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Das Ende der Demokratie

Wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und uns entmündigt

AutorYvonne Hofstetter
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl512 Seiten
ISBN9783641193911
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wird die künstliche Intelligenz Wirtschaft und Alltag in Zukunft dominieren und den Menschen tendenziell verdrängen? Werden intelligente Maschinen Politik machen? Yvonne Hofstetter sieht deutliche Anzeichen für diese Entwicklungen. Big Data speichert unser Verhalten, künstliche Intelligenzen analysieren unsere Absichten. Und weil sie uns kennen, können sie uns manipulieren, uns unmerklich bevormunden. Der Umbau der Gesellschaft in die Herrschaft der künstlichen Intelligenz ist in vollem Gange. Ob wir sie tatsächlich wollen, darüber haben wir niemals demokratisch abgestimmt. Drohen also Freiheit und Demokratie zwischen Politikversagen und Big Data zerrieben zu werden? Hofstetter warnt davor, Big Data einfach zu verteufeln, nur um dann doch weiterzumachen wie bisher. Anhand hochbrisanter Szenarien - der Wahl einer rechtsradikalen Regierung, der Eurokrise und der Schließung europäischer Binnengrenzen - zeigt sie, wie intelligente Maschinen selbstständig politische Herausforderungen berechnen und bewältigen würden.

Yvonne Hofstetter, geboren 1966 in Frankfurt am Main, ist nach einem Studium der Rechtswissenschaften seit 1999 international in Softwareunternehmen tätig und für die Positionierung von Multi-Agentensystemen bei der Rüstungsindustrie und für den Algorithmischen Börsenhandel zuständig. Seit 2009 ist sie Geschäftsführerin der Teramark Technologies GmbH, eines Unternehmens, das auf die intelligente Auswertung großer Datenmengen mit Optimierern und maschinellen Lernverfahren spezialisiert ist. Yvonne Hofstetter hat aufsehenerregende Artikel in Medien wie der FAZ publiziert, bevor 2014 ihr Bestseller 'Sie wissen alles' folgte.

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Leseprobe

Ai

Ich bin nur noch ihr Sensor.

Als ihm der Gedanke durch den Kopf schießt, hebt Scott den Blick von den Buchstaben seiner Tastatur, dreht den Kopf und sieht auf den verglasten Flur hinaus. Durch die Feuerschutztür mit der Aufschrift »Forschungslabor« am Ende des langen Ganges dringt beharrliches Summen wie von einem Schwarm Insekten. Wem sich die Tür öffnet, dem schlägt nicht nur Kühlschranktemperatur entgegen, sondern auch der ohrenbetäubende Lärm tausender Rechenprozessoren.

Da steht sie.

Sie sieht ganz unschuldig aus. In ihrem Äußeren unterscheidet sie sich nicht von Millionen Rechnergruppen in den Rechenzentren von Industrie und Wirtschaft, die aus Servern für Datenbanken, Ressourcenplanung oder E-Mail-Verkehr bestehen. Unbeweglich ist sie und so schwergewichtig, dass der Doppelboden des Labors statisch verstärkt wurde, um ihr Gewicht tragen zu können. Aus dem Bodenauslass neben ihrem Sockel quillt ein dickes Kabelbündel hervor, an dem sie hängt wie an einer Nabelschnur. Nur ihre Leuchtdioden blinken blau und grün, wenn ein neuer Rechenzyklus einsetzt. Sie ist eingepfercht in einen einzelnen Baugruppenträger. Zwei Höhenmeter Supercomputer wie in einen Käfig gesperrt. Besser so, denkt Scott. Man stelle sich vor, sie würde ausbrechen.

Seinem Schreibtisch gegenüber hängt eine vollgekritzelte Wandtafel. Die Idee für das Experiment kam als Geistesblitz und schickte sich gerade an, in Formeln und mathematischen Modellen Gestalt anzunehmen. Wenn die Massendatenanalyse, Big Data, Millionen Menschen, Maschinen und Betriebe datenmäßig erfassen und analysieren konnte, um ihr Verhalten maschinell zu manipulieren – wäre es dann nicht naheliegend, eine ganze Gesellschaft auf dieselbe Weise zu regeln?

Das bedeutet nichts weniger, als sich auf den Versuch einzulassen, Herrschaft für das 21. Jahrhundert neu zu denken.

