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Die Prüfung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt

Beurteilungskriterien gem. Art. 2 Abs. 1 lit. a) und lit. b) VO 139/2004 unter kritischer Würdigung ihrer Konkretisierung durch die EU-Kommission

AutorBenjamin Schnäbelin
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl82 Seiten
ISBN9783668175341
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Jura - Europarecht, Völkerrecht, Internationales Privatrecht, Note: sehr gut (16 Punkte), Universität zu Köln, Veranstaltung: Schwerpunktseminar im Bereich Kartellrecht, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit stellt unter Berücksichtigung der aktuellen Praxis der EU-Kommission und der Rechtsprechung der EU-Gerichte sowie unter Beachtung der im Schrifttum vertretenen Auffassung dar, welche Beurteilungskriterien im Hinblick auf die Prüfung der Vereinbarkeit von Zusammenschlüssen mit dem Binnenmarkt (Gemeinsamen Markt) gem. Art. 2 Abs. 1 lit. a) und lit. b) VO 139/2004 (FKVO) zu berücksichtigen sind. Ferner wird Stellung bezogen, ob die unter dem Schlagwort des 'more economic approach' erfolgte Konkretisierung der Beurteilungskriterien durch die EU-Kommission überzeugend ist. Mit der 2. Reform der FKVO im Jahre 2004 wurde das materielle Beurteilungskriterium für die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt geändert. Infolge dieser Änderung wurde der bisher in der Zusammenschlusskontrolle angewendete Marktbeherrschungstest zum Regelbeispiel einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs degradiert. Seitdem ist der so genannte SIEC-Test das maßgebende Kriterium. Ziel war es mit dem neuen Eingriffskriterium alle möglichen Wettbewerbsbeschränkungen eines Zusammenschlusses zu erfassen, eine zunehmende Ökonomisierung der Beurteilung zu ermöglichen und die Berücksichtigung von Effizienzen voranzutreiben. Nach gut 10-jähriger praktischer Anwendung des neuen materiellen Beurteilungskriteriums gibt es erste Erkenntnisse, ob und wie sich die Prüfung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt gewandelt hat und welchen Beurteilungsmerkmalen des Art. 2 Abs. 1 lit. a) und b) VO 139/2004 eine besondere Bedeutung zukommt. Nach Art. 2 Abs. 3 FKVO ist ein Zusammenschluss mit dem Binnenmarkt unvereinbar, wenn er den wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindern würde, insbesondere durch die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung. Art. 2 Abs. 1 FKVO, der durch die Reform nicht geändert wurde, enthält einige Kriterien, die bei der Analyse der erheblichen Behinderung durch die Kommission zu berücksichtigen sind. Vieles ist hier heute unstrittig und von den Leitlinien und Mitteilungen der Kommission konkretisiert. Allerdings können diese Kriterien unterschiedliches Gewicht in der Vereinbarkeitsprüfung haben. Zudem hat mit der Reform eine zunehmende Ökonomisierung der Zusammenschlusskontrolle Einzug genommen.

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Leseprobe

C. Stellungnahme zum „more economic approach“ in der Fusionskontrolle


 

Wie die vorhergehende Darstellung gezeigt hat, bietet das neue Untersagungskriterium der Kommission einen größeren Beurteilungsspielraum. Der wirkungsorientierte Ansatz erfordert eine genaue Einzelfallanalyse und greift mehr auf ökonometrische Mittel zurück, um die wahrscheinlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb darzustellen. Damit diese Beurteilung nicht ins unvorhersehbare Nebulöse ausartet, hat die Kommission diverse Konkretisierung vorgenommen, die ihre Entscheidungen verständlicher und nachvollziehbar machen sollen. Zu nennen sind hier insbesondere die Leitlinien zu den horizontalen und nicht-horizontalen Zusammenschlüssen, sowie die Anwendung von ökonometrischen Analysetools wie der Herfindahl-Hirschmann-Index, SSNIP- und UPP-Test , die Ermittlung statistischer Werte wie Preiskorrelationen und -elastizitäten und diverse andere Simulationsmodelle.

 

Ob diese Konkretisierungen für die Ermittlung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt zweckmäßig und zielführend sind, lässt sich am besten daran bestimmen wie sie sich auf die Verfahrensökonomie, Rechtssicherheit und Entscheidungsqualität auswirken. Anhand dieser Gesichtspunkte sind die Modelle und Leitlinien zu bewerten.

