Nach Erläuterung der Schlüsselbegriffe Resilienz und Führung und der eng mit Resilienz verbundenen Begriffe Stress und Salutogenese widmet sich das folgende Kapitel der Betrachtung von Resilienz als Ressource im Kontext von Unternehmen.
Unternehmen und Organisationen sind heute mit einem dynamischen, turbulenten und globalisierten Umfeld konfrontiert, das starken Einfluss auf wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg nimmt (vgl. Moritz 2011, S. 7). Anders als in früheren Zeiten werden häufigere Wechsel in Führungspositionen beobachtet (vgl. D´Aveni. In: Moritz 2011, S. 8).
Eine Studie des Center for Creative Leadership, in der 230 hochrangige Manager zum Thema Führung und Stress befragt wurden, belegt, dass Manager in Unternehmen mehr denn je unter Druck stehen (vgl. Draht 2014, S. 44). Menschen zu führen ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt und es sollte selbstverständlich sein, Führungskräfte adäquat darauf vorzubereiten. Bis in die Gegenwart herrscht allerdings selbst an Business Schools oft die Meinung vor, Führung mit bewusstem Einsatz und Steuerung von Emotionen in einem Arbeitskontext sei nicht wirklich relevant für den Unternehmenserfolg (vgl. Draht 2014, S. 44 f.).
Besorgniserregend erscheint die steigende Anzahl der Fälle von Burnout und Suiziden bei Führungskräften in den letzten Jahren. Nach Draht hat Freye, eine Sozialwissenschaftlerin, die Karrieren deutscher Vorstände in den letzten Jahrzehnten analysiert und festgestellt, dass deren Verweildauer im Amt seit 1990 von durchschnittlich 10 Jahren mit weiterhin fallender Tendenz auf 7,5 Jahre zurückgegangen ist. Verantwortlich sind vermutlich eine Reihe von Faktoren, deren Zusammentreffen mit der Zeit das Potential an innerer Widerstandsfähigkeit, die Resilienz der Führungskräfte, übersteigt und zu erhöhtem Risiko für Burnout oder Suizid führen kann (vgl. Draht 2014, S. 46).
„Wer sich selbst nicht zu führen versteht, kann auch andere nicht führen“ (Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank. In: Draht 2014, S. 89). Herrhausens Formulierung legt die Vermutung nahe, dass erst die angemessen entwickelte Selbstführung einer Führungskraft Voraussetzungen für die erfolgreiche Förderung der Motivation, Zufriedenheit und Widerstandsfähigkeit von Mitarbeitern schafft. Ein Indiz für die zunehmende Bedeutung einer an den Bedürfnissen der Mitarbeiter orientierten Führung für den Unternehmenserfolg sind die Ergebnisse einer Studie der Harvard Business School aus dem Jahr 1998. Diese zeigte, dass US-amerikanische Unternehmen mit der besten Aktienperformance auf langfristiges Personalmanagement, Dezentralisierung, flache Hierarchien, Transparenz, Förderung von Selbstmanagement der Mitarbeiter und Investitionen in deren Weiterbildung setzten (vgl. Draht 2014, S. 94). Eine Untersuchung des Bertelsmann-Konzerns von 2007 belegte, dass eine als partnerschaftlich wahrgenommene Führung und eine hohe Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen in Beziehung zu den besten Umsatzrenditen standen (vgl. Draht 2014, S. 94).
Die Annahme, eine resilienzfördernde Führungskultur trage auch zum Unternehmenserfolg bei, erscheint allgemein plausibel (vgl. Draht 2014, S. 97). Collins und Hansen gingen der Frage nach, was Unternehmen in Zeiten zunehmender Komplexität, Geschwindigkeit und Unsicherheit im Vergleich zu anderen erfolgreicher macht und welche Rolle die Resilienz von Führungskräften dabei spielt. Die Autoren identifizierten die folgenden Aspekte in der persönlichen Haltung erfolgreicher Manager als Kennzeichen von Resilienz:
Akzeptanz der Umstände,
Kontrollüberzeugung,
Lösungsorientierung,
Erwartung von Schwierigkeiten,
Werteorientierung und Disziplin sowie
Innere Autonomie und Sinn (vgl. Collins/Hansen 2012. In: Draht 2014, S. 99 f.).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Moritz: aus der Volatilität des Unternehmensumfelds resultieren neben der Notwendigkeit von Flexibilität und Adaptabilität der Organisation auch höhere persönliche Leistungsanforderungen für die Mitarbeiter. Hinzu kommt der demographische Wandel, durch welchen Förderung und Erhalt von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz zunehmend wichtiger werden (vgl. Moritz 2011, S. 10).
