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Ist Kapitalismus gerecht?

Die menschliche Natur in Kapitalismus, Sozialismus und Evolution

AutorCyrus Achouri
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl91 Seiten
ISBN9783170336865
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Was ist gerecht? Eine Gesellschaft, die alle gleichstellt? Eine Gesellschaft, die gerade aufgrund der ungleichen natürlichen Voraussetzungen alle unterschiedlich behandelt? Sozialistische Theorien ebenso wie marktliberale Theorien geben hier unterschiedliche Antworten. Der Autor geht dem roten Faden der Argumente nach und räumt mit einigen Vorurteilen auf; unter anderem, dass die kapitalistische Ökonomie Konkurrenz erzeuge oder Ungerechtigkeit schaffe. Schließlich wird die Frage aufgeworfen, ob die freie Marktwirtschaft nicht gerade unserer menschlichen Natur entspricht, wenn man evolutionsbiologische Erkenntnisse zulässt und deren Argumentationslinien folgt.

Prof. Dr. Cyrus Achouri, geb. in Paris, Frankreich, ist Philosoph und lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, Fakultät für Betriebswirtschaft und Internationale Finanzen. Arbeitsschwerpunkte sind Human Resources Management, Wirtschaftsphilosophie und Systemtheorie.

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Leseprobe

Auch wenn der Mensch Naturgesetzlichkeiten vorfindet, die er nicht verändern kann, so greift er mithilfe der Technik in diese Naturabläufe und ebenso mit der Ökonomie in kultureller Weise ein. Technik und Ökonomie befinden sich auf der gleichen Betrachtungsebene, beides ist vom Menschen geschaffen und jeweils in begrenztem Rahmen änderbar. Dieser Rahmen wird sowohl in der Technik als auch in Ökonomie, Kunst, etc. von den Gesetzlichkeiten bestimmt, die die Natur vorgibt. In der Technik sind das etwa die Fallgesetze, in der Ökonomie etwa die biologisch-evolutionären Voraussetzungen, die der Mensch mitbringt.

Versteht man in diesem Sinne den Menschen (nach Fichte) als die sich selbst betrachtende und auf sich rückwirkende Natur, so erübrigt sich eine Teilung in eine von uns unabhängige Natur mit feststehenden Gesetzmäßigkeiten (ein Kantsches Ding an sich) und eine menschliche Freiheit, die unabhängig davon agiert. Die gesellschaftlichen Sachzwänge sind ebenso naturgegeben wie die biologischen, schließlich steckt auch im Menschen und seinem Werk Natur. Eine Trennung in Kultur und Natur vorzunehmen, um beweisen zu können, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse auch veränderbar seien, ist nicht nötig. Sie sind auch dann veränderbar, wenn man den Menschen als »Handlanger« der Natur begreift.

Die Diskussion ist deshalb nicht trivial, weil insbesondere von Verteidigern des Kapitalismus gerade die biologische Determiniertheit immer wieder als Argument ins Feld geführt wird. So wird beispielsweise die Verteilungsungleichheit oder der Konkurrenzkampf um limitierte Ressourcen gerade damit legitimiert, dass diese Form des Wirtschaftens der »Natur des Menschen« am ehesten entspräche. Diesem Argument kommt man nicht bei, wenn man sich auf eine Trennung von Kultur- und Naturgesetzlichkeit beruft, also die Möglichkeit alternativer ökonomischer Konzepte damit begründet, dass sie ja von Menschen geschaffen seien und eben keine unverrückbaren Naturgesetzlichkeiten darstellten. Vielmehr gilt es, die biologisch-evolutionären Gesetzlichkeiten genauer zu untersuchen, um hierbei Aussagen treffen zu ­können.

