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Superlehrer, Superschule, supergeil

Der beste Beruf der Welt

AutorBeate Stoffers, Dirk-Christian Stötzer
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783641154462
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Werden die Falschen Lehrer? Was macht einen guten Lehrer überhaupt aus? Und steht es um unsere Schulen wirklich so schlecht, wie immer behauptet wird? Dirk Stötzer sagt, wie es wirklich ist. Schließlich weiß er am besten, wovon er spricht: Mit über 30-jähriger Berufserfahrung kennt er den Lehrberuf von allen Seiten. In seinem mitreißenden Plädoyer zeigt er, was alles richtig läuft an unseren Schulen, aber auch was wir besser machen können. Stötzer macht Werbung für seinen Beruf und macht klar, dass dies nur für diejenigen ein Traumjob ist, die ganz in ihm aufgehen. Ein positiver Appell an Eltern, werdende Lehrer, Lehrer und die gesamte Gesellschaft

Dirk Stötzer, geb. 1948, hat sein Leben der Schule verschrieben. Er lehrte 30 Jahre am Friedrich-Ebert-Gymnasium in Wilmersdorf, zuletzt als Schulleiter, um dann in die Schulaufsicht zu wechseln. Als Beschwerdemanager setzte er sich die letzten fünf Jahre vor seinem Ruhestand noch einmal intensiv mit Eltern, Lehrkräften und Schulleitungen auseinander. Den Eintritt in seine Pension feierte er mit dem Youtube-Clip »Superlehrer«.

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Leseprobe

Aller Anfang ist schwer

Montagmorgen, 8.00 Uhr. Als frischgebackener Referendar werde ich gleich zum ersten Mal in meinem Leben den Musikraum meiner neuen Schule betreten. Ich bin 25 Jahre alt, ambitioniert und endlich Lehrer!

Unter meinem Arm klemmen alle Unterlagen, mit größter Sorgfalt vorbereitet. Nichts soll dem Zufall überlassen bleiben. Ein wenig aufgeregt bin ich schon, freue mich aber auf meine erste Stunde, die ich ganz allein geplant habe, in die mir keiner mehr hineinredet und die ich natürlich auch ohne Unterstützung durchstehen muss. Ich bin gespannt auf meine Schüler, auf ihre Ideen und Vorschläge.

»Mit dieser neunten Klasse werden sie bestimmt viel Spaß haben«, hat der Schulleiter gesagt und dabei süffisant gelächelt. Schön! Es fühlt sich nach Geburtstag an.

Ich atme tief durch, straffe meinen zu dieser Zeit noch schlankeren Körper, drücke die Klinke und trete erwartungsvoll in den Raum.

Der große Auftritt

Die 9b ist augenscheinlich eine kleine Klasse. Ich überschlage mit einem Blick die Klassengröße, zähle fünfzehn Schüler – das heißt: fast nur Schülerinnen. Der überwiegende Teil der Jungen scheint wohl noch nicht ausgeschlafen zu haben. Die Mädchen stehen in Grüppchen an der hinteren Wand, lachen und unterhalten sich lebhaft. Einige hantieren mit kleinen Schminkspiegeln vor ihren noch kindlichen Gesichtern und ziehen Augenbrauen oder Lippen nach. Fast alle haben lange Haare. Und sie sehen nicht nach einem Schultag aus – eher nach Strandurlaub. Ich sehe sehr, sehr kurze Hosen und Röcke, die man ebenso gut weglassen könnte, weil sie sowieso nichts bedecken. Es bleibt mir eine Menge Zeit, sie zu beobachten. Oder besser gesagt: viel zu viel Zeit, denn niemand, wirklich niemand nimmt Notiz von mir. Respektsperson? Lehrer Lämpel mit erhobenem Zeigefinger? Keine Rede.

Ich stelle meine Tasche auf das Pult, lege möglichst geräusch- und schwungvoll meine Unterlagen ab und räuspere mich. Mit erstauntem Blick drehen sich einige der Mädchen zu mir um. Da geht die Tür auf, zwei Jungen kommen herein, nicken mir freundlich grinsend zu und setzen sich. Ich hole Luft, da öffnet sich schon wieder die Tür, und das Gleiche wiederholt sich. Die Klasse füllt sich langsam. Immerhin!

