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Borderline-Störung. Verhaltensmuster und sozialarbeiterische Interventionen

Verhaltensmuster und sozialarbeiterische Interventionen

AutorAndrea Sieber
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl86 Seiten
ISBN9783640383962
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,7, Katholische Hochschule Freiburg, ehem. Katholische Fachhochschule Freiburg im Breisgau, Sprache: Deutsch, Abstract: In verschiedenen literarischen Neuerscheinungen wird das Borderline-Phänomen als 'Krankheit der Moderne' bezeichnet, welches Schätzungen zu Folge derzeit die drittgrößte Gruppe psychischer psychischer Erkrankungen darstellt. Der Begriff Borderline (Grenze, Grenzgänger) an sich impliziert die 'besondere' Fähigkeit dieser Menschen, nicht nur sich selbst, sondern auch ihr persönliches Umfeld an ihre Grenzen zu bringen. Warum Menschen mit einer Borderline-Störung eine solche Wirkung haben können und welche konkreten Verhaltensmuster sie aufweisen, stellt neben der Auseinandersetzung mit aktuellen Behandlungsmethoden und sozialarbeiterischen Interventionsschritten ein Schwerpunkt dieser Arbeit dar.

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Leseprobe

2 Verhaltensweisen und Symptome von Menschen mit      einer Borderline-Störung


 

2.1 Erläuterung der Kriterien nach dem DSM-IV


 

Die Kriterien des DSM-IV wurden bereits in Kapitel 1.2.3 benannt. Im Folgenden sollen Verhaltensweisen, Gedankengänge und Gefühle, welche in diesen Kriterien enthalten sind, erläutert und deren Auswirkungen beschrieben werden. Dabei ist immer von einer Verknüpfung zwischen den einzelnen Symptome auszugehen.

 

2.1.1 Das verzweifelte Bemühen, tatsächliches und vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden


 

Tess: „Wenn ich mich verlassen fühle, empfinde ich eine Mischung aus Isolation, Angst und Entfremdung von meiner Umgebung. Ich gerate in Panik. Ich komme mir verraten und benutzt vor und habe das Gefühl, sterben zu müssen.“[54]

 

Für Borderline-Persönlichkeiten löst die Vorstellung verlassen zu werden ebenso wie jedes Signal, welches darauf hindeutet, Panik und damit gleichzeitig häufig äußerste Angst und in dessen Folge Wut aus. Das Selbstbild, Denken und Handeln fügen und verändern sich dem Impuls der Angst entsprechend. Die Angst vor dem Verlassenwerden kann mit traumatischen Erfahrungen aus der Kindheit zusammenhängen.[55]

 

Berit: „Und dazwischen immer der Mann, der auf das Kind einschlägt – mein Vater. Und die Frau, die dann fortgeht – meine Mutter. Warum lässt sie mich so alleine?“[56]

 

Menschen mit einer Borderline-Störung neigen dazu, im allein gelassen werden eine Bestätigung ihres negativen Selbstbildes zu sehen. Weil sie „böse“ sind, werden sie verlassen. Zudem führt die oftmals fehlende Objektkonstanz der Borderliner dazu, Abwesenheit mit Verlassenwerden zu verwechseln. Zeitweiliges Alleinsein wird von ihnen als immerwährende Isolation empfunden. Das innere Bild wichtiger Bezugspersonen in sich lebendig zu halten wenn diese nicht tatsächlich präsent sind, ist für Menschen mit Borderline-Störung ein sehr schwerer Akt. Im Grunde genommen sind sie wie Kinder, die bei der Abwesenheit der Eltern außer sich geraten und tief verunsichert sind. Oftmals ist

 

ein tatsächliches Verlassenwordensein in der Kindheitsgeschichte der Borderliner, etwa durch Scheidung, Tod oder (psychischer) Krankheit der Eltern, explorierbar. Durch solche Erfahrungen begründet versuchen Betroffene, die ihnen lieb gewonnen Personen mit allen Mitteln (Wutausbrüche, inständiges Bitten, Drohungen etc.) an sich zu binden.

 

Der Unfähigkeit und tief greifenden Angst vor dem Alleinsein liegt das verunsicherte und zum Teil zerstörte Selbst der Borderline Persönlichkeit zu Grunde. Dieses Selbst ist ständig auf der Suche nach Nähe und Beziehung über die es sich definieren kann. Gleichzeitig wächst mit der Abhängigkeit zu einer Person auch die Angst von dieser wieder verlassen zu werden. Der Borderliner steckt damit unentwegt in dem Dilemma, der Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit nachzugehen und die gleichzeitig auftretenden Verlassensängste zu bewältigen. Das Gefühl des Kontrollverlustes über eine Situation, das Ausgeliefertsein an den anderen und die Wahrnehmung der eigenen Verletzlichkeit führen häufig zu explosiven Wutausbrüchen.[57]  

 

2.1.2 Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch den Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist


 

Leslie über eine Beziehung zu einer geliebten Person: Es will „nicht mehr in meinen Kopf, dass sie auch noch ein Leben neben dem mit mir hat. Am liebsten hätte ich, dass sie nur noch für mich da ist. Ich habe dann das Gefühl, ohne das Verständnis, das Mitgefühl, die Aufmerksamkeit dieser Person nicht mehr leben zu können. Ich bin emotional total anhängig von ihr.“ [58]

 

