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E-Book

Der Dschihadist

Terror made in Germany - Bericht aus einer dunklen Welt

AutorIrfan Peci, Johannes Gunst, Oliver Schröm
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783641155339
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Was sind das für Menschen, die sich dem Terror verschreiben? Aufgewachsen mitten unter uns, ganz normal zur Schule gegangen, weltlich orientiertes Elternhaus. Und plötzlich radikalisieren sie sich, wollen in den »Heiligen Krieg« ziehen. Irfan Peci ist einer von ihnen. Aber Peci wird verhaftet, lässt sich vom Verfassungsschutz als V-Mann anwerben. Er wird zur Trumpfkarte im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Es ist ein Kampf, der erbarmungslos geführt wird - von Dschihadisten wie auch von den Sicherheitsbehörden.

Irfan Peci kennt beide Seiten. Hier erzählt er seine Geschichte.

Laut einer Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main (einstweilige Verfügung) wurden auf insgesamt sechs Seiten dieses Buches Textstellen geschwärzt.



Irfan Peci, geboren 1989 in Serbien, aufgewachsen in der Oberpfalz, wird 2007 zum Deutschland-Chef der »Globalen Islamischen Medienfront« (GIMF), eines der weltweit wichtigsten Propaganda-Netzwerke für al-Qaida. Vom BKA enttarnt, wird er inhaftiert und als V-Mann für den Verfassungsschutz angeworben. Heute hat er mit seiner extremen Vergangenheit gebrochen und strebt ein normales Leben an.

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Leseprobe

Das Video

Die Blätter der Bäume vor dem Fenster meines Zimmers in der bayerischen Kleinstadt Weiden verfärbten sich. Es war Herbst 2007, ich war achtzehn Jahre alt und ganz schön weit gekommen. Offiziell arbeitslos, war ich nun schon seit zwei Monaten Chef des Sprachrohrs von al-Qaida in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Jetzt wollte ich Angst verbreiten. Ich war voller Tatendrang. Ich wollte mehr Respekt, immer mehr. Ich fühlte mich unverwundbar. Und ziemlich naiv war ich wohl auch.

Ich dachte allen Ernstes darüber nach, einen Anschlag zu verüben. Ich könnte mir eine Kalaschnikow in Tschechien besorgen, dachte ich, das wäre kein Problem. Die Grenze ist nah an Weiden, und ich kannte die entsprechenden Leute. Ich könnte dann eine der vielen amerikanischen Diskotheken in der Gegend aufsuchen. Mit der entsprechenden Menge an Munition könnte ich leicht Dutzende Menschen töten und verwunden. Unter den Opfern wären viele amerikanische Soldaten, das war das Wichtigste. In der Szene wäre ich danach der Hero schlechthin. Das war es, was damals für mich zählte.

Bei meinen Gedankenspielen erinnerte ich mich an Mohamed Mahmoud, meinen Vorgänger als GIMF-Chef. Er hatte mit seinem Drohvideo einen spektakulären Erfolg gelandet. Ich könnte dasselbe machen. Schaden anrichten mit wenig Aufwand und ohne selbst sterben zu müssen. Vielleicht würde ich parallel dazu eine Bombenattrappe an irgendeinem Bahnhof deponieren. Das würde meiner Botschaft Nachdruck verleihen. Nach einer schlaflosen Nacht stand mein Entschluss fest. Ich kontaktierte Emin, meinen Technikspezialisten bei der GIMF.

»Salam alaikum, Bruder, schau, wir werden jetzt ein neues Video produzieren und veröffentlichen. Ich schreib den Text, und du baust das Video, ein anderer Bruder wird den Text dann vorlesen, die Stimme verzerren wir. Am Anfang machst du eine Eröffnungssequenz, im Hintergrund sollten dann Nashids (religiöse Gesänge) laufen. Aber nur leise, damit der Text nicht übertönt wird. Dann fügst du Aufnahmen von bekannten Anschlägen aus der Vergangenheit ein. Auf jeden Fall 9/11, wie die Flugzeuge in das World Trade Center krachen. Alles klar?«

»Alles klar, Bruder, wird gemacht.«

Emin hatte keine Einwände, Er gehorchte, und das gefiel mir. Bei der genauen Ausgestaltung des Videos ließ ich ihm Spielraum. Er konnte selbstständig arbeiten, seine technischen Qualitäten hatte er unter Beweis gestellt.

