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E-Book

Der klare Blick

Mit dem Wissen des Profilers Lügen entlarven und richtige Entscheidungen treffen

AutorStephan Harbort
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783426433690
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Hauptkommissar Stephan Harbort gehört zu Deutschlands Top-Profilern - sein Tagesgeschäft ist es, komplexe Situationen zu entschlüsseln und Kriminalfälle mit Blick für die Täterpsyche zu lösen. Fähigkeiten, die auch für den Alltag sehr hilfreich sind: Was tun bei Problemen mit dem Chef? Wie Konflikte mit den Nachbarn entschärfen? Harbort gewährt Einblick in die Methodik der operativen Fallanalyse und gibt ein Instrumentarium an die Hand, das es jedem ermöglicht, die eigene Wahrnehmung zu schärfen, um mit klarem Blick Krisen zu bewältigen und richtige Entscheidungen zu treffen.

Stephan Harbort, Jahrgang 1964, ist Kriminalhauptkommissar und führender Serienmordexperte. Er sprach mit mehr als 50 Serienmördern, entwickelte international angewandte Fahndungsmethoden zur Überführung von Gewalttätern und ist Fachberater bei TV-Dokumentationen und Krimi-Serien. Stephan Harbort lebt in Düsseldorf.

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Leseprobe

Der Fall: Schreie in der Nacht


Eine kleinstädtische Idylle irgendwo in Deutschland. 22. Dezember 1984. 23.39 Uhr.

Klarer Himmel. Klirrende Kälte. Kein Niederschlag. Es geht ein eisiger Wind. Plötzlich zerreißt ein gellender Schrei die Dunkelheit. Dann noch einer – markerschütternd. Und einen Herzschlag später wieder! Doch niemand ist auf den Straßen zu sehen, der mit den erbärmlich anmutenden Schreien in Verbindung gebracht werden könnte. Eine gespenstisch anmutende Szenerie. Ein Hund schlägt an und verstummt bald. Danach ist es wieder so still, als wäre nichts passiert, als hätte es die Schreie gar nicht gegeben.

Knapp zwei Stunden später am selben Ort, wenige Schritte vom Eingang einer Metzgerei entfernt. Eine apathisch wirkende Frau berichtet den soeben eingetroffenen Polizisten, was sie vor etwa zehn Minuten erlebt hat und niemals wird vergessen können. »Das Hoftor war aufgezogen, und der Wagen meiner Eltern war weg«, erzählt die 32-Jährige mit stockender Stimme. »Ich bin rein ins Haus und sah sofort, dass eingebrochen worden war. Die Tür zum Verkaufsraum stand offen. Das war ein furchtbarer Anblick. Ich bin sofort zum Telefon und habe die Polizei angerufen.«

Die Beamten betreten das zweigeschossige Haus und machen kurz darauf eine grauenhafte Entdeckung. Später werden sie in ihrem Bericht vermerken: »Soweit von außen feststellbar, sind sämtliche Fenster im Haus geschlossen. Die Eingangstür zum Laden war offensichtlich aufgehebelt (Brechwerkzeugabdruck am linken Türrahmen). Die Spuren im Verkaufsladen (aufgebrochene Kassenschublade) lassen auf einen Einbruch schließen. Über eine Treppe hinter der aufgehebelten Ladentür erreicht man das Obergeschoss. Nach einer ersten Besichtigung wurden alle Räume durchsucht.

Die Wohnzimmertür rechts von der Treppe steht offen. An dem Türgriff (Außenseite) ist mittels eines Elektrokabels eine männliche Person in Bauchlage aufgehängt. Die Person ist mit einem Schlafanzug bekleidet. Unterhemd und Schlafanzugjacke sind über den Kopf gezogen und hängen in Ellenbogenhöhe über den Armen. Die Leiche weist äußerlich Flecke im Nackenbereich und Gesicht auf, die an stumpfe Gewalteinwirkung denken lassen.