Für Borderline-Persönlichkeiten beginnen Beziehungen normalerweise damit, eine andere Person zu idealisieren. Sie hoffen, dass sie durch diese Bezugsperson ihre eigenen Defizite, vor allem im Bereich der Selbstachtung, Anerkennung und der eigenen Identität, kompensieren können. Sie suchen „nach einem nährenden Versorger, dessen unerschöpfliche Liebe und dessen Mitgefühl den Abgrund von Leere und Verzweiflung in ihrem Innern auszufüllen vermag“. In ihrer großen Bedürftigkeit klammern sie sich an ihren „Retter“ und wollen ihn mit allen Mitteln an sich binden. In diesem Zusammenhang können Borderliner höchst manipulatorisches Verhalten entwickeln. Sie drohen mit Beziehungsabbruch, setzen provozierende oder verführerische Handlungen ein, zeigen Schwäche bis hin zu manifesten körperlichen Symptomen und drohen mit Selbstmord.[59] Basierend auf ihrer geringen Selbstachtung sind sie gleichzeitig äußerst wachsam gegenüber Anzeichen von Bezugspersonen, nicht geliebt und verlassen zu werden. Bei dementsprechenden Hinweisen oder auch geringfügigen Fehlern dieser Person kann die Idealisierung in kürzester Zeit in maßlose Entwertung umgekehrt werden. Der Betroffene verliert oftmals die Kontrolle über sich, gerät in Rage und wirft mit bitteren Vorwürfen um sich. Seine destruktiven Mittel reichen über Rachepläne bis hin zur Selbstverletzungen. Oftmals wird das Verhalten nach kurzer Zeit wieder zutiefst bereut, woraufhin die Betroffenen sich in ihrem negativen Selbstbild bestätigt fühlen.[60]

 

Jenice: „Und dann wache ich auf und sehe, wie sehr ich ihn verletzt habe. Meine Abscheu vor mir selbst sprengt alle Vorstellungskraft. Ich habe Todesangst, denn jetzt wird er gehen, ich weiß genau, dass er gehen wird.“[61]

 

Dieser Kreislauf von Idealisierung und Abwertung, Trennung und Wiederannäherung, Nähe und Distanz kann als ein zentrales Verhaltensmuster von Borderline-Persönlichkeiten gesehen werden. In diesem Merkmal verwoben ist der bereits beschriebene Abwehrmechanismus der Spaltung, welcher den Betroffenen vor widersprüchlichen Gefühlen, Erlebnissen und damit verbundenen Ängsten schützen soll. Nach Kreisman/ Straus entsteht dadurch jedoch weniger ein Schutz denn eine Zunahme der Instabilität der eigenen Identität.[62]

 

Die Beziehungsgestaltung ist für Personen mit Borderlinestruktur ein dauerndes Auf und Nieder. Ihr Streben nach einer perfekten Beziehung bringt oft maßlose Enttäuschung mit sich, da sie bei den kleinsten Fehlern des Partners die Beziehung anzweifeln oder sogar aufgeben. Durch das Alles-oder-nichts-Prinzip, welches durch die Spaltung hervorgerufen wird, sind sie nicht fähig, gute und schlechte Eigenschaften eines Menschen zu integrieren. Die Position des Freundes kann sogar mehrmals täglich zwischen der Rolle des perfekten Liebhabers und des hinterhältigen Feindes wechseln. Besonders missbrauchte oder misshandelte Borderliner haben in Folge der Spaltung extreme Schwierigkeiten anderen zu vertrauen.[63]

 

Sowohl Kottwitz als auch Kreisman/ Straus erwähnen in ihren Werken außerdem, dass Borderliner potentiell in der Gefahr stehen, sich Sekten anzuschließen. Zum einen fühlen sie sich in dem geordneten sozialen Rahmen der Gruppe sicher und angenommen, zum anderen übernehmen sie gerne die ihnen „angebotene“ Identität und das damit verbundene meist extreme Wertesystem, welches ihrem Bedürfnis nach Absolutem entspricht.[64] 

 

Für Angehörige sowie für Therapeuten stellt diese Labilität der Beziehung eine erhebliche Herausforderung dar. Es ist deshalb wichtig, sich der tiefgreifenden Angst und der inneren Leere, die diesem Verhalten vorausgehen, bewusst zu sein.  

 

2.1.3 Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung


 

Saila: „Wie ein Chamäleon passe ich mich der Farbe der Person an, mit der ich gerade zusammen bin. (...) Ich komme mir unwirklich vor – wie ein Kunstprodukt. Hätte ich das Ganze noch unter Kontrolle, würde ich mich einfach in mein eigenes „Ich“ zurückziehen, wenn ich mich bedroht fühle. Aber leider weiß ich nicht, wer das ist.“[65]

 

Fast alle Borderline-Patienten sind hinsichtlich ihres Identitätsgefühles zutiefst verunsichert. Sie leiden unter einer „Identitätsdiffusion“[66], d. h. es fehlt ihnen die Sicherheit darüber, „wer sie wirklich sind“. Laut Bohus bestätigen ca. 70% aller Betroffenen diese Tatsache. Auch gegenüber ihrem Körper herrschen höchst negative Selbstbilder vor.[67]

 

Die Instabilität hinsichtlich ihrer eigenen Person kann zu erheblichen Veränderungen ihrer Einstellungen, Zielsetzungen und ihrer Wünsche führen. Plötzlich werden lang geplante Vorhaben über den Haufen geworfen, Wertvorstellungen verändert, Freunde durch neue ersetzt oder sexuelle Orientierungen ins Gegenteil verkehrt.[68] Der Borderliner befindet sich auf einer endlosen Suche nach etwas, das ihm Halt gibt und ihn...

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