Ich schrieb den Text und schickte ihn an das GIMF-Mitglied Adnan. Der war deutlich älter, gebildet, studierte in Frankfurt. Ich vertraute seinem Sprachgefühl und wusste, er war der richtige Mann für den Job, obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte. Das ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Brüder, mit denen ich bei der GIMF zusammenarbeitete, kannte ich nur aus der virtuellen Welt, viele Islamisten kennen sich bloß über das Netz. Aber ein gemeinsames Ziel verbindet.

Adnan schickte mir den korrigierten Text, und ich mailte ihn an Daniel, einen anderen Bruder bei der GIMF, der meine Worte sprechen sollte. Ich bekam seine Audiodatei mit meiner Drohbotschaft. Kurz darauf rief Daniel an, ich solle die Datei doch lieber nicht verwenden, er habe kein gutes Gefühl dabei. Was für ein Feigling! Dann würde ich den Text eben selbst sprechen. Besser so. Daniel war Schwabe, und das hatte mir ohnehin Bauchschmerzen bereitet. Eine Drohbotschaft auf Schwäbisch könnte leicht lächerlich wirken. Die Kuffar sollten sich vor uns fürchten und nicht über uns lachen. Ich schickte alles an Emin. Der verfremdete meine Stimme und baute sie in die Tonspur des Videos ein.

Damit unsere Botschaft maximale Wirkung erzielen konnte, wollte ich mich nicht allein auf das GIMF-Forum verlassen. Ich kannte den Namen des ORF-Journalisten, der Interviews mit meinem Vorgänger als GIMF-Chef geführt hatte. Der Typ hatte bereits mit meinem Pseudonym »Muhammad Omar« auf GIMF Kontakt aufgenommen. Dem Reporter war es wichtig, das Video exklusiv vor allen anderen Medien zu bekommen. Anscheinend hatte er Blut geleckt. Ich war sehr zufrieden.

Als Nächstes weihte ich Almujahed ein. Der mysteriöse Bruder hatte bisher wenig über sich erzählt, aber das änderte sich, als ich ihm von dem Video berichtete. Almujahed schien angetan davon zu sein und offenbarte nun plötzlich etwas aus seiner Vergangenheit. Er habe früher bei der Dschihad-Gruppe Jama’at al-Tawhid wal-Jihad im Irak gekämpft. Dort habe er auch an der Schlacht von Falludschah teilgenommen.

»Und warum bist du jetzt in Deutschland?«, fragte ich ihn erstaunt.

»Im Auftrag von Brüdern«, antwortete er lapidar.

Das war es dann schon wieder mit persönlichen Details. Ich erzählte Almujahed von meiner Idee, einen Sprengsatz irgendwo zu platzieren, wenn das Video ausgestrahlt würde.

»Lass mich das machen, Bruder«, sagt er. »Der Berliner Hauptbahnhof ist ein guter Ort.«

Als es so weit war, konnte ich Almujahed nicht erreichen. Später redete er sich heraus, es sei ihm etwas Wichtiges dazwischengekommen. Was konnte wichtiger sein als der Dschihad? Nach außen hin mitziehen und wenn es ernst wird, einen Rückzieher machen? Damals konnte ich mir auf ein solches Vorgehen noch keinen Reim machen. Später, als ich für den Verfassungsschutz zu arbeiten begann, würde ich selbst davon Gebrauch machen. Egal, mein Drohvideo würde auch ohne Bombenattrappe für Aufsehen sorgen.

