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Eine Weltreise entlang Mauern, Zäunen und Abgründen

VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641226336
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Angst vor den Anderen: Warum sich Gesellschaften weltweit abschotten
»Build that wall«: Keinen anderen Sprechchor stimmen Anhänger von US-Präsident Trump so leidenschaftlich an wie diesen. Und nicht nur in den USA wird der Ruf nach dichten Grenzen immer lauter. Nicht einmal 30 Jahre nach dem Mauerfall in Berlin entstehen weltweit neue Mauern, Hochsicherheitszäune und Grenzwälle.

Die Weltreporter sind die Mauern, die Länder trennen, entlang gereist. Sie haben Baustellen besucht und mit ehemaligen Nachbarn gesprochen, die jetzt in verschiedenen Welten leben. Auf der ganzen Welt haben sie Architekten, Unternehmer und Politiker getroffen, Grenzschützer, Schleuser und Flüchtlinge, Verlierer und Profiteure. Es zeigt sich, dass Mauern in Beton gegossene Furcht sind und zugleich Ungleichheit zementieren: Reiche schützen sich vor Armen, Gewinner vor Verlierern, Regierende vor den Regierten. Dabei lenkt der neue Mauerboom davon ab, dass die wahren Probleme der Menschheit keine Grenzen kennen: Weder Klimawandel noch Terrorismus, Hunger oder Seuchen machen vor Mauern halt.

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Leseprobe

Willkommen in der Ära der Mauern


Marc Engelhardt


»Build that wall«: Keinen Sprechchor stimmen Anhänger von Donald Trump leidenschaftlicher an als diesen. Das Thema ist ein Dauerbrenner. »Und wenn wir unsere Regierung dafür schließen müssen, wir werden diese Mauer bauen«, versprach Trump jubelnden Anhängern in Phoenix, Arizona und warnte: »Wer sich uns in den Weg stellen will, der setzt die Sicherheit des ganzen Landes aufs Spiel.«

Drei Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer gewinnen Politiker auf der ganzen Welt Wahlen mit der Ankündigung, ihr Land einzumauern. »Die Verteidigung unserer Grenzen mit einem Zaun, der Menschen draußen hält, ist eine pure Notwendigkeit«, erklärt etwa Ungarns Premier Viktor Orbán. »Es gibt keine humane Alternative, wenn wir uns selbst schützen wollen.« Israels Premier Netanjahu verteidigt die Befestigung an der Grenze zu Ägypten mit der Gefahr, die von afrikanischen Migranten ausgehe: »Terroranschläge auf dem Sinai wären schlimm, aber eine Flut afrikanischer Einwanderer wäre das Schlimmste.« Und Recep Tayyip Erdoğan, dem starken Mann in der Türkei, reicht die endgültig mehr als 900 Kilometer lange Mauer entlang der syrischen Grenze zum Schutz seines Landes noch nicht aus: »Wir werden das Gleiche entlang der irakischen Grenze tun und an den geeigneten Stellen entlang der iranischen Grenze.«

Wir leben in einer Ära der Mauern. Zusammengenommen sind sie 41.000 Kilometer lang, aneinandergereiht würden sie einmal um die ganze Erde reichen. 60 neue Grenzzäune, – mauern und – absperrungen wurden seit 1990 errichtet, geplant oder sind derzeit im Bau. Im Kalten Krieg waren es gerade einmal 19, von denen noch zehn erhalten sind. Die Mauern von heute stehen auf beinahe allen Kontinenten: Je knapp ein Drittel in Asien und Europa, jede Fünfte im mittleren Osten, die restlichen in Amerika. Elisabeth Vallet, die als Direktorin des Geopolitischen Observatoriums an der Universität Québec den Bau der neuen Mauern seit Jahren dokumentiert, spricht von einer »Abschottung der Welt«. Waren die Mauern im Kalten Krieg vor allem nach innen gerichtet, um die Bevölkerung einzuschließen, sollen die neuen Grenzanlagen das Gegenteil bewirken: Wer unerwünscht ist, wird ausgeschlossen. Nur wenige, vor Jahrzehnten errichtete Mauern sollen Konflikte einfrieren wie in Korea, der Westsahara oder in Kaschmir. Dagegen wurde der Bau von gut einem Viertel der Mauern Vallets Forschungen zufolge mit dem Ziel begründet, Terroristen aufzuhalten; ein paar weniger mit der erklärten Absicht, Drogenhandel und Schmuggel zu bekämpfen. Die meisten Mauern aber, 57 Prozent, wurden mit dem ausdrücklichen Ziel gebaut, Migranten auszuschließen. Das gilt vor allem für die mehr als 35 Mauern, die seit 2011 Kilometer um Kilometer Grenze dicht machen sollen. Es sind Mauern wie die von Trump, Orbán und Netanjahu.

