpmann – Es ist was es ist30
Bertram Lomfeld – Schulden ohne Schuld38
Christian Kopf – Mit Schulden handeln42
Nis-Momme Stockmann – Die kosmische Oktave II48
Frieder Vogelmann – Wir Seelenmacher50
Alessandro Somma – Hedonismus und Askese56
Nis-Momme Stockmann – Die kosmische Oktave III60
Ist es links?: >Schuldenbremse<62
Der wahre Text: >Staatsschulden<63
Yevgenia Belorusets – Gogol Street 32, 2006–20165
Interview Joseph Vogl:»Schulden sind ein Schöpfungsakt«74
Stefan Gosepath – Vage Pflichten82
Daniel Markovits – Leistungsgesellschaft und ungleiche Verteilung90
Nis-Momme Stockmann – Die kosmische Oktave IV97
Dan Perjovchi – Zeichnungen, 2014100
Arnd Pollmann – Schuld ohne Sühne101
Susanne Beck – Höchststrafe: Shut-Down?108
Nis-Momme Stockmann – Die kosmische Oktave V112
Dorothea Wehrmann – Empowerment durch Schulden?114
Bernd Stegemann – Ein Übermaß an schönen Seelen120
Hallo Karthago/Hallo Rom: >Abrechnen können wir danach<125
Nis-Momme Stockmann – Die kosmische Oktave IV128
Mein Halbes Jahr: >Literatur<129
Mein Halbes Jahr: >Musik<131
Mein Halbes Jahr: >Film<133
Andreas Siekmann – Trickle down. Der öffentliche Raumim Zeitalter Privatisierung, 2007137
Christina von Braun – Ein Brunnen voller Blut146
Dieter Verbeck – Was ist Geld?160
Ulf Schmidt – Moneytalk166
Ina Kerner: >Knax und Schland<171
Martin Saar: >Schuldenuhr<173
Schönheiten175
Thomas Biebricher – Eigentümliche Legierung176
Kerstin Carlstedt – Auch nicht glücklicher177
Christoph Raiser – Nimm es nicht persönlich178
Anna-Chatarina Gebbers – Unzurechenbar179
Judith Karcher – Die eigene Blödheit180
Julia Roth – Verwobene Geschichten182
Ulrich Raiser – Das eigene Gesetz183
Tilman Vogt – Kassensturz184
Philipp Wahnschaffe – Unsagbare Qualen185
Patrick Thor – Bewusst blind186
Roundtable189
Autorinnenund Autoren191
Impressum193

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