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Martin Broszat, der 'Staat Hitlers' und die Historisierung des Nationalsozialismus

VerlagWallstein Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783835320253
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Eine kritische Würdigung des historiographischen Werks von Martin Broszat, einem der wichtigsten NS-Forscher. Martin Broszat (1926-1989), ab 1955 Mitarbeiter und ab 1972 Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, war einer der produktivsten Historiker der ersten Generation der empirischen NS-Forschung. Ein viel beachtetes internationales Symposion aus Anlass seines 80. Geburtstages beleuchtete im Dezember 2006 das historiographische Werk dieses unruhigen Intellektuellen, dessen 'Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus' eine bis heute nachwirkende Debatte auslöste. Mit Beiträgen u.a. von: Mathias Beer, Nicolas Berg, Wodzimierz Borodziej, Dan Diner, Norbert Frei, Saul Friedländer, Ian Kershaw, Hans Mommsen, Klaus Schwabe, Sybille Steinbacher, Hans-Ulrich Wehler, Michael Wildt.

Norbert Frei, geb. 1955, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Leiter des 'Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts'; zahlreiche Publikationen zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, zuletzt: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen (2005).

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Leseprobe
Nicolas Berg (S. 161-162)

Zeitgeschichte und generationelle Deutungsarbeit

In Briefen deutschsprachiger Emigranten aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren bemerkt man einen mitunter ausgesprochen freundlichen Blick auf diejenige Nachkriegsgeneration, die seinerzeit Schule und Jugendlichkeit entwuchs und am Beginn des Erwachsenenlebens stand. Bei Hannah Arendt zum Beispiel oder auch bei Theodor W. Adorno läßt sich nachlesen, wie groß die Hoffnung war, die gleich nach dem Ende des Nationalsozialismus auf die jungen Studenten gesetzt werden konnte; beide lobten diese Generation in den höchsten Tönen.

Arendt, die, mit Ausnahme der »großartig humorvollen, menschlichen« Berliner, sonst nicht viel am damaligen Gegenwarts-Deutschland zu rühmen fand, resümierte während ihres Besuches im Jahre 1950 ihrem Mann Heinrich Blücher eine der ersten persönlichen Begegnungen mit den leicht ironischen Worten: »20jähriger Junge, hübsch und nett […].

Wir waren natürlich dick befreundet.« Insgesamt aber war Arendts Lobpreis für die Jugend nicht ironisch gemeint. Denn während sie Deutschland »ein über alle Maßen verrottetes Land« nannte und damit nicht die sichtbaren Kriegszerstörungen, sondern das politische Bewußtsein der Menschen meinte, konnte sie sich über die von ihr immer wieder als »verantwortungshungrig« beschriebenen Gymnasiasten und Stundenten über die Maßen begeistern. Sie seien gerade so, »wie man es kaum an Deutschen« kenne. Von einem Siebzehnjährigen berichtete sie nach New York, er sei »ganz wunderbar« geraten. »Wir verstanden uns gleich so ausgezeichnet, daß es wirklich zum Verwundern war.«

Arendt war offensichtlich schon darüber erleichtert, daß aus der jungen Generation freundliche Meinungen über Amerika zu hören waren. Vielleicht, so hoffte sie, hätten die Jungen erkannt, daß es dort Demokratie und Verantwortung gebe4. In einem Schreiben an ihren langjährigen Freund Kurt Blumenfeld pries sie die jungen Deutschen Anfang August 1952 in ganz ähnlichen Formulierungen; sie seien »ausgezeichnet «, mit ihnen könne man »unbefangen reden«5. Und wiederum an ihren Mann gerichtet heißt es aus denselben Wochen, es scheine, als ob »die ganz neue Generation, die heute höchstens Zwanzigjährigen, wieder in Ordnung« sei.

Sie habe ein Gespräch mit einem neunzehnjährigen Jungen geführt, »der mit solcher Präzision fragte, daß ich noch ganz entzückt über ihn bin«. Theodor W. Adorno äußerte sich im Januar 1949 in einem Schreiben an Leo Löwenthal ähnlich. Sein Bericht über die Rückkehr nach Deutschland und über seine Erfahrungen beim Versuch, als Wissenschaftler und Lehrer nach dem Zweiten Weltkrieg dort wieder anzuknüpfen, von wo er mit Hitlers Machtantritt hatte fliehen müssen, beschwört die jugendlichen Deutschen geradezu als ein, wie er schrieb, »glückvolles« und »überwältigendes« Symbol einer »europäischen Erfahrung«. Die Arbeit mit den Studenten lasse an Intensität und Beziehung alles hinter sich, was man erwartet habe, auch dasjenige, was vor 1933 gewesen sei.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Norbert Frei: Nach Broszat8
I. Die Anfänge der empirischen Zeitgeschichte18
Hans Mommsen: Martin Broszat und die Erforschung der NS-Zeit20
W odzimierz Borodziej: Martin Broszat und die deutsch-polnischen Geschichtsbeziehungen32
Mathias Beer: Martin Broszat und die Erfahrung der Dokumentation der Vertreibung44
Diskussion61
II. Die Zeitgeschichtsforschung in der Bundesrepublik70
Hans-Ulrich Wehler: Intentionalisten, Strukturalisten und das Theoriedefizit der Zeitgeschichte72
Ian Kershaw: Soziale Motivation und Führer-Bindung im Staat Hitlers77
Klaus Schwabe: Martin Broszat und ein gescheitertes deutsch-deutsches Experiment86
Diskussion106
III. Alltag und Holocaust118
Michael Wildt: Das »Bayern-Projekt«, die Alltagsforschung und die »Volksgemeinschaft«120
Sybille Steinbacher: Martin Broszat und die Erforschung der nationalsozialistischen Judenpolitik131
Diskussion147
IV. Zeitgeschichte auf den Weg in die Diskursgeschichte160
Nicolas Berg: Zeitgeschichte und generationelle Deutungsarbeit162
Dan Diner: Struktur ist Intention182
Saul Friedländer: Ein Briefwechsel, fast 20 Jahre später189
Diskussion196
Nachwort215
Bibliographie Martin Broszat217
Autoren und Diskutanten221
Personenregister223

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