Dabei wissen auch sie, dass Mauern noch nie Menschen dauerhaft aufgehalten haben. Schon Limes, Hadrianswall oder die Große Mauer wurden irgendwann gestürmt. Vorher suchten die Menschen erfolgreich Umwege, um die Grenzbefestigungen zu umgehen. Selbst die Grenze zwischen DDR und BRD, die aus Zäunen, Mauern und dem dazwischenliegenden Todesstreifen mit Wachtürmen, Minen und Selbstschussanlagen bestand, hielt die wirklich Verzweifelten nicht auf. Das Gleiche gilt heute an den sieben Meter hohen Zäunen um die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, den tödlichen Grenzanlagen Nordkoreas oder der martialischen Mauer zwischen Israel und dem Westjordanland. Viel effektiver wären Experten zufolge moderne Methoden der Grenzüberwachung: Drohnen, Sensoren, Satelliteneinsätze. Selbst die könnten allerdings wohl nur verlangsamen, was die Weltreporter in ihrem letzten Buch als »Flüchtlingsrevolution«1 beschrieben haben: Die unaufhaltsame Wanderung derjenigen, die sich wegen eskalierender Kriege, Konflikte, Menschenrechtsverletzungen, Armut und Ungleichheit gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen und über alle Mauern hinweg in eine bessere Zukunft zu fliehen.

Doch Mauern enttäuschen nicht nur die in sie gesetzten Erwartungen, sie sind zudem unglaublich teuer: Der US-Rechnungshof hat 2009 berechnet, dass der Bau einer Mauer zwischen Mexiko und den USA schon in Kalifornien mehr als vier Millionen Euro pro Kilometer kosten würde, in Texas stiege der Preis – wegen der Unzugänglichkeit mancher Grenzregionen – auf bis zu 14 Millionen Euro pro Kilometer. In den restlichen Bundesstaaten läge der Preis dazwischen. 3.144 Kilometer Grenze kosten also auf jeden Fall Milliarden, die Schätzungen liegen zwischen knapp sieben und 22,5 Milliarden Euro. Dazu kommen die Kosten, die für die Instandhaltung veranschlagt werden: 5,6 Milliarden Euro für einen Zeitraum von zwanzig Jahren. Darin nicht enthalten sind die Kosten für Grenztruppen, Haftanstalten, Gerichtsverfahren oder Grenzeinheiten der amerikanischen Homeland Security.

Wo Milliarden ausgegeben werden, werden natürlich auch Milliarden verdient. Auf die erste Ausschreibung für Trumps Mauer sollen sich mehr als 700 Unternehmen beworben haben. Alleine der Börsenkurs des Betonriesen US Concrete legte in den ersten vier Monaten von Trumps Präsidentschaft um 38 Prozent zu. Gleichermaßen profitieren könnte der mexikanische Zementkonzern Cemex, der als größter Lieferant nicht nur von Zement, sondern auch von Sand und Kies in Amerika gilt – Rohstoffen, die weltweit rar werden. Man sei gerne bereit, für Trump einen Kostenvoranschlag zu erstellen, kündigte Cemex-Chef Rogelio Zambrano ungerührt an. Business kennt auch an Mauern keine Grenzen. Angeblich stammt jede zehnte Bewerbung auf die Mauer-Ausschreibung aus Mexiko, trotz Boykott-Aufrufen der mexikanischen Regierung. Natürlich wären auch deutsche Unternehmen gern an Trumps Mauerbau beteiligt, auch wenn sie das nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Von HeidelbergCement hieß es zunächst, man sei »gut positioniert«, um für den Mauerbau in Texas und Arizona Zement aus lokaler Herstellung zu liefern. Erst nach einem Proteststurm zog das Unternehmen sein Interesse zurück. Andere Baufirmen sind nicht so sensibel, wie etwa der französisch-schweizerische Konzern Lafarge-Holcim. Auch von einem öffentlichkeitswirksamen Protest der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die den Sand für die Pariser Stadtstrände künftig anderswo bezieht, ließ sich der größte Baustoffhersteller der Welt nicht beeindrucken.

