II. Haftungstatbestand
1. Dogmatische Grundlage der Existenzvernichtungshaftung
a) Entwicklung der Rechtsprechung
aa) Haftung nach qualifiziert faktischem Konzern
Zunächst entwickelte die Rechtsprechung für schädigende Eingriffe durch Gesellschafter ein Haftungskonzept nach dem so genannten qualifiziert faktischen Konzern[7]. Grundlage dieser Konstruktion war, dass eine wie in aktienrechtlichen Konzernen gegebenen Gefahr, dass eine beherrschende Gesellschaft zum Nachteil einer abhängigen handeln könne, ebenso im GmbH-Recht auftreten könne[8]. Wegen der schwächeren Kapitalschutzregeln und der stärkeren Einwirkungsmöglichkeiten der Gesellschafter sei die Gefahr in der GmbH sogar noch größer[9]. Dogmatischer Ansatzpunkt war der dem abhängigen Unternehmen zustehende Verlustausgleichsanspruch nach § 302 AktG, der bei Vermögenslosigkeit des abhängigen Unternehmens nach § 303 AktG in einen Direktanspruch der Gläubiger umschlägt[10]. Sollte die abhängige GmbH also nicht zahlen können, entstand eine Ausfallhaftung des Gesellschafters, der als Unternehmen angesehen wurde[11]. Vor allem die Entscheidung „Video“[12] wurde sehr kritisiert, da der BGH eine so genannte Vermutungskaskade aufstellte. Bei einem Einmanngesellschafter bestehe die Vermutung einer dauerhaften und umfassenden Leitung und damit einer Ausübung der gegebenen Leitungsmacht zum Nachteil der abhängigen GmbH[13]. Dadurch bestehe die Gefahr, dass das zentrale Haftungsprivileg des § 13 Abs. 2 GmbHG leer laufe[14]. In der Entscheidung „TBB“[15] schränkte der BGH dies zwar dahingehend ein, dass es eines konkreten Beweises hinsichtlich der Beeinträchtigung der Belange der GmbH bedürfe, aber 2001 gab er - nach Vorarbeiten des damaligen Vorsitzenden des zweiten Zivilsenats Röhricht[16] - die Haftung nach dem qualifiziert faktischen Konzern ausdrücklich auf[17]. Einzelne Autoren sind der Ansicht, dass die konzernrechtlich begründete Gesellschafterhaftung in der GmbH noch in Extremfällen anwendbar sei[18] oder sich die Abwendung des BGH 2001 nur auf die Situation des GmbH-Alleingesellschafters beziehe[19]. Die überwiegende Ansicht[20] sieht jedoch dieses Rechtsinstrument als endgültig verabschiedet, was ebenfalls darauf beruht, dass der BGH nach der Entscheidung „Bremer Vulkan“[21] die Wende zu einer neuen dogmatischen Grundlage bestätigte[22].
bb) Existenzvernichtungshaftung als eigenständiges Institut
In der Entscheidung „Bremer Vulkan“[23] sprach der BGH zunächst von der Haftung wegen eines bestandsvernichtenden Eingriffs. Dieser sei gegeben, wenn ein Gesellschafter keine angemessene Rücksicht auf die Eigenbelange der GmbH nehme, so dass diese ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann. Diese Formulierung knüpfte an die konzernrechtlichen Voraussetzungen in der Entscheidung „TBB“[24] an[25]. In „KBV“[26] erfolgte eine Klarstellung der Haftung dergestalt, dass bei einer fehlenden Rücksichtnahme auf das zur Gläubigerbefriedigung dienende Gesellschaftsvermögen ein Missbrauch der Rechtsform GmbH vorliege und somit ein Verlust des Haftungsprivilegs nach § 13 Abs. 2 GmbHG eintrete. Damit ordnete der BGH die Existenzvernichtungshaftung als Fall der Durchgriffshaftung ein[27]. Allerdings stellte der BGH klar, dass die Existenzvernichtungshaftung nur zum Tragen komme, wenn der Eingriff nicht nach dem gesellschaftsrechtlichen Schutzsystem der §§ 30, 31 GmbHG ausgleichbar sei[28]. Nachdem er in der Entscheidung „Bremer Vulkan“[29] einen Vermögenszufluss an einen direkt an der GmbH beteiligten Gesellschafter verlangte, erweiterte er die Haftung später auf Gesellschafter, die ohne Vermögenszufluss lediglich an der Maßnahme mitwirkten[30] sowie auf mittelbar an der GmbH beteiligte Gesellschafter-Gesellschafter[31]. Er betonte, dass nicht die juristische Konstruktion der Gesellschaftsstruktur maßgeblich sei, sondern der faktische Einfluss. Eine Einschränkung der Haftung erklärte der BGH in der Weise, dass dem Gesellschafter offen stehe, zu beweisen, dass bei ordnungsgemäßem Verhalten ein geringerer Schaden eingetreten wäre[32]. Dieses schadensersatzrechtliche Institut wurde jedoch für eine Durchgriffshaftung als unpassend angesehen[33] und vom BGH selber später als dogmatisch unscharf bezeichnet[34].
