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E-Book

Schiffskatzen

AutorDetlef Bluhm
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783458736493
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ohne Katzen sähe die Weltkarte heute anders aus; ohne sie wären die großen See-Expeditionen und Entdeckungsfahrten kaum möglich gewesen: Auf den wochenlangen Fahrten über den Atlantik waren die Schiffskatzen lebenswichtige Begleiter, denn sie schützten die Lebensmittelvorräte vor Ratten und Mäusen. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war deshalb ihre Anwesenheit auf Handels- und Kriegsschiffen, Expeditionen und Passagierfahrten selbstverständlich. Eine französische Versicherung forderte sogar die Anwesenheit einer Katze an Bord des Schiffs, andernfalls ging der Versicherungsschutz verloren. Die Tradition, eine Katze mit an Bord zu nehmen, wird bis heute vielerorts beibehalten. Detlef Bluhm hat die Geschichte der Schiffskatzen rekonstruiert und erzählt von ihrem Leben an Bord, von wagemutigen Landgängen, abenteuerlichen Expeditionsreisen und riskanten Rettungsaktionen über Bord gegangener Schiffskatzen.

<p>Detlef Bluhm, 1954 in Berlin geboren, war lange Jahre im Buchhandel und in Verlagen t&auml;tig und war seit 1992 Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer im B&ouml;rsenverein des Deutschen Buchhandels, Landesverband Berlin-Brandenburg e. V. sowie seit 1996 im Arbeitgeberverband der Verlage und Buchhandlungen. Zudem war er Vorsitzender des Berliner B&uuml;cherfests e. V. und des Literaturhauses Berlin e. V. Seit 1989 hat Bluhm als Herausgeber und Autor etwa 20 B&uuml;cher ver&ouml;ffentlicht, u. a. <em>Das gro&szlig;e Katzenlexikon</em>. Detlef Bluhm ist am 8. April 2023 mit 69 Jahren gestorben.</p>

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Leseprobe

TRIM


Unweit der Westküste Englands wurde 1774 Matthew Flinders in Donington, einem kleinen Ort der Grafschaft Lincolnshire, geboren. Schon als Junge hatte er nach der Lektüre des Robinson Crusoe beschlossen, zur See zu gehen. Von 1801 bis 1803 umsegelte Flinders als erster Seefahrer ganz Australien und ging mit dieser Pionierfahrt in die maritime Geschichte ein. Eine frühere Forschungsreise hatte ihn auf der HMS Reliance vom Kap der Guten Hoffnung nach Sydney geführt. Auf dieser Fahrt wurde 1799 im Indischen Ozean ein Kater geboren. Der Seefahrer gab ihm zu Ehren seines mitreisenden Onkels den Namen Trim.

Einen Tag vor Flinders Tod erschien am 18. Juli 1814 sein voluminöses Buch A Voyage to Terra Australis, in dem er den Kater mit keinem einzigen Wort erwähnte. Er fürchtete wohl, die Seriosität seines Werkes würde durch die Beschreibung einer Schiffskatze in Zweifel gezogen werden. Doch bereits im Dezember 1809 hatte Flinders über Trim einen langen Text geschrieben, der auf Umwegen ins Londoner National Maritime Museum gelangte und dort in den Archiven verschwand. Erst 1973 wurde A Biographical Tribute to the Memory of Trim zufällig entdeckt und erstmals publiziert. Flinders ausführliche Erinnerungen an seinen Kater und dessen Abenteuer beschreiben detailreich, humorvoll und sentimental Trims Leben und sind als historisches Dokument über das Leben einer Schiffskatze einzigartig.

Flinders skizzierte Trim als wohlgenährten Kater, der schnell an Größe und Ansehnlichkeit zunahm. Trims Fell war kohlrabenschwarz, allein seine vier Pfoten, die Unterlippe und ein Stern auf seiner Brust leuchteten weiß wie Schnee. Abhängig von der kulinarischen Versorgungslage an Bord, wog er zwischen zehn und zwölf Pfund. Er besaß einen langen, dicken und buschigen Schwanz sowie elegant wirkende Schnurrhaare. Im Verhältnis zu seiner Größe war sein Kopf klein und rund, doch »seine Gesichtszüge ließen Intelligenz und Selbstvertrauen erkennen«. Trim wuchs »zu einem der schönsten Tiere heran, das mir jemals zu Augen kam […] und es schien, als habe ihn die Natur als Fürsten und Vorbild seiner Art geschaffen«.

