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Was können wir wissen?

Philosophische Grundfragen

AutorNorbert Hoerster
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl125 Seiten
ISBN9783406615108
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit jemand mit Recht behaupten kann, etwas zu wissen? Und welches sind die wichtigsten Bereiche menschlichen Wissens? Gibt es neben logischem Wissen und Erfahrungswissen auch ein Wissen über soziale Werte sowie ein Wissen, das zur Religion führt? Diese Fragen werden – bezogen auf Wissen, wie es jeder haben kann – allgemein verständlich behandelt.

<body>Norbert Hoerster, geboren 1937, lehrte von 1974 bis 1998 als Professor Rechts- und Sozialphilosophie an der Universit&#228;t Mainz. Seine j&#252;ngsten Buchver&#246;ffentlichungen sind &#171;Ethik des Embryonenschutzes&#187; (Reclam 2002), &#171;Ethik und Interesse&#187; (Reclam 2003), &#171;Haben Tiere eine W&#252;rde?&#187; (C.H.Beck 2004), &#171;Die Frage nach Gott&#187; (C.H.Beck, 2. Auflage 2007), &#171;Was ist Recht?&#187; (C.H.Beck 2006) und &#171;Was ist Moral?&#187; (Reclam 2008).</body>

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Leseprobe

2. Was wissen wir durch logisches Denken?


Es gibt, wie schon gesagt, sehr unterschiedliche Arten von Wissen. So ist etwa mein Wissen, dass zwei plus eins gleich drei (2 + 1 = 3) ist, offenbar von ganz anderer Art als mein Wissen, dass in meinem Arbeitszimmer ein Schreibtisch steht. Worin besteht der Unterschied?

Mein Wissen, dass in meinem Arbeitszimmer ein Schreibtisch steht, betrifft eine Tatsache der wahrnehmbaren Welt und wird mir vermittelt durch die Sinne. Ganz anders verhält es sich mit meinem Wissen, dass zwei plus eins gleich drei ist. Dieses Wissen beruht nämlich auf einer Beziehung oder Relation zwischen sprachlichen Ausdrücken: Ich brauche nur die sprachliche Bedeutung der in der Aussage vorkommenden fünf Ausdrücke («zwei», «eins», «drei», «plus» und «ist gleich») zu kennen, um sagen zu können, dass die Aussage wahr ist. Eine sinnliche Wahrnehmung benötige ich hierzu nicht.

Es ist also nicht etwa so, dass unser Wissen der Tatsache, dass zwei plus eins gleich drei ist, darauf beruht, dass wir immer dann, wenn wir in der Realität zwei Objekte mit einem Objekt zusammenbringen, die zusammengebrachten Objekte als drei Objekte sinnlich wahrnehmen. Letzteres ist zwar oft der Fall: Wenn ich zwei Jungen und ein Mädchen in ein leeres Zimmer sperre, kann ich anschließend drei Kinder in dem Zimmer wahrnehmen. Es ist aber keineswegs immer der Fall: Wenn ich zwei Katzen und eine Maus in einen leeren Käfig sperre, kann ich anschließend unter Umständen nur zwei Tiere in dem Käfig wahrnehmen.

Dass zwei plus eins gleich drei ist, beruht lediglich auf der sprachlichen Bedeutung der in der Aussage enthaltenen Ausdrücke: Jeder, der diese Ausdrücke versteht, wird die Aussage für wahr, ja ihre Wahrheit für notwendig halten. Dass die Aussage wahr ist, erscheint logisch zwingend; ihre Wahrheit ist, so gesehen, eine logische Wahrheit. Häufig wird eine in diesem Sinn logische Wahrheit auch als analytische Wahrheit bezeichnet.

Ihrem Wesen nach ist die Aussage bekanntlich eine mathematische Aussage, die sich, wie oben dargestellt, in derselben Bedeutung auch mithilfe mathematischer Zeichen ausdrücken lässt. Sofern auch weitere, ja vielleicht sogar sämtliche mathematischen Aussagen ihre Wahrheit der Bedeutung der in ihnen vorkommenden Zeichen oder Ausdrücke verdanken (wofür vieles spricht), ist auch ihre Wahrheit eine logische Wahrheit.

