Im Folgenden soll kurz auf den Begriff des Täter-Opfer-Ausgleichs eingegangen werden, um im Anschluss daran den historischen Hintergrund und die zentralen Konstitutionsbedingungen dieser neuen strafrechtlichen Reaktionsform auf abweichendes Verhalten Jugendlicher zu betrachten. Abschließend steht die Entwicklung und der gegenwärtige Stand des Täter-Opfer-Ausgleichs in Deutschland im Mittelpunkt.
Der Begriff „Täter-Opfer-Ausgleich” bezeichnet ein Verfahren, in dem die Aufarbeitung der Folgen einer Straftat und die Regulierung des aus dieser Tat hervorgegangenen Schadens im Vordergrund stehen. Bei diesem Tatfolgenausgleich werden Täter und Opfer von einer Vermittlungsperson unterstützt, die mit ihnen Vorgespräche führt, sie zu einer persönlichen Aussprache motiviert und in diesem Ausgleichsgespräch zwischen ihnen vermittelt, so dass eine einvernehmliche Regelung ermöglicht wird. Der Kern der Gespräche ist die Aufarbeitung der Ursachen und Folgen der Tat und die Vereinbarung von Wiedergutmachungsleistungen des Täters an das Opfer.
Dieses Vorgehen bringt nicht nur Opferbelange im Rahmen der Strafverfolgung stärker zur Geltung. Durch die Auseinandersetzung mit der Tat wird dem Beschuldigten die von ihm verletzte Norm verdeutlicht und im günstigsten Fall kann dieses Verfahren dazu führen, dass von einer weiteren Strafverfolgung des Täters abgesehen werden kann, wenn dieser die Verantwortung für sein Handeln und die daraus resultierenden Folgen übernimmt (vgl. Schreckling/Wandrey 1992, S.16).
Der Begriff Täter-Opfer-Ausgleich ist im Rahmen der Thematik, die hier kurz beschrieben wurde, nicht allgebräuchlich. Zur Bezeichnung des Täter-Opfer-Ausgleichs werden häufig auch synonym die Begriffe „Konfliktschlichtung“ oder „Konfliktregelung“ verwendet, um auszudrücken, dass im Zentrum der Bemühungen die Bereinigung von Konflikten, welche die Straftat ausgelöst haben und/oder durch diese entstanden sind, steht. Auf diese Weise kommt jedoch nicht ausreichend zur Geltung, dass die Wiedergutmachungsleistung des Täters an den Geschädigten, die materieller oder immaterieller Natur sein kann, ebenfalls ein zentrales Element dieses Verfahrens ist. Umgekehrt ist der ebenso verwendete Ausdruck „Schadenswiedergutmachung“ auch nicht treffend, da dieser Begriff häufig ausschließlich mit finanziellem Schadensersatz assoziiert wird und daher der auf Aussöhnung gerichtete Prozess ausgeklammert wird (vgl. Bieri 1994, S.24).
Vor diesem Hintergrund und in Anlehnung an Kawamura/Schreckling (1990), die den Ausdruck „Täter-Opfer-Ausgleich“ favorisieren, „weil in diesem Begriff sowohl der Problembereich (Straftaten) als auch das Vorgehen (Ausgleich, Ausgleichen) enthalten ist“ (S.74), soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit am Begriff Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) festgehalten werden. Nicht zuletzt empfiehlt sich diese Bezeichnung auch, weil sie sich in Deutschland inzwischen etabliert hat und daher am ehesten mit diesem Verfahren in Verbindung gebracht wird.
Der Wiedergutmachungsgedanke findet im Täter-Opfer-Ausgleich die Berücksichtigung, die er in der weiter zurückreichenden Strafrechtsgeschichte bereits inne hatte. Ein historischer Rückblick auf die Wiedergutmachung als Reaktion auf begangenes Unrecht wird zeigen, dass diese ursprünglich ein gewichtiger Teil der Strafe war und erst im Laufe der Geschichte aus dem Strafrecht verdrängt wurde.
Aus ethnologischen Berichten geht hervor, dass bereits in den frühen Gesellschaften die Erbringung von Wiedergutmachungsleistungen an die geschädigte Partei ein übliches Mittel der Konfliktbereinigung war (vgl. Frehsee 1987, S.13). Eingeführt wurden die Bußzahlungen vermutlich mit dem Übergang von der Jagd- zur Ackerbaugesellschaft, als mit dem Beginn der Sesshaftigkeit das Konfliktpotential zunahm, da nun über mehr Eigentum verfügt wurde. Um den zunehmenden unfriedlichen Konfliktlösungsmitteln wie Selbsthilfe, Rache, Blutrache und Fehde entgegen zu wirken, etablierte sich die Konfliktvermittlung bzw. - schlichtung. Verletzter und Missetäter handelten, meist über einen vermittelnden Dritten, Bußzahlungen aus, um das Rachebedürfnis zu befriedigen (vgl. Hartmann 1995, S.12).
