PROLOG
Analogie als Herz des Erkennens
Die notwendige Aufwertung der Analogie
In diesem Buch über das Denken werden Analogien und Begriffe die Hauptrolle spielen, denn ohne Begriffe kann es kein Denken geben, und ohne Analogien gibt es keine Begriffe. So lautet die These, die wir hier entwickeln und vertreten.
Was ist damit gemeint? Jeder Begriff in unserem Denken verdankt seine Existenz einer langen Abfolge von Analogien, die im Lauf der Jahre unbewusst entstanden sind, die bereits dazu geführt haben, dass der Begriff entstanden ist, und die ihn im Lauf unseres Lebens fortwährend bereichern. Außerdem erhalten in jedem Augenblick unseres Lebens unsere Begriffe Anstöße von Analogien, die das Gehirn – indem es sich bemüht, sich mithilfe des Alten und Bekannten das Neue und Unbekannte zu erschließen – pausenlos herstellt. Das Hauptziel dieses Buches besteht also darin, der Analogie gleichsam Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; zu zeigen, wie die menschliche Fähigkeit zur Analogiebildung die Wurzel all unserer Begriffe ist und wie Analogien selektiv Begriffe entstehen lassen. Kurz gesagt: Wir möchten zeigen, dass die Analogie der Treibstoff und das Feuer des Denkens ist.
Wie uns Wörterbücher im Zusammenhang mit Begriffen in die Irre führen
Bevor wir diese Herausforderung in Angriff nehmen können, müssen wir uns eine klare Vorstellung davon verschaffen, was ein Begriff eigentlich ist. Es ist leicht – und faktisch weit verbreitet –, die Subtilität und Komplexität von Begriffen zu unterschätzen, und das umso mehr, als die Tendenz, die Eigenart von Begriffen zu stark zu vereinfachen, von Wörterbüchern verstärkt wird. Denn Wörterbücher schaffen es offenbar, die diversen Bedeutungen eines vorliegenden Wortes säuberlich voneinander abzugrenzen, indem sie den Haupteintrag in eine Reihe von Untereinträgen aufteilen.
Man nehme als Beispiel das englische Substantiv »band« (im Deutschen: »Band«). In jedem einigermaßen ausführlichen Wörterbuch wird der Eintrag für dieses Wort einen Untereintrag haben, der ein Band als ein Stück Stoff beschreibt, das um Dinge herumgewickelt werden kann; ein weiterer Untereintrag erwähnt, dass ein Band ein bunter Streifen auf einem Stück Stoff oder einer anderen Oberfläche sein kann; ein weiterer Untereintrag beschreibt »eine« Band als kleine Gruppe von Musikern, die bestimmte Arten von Musik oder bestimmte Instrumente spielen; einen Eintrag für die Bedeutung »Ring« (wedding band: im Deutschen »Ehering«) , einen Eintrag für einen bestimmten Bereich von Frequenzen (vgl. »Frequenzband«, »UHF-Band«), Energien, Preisen oder Altersstufen (etwa »the 30 – 40 age band«, »die Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen«) (etc.), und womöglich noch einige weitere Einträge. Das Wörterbuch wird diese unterschiedlichen Begriffe, die alle von ein und demselben Wort »band« abgedeckt werden, klar voneinander trennen, und damit hat es sein Bewenden, als ob diese begrenzten Bedeutungen völlig klar dargelegt worden und also klar voneinander abtrennbar wären. Schön und gut – abgesehen nur davon, dass dadurch der Eindruck vermittelt wird, jede einzelne dieser diversen Unterbedeutungen des Wortes sei für sich genommen homogen und nicht im geringsten problematisch und es gäbe kein potentielles Risiko, einen dieser Untereinträge mit einem anderen zu verwechseln. Aber diese Annahme trifft beileibe nicht zu, denn die Unterbedeutungen sind häufig eng miteinander verwandt (beispielsweise der farbige Streifen und der Frequenz-Bereich oder der Ehering und das Stück Stoff, das um etwas herumgewickelt wird). Und zudem bildet jede einzelne dieser scheinbar so klaren und voneinander getrennten Bedeutungen des Wortes »band« für sich genommen in sich wieder einen bodenlosen Abgrund an Komplexität. Wörterbücher erwecken zwar den Eindruck, Wörter bis hinunter zu ihren Grundbestandteilen zu analysieren, aber faktisch kratzen sie höchstens an der Oberfläche.
Man könnte viele Jahre damit zubringen, eine stattliche Sammlung von Fotos höchst unterschiedlicher Eheringe zusammenzutragen oder auch eine Bildersammlung mit Stirnbändern, von Jazzbands oder Verbrecherbanden (»bands«) – oder aber von äußerst unterschiedlichen Stühlen oder Schuhen oder Hunden oder Teekannen oder diversen Formen des Buchstabens »A« und so weiter und so fort –, ohne dass man jemals mit einer dieser Zusammenstellungen auch nur annähernd die grenzenlosen Möglichkeiten erschöpft hätte, die durch den Begriff gegeben sind. Es gibt ja tatsächlich Bücher dieser Art, etwa 1000 Chairs. Wenn der Begriff Stuhl so vollkommen eindeutig wäre, dann wäre nicht unbedingt nachvollziehbar, welchen Reiz ein solches Buch haben sollte. Will man die Schönheit, die Originalität, die Brauchbarkeit oder den Stil eines bestimmten Stuhls erkennen, dann setzt das ein großes Ausmaß an Erfahrung und Sachkenntnis voraus – Fähigkeiten also, die Wörterbücher auch nicht ansatzweise vermitteln können.