cc) Fallgruppe des § 826 BGB
Nach Vorschlägen von Seiten der Literatur[35] hat der BGH in seiner Entscheidung „Trihotel“[36] die Existenzvernichtungshaftung als Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet. Diese Schadensersatzhaftung greift allerdings nicht im Außenverhältnis gegenüber den Gesellschaftsgläubigern, sondern Anspruchsgläubiger ist die Gesellschaft selbst[37]. Dies wird vor allem damit begründet, dass die Existenzvernichtungshaftung die Schutzlücke der Haftung nach §§ 30, 31 GmbHG schließe und damit ebenfalls als Innenhaftungsanspruch ausgestaltet werden sollte[38]. Obgleich der BGH als Ausgangspunkt der Innenhaftung das beeinträchtigte Gesellschaftsvermögen sieht[39], nimmt er keine klare Stellung dazu, ob die Gesellschaft ein von den Gesellschafterinteressen zu trennendes eigenes Bestandsinteresse hat, was in der Literatur umstritten ist[40]. Durch das Erfordernis des (zumindest bedingt) vorsätzlichen Handelns könne verhindert werden, dass die Existenzvernichtungshaftung als verschuldensunabhängige Erfolgshaftung zu oft einschlägig sei. Dies würde sowohl dem Zweck der Haftung als auch der Struktur der Rechtsform GmbH entsprechen. Die Anknüpfung an § 826 BGB läge auch nahe, da die Rechtsprechung schon früher[41] in Existenzvernichtungsfällen § 826 BGB - teilweise neben der eigenständigen Existenzvernichtungshaftung - bejaht habe[42]. Diese Entscheidung hat der BGH mehrfach bestätigt[43] und ebenso auf das Stadium der Liquidation ausgeweitet[44].
b) Literaturansichten
Hinsichtlich der dogmatischen Grundlage der Existenzvernichtungshaftung existiert ein sehr breites Spektrum an Literaturansichten. Wichtige Differenzierung ist die Einteilung in einen Innenhaftungsanspruch der Gesellschaft sowie einen Außenhaftungsanspruch der Gesellschaftsgläubiger.
aa) Modelle mit Innenhaftung
(1) Haftung wegen pflichtwidriger (faktischer) Geschäftsführung
Ein Ansatz in der Literatur[45] versteht die Existenzvernichtungshaftung als Schadensersatzanspruch der GmbH gegen die Gesellschafter analog §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 5 S. 2 und S. 3 AktG. Grundlage dieses Ansatzes ist, dass man bei Bejahung eines Eigeninteresses der GmbH für vermögensrelevante Maßnahmen eine pflichtgebundene Fremdgeschäftsführung der Gesellschafter annehmen müsse. Da die Gesellschafter nach § 37 Abs. 1 GmbHG den Geschäftsführern Weisungen erteilen könnten, spiele es keine Rolle, ob die Gesellschafter zugleich Geschäftsführer seien oder diese anweisen würden; es sei in jedem Fall eine fremdes Vermögen betreffende Geschäftsführung[46]. Dies könne zu einer Haftung analog § 43 Abs. 2 GmbHG führen, wobei § 93 Abs. 5 S. 2 und S. 3 AktG ebenfalls analog anzuwenden seien, um so die Möglichkeit des Anspruchsverzichts der Gesellschafter (auf den gegen sie selbst gerichteten Anspruch) auszuschließen. Dadurch würde gleichzeitig die Schadensersatzhaftung auf grob sorgfaltswidriges Verhalten im Sinne des § 93 Abs. 5 S. 2 AktG beschränkt werden[47]. Diese Ansicht wird größtenteils abgelehnt. So wäre es eine sehr ungewöhnliche Regelungstechnik, wenn man den Gesellschafter, der gegen die ihm durch das GmbH-Recht auferlegten Pflichten verstoße, als (Quasi-)Fremdgeschäftsführer behandele[48]. Auch erscheint ein Rückgriff auf § 93 Abs. 5 S. 2 und S. 3 AktG systemwidrig, da § 93 Abs. 5 S. 1 AktG den Gesellschaftsgläubigern die Geltendmachung des Anspruchs gegen den Vorstand der Aktiengesellschaft ermöglicht[49]. Ferner wirkt die Konstruktion des Fremdgeschäftsführerhandelns durch die Gesellschafter selbst zu weit hergeholt. Die Gesellschafter sind gerade das bestimmende Organ in der GmbH und haben weitreichende Befugnisse hinsichtlich ihrer GmbH wie beispielsweise die Verlegung des Verwaltungssitzes oder die Abberufung der Geschäftsführer.
(2) Gesellschaftsrechtliche Sonderverbindung
Ein weiterer Ansatz knüpft an das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern an. Eine Existenzvernichtungshaftung könne sich aus einem mitgliedschaftlichen...