Auch den frühesten Gesetzesaufzeichnungen ist zu entnehmen, dass Wiedergutmachungsleistungen als Sanktionsmittel üblich waren. So kannte als eine der ältesten und bekanntesten Rechtsquellen auch das Gesetzbuch des Hamurabi (ca. 1700 v. Chr.) für Babylon die Wiedergutmachung. Zwar waren vor allem vergeltungsorientierte Strafen für begangenes Unrecht vorgesehen, doch enthielt das Gesetz auch Regelungen zur Opferentschädigung. Für einfachen Diebstahl war z.B. eine Schadenswiedergutmachung durch den Täter vorgesehen, die das 10 - 20fache des gestohlenen Gutes betrug (vgl. Rössner 1992, S.15). Konnte der Täter nicht ermittelt werden, so hieß es im Codex Hamurabi, „soll der Mensch, der beraubt worden ist, in der Gegenwart Gottes eine ins einzelne gehende Aufstellung seiner Verluste angeben und die Stadt oder der Gouverneur (...) soll ihm ersetzen, was immer er verloren hat“ (Schneider 1975, S.158).
Aber auch im römischen Reich gab es mit dem Zwölftafel - Gesetz (ca. 450 v.Chr.) ein solches Recht, in dem die entsprechenden Leistungen, die an das Opfer zu entrichten waren, festgelegt waren (vgl. Rössner 1992, S.15f.). Man kannte jedoch schon Rechtsverletzungen, welche die Allgemeinheit betrafen (z.B. Hochverrat, Zauberei, Brandstiftung). Diese wurden öffentlich verfolgt und geahndet, wobei der tatsächlich Betroffene keinerlei Wiedergutmachung erhielt. Zentraler Bestandteil des römischen Rechts war jedoch das Privatstrafrecht. Verhaltensweisen, die ein Individuum unmittelbar schädigten, waren allein eine Angelegenheit zwischen Täter und Opfer. Das Verfahren konnte nur durch den Geschädigten eingeleitet werden und erbrachte für diesen eine Bußzahlung von Seiten des Täters. Die Buße sollte zugleich der Genugtuung dienen, als auch dazu beitragen, dass der Geschädigte seine Rachegelüste nicht gewaltsam befriedigte. Erst wenn die Wiedergutmachung nicht erbracht wurde, kam es zu einem öffentlichen Strafverfahren (vgl. Frehsee 1987, S.14f.).
Jedoch nicht nur die Babylonier und die Römer, die hier exemplarisch aufgeführt wurden, räumten der Wiedergutmachung eine zentrale Stellung innerhalb ihrer Gesetze ein. Frühauf (1988) hält fest, dass „ (.) ausführliche Wiedergutmachungsregelungen ein universales Phänomen in nahezu allen Kulturkreisen gewesen zu sein (scheinen)“ (S.11). Diese Feststellung schließt auch die Germanen ein, die im Rahmen der Völkerwanderungen allmählich den mitteleuropäischen Raum besetzten. Somit fällt der Blick nun auf die deutsche Rechtsgeschichte, deren Anfänge im germanischen Staat zu sehen sind.
Der Kern des germanischen Staates waren die Sippen. Nur wer Mitglied einer Sippe war, hatte einen Rechtsstatus, war aber auch zu Hilfeleistungen gegenüber den anderen Mitgliedern seiner Sippe verpflichtet. Kam es zu Konflikten zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Sippen, so waren aufgrund der Solidarverpflichtung grundsätzlich beide Sippen in ihrer Gesamtheit davon betroffen. So löste eine Verletzungshandlung in der Regel eine ganze Abfolge von Vergeltung und Gegenvergeltung (Fehde) aus, wodurch zum Teil ganze Sippen ausgelöscht wurden. Dem konnte aber durch Abschluss eines Sühnevertrages, in dem die Zahlung einer Bußleistung festgelegt wurde, entgegengewirkt werden. Diese Ersatzleistungen bestanden zumeist aus Vieh, Pferden oder Waffen und dienten der Entschädigung der Opfersippe. Mit der Annahme der Zahlungen wurde das Opfer dazu verpflichtet, von weiteren Vergeltungsschlägen
Abstand zu nehmen. Bei Nichterbringung von Bußleistungen verfiel der Täter der Friedlosigkeit und konnte von jedem getötet werden, da er gegen den Gemeinschaftsvertrag verstoßen und so den öffentlichen Frieden gestört hatte (vgl. Frehsee 1987, S.16ff).
Mit dem fränkischen Recht ging schließlich der private Konflikt allmählich in die Zuständigkeit des Staates über. Für bestimmte Rechtsverstöße wurde das Fehderecht nicht weiter gestattet und auch die private Aushandlung von Bußleistungen wurde verboten und kriminalisiert (vgl. Hartmann 1995, S.53) Es konnte bei Konflikten zwischen Einzelnen zwar nur auf Klage des Verletzten ein Verfahren eingeleitet werden, aber die Festlegung der Buße lag beim Gericht, dem ein ganzer Katalog von festgeschriebenen Bußleistungen zur Verfügung stand. Die Wiedergutmachung war Mittel der Strafe, als auch ein Weg zur Erlangung von Entschädigung. Allerdings bestand die Buße nun aus zwei Teilen: der größere Anteil ging an das Gemeinwesen (Friedensgeld) oder den königlichen Fiskus (Prozesskosten), während nur ein geringfügiger Betrag als tatsächliche Bußleistung dem Geschädigten zukam. Die Entstehung der öffentlich-rechtlichen Behandlung von Verbrechen und Strafe sollte zum einen zwar Rache und Fehden zurückdrängen. Zum anderen erfolgte diese Entwicklung jedoch, da die Könige ihre Machtstellung durch die private Regelung von Konflikten als gefährdet ansahen. Die Sozialkontrolle oblag nun also dem König und Rechtsverstöße waren nicht mehr eine...