Im linken Teil des Wohnzimmers, das auch als Küche genutzt wird, hängt am Verriegelungsgriff des Fensters über dem Heizkörper eine ältere Frau. Sie ist unvollständig bekleidet, der Rock fehlt. Um den Hals der Frau ist ein Kabel befestigt. Auch aufgrund weiterer Spuren im Wohn- und Küchenbereich (Werkzeuge auf dem Boden, Schlüssel auf dem Küchentisch, nur angelehntes Fenster im rechten Teil des Wohnzimmers) ist von einem Einbruch auszugehen. Hinter dem nicht verriegelten Fenster befindet sich ein Anbau (Rohbau), an dem eine Leiter zum Erreichen des Obergeschosses lehnt. Um 03.11 Uhr wurde die Mordkommission verständigt.«

Die ersten Ermittlungen der Kripo ergeben, dass es sich bei den augenscheinlich Getöteten um Maria Krauss, 68, und ihren zwei Jahre älteren Ehemann Hans handelt, die ehemaligen Inhaber der Metzgerei »Herkules«.

Sie lebten zurückgezogen in ihrer kleinen Wohnung über der Metzgerei und waren allgemein geachtet und beliebt; das Geschäft hatten sie vor drei Jahren an ihre beiden Töchter übergeben. Wie üblich wollte man Weihnachten gemeinsam verbringen. Noch vor wenigen Tagen hatte Hans Krauss bei seinem Stammtisch geäußert, dass er sich auf die Feiertage im Kreise der Familie freue.

Die 15-köpfige Mordkommission nimmt ihre Arbeit auf. Um erste Arbeitshypothesen bilden zu können, müssen der Tatort und seine nähere Umgebung inspiziert und nach Spuren abgesucht werden, die im Idealfall auf die Fährte des Täters führen.

Das Ergebnis: Die Metzgerei liegt an der Hauptstraße, die durch das Dorf führt und die benachbarten Ortschaften verbindet. An der Rückfront des Anwesens schließt sich ein Neubau an, in dem später eine Backstube eingerichtet werden soll. An den Anbau ist eine etwa fünf Meter lange Leiter aus Metall angestellt. 140 Zentimeter von der Leiter entfernt ist im Erdreich ein Schuhabdruck zu erkennen, die Schuhspitze zeigt in Richtung des Anbaus. Auf dem Dach sind Porotonsteine (durchlochte Mauersteine) aufgeschichtet. Etwa fünf Meter weiter befindet sich das angelehnte Küchenfenster der Dachgeschosswohnung Krauss. Auf einem Porotonstein vor dem Fenster kann ein Schuhabdruck fotografisch gesichert werden, zwei gleichartige Spuren befinden sich auf zwei Dachziegeln, etwa einen halben Meter entfernt. Alle gesicherten Schuhspuren sind nach Größe und Profil identisch.

Die Dachgeschosswohnung besteht aus Küche, Bad, Toilette sowie Schlaf- und Nähzimmer. In allen Räumlichkeiten sind Schränke durchwühlt, Schubfächer herausgezogen und diverse Gegenstände auf dem Boden verteilt worden. Das Stromkabel des Staubsaugers fehlt, vermutlich wurde es abgeschnitten. Vom Gehäuse aus führt über den oberen Haltebügel nur noch ein 70 Zentimeter langes Reststück. An der Innenseite des Küchenfensters, auf der Fensterbank, aber auch auf dem Griffstück des Backofens, das auf dem Boden der Küche liegt, befinden sich Schuhabdruckspuren. Sie ähneln stark jenen, die vor der Leiter und auf dem Dach in unmittelbarer Nähe zum Küchenfenster entdeckt worden sind.

Dieser sogenannte Tatortbefund muss nun durch die Kriminalisten akribisch bewertet und interpretiert, Hypothesen sollen abgeleitet werden.

Hypothesen


Unter Hypothese versteht man allgemein eine Aussage, die nicht unbedingt wahr sein muss, aber wahr sein könnte. Wir bewegen uns demnach im Bereich der Wahrscheinlichkeiten. Die kriminalistische Hypothese hingegen ist eine auf Tatsachen – wichtig! – begründete Vermutung, also am Sachverhalt anknüpfend, theoretisch fundiert, empirisch naheliegend, aber eben noch nicht bewiesen. Sie ist demnach das andernfalls fehlende Bindeglied zur wissenschaftlich haltbaren Theorie.

