Der Ursprung

Woher kommt die Typenlehre?

Die vorliegende Typenlehre ist Teil einer der größten Heilkulturen der Welt. Die Tibeter nennen sie »soba rigpa« – das Wissen vom Heilen.

Die tibetische Heilkunde: Ein Juwel des Buddhismus

Wollte man die Herkunft der tibetischen Gesundheitslehre in einem Satz beschreiben, wäre es vielleicht dieser: Sie basiert auf der altindisch-vedischen Medizin, ist angereichert mit Elementen der chinesischen Medizin und durchdrungen vom buddhistischen Weltbild.

Die Geschichte – hier in Kürze dargestellt – besagt, dass die Grundsteine der tibetischen Medizin vor etwa 1300 Jahren gelegt wurden, zeitgleich mit dem Einzug des Buddhismus in den Himalaja. Zwei buddhistische Prinzessinnen spielten dabei eine Rolle. Eine hieß Bhrikuti und stammte aus Nepal, die andere war Chinesin und trug den Namen Wen Cheng. Beide wurden Gemahlinnen des tibetischen Königs Songtsen Gampo (617 – 649), den sie alsbald zu ihrem Glauben bekehrten. Diese Prinzessinnen brachten aus ihrer Heimat Buddhastatuen und Medizintexte mit. König Songtsen Gampo, Gründer des tibetischen Großreichs, fand Gefallen an der fremden Heilkunde und ließ sie ins Tibetische übertragen. Doch er wollte auch wissen, wie in anderen Ländern Krankheit behandelt wird. So versammelte er viele namhafte Gelehrte aus Indien, China, Persien und Griechenland an seinem Hof, ließ ihre Heilerfahrungen zusammentragen und schriftlich niederlegen.

Auch die Könige nach Songtsen Gampo luden immer wieder Ärzte aus anderen Kulturen zu sich aufs Dach der Welt. Aus dem gesammelten Heilwissen des asiatischen und arabischen Raumes entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte etwas ganz Neues: ein hochkomplexes, streng logisches Medizinsystem, das mit der Lehre Buddhas verwoben wurde. Es wurde hauptsächlich in den Klöstern Tibets gelehrt, praktiziert und ständig verfeinert, in Ehrfurcht vor der Natur und den Menschen. Um zum Beispiel ihre Einsichten über die Heilkraft der Pflanzen und Mineralien zu vertiefen, verbanden sich hochstehende Lamas und Mönchsärzte immer wieder mit der geistigen Welt und visualisierten sich in den Medizin-Buddha. Die in meditativer Versenkung gewonnenen Erkenntnisse über die Natur der Heilmittel verglichen sie mit der praktischen Erfahrungsheilkunde. So entstand eine »Wissenschaft mit Seele«, die heute in der ganzen Welt Respekt genießt.

Glück, Gesundheit und Harmonie aus tibetischer Sicht

Die Idee, dass Glück und Zufriedenheit ein wichtiger Teil der Gesundheit sind, ist für die Tibeter schon ziemlich alt. Der Buddhismus hatte von Anfang an nur ein einziges Ziel – alle Menschen rundum gesund und glücklich zu sehen. Rundum gesund und glücklich, das ist weit mehr als nicht krank. Die Gesundheitslehre aus dem Himalaja will, dass die Menschen auch in ihrem Lebensumfeld zufrieden sind. Es soll in der Arbeit stimmen, mit den Nachbarn, dem Partner, den Kindern. Da, wo man wohnt, soll man Kraft tanken können.

Das Faszinierende an der buddhistischen Philosophie: Sie betrachtet alles im Zusammenhang, nichts ist voneinander getrennt, Innen und Außen sind im ständigen Austausch. So sehen die Tibeter den Menschen immer als Teil der gesamten Natur, der Erde, des Universums, das ja aus den gleichen fünf Elementen Luft und Raum, Feuer, Wasser und Erde besteht, die auch in uns wirken. Vom Gleichgewicht dieser Elemente hängen die Gesundheit des Menschen und die Gesundheit all dessen, was lebt und das Universum bildet, ab. Aus diesem Grund behandelt ein tibetischer Arzt kranke Organe niemals isoliert. Er kümmert sich um den ganzen Menschen, sein Denken, seinen Glauben, sein Lebensumfeld. Krankheit entsteht nach tibetischem Verständnis, wenn die Menschen nicht im Einklang mit den Gesetzen der Natur leben. Also fordert uns die Harmonielehre auf, zu dieser natürlichen Ordnung zurückzukehren. Sie will, dass wir Verantwortung für unser Denken und Tun übernehmen und unser Leben so gestalten, dass wir gesund bleiben und glücklich sind. Gesund und glücklich bedeutet: im Einklang mit unseren Energien.

Die Lehre von den drei Energien

Wie die meisten Naturmedizin-Systeme basiert auch die tibetische Heilkunde auf drei Prinzipien. Was für die Ayurveden die drei Doshas sind, das entspricht im Tibetischen den drei Energien. Auf Deutsch heißen sie Wind, Galle und Schleim – auf Tibetisch:

• Lung
• Tripa
• Bäken

Diese Energien sind überall in der Natur vorhanden. In den Pflanzen und Tieren, in der Luft und in der Erde – in allen Wesen und Dingen, mit denen der Mensch in natürlicher Harmonie lebt. Auch der Mensch selbst ist von diesen Prinzipien geprägt. Sie sind die Grundbausteine der tibetischen Konstitutionslehre.