 

I. Auswirkungen auf den Verfahrensaufwand


 

Zunächst sollte man die Auswirkungen des „more economic approach“ auf den Verfahrensaufwand betrachten.

 

Dabei lässt sich konstatieren, dass es in den letzten Jahren zu keiner nennenswerten Zunahme von Zusammenschlussanmeldungen gekommen ist, die über die tatsächlich vermehrt auftretenden „Mergers-and-Aquisitions-Aktivitäten“ der Unternehmen hinausgehen.[416] Aus dieser durchschnittlichen Anzahl an Beurteilungsfällen kann man daher schließen, dass der neue Ansatz nicht dazu geführt hat, dass die Unternehmen durch die Änderung der Beurteilungsmaßstäbe zu Fusionsvorhaben motiviert werden, die nach dem alten strukturorientierten Ansatz aussichtslos gewesen wären.

 

Die Menge an Verfahren alleine, spiegelt einen möglicherweise erhöhten Verfahrensaufwand aber nicht wieder. Ein anderer Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie verbirgt sich im Aufwand, der jedes einzelne Verfahren mit sich bringt. Abgesehen von den erhöhten Anforderungen in formaler Hinsicht bezüglich der Informationen, die bei der Anmeldung eines Zusammenschlusses vorgelegt werden müssen,[417] erhöht die vermehrte Anwendung von quantitaiven Analysemethoden den Verfahrensaufwand erheblich.

 

Schon bei der Marktabgrenzung nach dem SSNIP-Test werden erhebliche Datenmengen benötigt, die das Bedarfsmarktkonzept nicht bedurfte.[418] Einen noch größeren Aufwand bedürfen die Simulationsmodelle, da ihre Aussagekraft in hohem Maße von der Menge, Konkretheit und Vollständigkeit der vorgelegten Informationen abhängig ist.[419] Die Beschaffung dieser Daten kann ein schwieriges und kostenintensives Unterfangen sein. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die Kommission zuweilen auf eine ökonometrische Untermauerung ihrer Ergebnisse verzichtet.[420]

 

Außerdem ist durch die genaue Analyse tendenziell längere Verfahrensdauer indiziert. Teilweise müssen Verfahren unterbrochen werden bis weitere Daten vorgelegt werden.[421] Diese Tendenz kann auch auf den neuen Art. 10 FKVO gestützt werden, der eine Fristverlängerung vorsieht. Diese wird insbesondere mit dem erhöhten Aufwand bei der Anfertigung von ökonometrischen Studien begründet.[422]

 

Im Ergebnis ist damit festzustellen, dass die Konkretisierung unter dem Schlagwort „more economic approach“, insbesondere aufgrund des Erfordernisses erhöhter Datenmengen für die ökonometrischen und statistischen Studien sowie Simulationsmodelle, den Verfahrensaufwand in jedem einzelnen Verfahren signifikant erhöht und die Verfahrensdauer verlängert. Per se ist ein solcher Mehraufwand und eine längere Verfahrensdauer gerade im Hinblick auf die Schnelllebigkeit der Wirtschaftswelt kritisch zu sehen und abzulehnen. Diese negativen Auswirkungen könnten aber verkraftet werden, wenn sie mit einer Erhöhung der Rechtssicherheit und Entscheidungsqualität einhergehen. Dies gilt es als nächstes zu beurteilen.

 

II. Auswirkungen auf die Rechtssicherheit


 

Ob die erfolgte Konkretisierung der Kommission überzeugend ist, lässt sich ferner daran messen, ob sie zur Rechtssicherheit beiträgt. Die Kommission selbst hat die Erhöhung der Rechtssicherheit als zentrales Argument vorgebracht, da die Verwendung ökonomischer Konzepte die Entscheidungen vorhersehbarer und nachvollziehbarer machen würde.[423]

 

Unter Rechtssicherheit versteht man im Wettbewerbsrecht allgemein, dass der Staatsbürger vor überraschenden staatlichen Eingriffen geschützt werden soll, insbesondere durch Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit des staatlichen Handelns.[424] Das bedeutet für die EU-Fusionskontrolle, dass die anmeldenden Unternehmen die Entscheidung der Kommission hinsichtlich ihres Fusionsvorhabens möglichst genau prognostizieren können.[425]

 