Damit Unternehmen und Organisationen den rasch wechselnden Herausforderungen auch zukünftig gewachsen sind, verfolgt das strategische Management zwei wesentliche Entwicklungsstränge: Unternehmenserfolg wird einerseits durch die optimale Wahl der Strategie zur Anpassung an die Marktbedingungen erklärt (Market-based view). Andererseits werden die internen Ressourcen des Unternehmens betrachtet, die für den langfristigen Unternehmenserfolg mit verantwortlich sind (Resource-based view) (vgl. Schober 2005. In: Moritz 2011, S. 12).
Um auf Dauer am Markt bestehen zu können, müssen Arbeitnehmer und Unternehmen widerstandsfähig gegenüber äußeren Belastungen und Krisen sein (vgl. Doe 1994. In: Moritz 2011, S. 13; vgl. Gunkel et al. In: Badura et al. 2014, S. 258). Doe interpretiert Resilienz als Schlüsselressource von Organisationen, um erfolgreich mit Krisen umzugehen. Vergleichsweise resilientere Mitarbeiter sind aus dieser Perspektive anpassungsfähiger und produktiver. Gunkel et al. spannen den Bogen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement mit gezielter Resilienzförderung als unverzichtbarem Baustein. Im Fokus steht dabei insbesondere die mittlere Führungsebene und deren Resilienz als wichtige Führungsqualifikation (vgl. Gunkel et al. In: Badura et al. 2014, S. 258).
In der organisationswissenschaftlichen Forschung hat sich weitgehend der Ansatz etabliert, eine wirtschaftliche Bedrohung als Wachstumschance zu sehen. Nach Coutu ist eine Organisation dann resilient, wenn sie effektive situationsspezifische Reaktionen entwickelt und verstärkt Transformationsprozesse vorantreibt (vgl. Coutu 2002. In: Wolf 2013, S. 7). Die European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions vertritt ein Resilienzverständnis, das sich durch Langlebigkeit, Lernen durch Widrigkeiten, Nachhaltigkeit und kontinuierliche prozesshafte Anpassung einer Organisation an veränderte Bedingungen auszeichnet (vgl. Wolf 2013, S. 8). Antizipatorische Resilienz zeichnet Organisationen aus, die über ein Handlungskonzept für zukünftige Gefahren und Risiken verfügen. Krisenmanagement-Resilienz ist in diesem Kontext die Fähigkeit einer Organisation, erfolgreich mit unvorhergesehenen Ereignissen umzugehen.
Für Riolli und Savicki ist Achtsamkeit der Schlüsselbegriff für die Qualität von Beziehungen unter den Mitarbeitern und betrieblicher Abläufe, um Krisen nach Möglichkeit gar nicht erst entstehen zu lassen (vgl. Riolli/Savicki 2003. In: Wolf 2013, S. 9). Die Autoren sind sich einig, dass die in sog. High Reliability-Organisationen (z. B. Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Energieversorger etc.) verankerte Achtsamkeit Grundvoraussetzung für deren Fähigkeit zur Antizipation und Bewältigung krisenhafter Ereignisse ist.
Das Resilienzpotential solcher auf hohe Verlässlichkeit und ständige Verfügbarkeit ausgerichteten Organisationen oder Unternehmen lässt sich durch fünf allgemeine Organisationsprinzipien charakterisieren:
Pflege einer Kultur, die das Auftreten von Fehlern einkalkuliert,
Förderung von Komplexität,
Sensibilität für betriebliche Abläufe,
Handlungsspielräume für Mitarbeiter sowie
Rollenflexibilität und Verantwortungsbereitschaft bei Mitarbeitern und Führungskräften.
Zusammenfassend kann organisationale Resilienz durch die Trias aus hoher organisationaler Reaktions- und Anpassungsfähigkeit, Lernen aus Rückschlägen und präventiver Risiko- und Krisenvermeidung mittels Achtsamkeit beschrieben werden. In der Literatur herrscht Einigkeit, dass organisationale Resilienz nicht von der personalen Resilienz der Mitarbeiter zu trennen ist und auf dem Zusammenspiel von Organisationsstrukturen, persönlichen Merkmalen und Kompetenzen der Mitarbeiter und Führungskräfte sowie deren Interaktionen beruht (vgl. Wolf 2013, S. 14).
Das betriebliche Gesundheitsmanagement beschäftigt sich im Wesentlichen mit Ressourcenförderung, Gesundheitsschutz und Prävention.
Abb. 1: Resilienzfaktoren im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (vgl. Gunkel et al. 2014. In: Badura et al. [Hrsg.] 2014, S. 259).
Damit verfolgt betriebliches Gesundheitsmanagement den salutogenetischen Ansatz, dass die Resilienz von Mitarbeitern unter dem Einfluss von Protektivfaktoren gezielt entwickelt werden kann (vgl. Bengel/Lyssenko 2012, S. 27) und bezieht sich dabei auf vier Konstrukte: Soziale Unterstützung, Selbstwirksamkeit, Kohärenzgefühl und Aktives Coping...