MARTIN KIND
»Geld ist keine Spielwiese.«
Zur Person:
Martin Kind ist Unternehmer, denkt als Unternehmer. Er mag sachliche, kluge Entscheidungen. Spontanes, unüberlegtes Handeln lehnt er ab. Geldentscheidungen wollen gut durchkalkuliert sein. Aktien sind nicht sein Ding, Immobilien umso mehr. Die beste Investition seines Lebens nennt er aber nach wie vor die in seinen Hörgerätekonzern. »Das war die mit Abstand beste Entscheidung«, sagt er.
Wir Deutschen sind schon ein seltsames Völkchen. Fleißig, zielstrebig und, ja, durchaus wohlhabend. Auch wenn wir uns mit unseren europäischen Nachbarn vergleichen, geht es uns gut. Regelmäßig legt der Deutsche – rein statistisch – mehr als ein Zehntel seines verfügbaren Einkommens zur Seite. In Europa sparen nur die Schweizer, die Luxemburger und die Schweden mehr. Doch jetzt kommt das Merkwürdige: Wir schaffen es nicht, das Ersparte clever anzulegen. Mehr als die Hälfte legt es auf das Sparbuch. Der Rest macht es meist nicht viel besser: Bausparvertrag, Lebensversicherung oder Girokonto heißen die Alternativen. Sicher, erst die Finanzkrise, jetzt die Staatsschuldenkrise haben für eine große Verunsicherung gesorgt. Ein Gefühl hat sich breitgemacht: Wer Rendite sucht, bringt sein schwer Erspartes in Gefahr. Tatsächlich ist es bei den derzeit niedrigen Zinsen unglaublich schwer, sein Geld gut und sicher anzulegen. Keine Frage.
Anlegerwissen Fehlanzeige
Doch wahr ist auch – und das macht es so seltsam –, was die Fondsgesellschaft Union Investment alle drei Monate aufs Neue bestätigt, wenn sie das Anlageverhalten der Deutschen hinterfragt: Der Mehrheit der Deutschen fehlt einfach der Wille, sich mit Finanzdingen zu beschäftigen. Keine Lust. Basta. Zu anstrengend. Zu öde. Zu langweilig. Was ich im Vorfeld nicht wusste: In Martin Kind treffe ich jemanden, der das ebenso wenig begreift wie ich. »Vollkommen falsches Denken«, wird es später aus ihm herausplatzen, als wir uns darüber unterhalten. Er sei ein akribischer Arbeiter. »Ich bin detailverliebt. Ich will es immer verstehen.« Es ist für mich auch der Moment in unserem Gespräch, in dem ich begreife, wie der umtriebige Unternehmer tickt. Geld muss immer im Unternehmen arbeiten. Geldanlage bedeutet für ihn, in den Betrieb zu investieren. Selten denkt Kind wirklich als Konsument. Dass der Durchschnittsdeutsche stundenlang Bewertungsportale durchstöbert, Testberichte liest, wenn es um den Kauf eines neuen Smartphones, Notebooks oder intelligenten Fernsehers geht, versteht er daher nicht: »Ich mache es genau umgekehrt, mit der Geldanlage beschäftige ich mich schon sehr genau, aber welchen Fernseher ich brauche, das muss ich nicht selber entscheiden.«
Macht das nun den Unterschied aus, frage ich mich. Akribisch zu arbeiten? Sich mit Geldthemen intensiv auseinanderzusetzen? Anlagemöglichkeiten genau verstehen zu wollen? Was passiert, wenn ich jetzt investiere und mich auf 10, 15 oder gar 20 Jahre festlege? Welche langfristigen Folgen hat es, sich für ein Investment, für eine Anschaffung zu entscheiden und dafür auf andere verzichten zu müssen? Die einfache Frage stellen, wo arbeitet mein Geld wie am besten? Ist dies der Grund, warum manche Leute reich werden und andere nicht? Ja, ein Stück weit ist es genau so, einige können halt besser mit Geld umgehen als andere. Können besser und vor allem schneller antizipieren, wo Chancen sind, Geld zu verdienen. Doch es gehört noch weit mehr dazu: Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Mut zu unternehmerischen Entscheidungen. Manchmal Nein zu sagen, sich nicht einreden zu lassen, man benötige schon wieder ein neues Auto oder eine neue Küche; sich den Verlockungen des Konsums nicht so leicht zu ergeben. Standhafter zu sein.
Doch wer kann sich schon von den Konsumgelüsten immer ganz frei machen, denke ich im Zug an diesem Morgen. Der Akku meines Handys entlädt sich immer schneller, lange wird er wohl nicht mehr halten. Und dann muss, Sie ahnen es, ein neues her. In der Zeitung lese ich – und das deckt sich mit den Erkenntnissen von Union Investment zum Anlageverhalten der Deutschen –, dass Privatanleger einfachste Finanzfragen nicht richtig beantworten können. Wirtschaftsforscher haben rund um den Globus drei simple Fragen gestellt:
1.Wie viel sind 100 Dollar bei einer Verzinsung von zwei Prozent pro Jahr nach fünf Jahren wert? Mehr als, weniger als oder genau 102 Dollar? (Richtige Antwort: mehr)
2.Wenn die Rendite eines Sparbuchs bei einem Prozent liegt und die Inflation bei zwei Prozent, können Sie sich von dem dort hinterlegten Geld nach einem Jahr mehr, weniger oder gleich viel kaufen? (Richtige Antwort: weniger)
3.Ist die folgende Aussage wahr oder falsch: Eine einzelne Aktie zu kaufen liefert in der Regel eine sicherere Rendite als ein Aktienfonds? (Richtige Antwort: falsch)
Einfache Zusammenhänge, die dort abgefragt werden. Doch die Ergebnisse ernüchternd. Nur etwa jeder zweite Deutsche beantwortet alle drei Fragen korrekt, lese ich da. 37 Prozent antworten auf mindestens eine Frage mit »Ich weiß nicht«. Eine ziemlich große Wissenslücke angesichts einer Studie der US-Ökonominnen Annamaria Lussardi und Olivia Mitchell mit der These: Komplexere Märkte erfordern immer mehr Anlegerwissen.
