Bedingt durch den demografischen Wandel steht in Deutschland einer abnehmenden Gesamtbevölkerungszahl eine immer älter werdende Bevölkerung gegenüber (Hasselborn-Ebener, 2014, S.75). Diese Entwicklung wirkt sich insofern auf den Arbeitsmarkt im Pflegebereich aus, da ihm immer weniger junge Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Bundesweite Werbekampagnen, um speziell junge Menschen in den Pflegeberuf zu bringen, hatten bisher nur begrenzten Erfolg. Aus diesen Gründen muss die Frage fokussiert werden, unter welchen Bedingungen älter werdende Arbeitnehmer[1] einem Betrieb über einen langen Zeitraum gesund und motiviert zur Verfügung stehen können.
In den letzten Jahren wurden in der ambulanten Pflege die Qualitätsentwicklungs- und Optimierungsprozesse nahezu perfektioniert, um so die Rahmenbedingungen und Strukturen, unter denen die körperlich und emotional schwere Arbeit geleistet wird, grundlegend zu verbessern. Trotzdem scheinen diese Bemühungen nicht ausreichend zu greifen. Das belegen die aktuell hohen Fehlzeiten von Pflegekräften bei den Krankenversicherungsgesellschaften (Badura et al., 2014, S.344), die seit Jahren die Fehlzeiten-Statistiken anführen (“DAK-Gesundheitsreport“, 2014). Mit rund einer Million Beschäftigten bilden die Pflegekräfte nicht nur die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, sondern auch eine der gesundheitlich belastetsten. Neben Muskel-Skelett-Erkrankungen zeigt die zunehmende Zahl von Burnout und anderen psychischen Erkrankungen, dass die üblichen Bewältigungsmöglichkeiten von Unternehmen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) diese Problematik nicht umfassend genug berücksichtigen (Werner, 2006, S.22). Schnelles Handeln ist gefragt.
Laut einer Meinungsumfrage des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBFK) erwägen unter 3048 befragten Pflegekräften 33,1% die Berufsaufgabe oder den Wechsel in eine andere Tätigkeit (“Wie sieht es im Pflegealltag aus“, 2009). Um der Gefahr des Pflegenotstandes entgegenzuwirken, ist es wichtig, den Personalführungen in Pflegediensten eine zusätzliche Aufgabe zu übertragen. Mehr als in der Vergangenheit müssen sie sich bei der Gesundheitsförderung ihrer Arbeitnehmer engagieren und sie, wie die Entwicklung der letzten Jahre deutlich gezeigt hat, in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen rücken.
Speziell in der ambulanten Pflege kommt es durch regelmäßig wechselnde Arbeitsplätze (Haushalte) und Personenkontakte zwangsläufig zu ungewohnten Situationen, in denen der Druck auf die Pflegekraft zunimmt. Der steigende Druck durch zeitliche Vorgaben, Notfälle, fehlende Handlungsspielräume beeinflussen das Arbeitsumfeld der Pflegekraft grundlegend. Hinzu kommt die emotionale Belastung durch die Pflegearbeit allgemein, und der vor Ort täglich erlebte Widerspruch zwischen Finanzierbarkeit und Erforderlichkeit. Die Fähigkeit mit Druck umzugehen, ist ein entscheidender Faktor, um Stress am Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Doch inwieweit sind sich Pflegekräfte ihrer eigenen inneren Widerstandsfähigkeit, ihrer Resilienz bewusst?
Als Grundlage für die vorliegende Arbeit dient sie intensive Resilienzforschung der letzten 10 Jahre. Leider ist die Begriffsverwendung von Resilienz bei verschiedenen Autoren noch immer sehr ungenau, sodass immer wieder Quellen als nicht brauchbar eingestuft werden mussten (Bengel-Lyssenko, 2012, S.46). Nichtsdestotrotz ist die Ausbildung guter Resilienzeigenschaften und deren Förderung in allen Bereichen unumstritten. In konkreten, soziologisch benannten Bereichen ist die Forschung und deren Umsetzung in konkrete, anwendbare Maßnahmen jedoch erst am Anfang. Erst mit dem Handbuch “Resilienz und Resilienzförderung bei Pflegenden“ (McAllister-Löwe, 2013, S.6ff.) hat das Thema erstmals Einzug in die Welt der Pflege gehalten.
Die Resilienzentwicklung und -stärkung, als individuell erlernbare und zu fördernde Eigenschaft ist gerade bei Pflegenden in der ambulanten Arbeit wichtig (Siegrist-Luitjens, 2013, S.91). Denn in diesem Berufsfeld müssen die Pflegekräfte meist als „Einzelkämpfer“ agieren.
Für die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) von Mitarbeitern in Pflegeunternehmen sieht der Autor der vorliegenden Arbeit die Förderung von Resilienz als entwicklungsfähiges Merkmal sowohl im Unternehmen als auch in der Persönlichkeitsentwicklung der Arbeitnehmer als eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Wie diese Aufgabe konkret in der Praxis umgesetzt werden kann, ist Gegenstand der folgenden Ausarbeitungen.
