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Zum pädagogischen Bezug in der praktischen Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Eine ethnografische Studie

AutorKirsten Reindl
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl99 Seiten
ISBN9783656925446
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Pädagogik - Sonstiges, Note: 1, Justus-Liebig-Universität Gießen (Erziehungswissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Aufgrund aktueller Weltkrisen steigt die Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland in den letzten Jahren stetig an. Eine Vielzahl an Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten, genauer gesagt aus Krisenstaaten wie Syrien, Irak, Eritrea oder Somalia fliehen aufgrund von Bürgerkriegen, politischen Umbrüchen, Terror und großer Armut aus ihren Heimatländern nach Europa (vgl. Siems 2014). Wer als Flüchtling in ein europäisches Land kommt, hat in der Regel keine ausreichenden finanziellen Mittel um dies legal, beispielsweise in Form einer Flugreise zu tun. Flüchtlinge überqueren daher häufig durch die Hilfe von Schleppern und gefälschten Ausweisdokumenten Landesgrenzen auf illegalem Weg und gehen dabei hohe Risiken ein (vgl. Milborn 2009 zit. n. Detemple 2013, S. 22). Organisationen wie der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (B-UMF) oder auch der United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) greifen die Problematik der aktuellen Flüchtlingssituation durch u. a. zahlreiche wissen-schaftliche Online-Publikationen regelmäßig auf und liefern dadurch eine Fülle an zuverlässigem Informationsmaterial, auf welches sich auch diese Arbeit zu einem großen Teil stützt. Dadurch konnten z. B. gegenwartsnahe Fakten und Zahlen über die Situation speziell der UMF gewonnen werden. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF 2014) wurden im Zeitraum von Januar bis Oktober 2014 deutschlandweit insgesamt 135.634 Asyl-Erstanträge registriert. Verglichen zu den 87.442 Erstanträgen im gleichen Zeitraum zum Vorjahr stellt dies einen erheblichen Anstieg von 35,5% dar. Ein Großteil der Einreisenden besteht aus Flüchtlingsfamilien, die gemeinsam und nicht selten in Begleitung altersschwacher Menschen oder sogar Neugeborener einwandern. Doch auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF), die alleine und ohne familiären Beistand, häufig nur mithilfe eines Schleppers nach Deutschland einreisen, bilden keinen unwesentlichen Anteil der Zuwanderer. Laut Angaben des international größten Akteurs in der Flüchtlingshilfe, dem UNHCR (2012) befinden sich weltweit insgesamt 42,5 Millionen Menschen auf der Flucht, davon haben 46% noch nicht ihre Volljährigkeit erreicht. Der UNHCR verzeichnete dabei allein im Jahr 2011 insgesamt 17.700 UMF, welche einen Antrag auf Asyl stellten (vgl. ebd.). [...]

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Leseprobe

1 Einleitung


 

Aufgrund aktueller Weltkrisen steigt die Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland in den letzten Jahren stetig an. Eine Vielzahl an Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten, genauer gesagt aus Krisenstaaten wie Syrien, Irak, Eritrea oder Somalia fliehen aufgrund von Bürgerkriegen, politischen Umbrüchen, Terror und großer Armut aus ihren Heimatländern nach Europa (vgl. Siems 2014).

 

Wer als Flüchtling in ein europäisches Land kommt, hat i. d. R. keine ausreichenden finanziellen Mittel um dies legal, beispielsweise in Form einer Flugreise zu tun. Flüchtlinge überqueren daher häufig durch die Hilfe von Schleppern und gefälschten Ausweisdokumenten Landesgrenzen auf illegalem Weg und gehen dabei hohe Risiken ein (vgl. Milborn 2009 zit. n. Detemple 2013, S. 22).

 

Organisationen wie der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (B-UMF) oder auch der United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) greifen die Problematik der aktuellen Flüchtlingssituation durch u. a. zahlreiche wissenschaftliche Online-Publikationen regelmäßig auf und liefern dadurch eine Fülle an zuverlässigem Informationsmaterial, auf welches sich auch diese Arbeit zu einem großen Teil stützt. Dadurch konnten z. B. gegenwartsnahe Fakten und Zahlen über die Situation speziell der UMF gewonnen werden.