Aber auch wenn sämtliche mathematischen Wahrheiten logische Wahrheiten sind, so sind doch mit Sicherheit nicht sämtliche logischen Wahrheiten auch mathematische Wahrheiten. Es gibt auch logische Wahrheiten, die sich durch mathematische Zeichen nicht ausdrücken lassen und doch auf der Bedeutung der verwendeten Ausdrücke beruhen. Beispiele sind die Wahrheiten, dass alle Junggesellen unverheiratet sind und dass alle Frauen Menschen sind.

Die wichtigsten logischen Wahrheiten, die nicht mathematischer Art sind, betreffen gültige – logisch gültige – Argumente. Als Argument gilt eine Folge von Aussagen, deren abschließende Aussage (die Schlussfolgerung oder Konklusion des Arguments) durch die vorangehenden Aussagen (die Voraussetzungen oder Prämissen des Arguments) begründet werden sollen. Ein Argument kann eine oder mehrere Prämissen haben. Gültig ist ein Argument genau dann, wenn die Begründung logisch korrekt ist, das heißt, wenn die Konklusion logisch aus den Prämissen folgt, das heißt, wenn der Wahrheitsgehalt der Prämissen notwendigerweise auf die Konklusion übergeht: Falls die Prämissen des Arguments wahr sind, ist zwingend auch die Konklusion des Arguments wahr. Dies zeigt das folgende, vielzitierte Beispiel.

Argument 1.

Prämisse 1: Alle Menschen sind sterblich.

Prämisse 2: Sokrates ist ein Mensch.

Konklusion: Sokrates ist sterblich.

Doch auch Argumente, deren Prämissen tatsächlich nicht wahr sind, können gültig sein.

Argument 2.

Prämisse 1: Alle Affen sind größer als zwei Meter.

Prämisse 2: George W. Bush ist eine Affe.

Konklusion: George W. Bush ist größer als zwei Meter.

Argument 2 ist offensichtlich ebenso gültig wie Argument 1, da es genau dieselbe Struktur wie dieses hat. Trotzdem sind alle drei Aussagen in Argument 2 falsch. Ja, die Konklusion eines logisch gültigen Arguments kann sogar wahr sein, obschon sämtliche Prämissen falsch sind.

Argument 3.

Prämisse 1: Alle Affen sind größer als ein Meter.

Prämisse 2: George W. Bush ist ein Affe.

Konklusion: George W. Bush ist größer als ein Meter.

Auch dieses Argument ist wegen seiner Struktur zweifellos gültig. Es kommt nach alledem für die Gültigkeit eines Arguments auf die tatsächliche Wahrheit seiner Konklusion gar nicht an. Gültig ist ein Argument vielmehr immer dann, wenn, für den Fall, dass die Prämissen wahr sind, die Konklusion ebenfalls – und zwar notwendigerweise – wahr ist.

Ein gültiges Argument kann, wie schon gesagt, auch nur eine Prämisse haben.

Argument 4.

Prämisse: Immanuel Kant war ein Philosoph.

Konklusion: Immanuel Kant war ein Philosoph, oder alle Menschen sind sterblich.

Argument 4 ist gültig, weil die Konklusion in ihrer Gesamtheit schon dann zwingend wahr ist, wenn auch nur eine ihrer beiden Teilaussagen – sei es die erste Teilaussage, also die Prämisse, oder die zweite Teilaussage – wahr ist. Denn das besagt die Bedeutung des Wortes «oder». Die Wahrheit einer einzigen Prämisse reicht hier also aus, um die Wahrheit der Konklusion sicherzustellen. Neben dieser wahren Prämisse kann jede beliebige weitere Aussage, ob wahr oder falsch, als zweite Teilaussage in die Konklusion eingehen, ohne dass das Argument dadurch seine Gültigkeit verliert. Falls die Prämisse wahr ist, kommt es auf die Wahrheit der zweiten Teilaussage überhaupt nicht an.