Das kaufmännische Gen
Da laufen also ein paar Dinge gehörig schief, denke ich mir, als der Regionalzug, in den ich in der Zwischenzeit umgestiegen bin, in Großburgwedel einfährt. Eigentlich erfordern Geldanlageentscheidungen immer mehr eigenes Wissen und immer mehr Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, auf der anderen Seite ist die Unkenntnis teilweise erschreckend. Beste Voraussetzungen, dass noch mehr Vermögen vernichtet wird oder auf dem Sparbuch landet, also nicht optimal angelegt wird, geht es mir durch den Kopf. Und wenn Sie jetzt überlegen – Großburgwedel, Großburgwedel, woher kenne ich das noch? Richtig, Großburgwedel, etwa 20 Kilometer nördlich von Hannover gelegen, ist der Ort, der seit der Affäre Wulff größere Bekanntheit erfahren hat. Martin Kind wohnte schon lange bevor der ehemalige Bundespräsident hier sein Haus baute, in Großburgwedel. Im Prinzip lebt er schon sein Leben lang in der 20 000-Seelen-Gemeinde.
»Ich bin Großburgwedeler durch und durch«, erzählt er mir bei der Begrüßung. Hier ist Kind aufgewachsen, zwischen Kühen und Misthaufen. Die Zeiten damals nicht einfach, nach dem Krieg, auf dem Land, die Eltern aber puffern alles ab. »Mir hat es an nichts gefehlt. Konnte spielen. Hatte was zu essen. Ich hatte eigentlich eine schöne Kindheit.« Taschengeld spielte damals keine große Rolle. »Später gab es das sicher. Aber als Kind habe ich da keine Erinnerung dran.« Nachhaltig in Erinnerung bleibt dafür der umtriebige Großvater. »Der war ein ausgebuffter Kaufmann.« Und er hat, das spürt man, Spuren beim Enkel hinterlassen. Er prägt den kleinen Martin, wird Antrieb und Mahnung zugleich: »Das war ein Mann, der hat unglaublich viel verdient, hat aber bis zu seinem Tode alles wieder weggebracht, hat alles wieder ausgegeben.« Kind schmunzelt, als er das erzählt. »Aber der hatte dieses ausgeprägte kaufmännische Gen. Ich vermute, dass ich da irgendetwas abgekriegt habe.«
Mit 24 Jahren trifft Kind, wie er sagt, keine einfache, aber für ihn richtige Entscheidung. Statt Manager bei Siemens zu werden, wo er eine Ausbildung zum Hörgeräteakustiker gemacht hatte, übernimmt er den Hörgeräteladen seiner Eltern. Klar ist für ihn von Anfang an: »Wenn ich einen solchen Weg gehe, dann wird es immer das Bestreben sein, ein vernünftiges Unternehmen aufzubauen.« Nicht ein oder zwei Läden will er, nein, Kind soll zu einer bundesweiten Marke werden. »Ich hatte einen Motor fürs Leben. Ich wollte was entwickeln und wollte Erfolg. Das war die Antriebskraft.« Klar ist ihm, mit seinem Vater, der es gern überschaubar hatte, ist so ein Weg – expandieren, ins Risiko gehen – nicht möglich.
Bereits in jungen Jahren zeigen sich seine Unternehmerqualitäten: unbeirrt, klar im Denken, sachlich. Eigenschaften, die mir auch in unserem Gespräch schnell auffallen: »Ich lehne es grundsätzlich ab, Energien in Diskussionen oder Streitereien aufzuwenden, die entweder emotional überlagert sind oder wo es dann doch keine Ergebnisse gibt.« Analysieren. Erkennen. Entscheiden. »Und im Umkehrschluss heißt das, dass ich das Sagen habe. Da geht dann alles viel schneller und effizienter.« Kind spricht dabei im Brustton der Überzeugung. »Ich habe meinen Eltern sogar noch Geld gezahlt. Wenig. Ein Anerkennungspreis. Ich wäre nie gekommen, wenn ich nicht unabhängig gewesen wäre. Dann hätte ich ja meine Ideen nicht umsetzen können.« Und die sind von Anfang an in seinem Kopf. »Sie müssen Visionen haben. Sie müssen klare Ziele haben.« Kind weiß schon mit 24 Jahren: Wenn er ein Großer in dieser Branche werden will, dann muss er früher oder später auch in die Produktion einsteigen. Und die Hörgeräte müssen vor allem attraktiver werden. Hörgeräte und die, die sie tragen müssen, die Schwerhörigen, sind in Kinds Anfangszeiten stigmatisiert. Er erinnert sich an die Umstände und vor allem an die Geräte: »Das waren erst Taschengeräte, dann sogenannte HDOs, Hinter-dem-Ohr-Geräte. Das waren solche Oschis.« Kind macht eine entsprechende Handbewegung, Hörgeräte so groß wie Smartphones heute, nur mit einem kleinen Unterschied: »Die konnten gar nichts. Ich habe immer gesagt, wenn ich durch die Städte gegangen bin und einen Schwerhörigen mit so einem Ding hinterm Ohr sah: Jetzt sind wieder zehn Schwerhörige, die sagen: Nie...