Aber wann soll ich bei den ständigen Störungen endlich loslegen? Die Begrüßungen, die Unruhe, die verstohlenen Blicke zwischen Jungen und Mädchen, das Gekicher – all das raubt unfassbar viel Zeit. Nach fünfzehn Minuten stehe ich vor fünfundzwanzig Schülern. Dabei bleibt es dann auch.

Ich recke mich noch ein wenig, um auf meine vollen 179 Zentimeter zu kommen. Das ist der große, entscheidende Moment für meinen Lehrerauftritt! Jedenfalls denke ich das – tatsächlich habe ich ihn längst verpasst.

Betont langsam wie ein Bühnenmagier öffne ich meine Tasche und zaubere – anstelle eines weißen Kaninchens – ein nagelneues UHER Report 4400 hervor. Das topmoderne Tonbandgerät habe ich mir extra für diese erste Stunde gekauft. Stolz stelle ich es auf den Tisch, und augenblicklich ist Ruhe. Innerlich triumphierend beginne ich nach einem Stromanschluss zu suchen.

»In diesem Raum haben wir gar keine Steckdosen«, ruft ein Mädchen mit Brille und streng geflochtenen Zöpfen.

Keine Steckdosen? Es gibt Klassenzimmer ohne Steckdosen? »Das ist aber wirklich schade …« Meine Stimme kommt dürftig, wenn nicht sogar dünn rüber, ständig muss ich hüsteln, mich räuspern und schaffe es nicht, still zu stehen, geschweige denn zu sitzen. Ich fange an zu schwitzen, über meiner Oberlippe bildet sich ein dünner feuchter Film. Nun gut, Plan B muss her, zur Not muss ich die Opernpartien am Klavier vorspielen. Murmeln und Kichern setzen ein. Die kurze Aufmerksamkeit, die mein silbernes Gerät erregt hat, ist schon wieder weg. Wenigstens sitzen die Schüler jetzt und nennen mir ihre Namen: Anne, Sophie, Markus, Bashir – ich kann sie mir in meiner Aufregung sowieso nicht merken, nicke aber jedes Mal äußerst ernst dazu und vermerke im Klassenbuch, wer fehlt und wer nicht. So viele fehlen gar nicht, insgesamt nur drei.

Die Schüler sind freundlich und interessiert, die Mädchen vor allem an ihrem Äußeren. Ständig sind sie mit ihren Frisuren beschäftigt, drehen einzelne Strähnen um ihre Zeigefinger. »Hört auf, eure Haare zu melken«, würde ich am liebsten sagen – aber so cool bin ich nicht, schon gar nicht an meinem ersten Tag.

Die Jungen kauen auf ihren Bleistiften herum und sehen mich nicht an, was mich ehrlich irritiert: Bin ich so unansehnlich, habe ich etwas im Gesicht, das vielleicht nicht dahin gehört, Marmelade oder Zahnpasta im Bart?

Hamster, Bienen, Vibratoren

Dann fangen sie an, mich auszufragen. »Sind Sie neu an der Schule?« – »Wie alt sind Sie?« – »Warum wollen Sie Lehrer werden?«

Damit überhaupt nicht erst Zweifel aufkommen, antworte ich mit fester Stimme: »Ich bin Lehrer!« Dass ich mich noch in der Ausbildung befinde, verschweige ich.

»Haben Sie keinen besseren Beruf gefunden?« – »Haben Sie ein Haustier?« – »Haben Sie eine Freundin?«.

Der letzten Frage weiche ich aus, weil ich zu diesem Zeitpunkt Single bin und nicht als Versager dastehen möchte. Dafür erzähle ich ausführlich von meinen drei verstorbenen Hamstern – der eine kam im Müllschlucker abhanden, der andere suchte beim täglichen Freigang das Weite, und der dritte verschwand spurlos in unserer Wohnung.

Später lerne ich: Erzähle nie von deinen Hobbys, zumindest nicht am Anfang, falle nie auf ihre Ablenkungsmanöver herein. Trotzdem: Sie hören mir zu. Ich versuche also mit aller Kraft, das Gespräch auf mein geplantes Thema zu lenken.

»Nun wollen wir aber mit dem Musikunterricht beginnen«, erkläre ich feierlich. »Ich habe euch eine Textstelle aus dem Libretto von »Carmen« abgezogen, da geht es um Liebe und Verrat.« Weiter komme ich nicht.

»Was ist ein Libretto?«, ruft Markus rein.