 

Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF 2014) wurden im Zeitraum von Januar bis Oktober 2014 deutschlandweit insgesamt 135.634 Asyl-Erstanträge registriert. Verglichen zu den 87.442 Erstanträgen im gleichen Zeitraum zum Vorjahr stellt dies einen erheblichen Anstieg von 35,5% dar.

 

Ein Großteil der Einreisenden besteht aus Flüchtlingsfamilien, die gemeinsam und nicht selten in Begleitung altersschwacher Menschen oder sogar Neugeborener einwandern. Doch auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF), die alleine und ohne familiären Beistand, häufig nur mithilfe eines Schleppers nach Deutschland einreisen, bilden keinen unwesentlichen Anteil der Zuwanderer. Laut Angaben des international größten Akteurs in der Flüchtlingshilfe, dem UNHCR (2012) befinden sich weltweit insgesamt 42,5 Millionen Menschen auf der Flucht, davon haben 46% noch nicht ihre Volljährigkeit erreicht. Der UNHCR verzeichnete dabei allein im Jahr 2011 insgesamt 17.700 UMF, welche einen Antrag auf Asyl stellten (vgl. ebd.).

 

In Deutschland ist besonders seit dem Jahr 2008 ein kontinuierlicher Anstieg der Inobhutnahme von UMF zu erkennen. Betrug die Zahl der registrierten unbegleiteten Minderjährigen im Jahr 2009 noch insgesamt 2.988, erlebte sie innerhalb von vier Jahren einen Anstieg von rund 46,7% auf insgesamt 5.605 UMF (vgl. Kemper/Espenhorst 2014).

 

Jenen Flüchtlingskindern, die ohne eine erziehungsberechtigte Person nach Deutschland kommen, steht ein gesondertes Unterstützungsangebot zu. Wenn sie nicht die Möglichkeit haben bei Verwandten zu wohnen, werden sie in der Regel in Jugendwohngruppen, zunächst übergangsweise in sogenannten Clearing-Einrichtungen für UMF untergebracht. Ein darauf folgendes, gesetzlich geregeltes Clearingverfahren findet in enger Kooperation mit dem zuständigen Jugendamt statt und sollte laut B-UMF nicht länger als drei Monate andauern. Dieser Prozess dient sowohl der Klärung des ausländerrechtlichen Status als auch der Feststellung des gesundheitlichen und pädagogischen Bedarfs des jugendlichen Flüchtlings. Den Kindern soll in dieser Phase zudem erstmalig nach ihrer Flucht wieder ein Gefühl von Sicherheit vermittelt werden (vgl. Detemple 2013, S. 38).

 

Die pädagogische Betreuung von UMF im Bereich Clearing bringt jedoch noch weitere relevante Aufgaben mit sich, die letztlich von zentralem Bestandteil sind und den Verlauf der Clearingphase stark beeinflussen können. Die oftmals erwähnte „materielle und medizinische Grundversorgung“ der Jugendlichen bildet hierbei lediglich einen Teil der pädagogischen Arbeit mit UMF.

 

Denn vor allem die unbegleiteten Minderjährigen leiden aufgrund der Erlebnisse vor und während ihrer Flucht unter Traumata und anderen psychischen Krankheiten, die sich insbesondere während der Clearingphase bemerkbar machen. Hinzu kommt, dass UMF von ihren Eltern und Familien getrennt, in einem neuen Land untergebracht sind, in dem sie ein neues Leben beginnen und sich somit an eine zunächst fremde Kultur anpassen müssen. Sie leben mit anderen UMF aus unterschiedlichen Kulturen, mit verschiedenartigen Sprachen, Riten und individuellen Problemen gemeinsam in entsprechenden Wohngruppen.

 

Während die jungen Flüchtlinge vor ihrer Einreise auf sich alleine gestellt waren, Konflikte vermehrt mit Gewalt lösen mussten und Bedrohungen oft nur durch kriminelle Handlungen oder Korruptheit überlebten, müssen sie sich etwa in einem Land wie Deutschland urplötzlich umorientieren. Für ein friedliches und rücksichtsvolles Zusammenleben innerhalb einer Gruppe sowie in einer modernen Gesellschaft sollen sie daher lernen, Kompromisse einzugehen und Wege zu finden, Konflikte untereinander respektvoll und einträchtig zu lösen. Zu all dem kommt erschwerend hinzu, dass die unbegleiteten Minderjährigen ihrem Alter entsprechend ebenso spezifische Bedürfnisse und Probleme aufweisen, wie etwa deutsche Jugendliche während ihrer Adoleszenz.