Was sich für die Industrie lohnt, ist für die Bauherren – Staaten und ihre Bevölkerung, die Steuerzahler – ein Verlustgeschäft mit bestenfalls ungewissem Nutzen. Trotzdem boomt der Mauerbau, und die Bevölkerung, die nicht nur Steuern zahlt, sondern auch wählt, honoriert jede Ankündigung eines neuen Mauerbaus, oftmals mit satten Mehrheiten. Warum? Weil die neuen Mauern vor allem eines sind: Pompöse Inszenierungen, die mit dramatischer, medialer Unterstützung den Eindruck vermitteln, dass der Staat sein Territorium schützt. Politik ist immer auch Theater, schrieb schon der große Machtpolitiker der frühen Neuzeit, Niccolò Machiavelli. Wer Mauern baut – und das tut meist eine Seite im Alleingang –, profiliert sich als starker Mann. In unserer unübersichtlichen, sich ständig verändernden Welt in Bewegung schaffen Mauern zudem die Illusion eines Schutzwalls, der alle Bewegung zum Stillstand bringt. Ihr Symbolgehalt ist daher zentrales Argument für ihren Bau, wie es die Geografin Anne-Laure Amilhat Szary von der Universität Grenoble ausdrückt.

Das gilt umso mehr, je unbeständiger die Welt wirkt. Für die Politologin Wendy Brown von der Universität Berkeley ist der Mauerboom deshalb eng verknüpft mit dem Niedergang staatlicher Souveränität, der in den vergangenen Jahrzehnten mit der Abgabe von Kompetenzen an supranationale Einrichtungen wie die EU, vor allem aber mit der grenzenlosen Macht globaler Konzerne verbunden gewesen ist. Die Wut der Wähler über wirtschaftliche Ungleichheit und schwindende Sozialleistungen des Staates in einer wirtschaftlich liberalisierten Welt bricht sich an den Mauern. Die betonieren zugleich die Verhältnisse, indem sie Vertrauen in der Finanzwelt schaffen, weil sie Stabilität vorspiegeln. Das ist wesentlich, denn das in Ratings ausgedrückte Marktvertrauen entscheidet inzwischen viel mehr als tatsächliche Profit- oder Wachstumsraten darüber, ob Unternehmen in einem Land investieren oder Staaten günstige Kredite erhalten. Solange Mauern die Kreditwürdigkeit eines Landes erhöhen, werden neue gebaut oder zumindest angekündigt werden, unabhängig von ihrer tatsächlichen Wirksamkeit. Und auch die leitet sich nicht zuletzt aus der medialen Inszenierung ab. Je bedrohlicher und unüberwindlicher eine Mauer erscheint, desto abschreckender ist ihre Wirkung.

Trotz all des Scheins wäre es falsch, Mauern als reine Show abzutun. Ihr Bau hat reale Folgen: Sie stoppen Flüchtlinge zwar nicht, aber steuern sie. Fluchtwege werden kanalisiert, dorthin, wo am wenigsten Widerstand zu erwarten ist. Garantiert wird das meist durch Schleusergruppen, die sich einen Wettlauf mit Grenzschutz und Polizei liefern. Die Verlierer sind die Ausgeschlossenen, die sich Kriminellen ausliefern und deren Unternehmung dadurch immer riskanter wird. Doch Mauern schaden auch denen »drinnen«. Grenzregionen sind in den meisten Fällen dünn besiedelt. Dass die dortige, ohnehin oft schon abgehängte Bevölkerung durch die durch Beton manifestierte Illegalisierung des Grenzverkehrs direkte Nachteile erleidet, zeigt sich in den USA ebenso wie im Norden Kenias oder im Süden Tunesiens. Die jubelnden Unterstützer des Mauerbaus leben dagegen meistens weit entfernt und kennen die Grenze nur aus dem Fernsehen.

Macht...

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