Der Verfasser dieser Masterarbeit ist seit über 27 Jahren Geschäftsführer eines ambulanten Pflegedienstes. Seit die Pflegeversicherung 1995 eingeführt wurde und sich die damit verbundenen Auswirkungen der marktförmigen Strukturierung des Pflegebereichs zeigten, erlebt er praxisnah die Folgen von Konkurrenzdruck und Arbeitsverdichtung auf das Pflegepersonal und die Pflegeeinrichtungen. Auffallend ist, dass parallel zu den politischen Entscheidungen mit allen ihren Konsequenzen, die gesellschaftliche Anerkennung für die geleistete Arbeit immer mehr abnimmt. Für den Autor sind diese Beobachtungen ein Indiz dafür, dass besonders das Pflegepersonal der ambulanten Pflege einer umfassenden Unterstützung durch Geschäftsführung innerhalb des Unternehmens und durch ihre Vorgesetzten bedarf.
Die Zielsetzung dieser Arbeit ist es, der Frage nachzugehen, ob und in welchem Umfang die Personalführung eines Unternehmens einen resilienzfördernden Beitrag leisten kann, um die Bewältigungsfähigkeit der Mitarbeiter nachhaltig zu stärken.
Hier stehen vor allem drei Fragen im Fokus:
- Welche Faktoren fördern die Resilienz?
- Wie können diese Faktoren durch die Personalführung implementiert und gefördert werden?
- Wie muss ein Konzept gestaltet sein, welches die Resilienz von Arbeitnehmern in der ambulanten Pflege nachhaltig stärkt?
Auf Grundlage dieser Fragestellungen kommt der Autor zu folgenden Thesen:
- Resilienzfördernde Faktoren in Pflegeunternehmen sind durch die Personal- und Unternehmensführung positiv beeinflussbar.
- Ein gesundheitsfördernde Unternehmenskultur auf der Grundlage regelmäßiger Supervisionen legt die Grundlage dafür, dass die Mitarbeiterzufriedenheit steigt und mit ihr die Bereitschaft, sich mit den persönlichen Faktoren der Resilienzstärkung aktiv auseinanderzusetzen.
- Ein ganzheitliches Handlungskonzept, das die Resilienz von Arbeitnehmern in der ambulanten Pflege stärkt, kann nur in einem reflektierten, aktiven Zusammenspiel aller resilienzbeeinflussenden Faktoren auf lange Sicht erfolgreich sein.
Diese Arbeit richtet sich an die Personal- und Unternehmensführung von Pflegeunternehmen sowie an deren Beschäftigte. Hierbei soll der Nutzen des Resilienzmodels für die Unternehmen und die Sensibilisierung der Arbeitnehmer für dieses Themenfeld im Vordergrund stehen. Mit ihren klaren Anweisungen ist diese Arbeit als praktische Handlungshilfe und eine geeignete Ergänzung zur Erforschung der Resilienzförderung in Pflegeberufen gedacht.
Für die Beantwortung der Forschungsfrage bilden eigene Beobachtungen sowie eine aktuelle Literatur- und Internetrecherche die Grundlage. Außerdem werden die aktuellen Ergebnisse aus der Resilienz-Forschung analysiert, bzw. eine Momentaufnahme über den Stand der Forschungspraxis gewonnen.
Als Forschungsmethode dient die Grounded Theory[2], da sie sich hervorragend zur Prognose von Verhaltensmustern eignet. Nach Glaser und Strauss (2010, S.20) bestehen die miteinander verknüpften Aufgaben der Grounded Theory in der Vorhersage und Erklärung von Verhalten und ihrer Anwendung im praktischen Bereich (ebenda).
Aktuelle Studien zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und Belastungen im Arbeitsleben werden ausgewertet, um im Ergebnis eine wissenschaftlich fundierte Handlungsanweisung geben zu können. Aufgrund der Tatsache, dass es zu den Untersuchungsschwerpunkten Resilienz und Personalführung bereits seit mehreren Jahren eine Vielzahl an validen Quellen zum theoretischen Hintergrund gibt, bzw. dokumentierte Forschungsergebnisse vorliegen, wurde auf eine eigene Befragung verzichtet.
Mitentscheidend für diese Vorgehensweise war auch die Tatsache, dass der Verfasser dieser Arbeit im Rahmen einer Zertifizierungsmaßnahme seit über 10 Jahren regelmäßig anonyme Mitarbeiterbefragungen in seinem Unternehmen durchführt. Sie fließen als praxisnaher Aspekt im Kapitel „Mitarbeiterzufriedenheit“ in die Arbeit ein und gewährleisten damit eine gute Anwendbarkeit des Konzeptes im Berufsalltag verschiedenster Pflegebetriebe.
Im ersten Teil der Arbeit werden verschiedene relevante Begriffsbestimmungen dargestellt und ausgewertet sowie die Argumente benannt, welche Gesundheit und Krankheit heutzutage ausmachen. Anschließend werden sie in die Grundlagen zur betrieblichen Gesundheitsförderung eingebettet und die Anforderungen für eine positive Einflussnahme konkretisiert.
Die nachfolgenden Kapitel...