 

Im Hinblick auf die Lebenssituation der UMF während des Clearingverfahrens diente die Studie von Katharina Detemple „Zwischen Autonomiebestreben und Hilfebedarf – Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe“ als solide Literatur, um erforderliche Kenntnisse für die vorliegende Arbeit zu gewinnen.

 

Sie zitiert in ihrer Publikation (vgl. 2013, S. 30) die Autoren King und Koller (2009, S. 12), die all dies als einen „doppelten Transformationsprozess, den migrierende Jugendliche leisten müssen“, definieren. In einer weiteren Ausführung bezieht sie sich auf Autoren wie Rohr und Schnabel (2000, S. 32) sowie Klingelhöfer und Rieker (2003) die diesen Prozess beschreiben als den

 

„der Transformation vom Kind zum Erwachsenen und dem der Loslösung von der Herkunftsgesellschaft und der Neuanpassung in der Aufnahmegesellschaft.“ (zit. n. Detemple 2013, S. 30).

 

Zentrale Bestandteile in der pädagogischen Arbeit mit UMF im Bereich Clearing liegen somit nicht lediglich in grundversorgenden Maßnahmen, sondern auch in der seelischen Unterstützung, in der Konfliktprävention und -intervention sowie in der Vermittlung zwischen Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Kulturen.

 

Vor diesen Hintergründen gestaltet sich das zentrale Forschungsvorhaben dieser Untersuchung. Das wesentliche Interesse besteht diesbezüglich darin, das erzieherische Verhältnis zwischen den pädagogischen Fachkräften und den unbegleiteten Flüchtlingskindern theoriegeleitet zu analysieren und mögliche Besonderheiten einer interkulturellen Pädagogik entsprechend zu erörtern.

 

1.1 Ziel


 

Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, in Anlehnung an die Theorie des „pädagogischen Bezuges“ nach Herman Nohl, Kenntnisse über das erzieherische Verhältnis zwischen pädagogischem Fachpersonal und den Jugendlichen in der praktischen Arbeit mit UMF während des Clearingverfahrens zu gewinnen.

 

1.2 Methode


 

Um sich dem Thema des pädagogischen Bezuges zwischen den UMF und deren pädagogischen Betreuern im Bereich Clearing zu nähern, erfolgen zunächst grundlegende Klärungen und Unterscheidungen zu den Begriffen „Flüchtlinge“ und „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“.

 

Damit die Lebenssituation der UMF in Deutschland eingehend erläutert sowie die pädagogische Arbeit mit diesen näher beschrieben werden kann, werden nebst aktueller Entwicklungen in Deutschland vorerst eine Reihe möglicher Fluchtmotive aufgezeigt. Denn insbesondere die Zeit vor und während der Flucht prägt die individuelle, psychosoziale und pädagogische Zusammenarbeit mit UMF im Clearingverfahren in hohem Maße.

 

Im Anschluss daran bilden die rechtlichen Rahmenbedingungen für UMF in Deutschland einen weiteren Bestandteil dieser Arbeit. Dieses Kapitel dient dazu, die Grundlagen sowohl des internationalen Flüchtlingsschutzes als auch den rechtlichen Schutz sowie im Späteren entsprechende Handlungsrichtlinien zur Inobhutnahme von UMF in Deutschland aufzuzeigen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der UMF sollen in dieser Arbeit keinen zentralen Gegenstand bilden, sind jedoch aufgrund ihrer Bedeutsamkeit hinsichtlich des später aufgezeigten Clearingverfahrens für UMF zu benennen.

 

Aufbauend darauf werden die Handlungsrichtlinien eines Clearingverfahrens für UMF aufgezeigt. Im Weiteren soll die Betrachtung der psychosozialen Folgen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingskindern die Grundlage für die darauffolgende Darstellung der pädagogischen Ziele und Aufgaben im Clearingverfahren bilden.

 

Anschließend erfolgt der Zugang zur Theorie des „pädagogischen Bezuges“ nach Herman Nohl. Diese gibt Aufschluss darüber, wie sich nach Nohl das Verhältnis zwischen Erzieher und Zögling gestalten sollte,...

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