Abgesehen davon ist es formal falsch, Natur und Kultur grundsätzlich zu trennen, wie beispielsweise Neomarxisten wie Elmar Treptow argumentieren: »Da die widersprüchliche Gerechtigkeit mit ihren strukturellen Ungleichheiten sachzwanghaft – naturwüchsig, hinterrücks – durchgesetzt wird und nicht deshalb herrscht, weil es jemand beabsichtigt hätte, sind dafür die Individuen nicht verantwortlich. Verantwortung haben die Individuen nur für das, was sie freiwillig tun (oder unterlassen) und auf Grund ihres Wissens sowie ihrer Macht verändern können. Was von den Individuen nicht abhängt, ist ihnen nicht zurechenbar.«85

Das Argument, der Unterschied liege darin, dass die Natur nicht deshalb herrsche, weil es jemand beabsichtigt habe, die gesellschaftlichen Verhältnisse aber voller Absicht errichtet worden seien, ist nicht sinnvoll. Es verkürzt den Zusammenhang, wonach der Mensch immer auch Natur ist und alles, was er errichtet, bildet auch die natürlichen Gesetzmäßigkeiten ab. Wenn man darüber hinaus Verantwortung nur im kulturellen Bereich gelten lässt und sie der Natur abspricht, so kann man den Menschen für seine natürlichen Triebe, Instinkte und Anlagen auch nicht verantwortlich machen; er kann sie ja schließlich auch nicht ändern. Selbst unser Rechtssystem differenziert hier genauer.

Nach Adam Smith wird gerade dadurch Ordnung erzeugt, dass jeder Einzelne seinen natürlichen Neigungen nachgeht, jeder seine Individualinteressen verfolgt. Wir würden heute von systemischer Selbstorganisation sprechen. Ohne staatliche Intervention in der Ökonomie folgt nach Smith kein Chaos, sondern entsteht genau die Ordnung, die der menschlichen Natur entspricht. Hierauf entgegnet Marx mit Recht, dass die individuellen Interessen immer schon gesellschaftlich bestimmt und bedingt sind. Marx’ Argument hebelt Smith’s aber nicht aus, denn nach Smith’s Logik schafft die menschliche Natur ja genau die Gesellschaftsverhältnisse, die ihr angemessen sind, also möglichst auf Privatinteressen ausgerichtet sind.

Eine ähnliche argumentative Situation findet sich bei Marx hinsichtlich des Verhältnisses von Konkurrenz und Kapitalismus. Für Marx schaffen die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus notwendigerweise gesellschaftliche Konkurrenz. Marx behauptet, den Kapitalismus aus der Konkurrenz heraus verstehen zu wollen, sei dagegen ein Missverständnis. Gerade diese Argumentation ist aber gemeint, wenn davon die Rede ist, der Kapitalismus sei ein Spiegel der menschlichen (eben auch konkurrierenden) Naturanlagen. Es ist naiv, anzunehmen, die bestehende kapitalistische Ökonomie erzeuge erst das Konkurrenzdenken in uns. Kultur kann an Natur anknüpfen, sie kann die Natur aber nicht grundlegend ändern. Zudem wissen wir heute, dass sich das Verhältnis von Natur und Kultur evolutionsbiologisch genau andersherum begründet, beispielsweise ist die intrasexuelle männliche Konkurrenz bei vielen Lebewesen bereits in den Werbungsstrategien zur Reproduktion angelegt.

3.9  Der Staat


Marx vertrat die Auffassung, dass die Weiterentwicklung des Bewusstseins und die Abschaffung von Klassenunterschieden letztlich auch zu einer Abschaffung des Staates selbst führen würden. Der Staat wird dabei gar nicht »abgeschafft«, er stirbt ab, anders als etwa beim russischen Anarchisten Michail Bakunin, der die Abschaffung des Staates an den Beginn einer Revolution verlegen will. Schließlich setzt Bakunin mit der Autorität des Staates Versklavung, Unterdrückung und Ausbeutung gleich. Während man Marx’ Grundforderungen nach Gleichheit, Freiheit und Emanzipation der Bürger wenig in Frage stellte, ist seine staatenlose Utopie oft kritisiert worden.

Meist wird damit argumentiert, dass große Nationen ohne staatliche Direktion in Steuerungs- und Integrationsprobleme gelangen würden. Dabei ist das Problem der Organisation und Steuerung großer Gesellschaften von der Gewalt- und Sanktionsfunktion des Staates zu unterscheiden. Für Marx erhält der Staat den Zweck, die Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten.

