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Wenn die Kindheit krank macht

Frühe seelische Verletzungen - die wahre Ursache für Übergewicht, Herz-Kreislauferkrankungen und Co. - Mit wirksamen Strategien für Betroffene und Eltern

AutorDonna Jackson Nakazawa
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783641225520
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Ein Buch ... wie eine Medizin' Jack Kornfield
Kann eine kalte Kindheit körperlich krank machen? Neueste Studien belegen, dass klassische internistische Erkrankungen wie Krebs, Rheuma oder Herz-Kreislaufleiden häufig Folgen von frühkindlichen traumatischen Erfahrungen sind. Der Mechanismus ist komplex: Seelische Dauerbelastung löst neuronale Entzündungsprozesse im Gehirn aus, die Veränderungen im körperlichen Stresssystem schädigen das Immunsystem. Die gute Nachricht: Dieser Prozess lässt sich stoppen - selbst im Erwachsenenalter. Die renommierte Gesundheitsexpertin Donna Jackson Nakazawa hat ein elementares Resilienz-Programm entwickelt. Zentrale Elemente sind Achtsamkeitsübungen für Körper und Geist sowie Techniken zum Umgang mit Traumata. So gelingt es, die schwere biologische Hypothek zu tilgen und ein selbstbestimmtes, gesundes Leben zu führen.

Donna Jackson Nakazawa ist eine renommierte Gesundheitsjournalistin und schreibt über Themen aus den Bereichen Medizin, Integrative Gastroenterologie und Autoimmunerkrankungen. Neben Büchern verfasst sie regelmäßig Beiträge für Psychology Today oder die Washington Post. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Maryland, USA.

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Leseprobe

Einführung

Dieses Buch untersucht, wie wir von den Erfahrungen in unserer Kindheit geprägt und zu den Erwachsenen gemacht werden, die wir dann später einmal sind. Neueste Forschungen zeigen: Was uns nicht umbringt, macht uns nicht zwangsläufig stärker. Viel häufiger ist das Gegenteil der Fall: Die frühen chronischen Stressoren, Verluste und Belastungen, mit denen wir als Kinder konfrontiert werden, beeinflussen unsere Biologie auf eine Weise, die später über unsere Gesundheit bestimmt. Diese frühe biologische Entwicklung bestimmt unsere Tendenz zu so schwerwiegenden Krankheiten wie Herzerkrankungen, Krebs, Autoimmunerkrankungen, Fibromyalgie und Depressionen, wenn wir erwachsen sind. Sie bildet auch die Grundlage dafür, wie wir mit anderen in Beziehung treten, wie erfolgreich wir in Liebesangelegenheiten sind und wie gut es uns gelingt, für unsere eigenen Kinder zu sorgen und sie zu erziehen.

Ich begann, den Zusammenhang zwischen belastenden Erfahrungen in der Kindheit und dem Gesundheitszustand des Erwachsenen zu erforschen, nachdem ich mich ein gutes Dutzend Jahre lang mit mehreren Autoimmunerkrankungen herumgeschlagen hatte. Sie schränkten mein Leben ein, während meine Kinder klein waren und ich als Journalistin arbeitete. Als ich zwischen 40 und 50 war, wurde ich zweimal von einer Autoimmunerkrankung namens Guillain-Barré-Syndrom außer Gefecht gesetzt. Die Krankheit ähnelt der Multiplen Sklerose, setzt aber unvermittelter ein. Ich litt unter Muskelschwäche und allgemeinen Taubheitsgefühlen. Ich hatte einen Herzschrittmacher wegen vasovagaler Synkopen, bei denen es zu Bewusstlosigkeit und Krämpfen kommt. Die Anzahl meiner weißen und roten Blutkörperchen war so gering, dass meine Ärztin vermutete, in meinem Knochenmark würde sich etwas zusammenbrauen. Hinzu kam eine Schilddrüsenerkrankung.