»Ein alter Vibrator!« Bashir hat die Lacher auf seiner Seite. Und aus irgendeinem Grund muss ich mitlachen. Das tut gut! Die Anspannung fällt ein wenig von mir ab, also nehme ich den Faden auf. Ich erzähle, dass die schöne, machthungrige Königin Kleopatra auch eine ideenreiche Frau gewesen sein soll, die sich eine mit Bienen gefüllte Papyrustüte bastelte. Wahrscheinlich war das der erste Vibrator der Welt. Und damit habe ich sie alle – kein Gezuppel mehr an den Haaren, kein Gekaue an den Bleistiften, keine Fragen zu Hamstern oder Freundinnen.

Als ich den Unterschied zum Libretto erklären will, klingelt es. Die Stunde ist zu Ende. Nicht zu fassen! Ich konnte gerade einmal den Namen der Oper erwähnen, ansonsten lief überhaupt nichts wie geplant. Ich bleibe auf meinen Kopien und der Tonbandaufnahme sitzen, einschließlich der vorbereiteten Hausarbeiten.

Es beginnt ein Gewusel wie in einem Bienenstock, Stühle werden gerückt, Taschen gepackt, Getränkedosen geöffnet. Mit lautem Lachen und Schnattern schlendern die Schüler aus dem Klassenraum. Gerannt wird hier nicht, es sind betont langsame, aber dennoch geräuschvolle Bewegungen, halb Schlurfen, halb Schlürfen.

Dann stehe ich allein in der Klasse. Ein bisschen in Trance, ein bisschen im Zweifel. Den ersten Tag, die erste Stunde hatte ich mir anders vorgestellt. Fast wie bei der ersten großen Liebe: erst große Aufregung und dann die Enttäuschung, weil doch alles anders kommt als gedacht. Aber was ist da nur schiefgelaufen? Ich will doch ein Lehrer sein, der seine Schüler packt, der sie begeistert, der Themen vermitteln kann und alle auf seiner Seite hat! Und den man nicht nur über Freundinnen und Haustiere ausfragt, sondern dem man auch zuhört.

Kollege Meier kommt mir auf dem Flur entgegen. »Ziemlicher Sprung ins kalte Wasser, oder?« Dann sieht er mein Gesicht und klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. »Das machen wir doch alle mal durch«, versucht er mich zu trösten, »nun mal nicht gleich aufgeben. Bei den meisten dauert das Auftauchen eben länger als das Eintauchen!«

Das ist nicht gerade hilfreich. Ich habe mich stundenlang umsonst auf diese eine Stunde vorbereitet, ich habe nicht überprüft, wo es im Unterrichtsraum einen Stromanschluss gibt, die Schüler haben mich kaum wahrgenommen und erst zugehört, als ich von Hamstern und experimenteller Masturbation erzählte. Ich brauche jetzt Mitgefühl, Zuspruch und Unterstützung.

Gibt es den Superlehrer?

Abends sitze ich mit anderen Referendaren zusammen, also all jenen Freunden, die sich den gleichen Beruf wie ich ausgesucht haben und noch ähnlich orientierungslos sind. Anne, Wolfgang, Petra, Thomas und Marianne, alle zwischen 25 und 30 Jahre alt. Wir tauschen unsere ersten Unterrichtserfahrungen aus. Glücklicherweise sind die meisten so ehrlich und berichten von ähnlichen Erlebnissen. Wir stellen uns viele Fragen: Mit welchen Tricks packt man eine Klasse? Wie steuert man sie und lässt trotzdem Kreativität zu? Was macht überhaupt einen guten Lehrer aus? Wird man als solcher geboren und findet dann seine Berufung? Oder ist es Charisma und eine besondere Aura, die einen umgibt wie einen Heiligenschein? Oder nur Methodik und erlerntes Handwerkszeug? Oder alles zusammen? Und dann kommt zum ersten Mal die eine, die bedeutende, die wichtige Frage auf: Gibt es den Superlehrer? Wenn ja, wer ist es und wie ist er? (Es kann natürlich auch eine Sie sein, das ist hoffentlich klar.)

Es wird spät, und wir beginnen, uns gegenseitig von den Lehrern zu erzählen, die uns etwas bedeutet oder die uns Steine in den Weg gelegt haben. Wir erinnern uns an unsere Lieblingslehrer und an diejenigen, die wir abgrundtief gehasst...

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