In einem Mordfall stellen sich den Kriminalisten regelmäßig gleichartige Fragen, beispielsweise diese: Was ist passiert? Wie ist es passiert? Wem ist es passiert? Wann ist es passiert? Wo ist es passiert? Warum ist es passiert? Und natürlich: Wer hat das getan?

Um in diesem Zusammenhang zu belastbaren Hypothesen zu gelangen, muss zunächst herausgearbeitet werden, wie die Überlegungen strukturiert sein können und wo sie im Sachverhalt anknüpfen dürfen. Dabei ergeben sich im Regelfall vier Grundmodelle der Einordnung bzw. Bewertung von Daten.[1]

  • Gewisse vorhandene Daten werden als wahr angesehen, bestimmte andere als falsch.

  • Zwischen vorhandenen, als richtig angesehenen Daten werden bestimmte Beziehungen angenommen.

  • Noch unbekannte Daten werden neben bereits vorhandenen, richtigen als gegeben vorausgesetzt.

  • Zwischen vorhandenen, richtigen Daten und bloß angenommenen werden bestimmte Beziehungen vorausgesetzt.

Auf diese Weise gelingt es, Leerstellen des Verbrechens hypothetisch auszufüllen, die Tat zu strukturieren, Zusammenhänge zu erkennen und geeignete Ermittlungshandlungen zu generieren. Nach und nach entsteht ein Bild über den Tatverlauf, den Täter und das Opfer – im Idealfall ein Tatverdacht. Bei diesem schematisch schwer zu fassenden Analyseprozess verdienen alle Einzelaspekte Beachtung, um letztlich eine erfolgreiche Ermittlungsrichtung vorgeben zu können und nicht sprichwörtlich im Nebel stochern bzw. auf die gütige Mithilfe von Kommissar Zufall hoffen zu müssen.

Allein das theoretische Wissen wird nicht ausreichend sein, um bei der Verbrechensbekämpfung profunde Hypothesen bilden zu können. Wesentliche Voraussetzungen sind überdies: ein spezifisches Fachwissen, große praktische Erfahrung, unverbrauchte Kreativität und die Fähigkeit, Phantasien zuzulassen bzw. ungebremst zu entwickeln. Und diejenigen, die ein Verbrechen aufzuklären haben, müssen zudem genau hinsehen, zuhören und beobachten können. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, sind Fehlannahmen vorprogrammiert, die dem Täter in die Hände spielen und den Ermittlungserfolg gefährden.

 

Zurück zum Fall Krauss. Aufgrund des Tatortbefundes und der gesicherten Spuren werden von den Kriminalisten zu verschiedenen Aspekten der Tat erste Hypothesen aufgestellt:

Hypothesen

Tatzeit

»Alleine von den Schuhspuren kann abgeleitet werden, dass der oder die Täter zu einem Zeitpunkt in das Tatanwesen eingestiegen sind, als am Boden noch kein Frost herrschte. Nur so sind die teils tiefen Fußabdrücke zu erklären. Geht man davon aus, dass die Bodenfrostgrenze um die Mitternachtszeit gelegen hat, so muss der Täter vorher die Mauer überstiegen und zum Tatanwesen gelangt sein.«

 

Zugang zum Tatort

»Der Täter näherte sich vom Nachbargrundstück. Vermutlich ging er zu Fuß bis zum Anwesen, um dann etwa in dieser Höhe die Mauer zu überwinden. Die verschiedenen auf dem Erdreich zurückgelassenen Schuheindrücke lassen erkennen und vermuten, dass der Täter zunächst den Schaltkasten als Aufstiegshilfe suchte, sich dann aber auf den aus dem Boden herausragenden Eisenpfosten stellte und auf die Mauer stieg. Der Täter ließ sich etwa zwei Meter weiter an der Mauer herab, ging von dort zu dem Neubau, bestieg die Leiter, die er möglicherweise selbst angestellt hatte, nahm den Porotonstein, stellte ihn vor das Giebelfenster und stieg in die Küche ein. Zuvor wird er das vermutlich offen stehende Fenster vorsichtig aufgedrückt und die auf der Fensterbank innen stehenden Schüsseln weggenommen haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der...

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