Lung, Tripa und Bäken im Körper

Lung ist die wichtigste und übergreifendste der drei Energien. Man bezeichnet sie als die beseelende Lebensenergie, sie steht für alles, was sich bewegt. Es ist das dynamische Prinzip und die Steuerzentrale für alle körperlichen und geistigen Aktivitäten. Lung koordiniert Atmung, Pulsschlag, die Durchblutung und die peristaltischen Bewegungen des Darms, die Klarheit der Sinnesorgane, aber auch das Bewusste und das Unbewusste – und zwar mithilfe des vegetativen Nervensystems. Alle psychosomatischen Vorgänge, bei denen Gefühle und seelische Zustände bestimmte körperliche Symptome auslösen, haben starken Lung-Charakter.

Lung gilt von Natur aus als kühl, hat aber durch seine Beweglichkeit die Gabe, die anderen Energien im Positiven und im Negativen zu verstärken. So wie Wind ein Feuer auflodern lässt, kann Lung die heiße Energie von Tripa zum Explodieren bringen. Oder die kalte Natur von Bäken noch kälter machen. Die Lung-Energie ist an vielen heißen und kalten Krankheiten beteiligt. Im harmonischen Zustand sorgt sie für Geistesklarheit, im negativen für Irritation. Die Tibeter sagen, Lung-Typen haben das Wesen der Geier, Raben und Füchse. Wie alle anderen Energien ist Lung zwar überall im Körper vorhanden, hat aber eine Art »Stammsitz« im Bereich unterhalb des Nabels.

Tripa symbolisiert das Feuerprinzip im Körper. Alles, was Hitze braucht, um zu funktionieren, wird dieser Energie zugeordnet. Die Verbrennungsvorgänge innerhalb des Stoffwechsels und die gesamte Verdauung – von der Aufnahme der Nährstoffe über ihre Verarbeitung bis hin zur Ausscheidung. Tripa sorgt für Hunger und Durst und für die Aufrechterhaltung unserer Körpertemperatur. Es verleiht einem Menschen auch inneres Feuer – also Temperament, Mut sowie eine vitale Ausstrahlung und steht für Wille, Durchsetzungskraft und Intellekt. Im harmonischen Zustand sorgt Feuer für Wohlbefinden, der negative Aspekt ist Reizbarkeit. Die Tibeter sagen, Tripa-Typen besitzen das Wesen von Tiger und Affe. Seinen Körpersitz hat Tripa im Bereich des Oberbauchs, zwischen Nabel und Zwerchfell.

Bäken symbolisiert das Flüssige, aber auch Stabilität und Gewicht. Alle feuchten Elemente des Körpers sind bäken-abhängig, zum Beispiel die Körpersekrete, die Flüssigkeit in den Organen, die Elastizität der Gewebe und die Gleitfähigkeit der Gelenke, ebenso die Schleimhäute der Atemorgane und des Darms. Zur Energie Bäken gehören auch die Festigkeit und Stabilität von Körper und Geist: Ein gutes Gedächtnis, charakterliche Standhaftigkeit und der Wunsch nach Schlaf und Ruhe wären hier zu nennen. In Harmonie sorgt Bäken für körperlichen und geistigen Frieden. In disharmonischem Zustand entsteht der negative Bäken-Aspekt: Trägheit und Schwere. Die Tibeter ordnen dem Bäken-Typ das Wesen von Löwe und Stier zu. Der Sitz von Bäken wird im oberen Teil des Körpers lokalisiert, zwischen Brust und Kopf.

Die Lehre von den fünf Elementen

Die zweite Säule der tibetischen Medizin ist die Elementenlehre. Sie besagt, dass alles im Kosmos aus den gleichen elementaren Bausteinen besteht: der Mensch, seine Nahrungs- und Heilmittel, die Erde, das gesamte Universum. Der inzwischen verstorbene ehemalige Leibarzt des Dalai Lama, Dr. Tenzin Chödrak, hat dieses Prinzip einmal sehr klar beschrieben: »Die Lehre geht davon aus, dass sowohl die äußere Natur wie auch der menschliche Organismus aus den gleichen Elementen geschaffen sind. Die äußeren Elemente führt man sich durch Nahrung zu, und diese muss man so zu sich führen, dass das Verhältnis der Elemente einander entspricht und dass man genau das zu sich nimmt, was für die inneren Elemente des Körpers nötig ist.«

Die fünf Elemente sind:

• Raum (Äther)
• Luft
• Feuer
• Wasser
• Erde

Ähnlich wie die drei Energien kann man auch die fünf Elemente als die physikalischen Bausteine des Lebens verstehen. Aber es handelt sich dabei ebenso um dynamische Prinzipien. Die Tibeter betrachten alles Werden und Vergehen aus dieser Sicht. Die Dinge entstehen, indem ein Element aus dem andern hervorgeht. Erde formt die Materie, Wasser vermehrt sie, Feuer lässt sie reifen, Luft bewegt sie und Raum erlaubt ihr, sich auszudehnen. Dieses Prinzip gilt im Kosmos ebenso wie im Menschen. Auch beim Sterbeprozess sind die Elemente mit im Spiel. Sie lösen sich nacheinander in bestimmter Reihenfolge auf.

Das Leben als Tanz der Elemente

Zur Lehre der Elemente gehört die Idee des Mikro- und Makrokosmos, die sich in vielen alten...