Im vollständig digitalisierten Deutschland würden die Richtlinien der Politik nicht mehr von der Bundeskanzlerin bestimmt, sondern von einer intelligenten Maschine.

In anderen europäischen Ländern gäbe es keinen Premierminister mehr, sondern eine »Premiermaschine«.

Politische oder wirtschaftliche Entscheidungen, von denen die Zukunft einer Gesellschaft abhingen, würden von einer Künstlichen Intelligenz getroffen statt von Menschen. Getroffen oder wenigstens von einem digitalen Assistenten vorgeschlagen.

Das klingt völlig absurd, überlegt Scott. Doch als Technologe weiß er, das ist die Zukunft. Schon im Jahr 2016 hatte sich eine Stiftung dafür eingesetzt, den berühmtesten Supercomputer der Firma IBM, Watson, als Kandidaten für die amerikanischen Präsidentschaftswahlen aufzustellen.1 Im selben Jahr hatte die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde festgestellt: Auch ein Computer kann Autofahrer sein.2 Immer öfter schlüpfen Maschinen in die Rolle des Menschen. Niemand mehr kann sich sicher fühlen. Auch ein Politiker nicht.

»Einen Politiker kann man nicht automatisieren«, hatte vor Kurzem ein Finanzminister im Ruhestand erklärt. »Politiker entscheiden oft aus dem Bauch heraus.«

Weil der Mensch keine Flügel hat, wird er niemals fliegen. Weil die Erde unsere Mutter ist, werden wir niemals den Mars besiedeln. Weil eine intelligente Maschine kein Einfühlungsvermögen hat, wird sie keine guten Entscheidungen treffen.

Der Protest des Ministers hatte wie der reflexhafte Einwand jedes technologischen Laien geklungen. Doch wenn menschliche Urteilskraft nur deshalb nicht automatisiert werden könnte, weil der Mensch intuitiv handelte, wäre es niemals möglich, menschliche Entscheidungen maschinell zu optimieren. Dabei hat die Wissenschaft schon längst bewiesen, dass das Gegenteil möglich ist.

In der Technologiekritik des Ministers schwang Hoffnung mit, jene Hoffnung, dass der Mensch einzigartig sei. Und diese Hoffnung wurzelt tief in den Grundfesten der freiheitlich-demokratischen Gesellschaften Europas: Für sie ist die Einzigartigkeit des Menschen Gesetz.

Tatsächlich haben tausende Technologen weltweit Visionen und bauen an einer Zukunft der Menschheit, die so ganz anders sein wird, als es jede Vergangenheit der menschlichen Geschichte war. Maschinen, die bessere strategische Entscheidungen treffen als der Mensch, breiten sich aus. Forscher arbeiten fieberhaft daran, Menschen maschinell aufzurüsten oder Maschinen zu bauen, die dem Menschen mehr und mehr gleichen – mit intentionalem Bewusstsein und menschenähnlichem Körperbau. Etwa künstliche Äffchen, die »im Prinzip schon alles können, was ein Mensch kann, nur kann der Mensch mehr davon«3.

In »deutlich weniger als zehn Jahren«, so der Professor für Künstliche Intelligenz, Jürgen Schmidhuber, werde man »die mentalen Denk- und Abstraktionsfähigkeiten eines Kapuzineräffchens« nachgebaut haben.4 Die Entwicklung der Emulation, des imitierten Menschen, wäre dann nur noch ein kleiner, der nächste Schritt.

Scott hängt seinen Gedanken nach.

Die Bürger ahnen nicht, wie weit die Forschung fortgeschritten ist. Dass jeder von ihnen schon längst mit Künstlicher Intelligenz in Kontakt steht. Dass die qualitativen Verbesserungen ihrer Internetsuchen, der Spracherkennung, der Gesichtserkennung auf immer leistungsfähigeren Künstlichen Intelligenzen beruhen. Deren Vervollkommnung vollzieht sich geräuschlos, und die Rede von der Digitalisierung als der stillen Revolution geht um. Weil digitale Werbekampagnen lautstark dröhnen: »Sind Sie fit für den digitalen Wandel?« oder: »Lassen Sie sich nicht überholen!«, und: »Jetzt Führungskräfte vorbereiten!«, merken viele Bürger nicht, dass Wissenschaftler schon lange beharrlich an weitaus größeren Ideen arbeiten als an einer Digitalisierung, die nicht viel mehr zu sein scheint als das Betriebssystem des globalen Kapitalismus.