Schon bei Locke findet sich der Gedanke, dass durch Hinzufügung von Arbeit das den Menschen von Gott gemeinsam Gegebene zu individuellem Eigentum wird. Locke lässt zwei Regeln des Naturrechts bezüglich seines Eigentumsverständnisses folgen: Man darf nur so viel anhäufen, dass es nicht verdirbt (also nur so viel man selbst braucht), und alle Menschen müssen bei der Aneignung gleichgestellt sein.

Schon die erste Regel wird durch die Existenz des Geldes aufgehoben. Der damit gegebene Antrieb zur schrankenlosen Vermehrung des Eigentums macht nun den Staat als Wächter der Eigentumsverhältnisse notwendig. So wird der Staat der Garant der Besitzverhältnisse und damit der sozialen (Un-)Gleichheit. Locke setzt voraus, dass der arbeitende Mensch nicht Eigentümer über seine Arbeitskraft ist, insofern er mehr arbeitet, als er selbst zum Leben gebrauchen kann. Erst durch Schatzbildung entstünden ungleiche Eigentumsverhältnisse, und diese müsse der Staat nun in ihrem Bestand sichern.

Locke begründet mit dieser Theorie des Besitzindividualismus die klassische Ökonomie. Auch nach Marx braucht es den Staat, um die unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse aufrechtzuhalten. Die Aufgaben der Verwaltung und Organisation werden auch in Marx’ Utopie weiter gebraucht, dann aber nicht mehr als Regierung über Personen, sondern als Verwaltung von Sachen. Die Frage nach der Legitimation und der Lokalisation von Sanktionen bleibt damit offen.

Die kommunistische Utopie einer staatenlosen Gesellschaft zeigt sich auch an anderer Stelle unrealistisch, indem sie unser angeborenes Maß an Kooperationsfähigkeit überhöht. Ab einer bestimmten sozialen Größe und Komplexität ist gesellschaftliche Kooperation und Solidarität nachweislich am Schwinden. Das liegt daran, dass der Einzelne nicht mehr sehen kann, ob sich Kooperation und Gemeinschaftssinn für ihn auszahlen.86 In diesem Sinne wird es notwendig, Kooperation staatlich zu fördern bzw. Defektion zu sanktionieren.

3.10  Krisen im Kapitalismus


Nach Marx sind Krisen im Kapitalismus unvermeidlich. Krisen entstehen im Kapitalismus laut Marx regelmäßig aus dem systemimmanenten Wiederspruch zwischen dem schrankenlosen Ausdehnungswillen der Kapitalinteressen einerseits und der begrenzten zahlungsfähigen Nachfrage andererseits. Anders formuliert: Arbeitslosigkeit entsteht im Kapitalismus dann, wenn die Steigerung der Arbeitsproduktivität prozentual größer ist, als die Akkumulation des Kapitals, ein Zusammenhang, den vor Marx auch schon Smith gesehen hat. Auch bestehe Widersprüchlichkeit darin, einerseits niedrige Preise zu begünstigen und andererseits durch Konzentration und Monopolbildung höhere Preise zu generieren. Laut neomarxistischer Diktion werden diese Fakten von den Vertretern der sozialen Marktwirtschaft nicht wahrgenommen.

Neben diesen zyklischen Krisen gibt es nach Marx auch tendenzielle Krisen. Mit dem Wachstum des Kapitals, das insbesondere dem technischen Fortschritt und den damit einhergehenden Rationalisierungen geschuldet ist, vergrößert sich der in den Produktionsmitteln angelegte konstante Kapitalteil im Vergleich zu dem in den Arbeitskräften angelegte variable Kapitalteil. So muss der Unternehmer immer mehr für Waren vorschießen. Der Mehrwert und in der Folge auch die Profitrate fallen.

Als Faktoren, die der Tendenz der sinkenden Profitrate entgegenwirken, nennt Marx die Erhöhung des Ausbeutungsgrades der Arbeit (in der Mehrwertrate ausgedrückt), die Herabsetzung des Lohns unter den Wert der Arbeitskraft, die Verbilligung des konstanten Kapitals, die...

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