Die Rucksäcke, Schlafsäcke, Wanderhosen und viele andere Utensilien waren bereits gekauft. Wir hatten auch schon „probegepackt“ und festgestellt, dass wir gut unter dem empfohlenen Gewicht von 10% des eigenen Körpergewichtes lagen. Ende Juli sollte es losgehen, mit dem Zug nach Pamplona, einer Stadt in Nordspanien, von dort mit dem Taxi weiter zu dem einsamen Kirchlein „Santa Maria de Eunate“. Von dort aus wollten wir nach einer stillen Einkehr mit dem Weg nach Puente la Reina starten. Sechs Wochen hatten wir vor, uns auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela zu begeben, auf den Spuren von vielen, vielen Tausenden von Pilgern. Unsere Anspannung war groß, was uns auf diesem Weg wohl alles erwarten würde.
Doch wie kam es dazu, dass wir, mein Mann Roland und ich, diesen Weg gehen wollten? Eigentlich hatten wir uns schon vor elf Jahren vorgenommen, diese Reise zu wagen. Aber immer kam etwas dazwischen.
Der Auslöser, im Jahr 2013 den Weg wirklich zu gehen, war die schlimmste Zeit, die ich bisher in meinem Leben durchmachen musste: Am 21.11.2011 bekam ich die Diagnose „Brustkrebs“ im Alter von 58 Jahren.
Die Diagnose
Im Sommer bemerkte ich eine kleine Delle neben der Brustwarze, wenn ich meine Arme bewegte, z.B. beim Händewaschen. Ansonsten zeigte die Brust keinerlei Anzeichen für diese schlimme Erkrankung. Komischerweise sprach ich schon einige Zeit vorher zwei Ärzte und einen Heilpraktiker auf meine Brust an. Der eine Arzt ist ein recht bekannter Kinesiologe, der mir nach einigen Tests mit großer Überzeugung mitteilte, dass ich keine Veranlagung zu Brustkrebs hätte. Der zweite Arzt, ein äußerst guter Facharzt für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) hörte ebenfalls auf meine Frage in den Pulsen nichts Beunruhigendes in meinem Körper. Der dritte im Bunde, ein Heilpraktiker, der sehr bekannt für seine gute Augendiagnose ist, teilte mir nach einem tiefen Blick in meine Augen mit, dass er absolut nichts sehen könne. Bei allen drei Untersuchungen muss der Krebs schon da gewesen sein, so groß wie er bei der Diagnose bereits war. Nach diesen beruhigenden Aussagen sah ich die hin und wieder erscheinende „Delle“ als so etwas wie „Orangenhaut“ an. Dann bekam ich im Oktober 2011 einen blauen Fleck auf der linken Brust und Schmerzen in der Achselhöhle. Der Arzt, der TCM praktiziert, meinte, es sei schon möglich, dass in einer nicht zu kleinen Brust schon mal ein Äderchen platzt. Die Schmerzen vergingen wieder.
Anfang November erzählte mir meine Patentante, die damals 85 Jahre alt war, dass sie wahrscheinlich Brustkrebs habe. Auf meine Frage, wie sie das bemerkt habe, antwortete sie mir, dass es kein Knoten war, sondern eher so etwas wie eine „Schwellung“. Mir wurde heiß und kalt! Ich ging noch einmal zum Augendiagnostiker. Er teilte mir nach der Untersuchung wieder mit, dass im Auge nichts zu sehen sei, drängte jetzt aber doch darauf, dass ich zum Gynäkologen gehen solle, was ich am Montag darauf tat.
Es war ein sehr großer Befund mit fast fünf mal drei Zentimetern und schon befallenen Lymphknoten. Nun folgte die härteste Zeit in meinem Leben. Im ersten Augenblick dachte ich, dass ein solch großer Befall nicht zu überleben sei. Doch zum Glück bekam ich auf meine Frage: „Habe ich überhaupt noch eine Chance?“ ein klares „selbstverständlich“ vom Arzt zurück. Trotzdem brach unter mir der Boden weg. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, um unfallfrei mit dem Auto nach Hause zu fahren. Mein Mann, Roland, war am Morgen dieses Tages zu einer Dienstreise nach Hannover aufgebrochen. Als er dann am späten Nachmittag nichtsahnend bei mir anrief, bekam er von mir nur zu hören: „Bitte fahre mit dem nächsten Zug wieder nach Hause, ich habe wahrscheinlich Brustkrebs.“ Roland trat sofort die Heimreise an und war gegen elf Uhr nachts wieder zurück. Von diesem Augenblick an blieb er an meiner Seite wie ein Fels in der Brandung. Ohne ihn hätte ich das alles nicht so gut durchgestanden. Auch kümmerten sich meine Tochter Catrin und ihr Mann Markus um mich. Die beiden waren, so wie es ihre Zeit erlaubte, für mich da und lenkten mich oftmals mit Spieleabenden von meinen trüben Gedanken ab.
Nun ging es Schlag auf Schlag. Dienstagmorgen Mammographie, Diagnose „leider Mammakarzinom linke Brust bei 1.00 Uhr“. Ich war wie betäubt. Hatte ich Metastasen im Körper? Die Sonographie für den Oberbauch sollte ich erst eine Woche später bekommen. Nach einer zum großen Teil durchwachten Nacht weckte ich meinen Mann auf und bat ihn, dass wir einfach um 8.00 Uhr zur Radiologie fahren, damit ich gleich dran komme. Die Damen am Empfang des Radiologischen Zentrums München-Pasing waren sehr nett und machten die sofortige Untersuchung möglich. Als die Ärztin mir mitteilte, dass der Oberbauch frei von Metastasen ist, fiel ich ihr erst einmal um den Hals. Sie sah mich mitfühlend an und meinte, ich hätte nun ein schweres halbes Jahr vor mir, aber ich würde es schaffen. Danach wurde noch die Röntgenaufnahme der Lunge gemacht, das Ergebnis ebenfalls negativ. Ich weinte vor Glück. Das war der Mittwoch.