Trotz alledem wusste ich, dass ich Glück hatte, am Leben zu sein, und war fest entschlossen, mein Leben voll auszukosten. Wenn die Muskeln in meinen Händen nicht mitspielten, umklammerte ich mit der Faust einen überdimensionalen Bleistift, um zu schreiben. Wenn ich die Treppe nicht hinaufkam, weil sich meine Beine sträubten, setzte ich mich auf halbem Wege hin und ruhte mich aus. Ich quälte mich durch Tage, an denen ich mit einer grippeartigen Erschöpfung kämpfte – und die Ängste verdrängte, was meinem Körper wohl als Nächstes zustoßen würde. Ich mogelte mich durch berufliche Telefonate, bei denen ich rücklings auf dem Boden lag. Ich sparte meine Energie für die Zeit mit meinen Kindern, meinem Mann und unser Familienleben auf. Ich tat, als könnte ich mit dieser Art von »Normalität« leben. Das musste ich, denn eine Alternative war nicht in Sicht.

Meine Fähigkeiten als Wissenschaftsjournalistin setzte ich immer mehr dafür ein, Frauen mit chronischen Erkrankungen zu helfen und über die Schnittstelle zwischen Neurowissenschaft, Immunsystem und den innersten Regungen des menschlichen Herzens zu berichten. Ich untersuchte die vielen verschiedenen Krankheitsauslöser, berichtete über Chemikalien in unserer Umwelt und unserer Nahrung, über die Gene und darüber, wie entzündungsfördernder Stress die Gesundheit schwächt. Ich informierte darüber, wie uns ein umweltbewusstes Leben, eine gesunde Ernährung mit naturbelassenen Lebensmitteln sowie Techniken wie die Geist-Körper-Meditation helfen können, wieder zu Kräften zu kommen und gesund zu werden. Auf Konferenzen hielt ich Vorträge für Patienten, Ärzte und Wissenschaftler. Es wurde meine Mission, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um den Leserinnen und Lesern, die in einem chronischen Kreislauf aus Leiden, Entzündungen oder Schmerzen gefangen waren, zu einem gesünderen und besseren Leben zu verhelfen.

Im Zuge dieser Bemühungen stieß ich im Jahr 2012 auf eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen, die sich auf eine bahnbrechende Studie zur Bevölkerungsgesundheit stützten: die Adverse Childhood Experiences Study (dt. »Studie zu belastenden Kindheitserfahrungen«) oder ACE-Studie. Sie zeigt einen klaren wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen verschiedenen Belastungsfaktoren in der Kindheit und dem Ausbruch körperlicher Erkrankungen und seelischer Störungen beim Erwachsenen. Zu diesen Traumata zählen verbale Demütigung und Herabsetzung; emotionale oder physische Vernachlässigung; körperliche oder sexuelle Misshandlung; wenn ein im Haushalt lebender Elternteil unter Depressionen oder psychischen Störungen leidet, alkoholabhängig ist oder unter einer anderen Suchterkrankung leidet; wenn das Kind die Misshandlung der Mutter mit ansehen muss; wenn es einen Elternteil aufgrund von Trennung oder Scheidung verliert. Die ACE-Studie untersuchte zehn Belastungsfaktoren,1 aber neuen Forschungen zufolge können sich auch andere Kindheitstraumata – wie der Tod eines Elternteils, Gewalt in der Nachbarschaft, Aufwachsen in Armut, wenn das Kind die Misshandlung von Geschwistern oder die Misshandlung des Vaters durch die Mutter mit ansehen muss sowie Schikanen durch einen Klassenkameraden oder Lehrer – langfristig auswirken.

Chronische Belastungen dieser Art verändern die Struktur des kindlichen Gehirns und die Expression von Genen, die den Ausstoß von Stresshormonen kontrollieren. Damit verursachen sie eine lebenslang überschießende entzündungsfördernde Stressreaktion und machen den späteren Erwachsenen anfällig für Erkrankungen. Die ACE-Forschung zeigt, dass 64 Prozent der Erwachsenen in ihrer Kindheit einem Belastungsfaktor, 40 Prozent zwei oder mehr Belastungsfaktoren ausgesetzt waren.

Meine Ärztin der Johns Hopkins University äußerte die Vermutung, dass mein Körper und mein Gehirn in Anbetracht der chronischen Belastungen meiner Kindheit wohl mein ganzes bisheriges Leben lang geradezu getränkt mit entzündungsfördernden toxischen Substanzen waren – was mich anfällig für die Erkrankungen machte, denen ich mich nun gegenübersah.

