In der westlichen Gesellschaft ist es möglich aus einem großen Angebot von Lebensmittel zu wählen.
Trotz der allgegenwärtigen Ernährungstipps weicht das Essverhalten von Erwachsenen und Kindern oftmals von dem Empfohlenen ab.
Vielmals wird zu schnell, zu falschen Zeiten, zu viel gegessen oder gar nicht auf die Ernährung geachtet.
Jedoch ist das oft kritisierte Essverhalten unserer Gesellschaft nicht zwangsläufig ein Kriterium für Essstörungen.[62]
Vielmehr spielen das Schlankheitsideal, die Persönlichkeit der Betroffenen und das gesellschaftliche Umfeld eine große Rolle. Meistens sind es verschiedene Einflüsse, die bei der Entstehung von Essstörungen zusammenwirken.[63]
Abwertende Bemerkungen über die Figur der Betreffenden oder Diäten stellen meist einen Einstieg in das Krankheitsbild dar.
„Ich bin zu dick.“ Dieser Satz ist für viele oft der Anfang einer langen „Diätkarriere“, die in einer Essstörung enden kann. Menschen mit Essstörungen nehmen sich selbst nicht mehr richtig wahr.[64]
Das Essen bzw. Nicht-Essen kann durchaus zu einem Ersatz und/oder einer Entlastung von unangenehmen Gefühlen wie Kränkungen, Einsamkeit, Stress, etc. werden.[65]
Essgestörte Menschen sind mehr oder weniger intensiv damit beschäftigt, ihre Nahrungsaufnahme zu regulieren und zu kontrollieren.
Die persönlichen Idealvorstellungen von einem perfekten Körper, der Schönheit, der immer mehr Bedeutung beigemessen wird und die wechselnden gesellschaftlichen Normen und Werte sind oftmals ein Kriterium für die Entstehung von krankhaftem Essverhalten.[66]
Essstörungen sind oft die Folge einer hohen Außenreizabhängigkeit. In den Medien sind praktisch nur superdünne, meist krankhaft untergewichtige Menschen erfolgreich. Männer müssen scheinbar einen Waschbrettbauch haben und Frauen sind in den Medien cellulite- und bauchfrei, haben aber große Brüste und eine schmale Taille.[67]
Die Essstörungen sind keine schlechten Angewohnheiten, sondern schwerwiegende psychosomatische Verhaltensstörungen mit einem ausgeprägten Suchtcharakter.
Für die Betroffenen gibt es typische Suchtmechanismen die eine zentrale Rolle spielen: z.B. gedankliche Zentrieren auf das Essen bzw. das Nicht-Essen und der Kontrollverlust.[68]
Für die Diagnose von psychischen Erkrankungen (Essstörungen) ist es wichtig, dass die einheitlichen Merkmale dieser Erkrankungen geklärt und festgehalten sind.
Um die Beschreibung und Interpretation psychischer Störungen weltweit zu vereinheitlichen, gibt es Diagnose- bzw. Klassifikationssysteme. Momentan gibt es zwei dieser Systeme.
Zum einen das Klassifikationsschema der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ,,International Classification of Diseases" (ICD), das alle Krankheiten, die es gibt umfasst und zum Anderen das von der Amerikanischen Psychiatriegesellschaft erarbeitete ,,Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (DSM), das sich auf psychische Störungen beschränkt.
In beiden Systemen sind die verschiedenen Essstörungen in vergleichbarer Weise, mit einigen Unterschieden, definiert.
In Deutschland allerdings wird vorwiegend nach den Richtlinien der WHO gehandelt und diagnostiziert.[69]
Die Betroffenen selbst erkennen nicht, oder erst spät, dass sie ein gestörtes Essverhalten haben, da der Übergang zu diesem meist schleichend verläuft.
Nicht immer lassen sich die Erscheinungsformen dieser einzelnen Störungen scharf voneinander abgrenzen. Es ist oftmals so, dass die Übergänge fließend erscheinen und bei vielen Patienten tritt eine Mischung der Symptome auf.[70]
Ungefähr 95% der an Bulimie und/oder Magersucht erkrankten Personen sind weiblich und im Alter zwischen 14 – 35 Jahren. Jedoch ist die Zahl der männlich Betroffenen in den letzten Jahren immer mehr ansteigend.[71]
Die Begriffe „Normal- und Idealgewicht“ spielen schon seit vielen Jahrzehnten eine sehr große Rolle.