Am Donnerstag war die Biopsie an der Reihe, das Ergebnis sollte am Dienstag danach fertig sein. Montags wurde das Szintigramm des Knochengerüstes durchgeführt. Und wieder hatte ich Glück. Außer „altersbedingten Abnutzungserscheinungen“ kein weiterer Befund. Ich fühlte mich beinahe wieder gesund.
Das Ergebnis der Biopsie hieß „G 3, herr2-negativ, hormonbedingtes lobuläres Karzinom“. Auch das ließ mich wieder etwas aufatmen, wusste ich doch von früher, dass die hormonbedingten Tumoren im Allgemeinen etwas weniger aggressiv sind als die anderen. Heute sind aber auch die herr2-positiven Tumoren sehr gut behandelbar. Manchmal sprechen diese Tumoren sogar besser auf die Chemotherapie an als die hormonbedingten.
Was mir bis dahin sehr geholfen hatte, war der Kontakt mit der Leiterin einer Selbsthilfegruppe für Brustkrebs: die „mamazonen“. Diese Ansprechpartnerin, selbst an Brustkrebs erkrankt, unterhielt sich eine volle halbe Stunde erst mit mir und dann noch eine ganze Stunde mit meinem Mann, da ich anfangs nicht in der Lage war, so intensiv über das Thema „Brustkrebs“ zu sprechen. Eine meiner vier Schwestern, Medizinredakteurin und spezialisiert auf Krebserkrankungen, hatte mich zu dieser Selbsthilfegruppe gebracht und auch sonst mit Tatsachen versorgt, die mir sehr viel Mut machten.
Jetzt stand zur Wahl: „Was tun?“ Und vor allem „Wo?“
Der Frauenarzt, bei dem ich war, operierte selbst Brustkrebspatientinnen und hatte auch Markus’ Mutter, die ein paar Jahre vorher ebenfalls diese Diagnose bekommen hatte, operiert. Eine meiner Qigong-Schülerinnen meinte, mich zu einem recht bekannten Spezialisten bringen zu können, was allerdings fehlschlug, da ich keine Privatpatientin bin. Ich wollte von Anfang an in das Krankenhaus des Dritten Ordens in München. Irgendwie hatte ich dort ein gutes Gefühl. Und das trog mich auch nicht. Im dortigen Brustzentrum untersuchte mich als erstes der Leiter, Herr Oberarzt Dr. O. und erfreute mich sofort mit der Aussage, dass er von einer kompletten Heilung ausgehe.
Er zeigte mir zunächst die Möglichkeiten auf: Bei der enormen Größe meines Befundes wäre bei einer sofortigen Operation keine Brusterhaltung möglich gewesen. Er schlug mir deshalb vor, mich neoadjuvant, das heißt vor einer Operation, mit Chemotherapie zu behandeln. Das hätte auch den Vorteil, dass man am Haupttumor in der Brust und an den pathologisch vergrößerten Lymphknoten sehen könne, ob diese Form der Chemo, die ich bekommen sollte, auf meine Krebserkrankung einwirkt. Im Anschluss an acht Chemotherapien sollte die Operation erfolgen und nach der Wundheilung, ungefähr vier bis sechs Wochen nach der Operation, noch fünf bis sieben Wochen Bestrahlung. Danach eine Langzeittherapie über ca. fünf Jahre mit Aromatasehemmern.
Ich stimmte der Variante der neoadjuvanten Behandlung zu. Somit musste ich mich damit auseinandersetzen, den Tumor noch ungefähr ein halbes Jahr mit mir „herumzutragen“. Komischerweise machte mir das gar nichts aus. Ich war immer der Meinung gewesen, wenn ich mal Krebs bekommen würde, müsste ich mich sofort durch Operation davon befreien. Keinen Tag konnte ich mir vorstellen, wissentlich mit einem bösartigen Tumor in mir zu leben. Und jetzt funktionierte das auf einmal.
Und so wurde ich für drei Tage stationär aufgenommen, um den Port eingesetzt zu bekommen und die erste Chemotherapie unter Aufsicht zu erhalten. Der Port ist ein Gefäßzugang, um über längere Zeiträume hinweg Arzneimittel, in meinem Fall die Chemotherapie, direkt dem Gefäßsystem zuführen zu können.
Die Behandlungszeit
Während und direkt nach der ersten Chemotherapie fühlte ich mich gut und dachte, dass das so bleiben würde. Drei Tage danach bekam ich üble Nebenwirkungen und stellte fest, dass der Weg durch diese Form der Behandlung das Schwerste war, das ich jemals durchgemacht hatte. Ich bekam die sogenannte zweizyklische Chemotherapie, die in Fachkreisen als äußerst wirksam beschrieben wird. Anfangs tröstete ich mich noch damit, dass die erste Form wohl schwerer zu verkraften sei als die zweite Form. Doch ich wurde eines besseren belehrt. Auch die zweite Form bereitete mir üble Missbefindlichkeiten, die mich an den Rand dessen brachten, was ich glaubte, ertragen zu können. Ich fühlte mich nicht mehr mit meinem Körper verbunden, er roch anders und wurde mir fremd. Es war mir übel, ich konnte weder essen noch trinken. Mein Darm reagierte erst mit Verstopfung, dann mit Durchfall. Der Blutdruck sprang rauf und runter, der Puls ging im Liegen bis auf einhundertzwanzig Schläge hoch....