Bereits als Kätzchen entwickelte Trim einen Wagemut, der ihn von anderen Katzen »etwa so unterschied wie das Verhalten eines furchtlosen Seemanns von dem eines faulen, schüchternen Ackerknechts«. Diese Abenteuerlust führte dazu, dass er, noch ein Katerchen, in einem Hafen beim übermütigen Spiel mit seinen Geschwistern über Bord fiel. Zum Glück wurde das Missgeschick bemerkt und ihm, der sich wimmernd über Wasser hielt, ein Seil zugeworfen, an dem er emporkletterte.

Trim avancierte schnell zum Liebling der gesamten Mannschaft, ob Offizier oder Matrose. Und da er »nur Gutes von den Menschen erfahren hatte, war er der Überzeugung, alle seien seine Freunde und er sei der Freund von allen«. Spielen blieb zeit seines Lebens eine der Lieblingsbeschäftigungen des Katers. Er hatte eine »permanente Leidenschaft für alles Runde, das in Bewegung war«. So jagte er gern einer Gewehrkugel nach, die an einem Faden befestigt auf Deck bewegt wurde. Auch das Hin- und Hertrudeln einer Kugel von einem Matrosen zum anderen bereitete ihm große Freude. In ständigem Lauern und blitzschnellem Zugreifen versuchte er, die Kugel zu greifen. Trim ließ auch einige Dressurakte zu, die manche Matrosen an ihm probierten. Sehr gern sprang er über ihm hingehaltene Hände und lernte auch, alle viere von sich gestreckt, so lange auf den Planken zu liegen, »bis ihm ein Signal zum Aufstehen gegeben wurde«. Kam dieser Ruf allerdings nicht schnell genug, »zeigte eine leichte Bewegung seines Schwanzes die beginnende Ungeduld an«.

Noch mehr liebte es der Kater aber, wenn an Deck allgemeine Geschäftigkeit ausbrach. Sobald ein Offizier in die Wanten befahl, »sprang er zusammen mit den Matrosen auf und war so engagiert und diensteifrig, dass er vor allen anderen oben war«. Dort blieb er gern sitzen, »um die Arbeiten wie ein Offizier zu überwachen«.

Neben diesen Beschäftigungen verlor Trim seine Hauptaufgabe an Bord nie aus dem Blick. Zur Freude der gesamten Mannschaft entwickelte er sich rasch zu einem furchtlosen und sehr gründlichen Raubtier. Nun waren Ratten und Mäuse den Schiffskatzen nicht völlig hilflos ausgeliefert. Im Frachtraum zwischen den eng gestellten Kisten und Fässern fanden sie immer Schlupfräume, in denen sie sich sicher verbergen konnten. Doch in den Häfen, beim Be- und Entladen der Waren, waren sie Trim schutzlos ausgeliefert. »Kaum wurde ein Fass bewegt, flitzte er darunter und stürzte sich auf die Feinde von König und Vaterland. Dabei entging er mehrfach nur knapp der Gefahr, dass sein Kopf zerschmettert würde.«

Andere Katzen haben derartig waghalsige Manöver nicht überlebt oder dauerhafte Schäden davongetragen. Der Reiseschriftsteller Alexander Rumpelt hat 1901 für die Septemberausgabe der von der Gesellschaft Urania herausgegebenen naturwissenschaftlichen Zeitschrift Himmel und Erde unter dem Titel »Frühlingstage am Mittelmeer« einen Reisebericht über seine Seefahrt von Tripolis nach Tunis geschrieben. Darin erwähnt er invalide Schiffskatzen: »Manche der älteren Katzen waren Krüppel. Kein Wunder bei dem beständigen Hin und Her und Durcheinander auf dem Schiff! So gingen zwei nur auf drei Beinen, und eine war einmal zwischen eine Thür geraten; der war der Schwanz zweimal geknickt. Daher hieß sie bei den Matrosen der ›Blitzschwanz‹. Höchst anmutig und auch für Menschen lehrreich war es zu sehen, wie sie bei bewegter See stehend nach links und rechts balancierten und noch vorsichtiger gingen, um bei dem Schaukeln des Schiffes nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Es hieß, sie fielen nie über Bord und würden auch bei schwerstem Sturm nicht seekrank.« Trim hatte also Glück und ging seiner mörderischen Tätigkeit am liebsten im Vorratsraum nach. Manchmal verschwand er dort für ein paar Tage, um unerbittlich seine Pflicht auszuüben.