ÖSTERREICH UND DEUTSCHLAND IN ALARMBEREITSCHAFT

Es ist Dienstag, der 20. November 2007. Rund dreihundert Kriminalisten, Staatsanwälte und Geheimdienstler versammeln sich im großen Saal des Bundeskriminalamtes (BKA). Es ist die Crème de la crème der deutschen Sicherheitscommunity. Wie jedes Jahr seit 1955 reisen die Experten für zwei Tage nach Wiesbaden, um hochkarätig besetzten Vorträgen zu einem ausgewählten Thema zu lauschen. Und um zu netzwerken, zu tratschen und sich Gerüchte zuzuraunen: »Weißt du schon …?« – »Hast du schon gehört …?«

Im Herbst 2007 steht die Tagung unter dem Titel »Tatort Internet – eine globale Herausforderung für die Innere Sicherheit«. Mit der Auswahl dieses Mottos haben die Organisatoren fast prophetische Fähigkeiten bewiesen. In der Vorankündigung54 schrieben Deutschlands oberste Kriminalisten: »Das Internet dient heute Terroristen als Kommunikationsplattform, virtuelles Trainingscamp und Rekrutierungsbüro in einem.«

Es ist der erste Veranstaltungstag im Wiesbadener Hauptquartier des BKA, als der österreichische Fernsehsender ORF das neue GIMF-Video, das erste seit Irfan die Führung übernommen hat, exklusiv veröffentlicht: »Ein Aufruf an die Regierungen von Deutschland und Österreich«. Aus Sicht der Gotteskrieger könnte das Timing nicht besser sein. Die Terrordrohung der Online-Dschihadisten avanciert zum inoffiziellen Topthema der BKA-Tagung. Journalisten bedrängen die anwesenden Politiker und Behördenchefs, verlangen nach O-Tönen und Analysen. Wolfgang Schäuble, damals Bundesinnenminister, stellt sich vor die Mikrofone, sagt: »Wir wissen, dass Deutschland in das Bedrohungsfeld des islamistischen Terrors geraten ist.«55 In seiner Eröffnungsrede hat er das Internet zuvor bereits als neues »Leitmedium des Heiligen Krieges« bezeichnet.56 Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes, sagt, er glaube, »dass das Video echt ist«. Nur leider wisse man »nicht konkret«, wer hinter diesem Video stecke.57

Erst im September hatten die österreichischen Behörden endlich GIMF-Chef Mahmoud festgenommen. Und nun das. Doch es hatte sich angedeutet: Die Auswerter im Gemeinsamen Internetzentrum (GIZ) hatten registriert, dass die GIMF-Seite schon kurz nach Mahmouds Inhaftierung wieder online gegangen war. Und man kannte das Statement, das die neue Führung umgehend verbreitet hatte: »Ihr könnt machen, was ihr wollt, macht so viele Festnahmen, wie ihr wollt (…), ihr werdet euer Ziel nie erreichen, wir werden immer weitermachen, bis wir den Sieg erlangen oder Märtyrertum.«58

Deutschlands oberster Polizist Ziercke versucht zu beruhigen, sagt, dass der Clip »keine konkrete Änderung der Gefahrenlage« bedeute. Hinter den Kulissen aber ist die Aufregung groß. Nicht nur in Deutschland, sondern auch bei den Nachbarn in Österreich. Dort verschickt das Innenministerium noch am selben Tag ein dringliches Rundschreiben an die Sicherheitsbeauftragten sämtlicher Ministerien, die Präsidentschaftskanzlei, Parlamentsdirektion sowie an die obersten Gerichte. Infolge des neuen Videos könne »eine Gefährdung vor allem österreichischer Politiker, die für die Einsätze in Afghanistan und die Inhaftierung der ›Gesinnungsgenossen‹ verantwortlich zeichnen, nicht ausgeschlossen werden«.59

Die Medien hauen in dieselbe Kerbe. News, Österreichs auflagenstärkstes Wochenmagazin, vermeldet: »Die Drohungen (…) sind absolut ernst zu nehmen. Denn Österreich bietet mit der Fußball-EM 2008 eine riesige Angriffsfläche für potenzielle...

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