Man könnte ähnliche Überlegungen im Hinblick auf die subtilen Unterschiede zwischen diversen Typen von Bands und Bändern anstellen – man könnte sein Leben damit zubringen, Jazzbands zu studieren, Stirnbänder oder Verbrecherbanden und so weiter. Und selbst Begriffe, die auf den ersten Blick viel einfacher aussehen, sind in Wahrheit bodenlose Sümpfe der Komplexität. Denken Sie beispielsweise nur an den Großbuchstaben »A«. Man müsste viele Seiten Text in komplexer Sprache, sozusagen auf Legalesisch, also in Juristendeutsch, verfassen, wenn man versuchen wollte, festzuhalten, was genau es ist, das wir als Gemeinsamkeit bei den vielen tausend Formen wahrnehmen, die wir mühelos als Mitglieder dieser Kategorie identifizieren können: etwas, das über die schlichte Vorstellung, die die meisten Menschen von dem Begriff »A« haben – dass der Buchstabe nämlich aus zwei aneinandergelehnten diagonalen Strichen besteht, die durch einen horizontalen Querbalken verbunden sind –, weit hinausgeht.
Listen mit Schrifttypen sind wahre Goldminen für jeden, der sich für den Reichtum von Kategorien interessiert. Für die folgende Abbildung haben wir viele verschiedene Gestaltungen des Großbuchstabens »A« zusammengestellt, wie sie in der Werbung verwandt werden. Man erkennt schon beim ersten Blick, dass jede a priori-Vorstellung, die man von A-heit hatte, von mindestens einem Buchstaben widerlegt wird; trotzdem ist jeder einzelne klar identifizierbar – wenn auch vielleicht nicht für sich genommen, so doch spätestens, wenn er im Kontext eines Wortes oder Satzes auftaucht.
Die alltäglichen Begriffe Band, Stuhl, Teekanne, Durcheinander und Buchstabe »A« unterscheiden sich fundamental von Spezialbegriffen wie Primzahl oder DNA. Auch letztere umfassen eine unüberschaubar große Anzahl an zugehörigen Elementen, doch ist das, was alle diese Elemente verbindet, präzise und unzweideutig formulierbar. Im Unterschied dazu lauert in der mentalen Struktur, die einem Wort wie »Band«, »Stuhl«, »Durcheinander« oder »Teekanne« zugrunde liegt, ein grenzenloser, nicht klar konturierter Reichtum, der von Wörterbüchern völlig ignoriert wird, da das Ausbuchstabieren solcher Subtilitäten nicht das Ziel eines Wörterbuchs sein kann. Und faktisch haben gewöhnliche Wörter nicht nur zwei oder drei, sondern eine unbegrenzte Anzahl an Bedeutungen – ein reichlich unheimlicher Gedanke. Man kann es aber auch in dem Sinn positiv sehen, dass jeder Begriff ein grenzenloses Variationspotential hat. Und das ist doch – zumindest für Menschen, die neugierig sind und sich gern von Neuem anregen lassen – ein recht erfreulicher Gedanke.
Zeugmata: Amüsante Indikatoren begrifflicher Subtilität
Ein »Zeugma« (manchmal auch als »Syllepsis« bezeichnet) ist eine rhetorische Figur, die zwar einerseits recht vertrackt, aber andererseits auch sehr reizvoll ist, indem sie den verborgenen Reichtum von Wörtern (und Begriffen) offenbar machen kann. Das Zeugma oder die Syllepsis ist eine klassische Redefigur und wird häufig, eigentlich fast immer, benutzt, um einen witzigen Effekt zu erzielen. Charakteristisch ist der Umstand, dass in einem Satz mehr als nur eine Bedeutung eines Wortes zum Tragen kommt, obwohl das Wort selbst lediglich einmal auftaucht. Beispielsweise:
Ich treffe dich in zwei Wochen und Stuttgart.
Dieser Satz arbeitet mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen der mit dem Verb »treffen« verbundenen Präposition »in« – zum einen der zeitlichen, zum anderen der räumlichen Bedeutung. Wenn man sich vorstellt, dass man jemanden in einer Stadt trifft, dann hat man zwei relativ kleine Einheiten vor Augen, die physisch von einer größeren Einheit umgeben sind, wohingegen man bei der Vorstellung, dass ein Treffen in zwei Wochen stattfindet, an eine Zeitspanne denkt, die zwei spezifische Zeitpunkte voneinander trennt. Jeder versteht sofort, dass hier zwei ganz verschiedene Vorstellungen mit demselben Wort bezeichnet werden, und der Umstand, dass die Präposition »in« trotz des großen Abstands zwischen den beiden Bedeutungen lediglich einmal verwendet wird, erheitert uns, wenn wir den Satz lesen.
Hier einige weitere witzige Beispiele für Zeugmata:
Ich fuhr mit meiner Mutter und der Straßenbahn in die Stadt.
Er saß ganze Nächte und Sitzkissen durch.
Sie stellte mein Gemälde und meinen Glauben an die Menschheit wieder...