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Den Tod muss man leben

Eine Bestatterin hilft: denen, die gehen, und denen, die bleiben

AutorAngela Fournes, Annette Bopp
VerlagLudwig
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783641212964
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
'Der Tod ist für mich das Natürlichste von der Welt'

Mit überraschender Leichtigkeit erzählt die Bestatterin Angela Fournes vom Ende des Lebens. Sie ist überzeugt, dass die Verbindung zu anderen Menschen nicht mit deren Tod verloren geht, sondern sich nur verändert. Geist und Seele der Verstorbenen - für die Augen unsichtbar - nimmt Angela Fournes daher in ihre Arbeit mit auf.
Mit großer menschlicher Wärme bezieht sie die Hinterbliebenen in alle Prozesse des Bestattens ein und vollbringt dadurch Wunderbares: Die Angst vor dem Tod weicht und die Seele erhält Zeit und Gelegenheit, das Erlebte zu verdauen.

Erleichternd, tröstlich und sogar heiter - ein ungemein bereichernder Blick auf das Lebensende, das zugleich ein Anfang ist.

Aufgeschrieben von der Journalistin Annette Bopp



Angela Fournes, geb. 1960 in New York, wuchs in Mexiko auf, wo ein natürlicher und sogar fröhlicher Umgang mit dem Tod gelebt wird. Nachdem sie viele Jahre als Sterbebegleiterin im Hospiz gearbeitet hat, ist sie seit 2007 als Bestatterin in Berlin tätig.

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Leseprobe

WIE ICH BESTATTERIN WURDE

Dass Menschen sterben, war für mich schon als Kind etwas ganz Alltägliches. Das liegt sicher daran, dass ich in Mexiko aufgewachsen bin, wo man damit ganz anders umgeht als in Europa. Der Tod gehört dort in allen Generationen ganz selbstverständlich zum Leben. Bekamen wir zum Beispiel beim Spielen mit, dass irgendwo ein anderes Kind gestorben war, radelten wir hin, um es zu verabschieden – das gehörte sich einfach so. Der kleine Leichnam lag in einem Bettchen oder Sarg, immer in einem Meer von Blumen. Es gab zu essen und zu trinken, man lachte und weinte zusammen, nichts daran war bedrohlich.

Für die Menschen in Mexiko ist es normal, auf diese Weise Anteil zu nehmen und den Toten einen guten Weg zu wünschen. Verstorbene Kinder nennt man in Mexiko übrigens bis heute »Engelchen«, weil sie noch nicht ganz auf der Erde angekommen sind und so zwischen Himmel und Erde vermitteln können. Ich finde das ein schönes Bild.

Dieser besondere Umgang der Mexikaner mit dem Sterben geht über 3 000 Jahre auf die Azteken mit ihrer großen Ahnenkultur zurück. Für sie war der Tod Bestandteil des Lebens, ganz einfach aus dem Grund, weil Leben nur entstehen kann, wenn etwas anderes stirbt. Geborenwerden und Sterben waren untrennbar miteinander verbunden, zwei Tore innerhalb eines unendlichen Kreislaufs. Der Tod galt als Portal für ein weiteres Leben, so wie die Geburt eines in das Leben hinein war.

Den Toten waren im aztekischen Jahreslauf zwei Feiertage gewidmet: das Blumenfest im Juni/Juli für die Kinder und das Erntedankfest Ende August für die Erwachsenen – die Blütezeit als Symbol für das Heranwachsen, der Herbst für Reife. Als die Spanier das Land eroberten und ihm das Christentum aufzwangen, verboten sie diese »heidnischen« Bräuche. Kurzerhand verlegten die findigen Mexikaner das Totenfest auf die katholischen Feiertage Allerheiligen und Allerseelen. Bis heute feiert man am 31. Oktober vorab die verstorbenen Kinder und an den beiden Folgetagen die Erwachsenen. Am 1. und 2. November ziehen die Menschen mit Kerzen, Blumen und prall gefüllten Picknickkörben zu den Friedhöfen und verbringen die ganze Nacht dort. An den Gräbern wird gebetet und getrauert, Musik gemacht, geschmaust und gefeiert – es ist ein einziges großes Happening, ein riesiges, lautes, buntes und fröhliches, aber auch besinnliches Fest der Begegnung zwischen den Lebenden und den Toten.