Dass Wissenschaft auch Politik macht, ist nicht neu. Die Atomphysiker des Manhattan-Projekts hatten alle Hände voll zu tun, am Atomgesetz zur Kontrolle atomarer Waffen mitzuarbeiten, bis es 1946 durch den 79. Kongress der Vereinigten Staaten ratifiziert wurde.5 Heute beraten Forscher die Politik in Fragen der Gesundheit oder zu Umwelt und Klima.

Man versteht besser, was man messen kann. Zum Beispiel das Wetter. Das Wetter ist ein geradezu unverdächtiger Untersuchungsgegenstand. Trotzdem wäre ich nur ungern Hurrikanforscher, lächelt Scott in sich hinein. Das Abenteuer wäre mir sprichwörtlich zu windig.

Sobald sich über dem Atlantik ein Wirbelsturm bildet, der die amerikanische Ostküste bedroht, steigen Sturmjäger in ein Forschungsflugzeug des U. S. Department of Commerce und begeben sich auf eine höchst gefährliche Mission. In wildem Ritt fliegen sie mitten in den Wirbelsturm hinein. Bevor sie das Auge des Sturms erreichen, werfen sie genau dort Sensoren und Messgeräte ab, wo die Rotationsgeschwindigkeit am höchsten ist: in der eye wall, der »Wolkenwand« rund um das Auge. Die Daten, die die Sensoren liefern, sind unbezahlbar. Sie werden gespeichert und analysiert. Wetterprognosen sagen Richtung und Stärke des Wirbelsturms voraus. So sind die Bewohner der Ostküste rechtzeitig gewarnt und können ihre Häuser auf den Sturm vorbereiten oder schlimmstenfalls evakuiert werden. Es sind die Datenanalyse und die Wetter- und Witterungssimulationen der Hurrikanforscher, die mithilfe ihrer Echtzeitinformationen und Warnungen über Rundfunk, Fernsehnachrichten oder neue Medien steuernd in die Gesundheit der Gesellschaft und die körperliche Unversehrtheit der amerikanischen Ostküstenbewohner eingreifen. Daten, Datenanalyse und Prognosen steuern hier nicht das Wetter selbst, sondern das Verhalten amerikanischer Bürger, und das durchaus zu ihrem Besten.

Weil Forscher viele Parallelen zwischen Naturphänomenen und sozioökonomischen Systemen sehen, gehen sie vor wie bei der Hurrikanforschung und haben begonnen, die Gesellschaft auf ähnliche Weise zu analysieren.

Viele der Sensoren, die menschliches Verhalten messen und aufzeichnen, sind auf Smartphones installiert. Smartphones sind Messgeräte, mit denen man auch telefonieren kann. Jemand hat sie vor gar nicht langer Zeit über unseren Köpfen abgeworfen, und wir nutzen sie, als gäbe es kein Morgen mehr. Dabei entstehen riesige Datenmengen, die dem, der sie analysiert, nicht nur Rückschlüsse auf jedes Individuum erlauben, sondern auch auf die Gesellschaft als Ganzes.

Seit der Jahrtausendwende haben Forscher enorme Fortschritte gemacht, Gesellschaften zu verstehen. Dabei hilft ihnen eine neue Forschungsdisziplin: die Komplexitätswissenschaft. Sie erklärt, wie sozioökonomische Systeme funktionieren. Sie hilft verstehen, wie sich eine Meinung in der Gesellschaft bildet; wie sich Epidemien über den Globus ausbreiten; wie sich die Bevölkerung in Städten entwickelt und wie die globalen Finanzmärkte funktionieren. Nicht nur Massendaten, auch leistungsfähige Rechner, enorme Speicherkapazitäten und die Weiterentwicklung von Computerprogrammen, den Algorithmen, haben der Komplexitätsforschung in nur wenigen Jahren einen gewaltigen Schub versetzt. Mancher Wissenschaftler wünscht sich bereits, mit den vorhandenen Daten eine Weltsimulation zu berechnen6, als Grundlage für die »richtigen« politischen Entscheidungen der Zukunft.

Genau das ist es, was Scott zum Ziel seines Experiments machen will. Scott wird die freiheitlich-demokratische Gesellschaft simulieren. Aber er geht noch einen Schritt weiter. In den Simulator seiner Gesellschaft setzt er eine Künstliche Intelligenz, damit sie...

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