Argument 5.

Prämisse: Immanuel Kant war ein Philosoph.

Konklusion: Immanuel Kant war ein Philosoph, oder alle Menschen sind unsterblich.

Auch Argument 5 ist offenbar ebenso gültig wie Argument 4. Ist alles dies aber wirklich uneingeschränkt richtig? Das heißt: Folgt aus der Bedeutung des Wortes «oder» wirklich, dass es für die Wahrheit der Konklusion auf die Wahrheit der zweiten Teilaussage überhaupt nicht ankommt? Ich möchte nun zeigen, dass dies keineswegs unter allen Umständen der Fall ist.

Nehmen wir an, ich habe von einem Versandunternehmen einen Artikel bestellt und sende ihn zurück, da er mir nicht gefällt. In den Verkaufsbedingungen des Unternehmens lese ich den Satz «Bei Rücksendung des gekauften Artikels erhält der Kunde den Kaufpreis erstattet oder gutgeschrieben». Tatsächlich aber bekomme ich als Folge meiner Rücksendung den Kaufpreis sowohl erstattet als auch gutgeschrieben. Kann ich unter diesen Umständen wirklich annehmen, dass das Unternehmen sich im Einklang mit seinen Verkaufsbedingungen verhalten hat? Wohl kaum; ich muss vielmehr annehmen, dass es sich bei der Erstattung und der Gutschrift des Kaufpreises um ein Versehen handelt, das ich anständigerweise dem Unternehmen mitzuteilen habe, damit es die vorgenommene Gutschrift wieder rückgängig macht.

Wenn dies richtig ist, dann muss das Wort «oder» hier ganz offenbar in einem ausschließenden – die Wahrheit beider Teilaussagen ausschließenden – Sinn verstanden werden. Wenn man «oder» aber in diesem ausschließenden Sinn von «entweder-oder» versteht, dann ist damit meine obige Behauptung unvereinbar, dergemäß es in den angeführten Argumenten «für die Wahrheit der Konklusion auf die Wahrheit der zweiten Teilaussage überhaupt nicht ankommt». Denn dann kann die jeweilige Konklusion nur wahr sein, wenn eine der beiden Teilaussagen falsch ist. Das aber bedeutet, dass auch in den angeführten Argumenten die zweite Teilaussage falsch sein muss, da ja die erste Teilaussage, die Prämisse des Arguments, wahr ist. Die Konklusion «Immanuel Kant war ein Philosoph, oder alle Menschen sind sterblich» wäre demnach falsch, und Argument 4 wäre ein Fehlschluss. Dies gilt, wie gesagt, wenn man «oder» im Sinn von «entweder-oder» versteht.

Wir benutzen «oder» in der Umgangssprache sowohl in einem ausschließenden als auch in einem (die Wahrheit beider Teilaussagen) einschließenden Sinn. Ohne Zweifel im letzteren Sinn wird das Wort etwa benutzt, wenn auf der Parkfläche eines Supermarkts einige Parkplätze den Hinweis tragen «Für Schwerbehinderte oder Frauen mit Kind». Niemand würde hier wohl auf die Idee kommen, einer schwerbehinderten Frau mit Kind das Parkrecht abzusprechen.

Der Leser mag sich selbst überlegen, in welcher der beiden möglichen Bedeutungen das Wort in der Aussage «Immanuel Kant war ein Philosoph, oder alle Menschen sind sterblich» benutzt wird. Ich könnte mir denken, dass es auf diese Frage keine eindeutige Antwort gibt, da derart...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Zum Buch2
Über den Autor2
Titel3
Impressum4
Inhalt5
Einleitung7
1. Unter welchen Voraussetzungen wissen wir etwas?11
2. Was wissen wir durch logisches Denken?27
3. Was wissen wir durch Sinneswahrnehmung?45
4. Kann man aus Vergangenem auf Zukünftiges schließen?61
5. Sind Werte Gegenstand des Wissens?77
6. Sind religiöser Glaube und Wissen vereinbar?97
Schlussbemerkung117
Literaturhinweise121

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