Am Eingang der Friedhöfe werden riesige Holzgestelle aufgebaut, über und über geschmückt mit leuchtend orangefarbenen Studentenblumen (Tagetes), weil Tote angeblich die Farben Orange und Gelb erkennen können. Deshalb markieren orangefarbene Blumen auch den Weg vom Friedhof zur Wohnung.

Vor jedem Haus hängt eine Laterne, alle Räume sind picobello geputzt und als Einladung an die Verstorbenen mit Weihrauch ausgeräuchert. Im Wohnzimmer steht ein bunt geschmückter Gabentisch mit Fotos und allem, was der Verstorbene im Leben besonders gern aß und trank. Der ganze Tisch ist überhäuft mit kleinen Totenköpfen, Särgen und Skeletten aus Zucker, Schokolade oder Marzipan. Das soll niemanden er- und abschrecken. Vielmehr gelten die Totenköpfe als »Gefäße«, in die die Seelen einkehren können. Deshalb liegen sie in allen nur denkbaren Varianten herum, beschriftet mit dem Namen des Verstorbenen, der erwartet wird. Außerdem verschenkt man sie an noch Lebende, mit deren Namenszug versehen, als süße Erinnerung an unsere Endlichkeit.

Neben Süßigkeiten und Kuchen – unbedingt dabei: »Pan de Muerto«, das süße Totenbrot – dürfen auch Obst und Gemüse nicht fehlen. Immerhin ist der Tag gleichzeitig ein Erntedankfest! Zahllose Kerzen sorgen für stimmungsvolles Licht, überall hängen bunte Girlanden. Wichtig sind ein Stuhl, ein Wasserkrug und ein Handtuch zum Händewaschen für den Verstorbenen: Er muss sich ja von seiner Reise ausruhen und frisch machen.

Traditionell machen sich in dieser Zeit als Tote Verkleidete über die aktuelle Politik lustig und ziehen die Verantwortlichen gehörig durch den Kakao.

Eine der wichtigsten Figuren des mexikanischen Totenfestes ist die »Calavera Catrina«. Das ist eine Fantasiefigur mit der Maske eines menschlichen Skeletts in einem farbenprächtigen, lang herabwallenden Frauengewand, gekrönt von einem ausladenden Hut oder Kopfschmuck. Eine beeindruckende Erscheinung! Die Mexikaner verkleiden sich mit Vorliebe als Catrinas und kennen unzählige Variationen davon; heiß geliebt sind sie alle.

Die Feierlichkeiten enden mit der Verabschiedung der toten Seelen am Abend des 2. November auf dem Friedhof … bis zum nächsten Jahr.

Diese Tage sind das höchste Fest im mexikanischen Jahreslauf. Von der UNESCO wurde der Brauch 2003 zum »Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit« ernannt und 2008 in die »Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit« übernommen. Schade, dass das in Deutschland kaum jemand weiß.

Leider musste ich die schöne Tradition, von der ich hier berichte, mit 15 Jahren in Mexiko zurücklassen. Der fröhliche Umgang mit Sterben und Tod ist mir dennoch geblieben – und einer der Gründe, warum ich mir dazu eine recht unkomplizierte Einstellung bewahrt habe. Die anderen liegen in meiner kurvenreichen Lebensgeschichte begründet. Beides zusammen führte dazu, dass ich heute als Bestatterin arbeite – weshalb ich Sie einladen möchte, mit mir kurz auf diesen Lebensweg zurückzuschauen.

Eltern, Kindheit und Jugend

Meine Mutter wurde 1922 in Hausberge an der deutschen Porta Westfalica geboren. Sie war Fotografin wie ihr Vater. Schon ihre Eltern hatten Kontakt zur Anthroposophie gehabt, der von Rudolf Steiner begründeten Geisteswissenschaft. Beide gehörten zur »Christengemeinschaft«, einer Glaubensgemeinschaft, die der Anthroposophie nahesteht. Dort werden christliche Sakramente gepflegt wie Taufe, Konfirmation, Beichte, Trauung, Priesterweihe und Letzte Ölung. Der Gottesdienst besteht in einer »Menschen-Weihehandlung«. Meine Mutter ist in dieser Tradition aufgewachsen und fühlte sich darin beheimatet.