Sehr ausführlich hat Flinders Trims Verhalten bei Tisch beschrieben. Der Kater erschien immer als Erster eine Viertelstunde vor der Zeit, übte sich aber erstaunlicherweise »in einer solch zurückhaltenden Bescheidenheit, dass man seine Stimme nicht vernahm, bevor jeder andere am Tisch bedient worden war«. Dann machte sich Trim allerdings bemerkbar, indem er mit sanft einschmeichelnden Tönen von jedem Teller ein Stück erbat. Wenn jemand den Kater übersah oder ignorierte, holte sich Trim seinen Teil »von der Person, die er vergeblich angebettelt hatte, mit seiner Pfote von dessen Gabel, während sie auf dem Weg zum Mund war, mit einer solchen Geschicklichkeit und eleganten Bewegung, dass es eher Bewunderung statt Ärger auslöste«. Man kann wohl annehmen, dass die Seeleute hier ganz bewusst ihr Spiel mit dem Kater trieben, denn alle hatten ihn längst ins Herz geschlossen.

Eines Tages trieb es Trim allerdings zu weit. Ein junger Herr aß mit den anderen in der Fähnrichsmesse und schlang sein Essen herunter, ohne den jungen Kater zu beachten. Der ließ sich diese Ignoranz nicht gefallen und kletterte blitzschnell an der Weste des verdutzten Gastes hoch. Als der Gast erschrocken die Lippen öffnete, fischte sich Trim ein dickes Stück Fleisch direkt aus dessen Mund und schleppte es davon. Dafür wurde Trim getadelt, und ein derartiges Verhalten kam wohl nicht noch einmal vor.

Im Jahr 1800 kehrte die HMS Reliance nach London zurück. Trim kannte zwar Städte und Häfen, hatte aber sein junges Leben bis zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich, von einigen Landausflügen abgesehen, an Bord eines Schiffes verbracht. Flinders brachte den Kater bei einer Bekannten unter, nichtsahnend, welche Probleme er damit schuf. Unterm Dach von Trims neuer Behausung war ein Schiebefenster eingelassen, das bei gutem Wetter geöffnet blieb. Trim nutzte diesen Ausgang für seine Erkundungsgänge. »Als es zu regnen begann, wurde das Schiebefenster geschlossen. Für andere Katzen ein unüberwindbares Hindernis, nicht aber für Trim: der krachte, zum großen Schrecken der guten Gastgeberin, durch das Glas wie ein Donnerschlag.« Als Trim schließlich in einem geöffneten Wandschrank des Hauses eine Maus entdeckte und die Jagd nach ihr aufnahm, ging ein Großteil des darin aufgestellten Porzellans zu Bruch. Nach dieser Verfolgungsjagd endete die Geduld der Gastgeberin. Flinders sah sich gezwungen, den Kater bei einem anderen Bekannten unterzubringen. Aber auch dort ging es nicht gut. Mit den Worten, er habe »so ein merkwürdiges Tier noch nicht gesehen«, bat der Bekannte Flinders, den Kater wieder zu sich zu nehmen. Trim war wortwörtlich ein geborener Schiffskater und für das Leben auf dem Festland völlig ungeeignet.

Zu Trims Glück wurde Flinders 1801 zum Kommandanten der HMS Investigator ernannt und erhielt den Auftrag, noch einmal nach Australien zu segeln. Auf dem Schiff »fühlte sich Trim wieder ganz zu Hause, und seine Liebenswürdigkeit und außerordentliche Zutraulichkeit gepaart mit dem Vergnügen, das seine lustigen Streiche verursachten, machten ihn schnell wieder zu einem Liebling der Mannschaft«.

Trim brachte es jedoch nicht zum Liebling der Hunde, die sich ebenfalls an Bord befanden. Im Gegenteil: Er »schlug dem einen nach den Augen, verpasste dem anderen einen Kratzer auf der Nase und machte ihnen klar, dass sie ihm aus dem Weg zu gehen hatten«. Wenn sich ihm aber ein Hund in den Weg stellte, marschierte er geradewegs auf ihn zu, um »ihm mit einem drohenden Fauchen einen Hieb auf die Nase zu verpassen«. Er sprang auch gern auf den Handlauf, um die Hunde von oben mit Hieben zu attackieren.

Auf seiner Rückreise nach England im Sommer 1803 sah sich Flinders wegen eines Schiffsschadens...

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