Die Rechtssicherheit korrespondiert insofern mit dem Verfahrensaufwand, da sie aus der Menge der angemeldeten Verfahren und der Anzahl der Untersagungen abgeleitet werden kann.[426] Wie bereits erwähnt ist in den vergangen Jahren keine atypische Häufung von Anmeldungen und Untersagungen zu verzeichnen gewesen.[427] Dies lässt darauf schließen, dass die Entscheidungen der Kommission in einem hinreichenden Maße prognostizierbar sind und keine überraschenden Entscheidungen für die Unternehmen getroffen werden. Allerdings ist dieser Schluss mit Vorsicht zu genießen. Es ist auch durchaus denkbar, dass die Unternehmen schlichtweg die Kosten und den Reputationsverlust einer durch einen untersagte oder abgebrochenen Zusammenschluss fürchten und deswegen gar nicht zur Anmeldung bringen. Die Anmeldestatistik kann daher nur als grobes Indiz gesehen werden.

 

Mehr Aufschluss über die Auswirkungen auf die Rechtssicherheit geben die vorgenommen Konkretisierungen und deren Anwendung im Einzelfall.

 

Zunächst sind die Leitlinien der Kommission für horizontal und nicht-horizontale Zusammenschüsse zu nennen. Diese geben ein Prüfkonzept für den jeweiligen Fusionstyp vor. Auch wenn diese für die Gerichte nicht verbindlich sind und lediglich zu einer Selbstbindung der Kommission führt, zeigt sich, dass die Kommission die dort genannten Gesichtspunkte zumeist „checklistenartig“ abarbeitet und die Rechtsprechung diesen Konzepten auch folgt.[428] Dies macht das Vorgehen der Kommission transparent und die Unternehmen können vorhersehen, welche Kriterien besonders beachtet werden. Insofern fördern die Leitlinien die Rechtssicherheit. Allerdings bleibt zu beachten, dass die Leitlinien nicht vorgeben wie die Kriterien zu gewichten sind. Sie sind vielmehr eine Konkretisierung und Erweiterung des Art. 2 Abs. 1 FKVO der stets eine Gesamtabwägung erfordert. Welchem Kriterium in dieser Gesamtabwägung welches Gewicht zu kommt, lässt sich nicht genau vorhersehen. Zwar gibt es, wie dargestellt, einige Richtwerte doch bleibt die Einzelfallanalyse stets mit Unsicherheit verbunden. Eine erhebliche Steigerung der Rechtssicherheit vermögen die Leitlinien daher nicht zu begründen. Das zeigt sich zum Beispiel auch am Konzept des Herfindahl-Hirschmann-Index´. Dieser an sich sinnvolle Ansatzpunkt zur Ermittlung kritischer Schwellenwerte wird durch seine Ausnahmeregelungen relativiert und in der Praxis weitestgehend aussagelos gemacht, weil es eben auf andere Umstände als nur den Konzentrationsgrad ankommt.

 

Auch die weiteren Ansatzpunkt des „more economic approach“ vermögen nicht zur Rechtssicherheit beizutragen. Zwar sind die verschiedenen ökonometrischen Analysemethoden wie der SSNIP- oder UPP-Test sowie Preiskorrelationen und Preiselastizitäten dazu geeignet Auswirkungen oder Marktgegebenheiten, insbesondere das Näheverhältnis zwischen Unternehmen, ökonomisch zu fundieren, jedoch sind diese nicht immer anwendbar oder aussagekräftig. Das Problem der Ökonomik wiegt ähnlich wie das der Rechtswissenschaft. Auch in der Ökonomik ist vieles umstritten und so gibt es viele Ansatzpunkte und Methoden, die eine konkrete ökonomische Wettbewerbstheorie unmöglich machen.[429] Folglich kann die Kommission bei ihrer wettbewerblichen Beurteilung und Ermittlung möglicher Wettbewerbsbehinderung auf einen großen Fundus an Methoden zurückgreifen, die je nach Einzelfall unterschiedliche Ergebnisse zu Tage fördern. Hinsichtlich der Auswahl dieser ökonomischen Hilfsmittel als Beweismittel, kommt der Kommission ein Ermessensspielraum zu.[430] Dieser Pluralismus der Methoden und das Ermessen der Kommission hinsichtlich der Anwendungen selbiger ist abträglich für die Vorhersehbarkeit der Entscheidung und damit der Rechtssicherheit.

 

Es lässt sich daher feststellen, dass die Leitlinien ein vernünftiger und sinnvoller Ansatzpunkt zur Steigerung der Rechtssicherheit sind. Allerdings geben sie keine Auskunft für das Gewicht der Kriterien bei der jeweiligen Beurteilung und weisen...

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