Weil mein Großvater offenbar zweimal verhinderte, dass sie sich verlobte, war meine Mutter mit 34 Jahren noch immer unverheiratet – für damalige Verhältnisse ziemlich ungewöhnlich. Um endlich selbstbestimmt leben zu dürfen, brach sie 1956 mutig nach New York auf.

Schon während der Transatlantikpassage auf einem Frachter – das Schiff hatte noch nicht einmal abgelegt! – nahm das Schicksal ihr weiteres Leben in die Hand. Als meine Mutter nämlich ihre Kabine beziehen wollte, bekam sie die Tür nicht auf. Zufällig ging gerade Kapitän William Donald Craig vorbei. Er gewann den Kampf gegen das klemmende Türschloss – und verlor sein Herz. Für den Rest der Überfahrt ließ er die hübsche, deutlich jüngere Frau kaum noch von seiner Seite. Nur vier Monate später, am 30. November 1956, heirateten die beiden in New York City. Für Bill war es die zweite Ehe; von seiner ersten Frau, die 1949 gestorben war, hatte er bereits zwei inzwischen erwachsene Kinder.

Vier Jahre später wurde ich geboren, anderthalb Jahre danach mein Bruder. In dieser Zeit ging mein Vater in Rente; er war 25 Jahre älter als meine Mutter und litt an Asthma. Auf See hatte ihn die Krankheit nicht weiter beeinträchtigt, doch die Großstadt war Gift für seine Lungen. Und so stellte sich 1962, als er den Kapitänsdienst quittierte, die Frage: wohin? Nur ein Ort in Küstennähe oder im Gebirge kam infrage. Die Wahl fiel auf Guadalajara, eine mexikanische Stadt in 1 590 Metern Höhe. Hier waren meine Eltern zwar noch nie gewesen, aber laut Erzählungen herrschte hier ein lungenfreundliches Klima und obendrein wohnte dort einer von Bills Cousins. Wie viele ältere Amerikaner war er schon vor Jahren nach Mexiko übergesiedelt, weil es sich dort auch mit einer kleinen Rente gut leben ließ.

So zogen wir in einem großen Auto los, Hab und Gut auf einem Anhänger im Schlepptau. Eigentlich wollten wir nur drei Jahre bleiben. Es wurden dreizehn.

Mexiko

Als ich in Mexiko ankam, war ich zwei Jahre alt und redete kaum ein Wort. Es wurden Wetten abgeschlossen, was ich zuerst sprechen würde: Deutsch wie meine Mutter oder Englisch wie mein Vater. Damit, dass ich kurz darauf auf Spanisch wie unsere mexikanischen Hausangestellten loslegen würde, hatte keiner gerechnet – und doch hatte ich damit meine Muttersprache gefunden. Wenn meine Mutter Englisch oder Spanisch redete, machten wir Kinder uns immer über ihren dicken deutschen Akzent lustig. Manchmal musste sie trotzdem zwischen uns und Vater übersetzen, weil er sich weigerte, die Sprache seines neuen Heimatlandes zu lernen.

Insgesamt haben wir Kinder unseren Vater immer mit einer gewissen Distanz und eher wie einen Opa wahrgenommen, weil er schon ziemlich alt war. Natürlich hat er sich bemüht, aber er war einfach nicht mehr so belastbar und vor allem mir kleinem Wildfang kräftemäßig nicht gewachsen. Trotzdem hat er mir viel Liebe mitgegeben und eine goldene Kindheit ermöglicht.

Diese Zeit in Mexiko war die schönste seines Lebens. Er konnte sein Rentnerdasein in vollen Zügen genießen, weil er kaum Verpflichtungen hatte, das war sehr entspannt. Meine Mutter und er hatten viel Zeit füreinander, die Menschen waren freundlich und offen, wir hatten viele Bekannte und Kontakte in die dort reichlich vorhandenen Clubs. Das Klima war trocken und warm mit durchschnittlich 25 Grad Celsius, sodass wir den Pool in unserem großen Garten fast ganzjährig genießen konnten. Um die meisten...

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