Lange Zeit richtete man sich nach der Formel: Körpergröße in Zentimetern minus 100, um sein Normalgewicht in Kilogramm zu ermitteln. Diese Methode, bei der das Gewicht zur Größe ins Verhältnis gesetzt wird, geht auf den französischen Chirurgen Pierre Paul Broca (1824-1880) zurück und galt bis weit in die achtziger Jahre als das Maß aller Dinge.
Für das „Idealgewicht“ hatten Frauen nochmals 15 Prozent, Männer 10 Prozent abzuziehen.[72]
Der daraus resultierende Diätstress und Schlankheitswahn veranlasste Ärzte und Ernährungsberater zum Handeln und der Begriff „Idealgewicht“ wurde 1982 abgelöst. Es entstand das „Wohlfühlgewicht“.
Dieses liegt im Bereich von plus/minus zehn Prozent um das Normalgewicht von Broca herum und bezeichnet die Körperfülle, bei der sich ein Mensch individuell wohl fühlt, sich attraktiv findet und dabei fit und gesund ist.
Die Broca-Formel ist heute also nicht mehr aktuell. Sie greift zwar im Durchschnittsbereich, erfasst jedoch die menschlichen Extreme nicht. Sie liefert keine brauchbaren Ergebnisse für einige Ausnahmefälle, wie z.B. Erwachsene die nicht größer als 1,50 Meter sind. Ebenso bei großen Menschen (über 1,90 Meter) und muskulösen Leistungssportlern versagte die Allzweckformel früherer Zeiten.[73]
Als Bewertungsmaßstab zur Beurteilung des Körpergewichts in der heutigen Zeit wird eine neue, in den USA entwickelte, Formel verwendet. Der „Body-Mass-Index“ kurz BMI. Er ist zwar nicht so leicht zu berechnen wie die Broca-Formel, liefert jedoch Ergebnisse, die auf alle Erwachsenen zutreffen. Auch das Alter spielt eine Rolle bei der Beurteilung des Body-Maß-Index. Der optimale BMI-Bereich bei jüngeren Menschen liegt niedriger (20-24), während Senioren einen größeren Spielraum haben.[74]
Und so wird er errechnet:
Aus der unten folgenden Tabelle lässt sich erkennen, welcher
BMI dem Untergewicht, Normal- und Übergewicht entspricht.
Abb.1
Beispiel:
Ein Mann ist 1,86 Meter groß und wiegt 78 Kilogramm
Nach der Formel ergibt sich ein BMI von 22,5. Damit liegt sein BMI in der Mitte des Toleranzbereichs, der als gesundheitlich optimal gilt.
Die Gewichtsspanne ist als eine Empfehlung anzusehen und es ist nicht sinnvoll sein Gewicht nur danach auszulegen.
Wichtiger und realistischer ist es die Gewichtsfrage individuell zu bewerten und zu lösen. Es ist entscheidender harmonische Körperproportionen zu erreichen, als irgendwelchen Wiegeergebnissen hinterher zu hungern.
Denn der Kampf gegen die Pfunde kann im Extremfall auch zu schweren Störungen des Essverhaltens führen.[75]
Die beiden Begriffe „Magersucht“ und „Ess-Brech-Sucht“ lassen vermuten, dass es sich bei diesen Störungen um eine Sucht handelt.
Hierzu sollte man jedoch am Anfang versuchen zu klären, was im Allgemeinen unter dem Begriff „Sucht“ verstanden wird.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Begriff „Sucht“ 1957 folgendermaßen definiert:
Sucht ist „ein Zustand der periodischen oder chronischen, durch den Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge hervorgerufenen Vergiftung, die dem Betroffenen und der Gemeinschaft schadet“.[76]
Nichtsdestotrotz, dass der Begriff „Sucht“ nicht von „suchen“ kommt, steht psychologisch hinter einer Sucht immer eine Suche der betroffenen Menschen, nach sozialen Beziehungen (Liebe, Kontakt, Glück) und der persönlichen Entwicklung etc. Dieser Weg bleibt oftmals jedoch auf die Dauer erfolglos.
Im Allgemeinen handelt es sich bei einer Sucht um eine Ersatzhandlung, bei der die geistige und emotionale Energie auf die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Suchtmittel...