Meine Geschichte ist von Verlust geprägt. Ich war noch ein kleines Mädchen, als mein Vater plötzlich starb. Meine Familie musste kämpfen und entfremdete sich von der weitläufigen Verwandtschaft, mit der sie bis dahin eng verbunden gewesen war. Ich hatte meinem Vater außergewöhnlich nahegestanden. Er hatte mir das Gefühl gegeben, dass die Welt sicher und gut war und ich wertgeschätzt wurde. Er hat auf allen Familienfotos die Arme um mich gelegt, und ich lächle. Mit seinem Tod war meine Kindheit mit einem Schlag quasi über Nacht zu Ende. Wenn ich ehrlich bin, habe ich von jenem Tag an keine einzige »glückliche« Kindheitserinnerung mehr. Und niemand war schuld daran. Es war einfach so. Ich dachte auch nicht weiter darüber nach. In meinen Augen waren Menschen, die ständig in ihrer Vergangenheit und besonders in ihrer Kindheit wühlten, irgendwie suspekt.

Ich machte tapfer weiter. Die Zeit raste dahin. Ich baute mir ein gutes Leben auf, setzte mich in meiner Arbeit als Wissenschaftsjournalistin stark für wichtige Themen ein, heiratete einen wunderbaren Mann und zog Kinder groß, die ich über alles liebte – und für die ich alles tat, um am Leben zu bleiben. Aber wenn ich nicht gerade die Höhepunkte meines hart erkämpften Familienlebens genoss oder Zeit mit guten Freunden verbrachte, rang ich mit dem Schmerz. Ich fühlte mich wie eine Fremde auf dem Fest des Lebens. Mein Körper ließ mich niemals vergessen, dass ich im Inneren schon seit sehr langer Zeit einen großen Verlust kaschierte – da konnte ich mich noch so sehr bemühen. Ich hatte das Gefühl, »nicht so zu sein wie die anderen«.

Angesichts des neuen Forschungszweigs, der sich mit belastenden Kindheitserfahrungen beschäftigte, schien es plötzlich beinahe absehbar, dass sich mit Anfang 40 mein Gesundheitszustand verschlechtern und mich in die Knie zwingen würde – was in meinem Fall durchaus wörtlich zu verstehen war.

Wie so viele Menschen war ich überrascht und hatte sogar meine Zweifel, als ich von den Belastungsfaktoren erfuhr und hörte, dass vieles von dem, was uns als Erwachsenen widerfährt, untrennbar mit unseren Kindheitserfahrungen verbunden ist. Ich zählte mich nicht zu den Menschen, die in ihrer Kindheit belastende Erfahrungen gemacht hatten. Aber als ich den ACE-Fragebogen ausfüllte und meinen ACE-Wert errechnete, ergab meine Geschichte allmählich viel mehr Sinn. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse waren ganz neu. Sie stützten aber auch alte Vorstellungen, die wir schon lange für wahr halten: »Das Kind ist der Vater des Mannes«, besagt eine Redensart – unsere Kindheitserfahrungen bestimmen zu einem guten Teil, wie wir als Erwachsene sind. Die Forschungen zeigten mir darüber hinaus, dass wir mit unserem Leid nicht allein sind.

133 Millionen US-Amerikaner leiden an chronischen Erkrankungen, 116 Millionen haben chronische Schmerzen. Die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Belastungen in der Kindheit und Erkrankungen beim Erwachsenen können unsere gesamten Genesungsbemühungen beeinflussen. Mit diesem Wissen gerüstet können Ärzte und Therapeuten, Psychologen und Psychiater ihre Patienten besser verstehen und neue Erkenntnisse gewinnen, um ihnen zu helfen. Dieses neue Wissen wird uns auch helfen sicherzustellen, dass die Kinder in unserem Leben – deren Eltern, Mentoren, Lehrer oder Trainer wir sind – nicht unter den Langzeitfolgen derartiger Belastungen zu leiden haben.

Ich wollte so viel wie möglich über dieses Thema in Erfahrung bringen und interviewte zwei Jahre lang die führenden Wissenschaftler, die die Auswirkungen von belastenden Kindheitserfahrungen und toxischem Stress in der Kindheit erforschen und analysieren. Ich durchforstete die 70 Forschungsarbeiten der ACE-Studie und mehrere hundert weitere...

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